PorträtDesigner Guillaume Verdier ist ein Magier der schnellen Linien

Andreas Fritsch

 · 07.07.2025

Pioniere: Verdier und der Ultim-Tri „Gitana 17“ läuteten einen neue Ära im Yachtdesign ein.
Foto: Damien Meyer/AFP via Getty Images
Guillaume Verdier ist einer der erfolgreichsten Designer seiner Zeit. Seine Entwürfe haben den America’s Cup, die Vendée Globe und das Round the World Race der Ultims gewonnen.

Wer einen Termin mit Guillaume Verdier macht, lernt gleich zwei ziemlich ungewöhnliche Dinge über ihn: Er hat kein festes Büro. Und auch keine festen Angestellten. Wie funktioniert das bei dem wohl derzeit erfolgreichsten Designer der Welt?

„Ich arbeite mit einem festen Kreis von Freunden und Mitarbeitern, die aber alle auch an ihren eigenen Projekte arbeiten. Ich habe nach meiner ersten Anstellung für fünf Jahre bei Finot-Conq beschlossen, dass ich keinen Chef mehr haben will, aber selber auch kein Chef sein möchte“, so der Bretone. „Wenn du Leute hast, denen du vertraust, kannst du ihnen die Freiheit geben zu tun, was sie wollen. Das ist gut für alle Beteiligten – und das Projekt.“


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Dieses ungewöhnliche Konstrukt probierte er bei seinem ersten eigenen größeren Projekt Anfang der 2000er aus, Yves Parliers innovativem 60-Fuß-Kat mit Twin-Masten und wasserflugzeugartigen Bug-Sektionen: „Hydraplaneur“. Schon dort bildete sich die Keimzelle eines Teams, das bis heute eng zusammenarbeitet: Romaric Neyhousser, Hervé Penfornis, Loic Goepfert und einige weitere. Jeder hat seine Stärken, aber alle schauen auch auf die Arbeit der anderen.

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Der Skipper über den Designer: »Guillaume ist ein bisschen verrückt, aber auch genial und er arbeitet unglaublich hart.«

„Das Projekt machte uns schlagartig ziemlich bekannt, obwohl das Boot gar nicht so gut lief wie erhofft und nach einer Kenterung des Kats vor den Kanaren das Team wegen Budget-Problemen auch nicht wieder richtig in Fahrt kam“, so Verdier. Das Boot schaffte noch einen 24-Stunden-Rekord, war aber vor allem optisch eben etwas ganz Außergewöhnliches. Der Bretone erzählt ruhig, mit leiser Stimme, unprätentiös – der 54-Jährige ist das personifizierte Understatement.

Der kreative Kopf hinter segelnden Meisterwerken

Dabei hätte gerade er wahrlich allen Grund, wenigstens ein paar Rockstar-Allüren zu haben: Mit Team New Zealand gewann er als Designer zweimal den America’s Cup (2017 und 21), erst mit dem foilenden Kat, dann mit den damals sensationell innovativen Monohulls mit den schwenkbaren Foil-Armen. Charlie Dalins Vendeé-Globe-Siegerboot, der Open 60 „Macif Santé Prévoyance“, stammt von ihm. Die beiden vorigen Siegerboote hatte er zusammen mit VPLP entwickelt.

Die Liste der Siege und Rekorde des 100-Fuß-Maxi-Racers „Comanche“, den er für Jim Clark zusammen mit VPLP entwickelte, liest sich wie der Traum jedes segel-besessenen Milliardärs: Siege in den Offshore-Klassikern Fastnet Race, Sydney Hobart, Middle Sea Race. Dazu Rekorde Transatlantik und Transpazifik. Alles mit Ken Read als Skipper. Die US-Ikone beschrieb in einem Interview nach der „Comanche“-Zusammenarbeit Verdier einmal als einen Mann, „der ein bisschen verrückt ist, aber eben auch genial und unglaublich hart arbeitet“.

Gerade wenn es extrem oder originell wird, kann man eigentlich darauf wetten, dass Verdier seine Finger im Spiel hat. Er entwickelte mit dem Gitana Team den ersten foilenden Ultim, die 33 Meter lange „Maxi Edmond de Rothschild Gitana 17“, die dann auch gleich die erste Nonstop-Einhand-Regatta der Monster-Tris gewann. Damals ein ungeheures Wagnis, vor allem im hohen Seegang. Niemand hatte Erfahrung, geschweige denn Daten zu so einem Boot. Eine Gratwanderung, wie Verdier noch heute sagt.

