SturmfahrtWie ich mich in falscher Sicherheit wog...

YACHT-Redaktion

 · 14.05.2025

Leser Timm Weski 1976, im Hintergrund der Stagsegelschoner.
Foto: Weski
YACHT-Leser Timm Weski kennt das Boot eigentlich, das er segeln soll. Da muss man ja vor Fahrtantritt nicht mehr alles kontrollieren. Oder?

In der Serie „Segler beichten“ gestehen wir unsere dümmsten Fehler beim Segeln. Aber wir sind auch auf Ihre Beichte gespannt. Schicken Sie uns ihren Text, wenn möglich mit Bildern, an mail@yacht.de, Stichwort „Seglerbeichte“. Falls gewünscht, erfolgt die Veröffentlichung anonymisiert.



Im Sommersemester 1978 hatte ich die Möglichkeit, für sechs Wochen bei einer Charterfirma in Griechenland als Skipper zu arbeiten. Als zweiten Törn sollte ich einen 15 Meter langen Stagsegelschoner mit einer Kojenchartercrew nach Skiathos in den nördlichen Sporaden segeln, wo eine andere Gruppe übernehmen sollte.

Da Mitte September die Hauptmeltemizeit vorbei ist, rechnete ich nicht damit, die ganze Zeit gegenanknüppeln zu müssen. Ich kannte alle Vor- und Nachteile des Bootes, da es früher meinem Vater gehört hatte und wir in den Sommerferien lange Törns unternommen hatten. Die Navigation bestand, wie in Zeiten vor GPS und Kartenplottern üblich, hauptsächlich aus Papierkarte, Kompass und Logge. Es sollte auch einen täglichen Wetterbericht auf Englisch geben, aber Sendezeit und Frequenz habe ich nie in Erfahrung bringen können.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Von den Chartergästen wusste ich nur, dass sich drei Niederländerinnen angemeldet hatten. Darunter befand sich eine Mitarbeiterin eines Reisebüros, das Kojencharter vermittelte, und das Anbot testen sollte. Dazu kam noch ein Ehepaar und zwei Einzelbucher. Wer über Segelkenntnisse verfügte war nicht bekannt. Auch musste die Erfahrung zeigen, ob die Mitsegler untereinander harmonieren würden.

Nach einer ersten Übernachtung in Hydra ging es bei Backstagsbrise unter Genua, Gollywobbler und Großsegel mit acht bis neun Knoten nach Korissa auf Kea. Obwohl es sich noch nicht um eine eingespielte Crew handelte, hatten alle Segel-, An- und Ablegemanöver einwandfrei funktioniert. Auch waren keine Spannungen untereinander aufgetreten.

Eine Ereigniskette setzt sich in Gang

Als nächster Hafen sollte Gavrion auf Andros angelaufen werden, der nur etwa 25 Seemeilen entfernt liegt. Der Südwind hatte über Nacht auf Südost gedreht und bei einem nordöstlichen Kurs war mit halbem oder sogar noch etwas achterlichem Wind zu rechnen. Allerdings war der Wind böiger als am Vortrag und der Himmel sah nach einer Wetterverschlechterung aus. Deshalb wurden nur Klüver, Großstag- und Großsegel gesetzt. Fock und Fischermannstagsegel blieben noch unten.

Da das Großstagsegel an den ersten beiden Tagen nicht gesetzt worden war, sah ich erst jetzt, dass eine Naht am Achterliek eingerissen war. Dies war früher schon öfters vorgekommen und der Riss hatte sich nicht weiter vergrößert, obwohl das Achterliek nicht mehr voll stand, sondern leicht killte. Als wir den Landschutz verlassen hatten, erwiesen sich die drei gesetzten Segel als ausreichend, zumal sich in Luv eine dunkle Wolkenwand aufbaute, die Regen und stärkere Windstärken versprach. Der Wind briste auch bald auf und wir erreichten teilweise acht bis neun Knoten Geschwindigkeit. Immer wenn das Boot in ein Wellental rutschte, schoss das Wasser durch den Spalt zwischen Deck und Schanzkleid. Durch die hohe Geschwindigkeit wurde es an Deck nach achtern gedrückt und stieg fast bis auf die Höhe des Cockpitsülls.

Da kommt einiges zusammen

Ein Brett, das als Gangway diente, war am Backbordschanzkleid gestaut und an den Relingsstützen festgebändselt. Jedes Mal wenn das Boot in ein Wellental fuhr, schwamm dieses Brett auf und drohte fortgerissen zu werden und musste deshalb zusätzlich festgezurrt werden. Als Crewmitglied Hans-Jürgen es mit einer Leine sicherte, musste er auf dem Deck zwischen Schanzkleid und Aufbau auf den Knien arbeiten. Immer wenn das Wasser unter dem Schanzkleid hervor an Deck schoss, war er zur Hälfte in weißes Wasser eingehüllt.

Inzwischen hatte auch ein wolkenbruchartiger Regen eingesetzt, der die Sicht auf gefühlte einhundert Meter verringerte. Zusätzlich briste es weiter auf, so dass wir zu viel Segelfläche führten und das Großsegel reffen mussten, das ein Patentrollreff besaß.

Da der Großbaum über das Heck hinausragte, war die Großschot nicht an der Nock, sondern an einem Schotwagen angeschlagen. Dieser war, um auf dem Baum nicht nach vorne rutschen zu können, mit einer Sorgleine zur Nock gesichert. Diese Sicherungsleine war falsch geführt und wurde beim Eindrehen des Segels um den Großbaum mit aufgewickelt. Deshalb war nach eineinhalb Umdrehungen Schluss mit Reffen.

