Tatjana Pokorny
· 18.02.2023
Zweimal Letzter werden ist nicht leicht. Dennoch zieht Robert Stanjek auch positiv Zwischenbilanz im Ocean Race. Der Berliner Co-Skipper im Guyot Environnement – Team Europe blickt auf das bislang Erreichte, die Höhen und Tiefen der eigenen Ocean-Race-Premiere und die anstehende „Monster-Etappe“
„Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden“, sagt Robert Stanjek, der sich gerade in einem Kurzurlaub mit seiner Familie bei Kapstadt von den Strapazen der vergangenen Wochen erholt. Zwei von sieben Etappen liegen hinter den Teams im Ocean Race. Kaum jemand hat eine so steile Lernkurve zu absolvieren wie der 41-jährige Olympia-Sechste von 2012 im Starboot.
In seinem Guyot Environnement – Team Europe wachsen weiter zwei Welten zusammen: die vom Solosegeln geprägten französischen Imoca-Asse um Skipper Ben Dutreux und Navigator Sébastien Simon und der Kern des Offshore Team Germanys mit Co-Skipper Stanjek, der von ihm hochgeschätzten und erfahrenen zweimaligen Weltumseglerin Annie Lush und Crew-Kamerad Phillip Kasüske. In unterschiedlichen Konstellationen gehen sie die Etappen an.
Auf Etappe zwei agierte Robert Stanjek erstmals als verantwortlicher Skipper. Ben Dutreux setzte planmäßig aus. Mit Stanjek rauschten der französische Navigator Seb Simon, dessen Landsfrau Anne-Claire le Berre und der Berliner Phillip Kasüske den Atlantik hinunter bis nach Kapstadt. Das taten sie mit ihrem acht Jahre alten Boot im Kampf mit den Neubauten phasenweise in mitreißender Weise.
Die zweitägige Spitzenposition am 27. und 28. Januar schon kurz nach Start und die einwöchige Führung von Ende Januar bis in die erste Februar-Woche hinein taten gut. „Das Team ist insgesamt auf Etappe zwei sehr stark gesegelt“, blickt Stanjek zurück. Er erlebte in der Hochphase seiner Mannschaft wie auch Phillip Kasüske seine Äquatortaufe in der Hitze rund um den nullten Breitengrad. Team Guyot hatte die Südhalbkugel als erstes Boot erreicht.
Sportlich lief es zu der Zeit bestens. „Unser Äquator-Crossing war navigatorisch gut eingeschätzt und technisch sehr sauber durchgeführt. Die ganze Doldrums-Passage war bei uns eine gerade, glatte Linie. So vorgegeben, so auch umgesetzt. Ziel war es, alles herauszuquetschen, was nach Süden ging. Damit war unser Weg kürzer“, fasst Stanjek zusammen.
Auch der Auftakt in den Passatwinden gelang Team Guyot anschließend gut. „Unser Boot ist bei Raumschotswinden cool“, konstatiert Stanjek. Doch dann fand die deutsch-französische Mannschaft im Positionspoker in Bezug auf das nächste Hochdruckgebiet nicht den Absprung. Für ihre Aufsehen erregende Ost-Positionierung und den beharrlichen Verbleib auf der „Innenbahn“ wurde Team Guyot schließlich zur Kasse gebeten.
Als die Konkurrenz das breit und breiter werdende Hoch stark westlich umkurvt, bleibt Team Guyot hängen. „Da haben wir uns einen großen navigatorischen Schnitzer erlaubt“, räumt Stanjek ein, der längst weiß, dass eine ausgewogenere Position zum Feld – eine goldene Regel auch im olympischen Segelsport – die bessere Antwort gewesen wäre. Das schwarz-grüne Boot wird in der Folge – für Segler und Fans anhand der Tracker-Positionen zu beobachten – schnell nach hinten durchgereicht.
Freimütig räumt Stanjek nach seinem ersten Regattaeinsatz im Südatlantik ein, dass es ihm selbst noch an navigatorischer Erfahrung fehlt. Seine olympischen Erfahrungswerte erinnern ihn in der Retrospektive jedoch an ein klassisches Regatta-Gesetz, das sein Team besser im Auge behalten hätte. Man müsse, so Stanjek, eine Führung irgendwann auch zur Absicherung einsetzen. An der Stelle hat Team Guyot Environnement – Team Europe am Ende zu lange zu viel gewollt.
Imoca-Könnerin, „Biotherm“-Seglerin und Eurosport-TV-Kommentatorin Sam Davies fasste die Guyot-Vorstellung so zusammen: „Team Guyot hatte sich am östlichsten positioniert. Sie sind etwas schneller durch die Zone gekommen als andere Boote. Bekannterweise konnten sie das aber am Ende nicht in Punkte ummünzen. Das war echt Pech für sie, weil sie unter einer Wolke hängen geblieben sind. Das tat mir leid, weil es eine mutige und gute Entscheidung war.“ Und weiter sagte Davies: „Es ist ein interessantes Segelteam, das ich gern verfolge. Was sie schaffen, ist ziemlich erstaunlich.“
In der letzten Phase der zweiten Etappe im Ocean Race zeigte das „Guyot“-Quartett noch einmal, wozu es imstande sein kann. Sie schaffen es im Kraftakt, auf dasselbe Tief „aufzuspringen“, das die vorausliegende Konkurrenz nun schnell in Richtung Etappenhafen Kapstadt trägt. Die schlechte Kunde: Vor und mit dem Tief enteilen die Spitzenreiter mit Spitzengeschwindigkeiten, hinten im Tief hat die Guyot-Crew schwer zu kämpfen. „Obwohl wir im selben Tiefdruckgebiet unterwegs waren, fuhren wir langsamer. Was daran lag, dass die vorn liegenden Boote weniger Welle hatten und bessere Winkel fahren konnten, wir aber hinten und mittendrin in der Kreuzsee fast unser Schiff zerbrochen haben“, erklärt Stanjek den erneuten Meilenverlust.