Die Aufzählung kann man nahezu beliebig weiterführen, es gibt kaum eine Klasse, in der Verdier nicht nachhaltige Spuren hinterlassen hat. Giovanni Soldini gewann mit einem von ihm designten Class 40 allein 16 Rennen. Er hat Minis entworfen, auch Serienboote wie Jeanneaus Sun Fast 3300 oder die neuen Class 40 von Pogo.

Guillaume Verdiers segelnde Meilensteine

Wie erklärt er sich seinen eigenen Erfolg? Für die Antwort muss er etwas ausholen. Beginnt damit, dass er als Bretone, aufgewachsen an der Küste, natürlich schon als Kind in die Segelwelt hineingewachsen ist. Der kleine Guillaume machte die typische Jollen-Segelkarriere: Opti, Laser, 420er, Skiffs, Tornado, den er bis heute gerne segelt. Einer seiner Segellehrer hängte den Job an den Nagel und erzählte ihm als Achtjährigem von seinen Zukunftsplänen: Er wolle Yacht-Design in Southampton studieren, einem der Designer-Hotspots Europas. Der kleine Junge merkte es sich gut. Später, als Guillaume nach der Schule eine neue Richtung sucht und begabt für alles Mathematische und Physikalische ist, geht er denselben Weg.

„Nach dem Studium arbeitete ich einige Zeit für die Universität von Kopenhagen, dann ging ich zu Finot-Conq als Mitarbeiter. Das Büro war damals das führende für die Konstruktion von Open 60s. Ich lernte enorm viel von Pascal Conq. Er brachte mir bei, wirklich alle Berechnungen für ein Boot selber durchzuführen.“ Vorher sei es oft so gewesen, dass jemand den Rumpf, ein anderer das Rigg, der nächste die Anhänge konstruierte. Das habe manchmal zur Folge gehabt, dass die einzelnen Elemente nicht optimal zusammen funktionierten. Das große Ganze im Auge zu behalten, perfekt abzustimmen, auf alles einen Blick zu haben, lernt er hier.

Nach der Trennung von Finot-Conq begann eine Zusammenarbeit mit dem Design-Büro VPLP in Vannes: „Sie kamen aus der Multihull-Szene, ich mehr von den IMOCAs, das war spannend für beide Seiten.“ Das erste gemeinsame Schiff sieht Verdier noch heute als einen Meilenstein seiner Karriere: Für das gut finanzierte Team von Marc Guillemot entwerfen sie die „Safran“. Noch heute ist das Boot unter Skippern legendär.

»Ich schätze Boris sehr, er ist einer der smartesten Skipper der Klasse. Er macht viele Dinge richtig.« Guillaume Verdier

„Als es damals gelauncht wurde, wogen die meisten Boote zwischen 8,3 und 8,4 Tonnen. Safran brachte es auf nur 7,3.“ Das Schiff ist schmaler als die Boote bisher, leicht, schnell, braucht keinen riesigen Segelplan, der den Skipper überfordert. Das Boot wird auf Anhieb Zweiter bei der Transat Jacques Vabre, gewinnt die nächste Auflage. Bei der Vendée Globe 2008 kollidiert es mit einem Wal und verliert infolgedessen später kurz vor dem Ziel nach den Azoren den Kiel. Unvergessen bleibt, wie der Skipper das Boot anschließend nur mit dem Wasserballast noch ins Ziel segelt und Dritter wird. Bis heute ist „Safran“ eins von Verdiers Lieblings-Designs.

Innovationsträger im Yacht-Design

Rumpfformen entwerfen, berechnen und die dafür effektivsten und leichtesten Strukturen finden, das ist eine Stärke von ihm, sagt er über sich. „Die Leute bezahlen mich nicht dafür, dass ich eine Kopie eines Siegerbootes entwerfe, die dann ein klein wenig schneller ist. Es geht darum, neue Wege zu finden. Dabei muss man gewisse Risiken eingehen, aber zugleich auch die wirklich gefährlichen erkennen und minimieren.“

Innovationen waren auch ein zentrales Thema beim letzten Projekt des Franzosen in der Megayacht-Szene: der 100-Fuß-Maxi „Magic Carpet e“. Eigner Lindsay Owen-Jones wollte ein pfeilschnelles, leichtes Boot für Regatten, aber auch genug Komfort unter Deck zum Cruisen im Mittelmeer mit der Familie. Das Ganze mit Elektro-Antrieb statt Diesel. Wieder Neuland. Genau das Richtige für Verdier. „Es ist ein seltener Glücksfall, wenn man so ein Projekt angeboten bekommt, in dem man so viele Möglichkeiten hat, praktisch mit einem weißen Blatt Papier beginnen kann.“

Zehn Tonnen leichter als der gleich große Vorgänger, auch wenn der einen Festkiel hatte, das kann sich sehen lassen. Ein Neigekiel mit Schwenkkiel kombiniert, ein dreh- und schwenkbares Canard – reichlich Hightech an Bord.

„Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, die Linien des Rumpfes zu zeichnen. Wir arbeiten gleichzeitig auch an den hydrodynamischen und aerodynamischen Formen sowie an strukturellen Berechnungen und Leistungsvorhersagen. Wir nutzen diverse Computerprogramme und entwickeln zahlreiche Tests, wie z. B. Tankversuche für die Hydrodynamik oder Windkanaltests für die Aerodynamik. Dabei verleiht die Anpassung an die Bedürfnisse unserer Kunden unserer sehr wissenschaftlichen Tätigkeit eine erfüllende menschliche Dimension.“ Guillaume Verdier

Solche technisch komplexen Projekte liebt Verdier. Wie den America’s-Cup-Monohull mit den zwei schwenkbaren Kiel-Foil-Armen. Völliges Neuland. „Dort lernte ich, mit Leuten aus allen möglichen Branchen zusammenzuarbeiten. Das war eine beeindruckende Erfahrung bei Team New Zealand. Da arbeiteten Luftfahrt-, Automobil- und Raumfahrt-Ingenieure mit.“ Solche Interaktionen zwischen Spezialisten aus verschiedensten Bereichen machen für ihn die Arbeit besonders spannend.

Verschiebung der Grenzen des Bestehenden

Obwohl der Bretone in erster Linie Racing-Designer ist, machen ihm Maxi-und Performance-Fahrtenyacht-Entwürfe großen Spaß. „Wenn ich mir privat eines meiner Designs aussuchen müsste, wäre es wohl ‚Eole‘, eine Kooperation von Axel de Beaufort und mir.“ Die 60-Fuß-Ketsch ist ein in Holz-Leistenbauweise mit Carbon-Strukturen kombiniertes Schiff mit klassischem Holz-Look an Deck, aber modernen Features wie einem aufholbaren Neigekiel und viel Open-60Know-how im Rumpf.

Dem America’s-Cup-Zirkus hat er mittlerweile Adieu gesagt. „Ich liebe den Cup, aber vier Kampagnen waren dann einfach genug. Er nimmt dich wahnsinnig in Beschlag, lässt nur wenig Raum“, erklärt er seinen Rückzug vor dem Rennen 2024.

Zurzeit beschäftigen ihn vor allem zwei andere Projekte: Er arbeitet mit dem Gitana Team an dem neuen Ultim-Tri der Rothschild-Equipe. Der neue 105-Fuß-Riese soll im September Stapellauf haben. Verdier: „Es ist ein Glücksfall in meinem Leben, dass ich zweimal bei so einem fantastischen Projekt dabei bin, das die Grenzen des Bestehenden verschiebt. Ich denke, wir haben mit dem Boot einen technischen Durchbruch geschafft.“

Das, was das Team schon jetzt verlautbart hat, klingt in der Tat extrem: „Gitana 18“ sei mit all ihrer Technik eher so komplex wie ein Flugzeug als wie eine Yacht. Die Neue soll zu 100 Prozent foilen, der Alten gelang das erst ab 12 bis 14 Knoten Wind. Um das zu erreichen, wurde ein enormer Aufwand betrieben: Das Designteam von Gitana umfasst allein zehn Ingenieure, Verdier und seine Mitstreiter kommen noch dazu. Rund 50.000 Arbeitsstunden Entwicklungsarbeit stecken im Design. Zum Vergleich: Beim Vorgänger waren es noch 35.000.

Wettstreit der Ideen

Auch der technische Leiter des Gitana Teams äußerte sich in einem Team-Video zur Arbeit von Verdier: „Guillaumes Ideen sind immer etwas out of the box, aber wenn man sich darauf einlässt und sie mit unseren Erfahrungen kombiniert und den Unmengen von Daten verbindet, die das Team vom vorigen Trimaran hat, ist das einzigartig. Die beiden Teams gehen manchmal mit demselben Problem vom Tisch, kommen dann aber mit völlig anderen Lösungen wieder zurück.“

Daten sind ein Stichwort, auf das Verdier anspringt: „Seit dem Cup in San Francisco hat das Design ein anderes Level erreicht. Auch wegen der vielen Daten, die durch Messungen ständig gesammelt werden. Lastzellen in Foils, Masten, Stagen, Rudern, Rumpf liefern unaufhörlich gewaltige Datenmengen.

