ReportageWas Kinder an einem Tag im Segelcamp erleben

Nils Leiterholt

 · 24.06.2025

Trotzen Wind und Wellen: Viertklässler der Kieler Waldorfschule auf einem Segelkutter.
Foto: Nils Leiterholt
Jeden Sommer schlägt das von der Stadt Kiel geförderte Segelcamp sein Lager an der Förde auf. Hunderte Schüler schnuppern hier häufig zum ersten Mal Seeluft. Eindrücke von einem Projekt mit Vorbildcharakter.

Wer von euch kann denn schon ein bisschen Englisch?“, fragt Axel Schün. Die Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse der Kieler Waldorfschule sind noch etwas schüchtern. Keiner traut sich, ihm zu antworten. Schün lächelt und erklärt dann: „Guckt mal, das ‚RORO‘ an der großen Fähre da, das steht für ‚Roll on/Roll off‘. Es bedeutet, dass die Autos einfach auf das Schiff rauf- und am Ziel auch wieder herunterfahren können.“

Dieser etwas andere Lehrinhalt wird nicht etwa in einem Klassenzimmer, ja nicht einmal irgendwo an Land vermittelt. Sondern auf dem Wasser. Genauer: an Bord eines von zwei Jugendkuttern, die an einem Dienstagmorgen im Mai auf der Kieler Innenförde unterwegs sind. Obwohl es stürmt und zwischendurch auch wie aus Eimern regnet, hat die Schülerschar mit Schün und dessen Kollegen Segel gesetzt.

Die Flotte des Segecamps

Die „Teamusine“ und die „Eny VII“ verfügen über je 33 Quadratmeter Segelfläche, aufgeteilt auf Fock, Groß und Besan. Angesichts der über 20 Knoten starken Böen, die immer wieder übers Wasser fegen, sind aber nur die Vorsegel gesetzt. Die Kinder sollen nicht überfordert oder gar verängstigt werden. Die meisten sind schließlich zum ersten Mal auf einem Segelboot.

Neben den beiden Kuttern umfasst der Bootspark des Segelcamps eine kleine Kajütyacht vom Typ Skippi 650 Cruiser, drei Aira-22-Jollen, 4 O’pen Skiffs und sage und schreibe 25 Optimisten. Vier Motorboote stehen zudem als Begleitboote zur Verfügung. Vorausgesetzt, der Wind spielt mit, gibt es also für jede Art des Segelns – von gemütlich bis sportlich-ambitioniert – Boote zum Ausprobieren.

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„Außerhalb der Sommerferien sind in der Woche eigentlich jeden Morgen Schulklassen bei uns“, erzählt Sinje Gürke. Sie leitet das Segelcamp. Die Schulen könnten selber entscheiden, ob sie lediglich einen Schnuppertörn auf den Kuttern unternehmen wollen oder gleich einen zwei- bis fünftägigen Projektkurs buchen, so Gürke. Der beinhalte dann neben dem Segeln auch Aktionen an Land, etwa zum Thema Umwelt. „Wir bieten aber auch Einheiten an, in denen wir gezielt versuchen, das soziale Miteinander im Klassenverbund zu stärken.“


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Da der Wind an diesem Morgen aus südwestlicher Richtung kommt, werfen die Segeltrainer auf den Kuttern beim Ablegen erst einmal die Außenborder an. Sie wollen den Schülern der vierten Klasse nicht ein dauerhaftes Kreuzen im Gewirr der Berufsschifffahrt auf der Innenförde zumuten. Also geht es unter Motor zunächst gegen den Wind in Richtung Kieler Innenstadt. Dort angekommen, können die Vorsegel gesetzt werden. Raumschots geht es danach zurück in Richtung Camp.

Jeder soll einmal das Steuer übernehmen

Die Schüler wechseln einander an der Pinne ab. Jeder soll den Kutter mal steuern und erleben, wie es sich anfühlt, ein Boot auf Kurs zu halten. Die Trainer bleiben dabei stets an ihrer Seite und greifen bei Bedarf helfend ein. „Seht ihr die blaue Linie da an dem großen Schiff?“, fragt Karin Wortmann, während sie auf eine der großen Fähren zeigt, die nach Skandinavien übersetzen. Die 61-Jährige ist als Betreuerin mit auf dem zweiten Kutter. Die Kinder bei ihr an Bord recken die Hälse in Richtung des ausgestreckten Arms. Eine Erklärung für die Linie haben sie aber nicht. „Wenn das Schiff voll beladen ist, sinkt es bis dahin ins Wasser, weil es dann ja mehr Gewicht trägt, als wenn es leer ist“, erklärt Wortmann. Die jungen Schüler hören ihr gebannt zu.

