Tatjana Pokorny
· 22.11.2022
Sie ist die Entdeckung der 12. Route du Rhum: Die Schweizerin Justine Mettraux hat ihre Imoca-Premiere beim Transatlantik-Soloklassiker als erfolgreichste Skipperin und beste nicht französische Starterin mit Platz sieben grandios zu Ende gebracht
Der Name Justine Mettraux ist in der Segelszene keinesfalls neu. Die 36-jährige Schweizerin, die mit vier Brüdern und Schwestern am Genfer See aufwuchs, hat auch im Ocean Race schon mehrfach auf sich aufmerksam gemacht und wird es ab Januar wieder tun. Jetzt aber hat die unaufgeregte Powerfrau gerade im ersten Anlauf die Imoca-Szene aufgemischt. Bei ihrer Premiere in der Route du Rhum glänzte sie mit Platz sieben. Damit ist sie nicht nur die beste Imoca-Skipperin bei dieser zwölften Edition des Transat, sondern auch die beste internationale Top-Akteurin hinter den sechs vor ihr ins Ziel gekommenen französischen Männern.
“Juju” Mettraux absolvierte die 3.542 Seemeilen der Route du Rhum in einer starken Zeit von 12 Tagen, 13 Stunden, 26 Minuten und 35 Sekunden. Sie benötigte nur knapp 20 Stunden länger als Sieger Thomas Ruyant, der seit Jahren zu den Imoca-Besten zählt und sich mit ausgereiftem Boot durchsetzen konnte. Für Mettraux dagegen war es die erste Imoca-Soloregatta ihrer Karriere, bei der sie ein so starkes Stück Leistung zeigen konnte.
Aus der Ferne und auf See angefeuert von der Deutsch-Französin Isabelle Joschke, die am Dienstagnachmittag als Neunte im Ziel erwartet wurde, hat Justine Mettraux gezeigt, dass mit ihr in Zukunft im Kampf um Top-Platzierungen in der Imoca-Klasse zu rechnen sein dürfte. Ein Coup war Mettraux mit der “Teamwork.net” (Ex-”Charal” von Jérémie Beyou) im gerade beendeten Rennen bei den Azoren gelungen, als sie sich am weitesten westlich positioniert hatte und durch die Inseln segelte. Den hier errungenen siebten Platz verteidigte sie bis ins Ziel.
Die Genferin lernte das Segeln bei küstennahen Mehrrumpf-Rennen auf dem heimischen See, schärfte ihre Fähigkeiten in der Figaro-Klasse, segelte mit Team SCA 2015 im Volvo Ocean Race auf Platz sechs und gewann die Mannschafts-Weltumsegelung an der Seite von Charles Caudrelier und der holländischen Top-Seglerin Carolijn Brouwer 2018 mit dem Dongfeng Race Team. In den vergangenen zwei Jahren hat Justine Mettraux Tausende Seemeilen auf der Imoca des Teams 11th Hour Racing absolviert, mit dem sie am 15. Januar ins The Ocean Race startet.
“Ich bin ganz schön kaputt”, räumte Justine Mettraux nach ihrer Ankunft in Pointe-à-Pitre ein, “jetzt weiß ich, worüber sie alle reden, wenn es um das Ende dieses Rennens geht. Das hier ist eines der größten Rennen, an denen du teilnehmen kannst. Es ist mit viel Geschichte verknüpft. Auch dieses Mal ist so viel passiert. Menschen mussten gerettet werden …” Zur eigenen Leistung sagte Mettraux schlicht: “Das Ergebnis ist sehr positiv. Und ich sehe, dass es da immer noch Themen gibt, an denen man für die Weiterentwicklung arbeiten kann. Und dafür, mit den Jungs ganz vorn zu spielen.”
Nach Justine Mettraux und Isabelle Joschke auf “Macsf” wurde als voraussichtliche Zehnte Pip Hare auf “Medallia” am Nachmittag des 22. November vor Guadeloupe erwartet. Damit hätten drei Skipperinnen die Imoca-Top-Ten der Route du Rhum erobert. Das hat es in der schillernden Historie des Rennens noch nicht gegeben. “Das ist cool. Pip ist nicht weit zurück, und es ist schön zu sehen, das wir alle gut segeln und unsere Sache gut machen.”
Für Justine Mettraux ist die gute Platzierung auch eine Wiedergutmachung für die im Transat Jacques Vabre erlittene Enttäuschung: 2021 hatte sie im Zweihand-Team mit Simon “Sifi” Fischer nordwestlich von Spanien den Mast verloren. “Ich habe in diesem Rennen darüber viel nachgedacht”, räumte Mettraux im Zielhafen freimütig ein, “wenn du alleine segelst und die Bedingungen so ähnlich sind, kannst du dich dagegen kaum wehren.”
“Malizia – Seaexplorer”-Skipper Boris Herrmann hatte am 13. Renntag auf Platz 24 des Imoca-Feldes nach defensivem Rennen und mit Technik-Problemen noch knapp 480 Seemeilen bis ins Ziel zu absolvieren. Der Hamburger Vendée-Globe-Fünfte will das Rennen zugunsten seiner Qualifikation für die Vendée Globe 2024/2025 und auch mit Blick auf das anstehende The Ocean Race nun zügig, aber sicher zu Ende bringen.
In ganz anderer Mission ist Class-40-Spitzenreiter Yoann Richomme auf “Paprec Arkea” unterwegs. Der Franzose segelt der Ziellinie der Route du Rhum seit seiner Absolvierung einer vierstündigen Zeitstrafe für den Frühstart wie entfesselt entgegen. Auf diese Weise hatte Richomme an Tag 13 bereits 13 Imoca-Skipper überholt. Ihn trennten am Dienstagmittag nur noch rund 320 Seemeilen von der Ziellinie. Das ist eine beinahe unglaubliche Leistung, wenn man das Potenzial von Class-40-Yachten mit 60-Fuß-Imoca-Foilern vergleicht.
Parallel zu seinem Class-40-Engagement baut Richomme, der schon zweimal das Figaro (2016, 2019) und einmal die Route du Rhum (2018) gewann, noch eine neue Imoca für die Vendée Globe 2024/2025. Da kommt was zu auf die Konkurrenz …