In der Serie „Segler beichten“ gestehen wir unsere dümmsten Fehler beim Segeln. Aber wir sind auch auf Ihre Beichte gespannt. Schicken Sie uns ihren Text, wenn möglich mit Bildern, an mail@yacht.de, Stichwort „Seglerbeichte“. Falls gewünscht, erfolgt die Veröffentlichung anonymisiert.
Für mich ist Kiel die schönste Stadt Deutschlands. Nirgendwo sonst ist das Wasser so nah, die Strände so schön und die Vielfalt an Segelrevieren so groß. Ich liebte meine Studentenzeit und den Vibe, den die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt umgibt. Die Kieler sind offen, die Studentenpartys waren großartig und jede freie Minute ging es zum Segeln oder Kitesurfen auf die Ostsee.
An diesem Glück wollte ich eine enge Freundin aus meiner Heimat Heidelberg teilhaben lassen, die mich für ein langes Wochenende besuchte. Sie studierte im Süden Medizin und hatte mit Segeln gar nichts am Hut – was ich ändern wollte.
Die Wettervorhersage für das Mai-Wochenende war großartig. Sonnenschein und Westwind um die zwölf Knoten. Perfekt. Wir fuhren in den Olympiahafen Schilksee, wo „LetzFetz“, ein 470er, der meinem Bruder und mir gehörte, seinen Stellplatz auf dem Vorfeld hatte. Der Hafen war gut besucht, überall wurde aufgeriggt und es herrschte eine angenehme Stimmung. Es war eines der ersten sonnigen, warmen und windigen Wochenenden des Jahres und viele Segler zog es raus auf die Förde. Zudem gab es einige Regattafelder vor dem Bülker Leuchtturm, die etliche Yachten und Jollen ansteuerten.
Wir hatten keinen Wettkampf im Sinn und ließen es ruhig angehen. Wir zogen uns die Neos und Westen an. Meiner Freundin drückte ich zudem ein Trapez in die Hand und erklärte ihr, wofür es ist und wie sie es anlegen soll. Sie schaute erstaunt, als ich ihr klarmachte, dass man dank des Trapezes mit dem ganzen Körper ausreiten und so das Boot in Böen aufrecht segeln konnte. Balancierend auf den Zehen auf dem Bootsrand. Wow, sie war beeindruckt.
Wer schonmal mit einem Novizen segeln war, weiß, was dann folgte: Eine Einführung in die Grundbegriffe. Mast, Baum, Fock, Schot, Fall, Niederholer, Backbord, Steuerbord, usw… Auch kennt man den überforderten Blick des auserkorenen Mitseglers, der aufgrund der Fülle des unbekannten Wortschatzes aus gutem Grund verunsichert ist.
Das Wetter war grandios und ich wollte schnellstmöglich aufs Wasser. Wir riggten den 470er auf, schoben ihn über die Rampe ins Wasser. Meine Freundin kletterte rein, ich stieß uns ab und schon segelten wir durch den Hafen raus auf die Ostsee.
Doch kaum war die Hafeneinfahrt querab, bemerkte ich, dass der Ostwind der vergangenen Tage einen langgezogenen Swell hinterlassen hatte, der vom Ufer nicht hoch aussah, vom Süll einer Jolle aber beachtlich wirkte. Der nun ablandige Westwind, der im Übrigen deutlich kräftiger wehte, als mit nur zwölf Knoten, bügelte – komplett offshore - den Chop glatt und sorgte für perfekten Gleitspaß über die Wellenberge.
Schnell war klar, dass meine Freundin den überwiegenden Teil unserer Ausfahrt im Trapez verbringen würde, was ihr zu Beginn des Rittes ganz offensichtlich das Adrenalin durch die Blutbahn jagte. Herrlich! Da der Westwind über Land zog, war er recht böig und wir mussten häufig schnell reagieren, um nicht zu kentern. Wir schossen über die Bucht zwischen Strande und Schilksee und hatten einen Riesenspaß, bis es uns schließlich doch erwischte. Wir kenterten, und zwar mit Wucht. Während wir beide im Wasser schwammen, wurde mir klar, dass ich meine noch unerfahrene Mitseglerin vor lauter Vorfreude aufs Segeln gar nicht auf diesen Fall vorbereitet hatte.
Was nicht besonders dramatisch war, denn sie blieb beeindruckend ruhig, wir lachten und kletterten gemeinsam aufs Schwert, um die durchgekenterte „LetzFetz“ wieder aufzurichten. Was auch schnell gelang, so dass wir wieder an Bord klettern konnten. Nachdem wir uns sortiert hatten, nahmen wir die Schoten dicht und wollten Kurs Schilksee nehmen, um uns mit Kaffee und Kuchen zu stärken und den Schleudergang zu verdauen.
Leider war bei der Kenterung die obere Segellatte zerbrochen und hatte Teile des Großsegels zerfetzt. Der Wind kam genau von vorne und hatte aufgefrischt. Dank des defekten Segels konnten wir keine Höhe mehr laufen und mühten uns ab, um nicht weiter hinaus auf die Ostsee in Richtung Kiel Leuchtturm getrieben zu werden. Nachdem wir so zwei weitere Stunden hart und tapfer kämpften und der Olympiahafen einfach nicht näherkam, dachten wir über unsere Optionen nach. Ablaufen nach Strande schien leicht machbar, doch wir wollten zurück zum Auto und zu unseren trockenen Klamotten. Und mittlerweile auch sehr dringend zu etwas zum Essen! Wir waren beide platt.
In diesem Zustand sahen wir aus der Ferne einen kleinen Rettungskreuzer der DGzRS, dessen Kurs sich mit unserem kreuzte und der ganz offensichtlich von einer der Regattabahnen kam. Wir hielten unseren Kurs und als wir nach zehn Minuten in Rufweite des Kreuzers waren, zeigten wir auf unser kaputtes Großsegel, woraufhin die Crew aufstoppte und frage, ob wir Hilfe brauchen. Ja, die Hilfe nahmen wir gerne an. Sie schleppten uns in die Hafeneinfahrt, wir bargen die Segel und paddelten die letzten 200 Meter. Danke DGzRS!
Im Nachhinein war es leichtsinnig, mit einer Anfängerin, die noch nie eine Gleitjolle gesegelt ist, bei ablandigem Wind so weit auf die Förde hinauszusegeln. Zudem hatte ich mich in meiner naiven Vorfreude auf den Wetterbericht verlassen. Damals – rund 20 Jahre ist diese kleine Segel-Episode her – gab es noch kaum Smartphones, kein Windfinder, Windy oder ähnliches. Die Wetter- und Windvorhersage für Segler und fürs Wochenende gab es über die Zeitung oder übers Radio und war längst nicht so präzise wie wir das heute kennen. Aus heutiger Sicht unvorstellbar!
Ein bisschen Pech war selbstverständlich auch im Spiel. Kentern beim Gleitjollen-Segeln gehört dazu, nur bricht dabei fast nie eine Segellatte. Das passiert dann bei stark auffrischendem Wind, der aus genau der falschen Richtung kommt – Murphy’s Law, klar.
Wirklich in Gefahr waren wir nicht, denn wir hätten Strande oder die Marina Wendtorf anlaufen können.
Und meine Freundin aus der Heimat? Die hat später sogar einen Segelschein an ihrer Uni gemacht. Ende gut, alles gut.
Schön, dass es Euch gibt, DGzRS!