Man merkt ihnen ihre Verwunderung über die Dimensionen der Frachter und Fähren an. So nah ist ihnen zuvor kaum einer gekommen, zumindest nicht auf dem Wasser. Ein Kind fragt besorgt, ob so ein großes Schiff wie das, an dem sie gerade vorbeisegeln, nicht umkippen und auf sie drauffallen könnte. Wortmann beruhigt und erläutert, warum das aufgrund des großen Ballastanteils so eines Frachters nicht passieren könne. Die Rentnerin engagiert sich während der Saison in der Regel einmal in der Woche im Kieler Segelcamp. Es mache ihr Freude, die Kinder fürs Bootfahren zu begeistern und zu erleben, wie sich deren Erfahrungshorizont sprichwörtlich weite.

„Und, wie war es auf dem Wasser?“, fragt Lehrer Tim Krutein seine Schüler, als die wieder zurück sind und an den Stegen vor dem Camp festgemacht haben. „Es hat super Spaß gemacht!“, ruft ein Mädchen aus dem Pulk heraus. Zu mehr Rückmeldungen kommt es nicht, denn nun wollen die Schüler wissen, was ihre Klassenkameraden, die an diesem Morgen an Land geblieben sind – nicht alle Schüler können trotz der zwei Kutter auf einmal segeln gehen –, unternommen haben.

„Mein Kollege Matze hat, während ihr segeln wart, mit der anderen Hälfte der Klasse unser Landprogramm Flora und Fauna durchgeführt“, erklärt ihnen Campleiterin Gürke. Mit Keschern bewaffnet waren sie losgezogen und hatten sich unter fachkundiger Anleitung mit den Tieren und Pflanzen beschäftigt, die im Uferbereich der Förde leben.

Engagement für die Umwelt im Segelcamp

Bereits am Tag zuvor hatte es für die Schülergruppe verschiedene spielerische Angebote gegeben, in denen es um Teambuilding ging. „Morgen werden dann diejenigen, die nicht mit Segeln dran sind, an der Promenade Abfälle sammeln“, fährt Gürke fort. Dabei werde vor allem darauf eingegangen, wie lange welcher Stoff brauche, um sich in der Natur zu zersetzen. Die Umweltthematik habe in den vergangenen Jahren wie in der ganzen Gesellschaft auch im Programm des Segelcamps einen stetig höheren Stellenwert erhalten. „Die Kinder erleben hier ganz unmittelbar, wie sich Umweltverschmutzung auswirkt“, so die 30-Jährige.

Für wen ist das Segelcamp geeignet?

Mehr um das Segelerleben selbst geht es im Camp, wenn die Schulklassen fort sind und das Nachmittags- und Abendprogramm beginnt. Unterschiedlichste Kurse richten sich sowohl an Jugendliche als auch an Erwachsene, die sich einmal an Pinne und Schot ausprobieren möchten. „Wir bieten darüber hinaus spezielle Events für Firmen oder auch für Familien an“, erzählt Gürke. Montags und dienstags beispielsweise gehe es am frühen Abend stets zum Sunset-Sailing hinaus auf die Förde. „Bis zu vier Personen über 16 Jahre können dann rund zwei Stunden lang gemeinsam mit einem Trainer auf einer der Aira 22 segeln.“ In der Regel muss man sich zu den verschiedenen Kursen anmelden, insbesondere Schulklassen oder größere Gruppen.

Aber auch Einzelinteressierte, die zum Beispiel an einem Segelkurs teilnehmen wollen. An den Wochenenden sowie an Feiertagen heißt es hingegen: Open Camp. Dann kann jeder, der Lust hat, spontan vorbeischauen und bei einem Schnuppertörn mitmachen. Die Kosten dafür halten sich mit acht Euro in einem sehr überschaubaren Rahmen.

Das ist durchaus Absicht. Vor mittlerweile sage und schreibe 23 Jahren kam bei den Marketing-Verantwortlichen der Kieler Stadtwerke die Idee auf, ein Projekt ins Leben zu rufen, das es jedem Schulkind der Landesmetropole ermöglichen sollte, einmal mit einem Segelboot über die Förde zu schippern. Inzwischen ist auch die Stadt Kiel mit im Boot, und zahlreiche Unternehmen und Institutionen unterstützen das Segelcamp.