Wie es für ihn sei, wenn so ein neues Boot dann sein erstes Rennen segelt, sich bewähren muss, wollen wir von ihm wissen. Die Risiken sind es, die dem Franzosen bei jeder Vendée Globe, dem Ocean Race oder den Ultims schlaflose Nächte bereiten. „Ich mag die Zeit des Rennens nicht besonders. Man drückt den Skippern die ganze Zeit die Daumen, dass alles hält und sie heil zurückkommen. Das ist sehr stressig für mich.“ Man fürchte immer den einen Anruf mitten in der Nacht.

Dafür ist das Rennen eine gute Möglichkeit, die eigenen und Konkurrenz-Designs näher unter die Lupe zu nehmen. Permanent tracken die Konstrukteure die Performance der Boote, sprechen mit den Teams, vergleichen Daten, um einen Eindruck zu bekommen, wo das Boot gut funktioniert, wo die Konkurrenz vielleicht besser. Es sei superspannend, wenn in einer Klasse viele unterschiedliche Designs aufeinandertreffen, man Daten vergleichen könne. Der Wettstreit der Ideen ist es, der ihn immer wieder begeistert. „Natürlich spielt der Skipper auch eine große Rolle. Wir entwickeln das Boot ja um seine Bedürfnisse herum. Es muss für ihn passen, nicht für mich!“

Beinahe Zusammenarbeit mit Boris Herrmann

Derweil steckt der Franzose auch schon mitten in den Arbeiten für die nächste Vendée Globe, die seit drei Jahrzehnten sein Leben mitprägt. Auch mit Boris Herrmann hätte er fast zusammengearbeitet. Das Team hatte auch ihn kontaktiert, als es darum ging, die letzte „Malizia Seaexplorer“ zu entwerfen. Aber die Vorstellungen des Deutschen über die Rumpfform passten nicht optimal zu Verdiers Philosophie. „Ich schätze Boris sehr, er ist einer der smartesten Skipper der Klasse. Ich hatte viel Kontakt mit ihm, vor allem während der letzten Vendée. Er macht viele Dinge richtig.“

Aber in einem Projekt müsse alles passen, sonst wird es nicht gut. Bei der nächsten Auflage des Rennens 2028 sind wohl drei Neubauten aus seiner Feder am Start, der prominenteste dürfte die neue „Groupe Dubreuil“ für Sébastien Simon werden. Der war der Shootingstar der letzten Vendée, wurde Dritter und fuhr zwischenzeitlich um den Sieg mit, bevor ihn ein gebrochenes Foil zurückwarf. Dabei widersprechen die Klassenregeln derzeit seiner Idealvorstellung.

„Es ist eine Schande, dass die IMOCAs keine T-Foils an den Rudern haben dürfen. So sind sie wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel. Die Skipper klagen, wie ermüdend und auch gefährlich es für sie ist, die Boote mit ihren abrupten Bewegungen im Seegang zu segeln. Das wäre viel besser, wenn sie wie die Ultims komplett foilen würden.“ Das bestätigte eindrucksvoll „Gitana 17“-Skipper Charles Caudrelier nach seinem Sieg in der Arkea Ultim Challenge. Er sagte, es sei unglaublich, wie viel höher die Lebensqualität auf einem foilenden Ultim im Vergleich zu seinen IMOCA-Erfahrungen sei.

»Die Leute bezahlen mich nicht dafür, dass ich die Kopie eines Siegerbootes entwerfe, die dann etwas schneller ist.« Guillaume Verdier

Aber die Klasse sei eben eine echte Demokratie, in der Skipper zusammen die Regeln verabschieden, so Verdier. Und wenn sie Foils nicht wollen, um die alten Boote nicht aus dem Rennen zu werfen, müsse er das eben akzeptieren. Er ist sich sicher, dass er den Tag erleben wird, an dem die ersten Open 60s komplett um die Welt foilen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dann ein Design von Guillaume Verdier auf dem Treppchen ganz oben landet, dürfte ziemlich hoch sein.

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