Es folgte im Finale ein versöhnliches Etappenende für Team Guyot. „Da haben wir über drei Tage bei Top-Geschwindigkeiten von 30, 35 Knoten an die 1.500 Seemeilen geschrubbt“, erinnert Robert Stanjek an die imposante Aufholjagd. Fast hätte es noch zum Angriff auf die viertplatzierte „Malizia – Seaexplorer“ gereicht. „doch in der letzten Nacht hat uns der Hochdruckrücken doch noch einmal ins Heck gebissen“, erinnert sich der Skipper. Das letzte Aufbäumen seines Teams hinterließ dennoch den starken Eindruck einer Crew, die sich zu keiner Zeit dieser Etappe aufgegeben hat.
Mit Blick auf das eigene Boot ist “Guyot”-Co-Skipper Stanjek längst klar: „Acht Jahre Design-Fortschritt lassen sich nicht mal so eben kompensieren. Aber wenn sich Chancen ergeben, dann sind wir auch da.“ Stanjek macht keinen Hehl aus der Position seines Teams in diesem Ocean Race: „Wir sind hier schon die Rookies.“ Zwei Segel sind auf Etappe zwei kaputtgegangen: der A2 und der Fractional Zero. „Beide haben uns gefehlt“, sagt Stanjek.
Zu schaffen machen dem ausgewiesenen Teamplayer Stanjek die im Vergleich zum Segeln mit großen Crews reduzierte Kommunikation an Bord. Man sei sehr viel mit sich allein in seiner Gedankenwelt. Er habe nie gedacht, dass ihm diese Ebene so viel Professionalität abverlange. Wie auf allen anderen Booten sorgt die „krass laute Geräuschkulisse“ an Bord von „Guyot“ für eine enorme Belastung der Akteure. „Mein Hirn war mit der Lautstärke am Anschlag“, sagt Stanjek. Er wird mit neuen Noise-Cancelling-Kopfhörern in die längste und brutalste Etappe drei starten.
Das Steuern bei Wind – überpowert und straff getrimmt bei 106 Prozent – sei höchst anspruchsvoll. „Es ist eine krasse Konzentrationsleistung, das Schiff beständig auf Messers Schneide zu fahren. Es ist laut, wild, eine wahnsinnige Verantwortung“, sagt Stanjek.
Beim Blick auf die Konkurrenz sind dem Analytiker Stanjek einige Punkte aufgefallen. Jeder habe gedacht, dass 11th Hour Racing mit der langen Vorbereitung auf das Ocean Race aus den Startblöcken schießen würde. Dem sei nicht so. Stattdessen beeindrucken die Imoca-Erfahrenen. „Kevin Escoffier, Paul Meilhat und auch Boris sind eben schon lange dabei“, sagt Stanjek. Er sei zudem sicher, dass das Ocean Race in den kommenden Jahren eine sehr französische Handschrift erhalten werde.
In der kommenden Woche wird sich das Guyot Environnement – Team Europe wie alle anderen Mannschaften in Kapstadt für Etappe drei rüsten. Die schwerste und längste Etappe in der Geschichte des Ocean Race beginnt am 26. Februar und führt die Teams nonstop über 12.750 Seemeilen von Südafrika ins brasilianische Itajaí. Team Guyot geht mit Skipper Ben Dutreux, Co-Skipper Robert Stanjek, Navigator Seb Simon und Ocean-Race-Ass Annie Lush ins Rennen. „Außer mir waren in unserer Crew alle schon da unten. Unsere beiden Vendée-Segler natürlich. Und Annie zweimal. Wir starten mit maximaler Offshore-Erfahrung in die Etappe“, sagt Stanjek. Er habe großen Respekt vor der Königsetappe, sei aber guter Dinge.
Team Guyots Boot ist bereit für den Härtetest. Auch wenn das fehlende Volumen im Bug „schon eine Achillesferse“ sei, wie Stanjek einräumt. „Malzia – Seaexplorer“ sei dagegen das Extrem am anderen Ende der Skala. „Wir stechen schon stark in die Wellen. Das haut die Durchschnittsgeschwindigkeit runter“, beschreibt Stanjek das eigene Boot. Weshalb seine Mannschaft vor Etappe drei „radikal stacken“ werde: Alles, was verplombt werden muss, geht nach hinten ins Boot. Die gute Kunde bleibt, so Stanjek: „Wir haben ein robustes und stabiles Boot für die harten Anforderungen im Südmeer und werden alles geben.“
Ideale Aussichten für die kommende “Monster-Etappe” entlang der drei großen Kaps attestiert Robert Stanjek seinem Landsmann Boris Herrmann und dessen Team Malizia: „Ich glaube, dass Boris’ Boot auf der kommenden Etappe extrem stark performen wird. Die fahren bei Wind einen krassen Stiefel. Ich tippe, dass einige Leute dieses Boot jetzt mit mehr Demut betrachten. Halb Lorient hat sich anfangs über das Boot lustig gemacht und hat jetzt sicher ziemlich schwer zu schlucken.“