Um die Sorgleine klarieren zu können, hätte der Baum fast mittschiffs geholt werden und ein oder vielleicht auch zwei Leute hätten auf den Heckdavit klettern müssen. Bei den Windstärken und den heftigen Schiffsbewegungen war dies aber zu riskant und deshalb musste das Großsegel geborgen werden. Im starken Wind und besonders in den Böen killte das Achterliek des Großstagsegels an der fehlerhaften Naht so stark, dass sie weiter einriss. Um einen weiteren Schaden am Segel zu verhindern, musste auch noch das Großstagsegel geborgen werden.

Abwägen der Möglichkeiten

Wir liefen jetzt nur noch unter Klüver. Allerdings wehte es inzwischen so stark, dass das Boot immer wieder auf Rumpfgeschwindigkeit beschleunigte. Besonders in den Böen war die Segelfläche noch immer zu groß und eigentlich wäre es notwendig gewesen, den Klüver zu bergen und die kleinere Fock zu setzen. Nur konnte ich bei diesen Wetterbedingungen keinem der Mitsegler zumuten, auf den Bugspriet zu klettern, sondern ich hätte dies selber machen müssen. In diesem Fall hätte aber jemand anders das Ruder übernehmen müssen und ich wusste nicht, wem ich dies zutrauen konnte.

Das Bergen des Klüvers mit Festmachen des Segels und dem Setzen der Fock hätte sicher zehn Minuten gedauert. Während dieser Zeit wäre unklar gewesen, ob es möglich gewesen wäre, nur vor Topp und Takel ablaufen zu können oder ob das Boot an Fahrt verloren und nicht mehr dem Ruder gehorcht und sich quer zu See gelegt hätte. In beiden Fällen wären die Schlingerbewegungen ohne die stützenden Segel extrem gewesen. Beim Beiliegen quer zum Wind hätte, bevor die Abdrift groß genug gewesen wäre, um in Luv eine Blasenbahn im Wasser zu bilden, die Gefahr bestanden, dass ein oder zwei Seen eingestiegen wären. Deshalb musste wohl oder übel der Klüver gesetzt bleiben, obwohl ich Bedenken hatte, dass irgendetwas, sogar der Schonermast, hätte brechen können. Obwohl die Fahrt jetzt fast ein halbes Jahrhundert her ist, sehe ich noch deutlich das Bild vom Schonermast mit Klüver, der zum Bersten voll steht, vor mir.

Wo sind wir eigentlich?

Trotz des langen Kiels und des vorlich liegenden Segelschwerpunkts, da ja nur der Klüver gesetzt war, gierte das Boot stark nach beiden Seiten und ich war mir nicht sicher, wie gut ich den Kurs halten konnte. Zusätzlich hatte ich durch die verschiedenen Manöver jedes Zeitgefühl verloren und antwortete auf die Frage, wann wir in Andros ankommen würden mit: „wahrschlich noch zwei Stunden“. Annemieke, die gerade unter Deck am Kartentisch stand, meinte nur, dass wir laut Logge, die an Deck nicht abgelesen werden konnte, die Strecke von 25 Seemeilen fast abgelaufen hätten. Die Sicht war immer noch stark eingeschränkt und durch meine salzverkrustete Brille konnte ich fast nichts mehr sehen.

Alle blickten gespannt nach vorne, bis plötzlich Hans-Jürgen meinte, er hätte voraus an Steuerbord etwas wie Land gesehen. Nachdem meine Brille in der Pantry mit Südwasser gereinigt worden war, konnte ich ebenfalls unterhalb der Wolkendecke einen Küstenstreifen mit zwei vorgelagerten Inseln in etwa einer Seemeile Entfernung entdecken. Annemieke bestätigte mir, dass auf der Karte zwei Inseln vor der Einfahrt nach Gavrion eingezeichnet wären.

Um aber ganz sicher zu gehen, dass vorlagerte Inseln nicht auch an anderen Küstenabschnitten vorhanden waren, bat ich Annemieke, mir die Karte auf dem Brückendeck am vorderen Ende des Cockpits zu zeigen, ohne dass diese nass würde oder wegwehte. Mit Hilfe zahlreicher Hände gelang dies auch: wir waren noch auf Kurs und standen kurz vorm Hafen. Hätte wir zu weit östlich gestanden, wäre es kein Problem gewesen abzufallen, um den Hafen zu erreichen. Bei einem westlichen Standort hätte es schwierig werden können, höher am Wind zu segeln, da die Segelfläche für den Wind zu groß gewesen wäre. Gegenan zu Motoren wäre auch keine Lösung gewesen, da das Boot sich wahrscheinlich festgestampft hätte, wie ich aus Erfahrung wusste. Wären wir noch weiter westlich geraten, hätten wir vielleicht sogar schon in der Straße zwischen Andros und Euböa gestanden, ohne dass wir dies wegen der schlechten Sicht bemerkt hätten. In diesem Fall hätte uns eine sehr unbequeme Nachtfahrt bevorgestanden, da sich in der Nähe kein anderer Hafen befunden hätte.

Allen war anzumerken, wie die Anspannung von ihnen abfiel. Zum Glück ging der Wolkenbruch langsam in normalen Regen über und auch der Wind ließ etwas nach. Der Motor sprang auch gleich an und das Bergen des Klüvers war kein größeres Problem mehr.

Diese kurze Sturmfahrt hat mich gelehrt, egal wie gut ich ein Boot auch kenne, grundsätzlich vor einer Fahrt alle Segel auf Schäden zu kontrollieren und das laufende Gut auf Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Wie stark es tatsächlich geweht hat, ist mir nicht mehr erinnerlich, da das Logbuch an Bord verblieben ist.



Meistgelesen in der Rubrik Special