Ablesbar ist das vor allem auf den Rümpfen der Optis. Jeder ist mit dem Logo eines Camp-Sponsors versehen. Gürke erzählt augenzwinkernd: „Je cooler das Design in den Augen der Kinder ist, desto häufiger wird der entsprechende Opti zum Segeln ausgewählt.“ Einzelnen Booten sehe man ihre Beliebtheit durchaus an.

Zwei Kinder, eine Jolle

Für diesen Nachmittag haben sich zwei Kinder zu einem Segelanfängerkurs angemeldet, den sie tags zuvor begonnen hatten. Zunächst werden ein paar Knoten geübt, dann der Aufbau einer Optimistenjolle besprochen. Während Segellehrer Philipp den beiden im Zelt geduldig ein Bootsdetail nach dem anderen erläutert, prasselt der Regen unerbittlich weiter. „Es hört bestimmt gleich auf, dann können wir noch ein bisschen mit dem Opti raus“, hofft er. Tatsächlich öffnet sich später ein Wetterfenster, allerdings bleibt es stark windig. Daher bleibt das Optirigg an Land, stattdessen geht es paddelnd aufs Wasser. Die beiden Kinder sollen ein Gefühl für die kleine Jolle bekommen. Zwischen den Hafenstegen ziehen sie ihre Bahnen.

„Versucht doch einmal, unter der Hafenbrücke durchzufahren“, ruft Philipp seinen Schützlingen zu. Die beiden sitzen wortwörtlich im selben Boot. Während der eine paddelt, versucht sein Segelpartner, den Opti unter der Brücke herzumanövrieren. Ihr Segellehrer steht keine fünf Meter von den beiden entfernt auf dem Steg. Als klar ist, dass sie die Grundzüge der Ruderwirkung verstanden haben, wirft Philipp einige Tennisbälle ins Wasser, die die Kinder nacheinander einsammeln und zum Steg zurückbringen. Daraufhin bringt er mit dem Motorboot fünf graue Plastikstangen aus, zwischen denen die beiden Segelschüler Slalom fahren sollen. Zum Abschluss des Tages nimmt Philipp den Optimisten mit dem Motorboot in den Schlepp. Zur Freude der Kinder, denen die Rauschefahrt sichtlich Spaß macht. Erneut einsetzender Regen bereitet dem Tun kurz darauf ein Ende. Zurück geht es an den Steg, schnell den Opti die Rampe hinaufgeschoben und nichts wie ab ins Trockene.

Schnuppersegeln vermittelt Werte

Mehr als 30 solcher und anderer Schnuppersegelangebote des öffentlichen, nicht kommerziellen Camps entfachen jeden Sommer bei Jung und Alt die Leidenschaft für den Segelsport. Dies sei bundesweit einzigartig, betonen die Verantwortlichen – und eine großartige Gelegenheit, „Werte wie Teamgeist, soziale Kompetenz und Kommunikation“ zu fördern. Auch das Naturerleben sowie das Umweltverständnis würden gestärkt, heißt es.

Vor allem aber entdeckt durchaus der ein oder andere Campbesucher bei einem Schnuppersegeln seine Liebe zum Bootssport. In solchen Fällen verweise man dann auf die an der Förde ansässigen Segelvereine. Auch wenn das Camp nicht darauf ausgelegt ist, den nächsten Kieler Segelolympioniken hervorzubringen, hat es sich in den vergangenen Jahren durchaus als geeignetes Mittel zur Nachwuchsförderung ­etabliert. Dies ist laut Veranstaltern vor allem dem Umstand zu verdanken, dass die Angebote niedrigschwellig sind: Sie sind unverbindlich, erfordern keinerlei Vorkenntnisse, richten sich an alle Altersgruppen und es fallen weder Mitgliedsbeiträge noch hohe Kursgebühren an.

Im Übrigen steht das Camp, das sein Zelt auf der Reventlou-Wiese an der Kieler Kiellinie aufgeschlagen hat, nicht nur Einwohnern der Stadt offen. Auch Tagesgäste oder Urlauber, die Lust auf eine Schlag auf die Förde haben, sind willkommen.


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