Jochen Rieker
· 11.12.2024
Sie lässt sich furchtlos in den Mast winschen, kann die Lichtmaschine am Diesel notfalls auch blind wechseln, verliert selbst in rauer See nie ihre gute Laune, und eine exzellente Seglerin ist sie so ganz nebenbei auch.
Mit ihrer unerschrockenen und zupackenden Art hat die Holländerin Rosalin Kuiper als Stammcrew in Boris Herrmanns Team Malizia vor einem Jahr die internationale Hochseeszene beeindruckt und auch die Herzen der deutschen Fans erobert. Kommenden Sommer wird sie für “Holcim - PRB” als Skipperin eine eigene Crew ins Ocean Race Europe führen.
Einstweilen aber pausiert die studierte Sportpsychologin, die in wenigen Wochen ihr erstes Baby erwartet. Und weil ihr Stillsitzen nicht liegt, hat sie zwischen Hausrenovierung und Vendée-Globe-Start noch schnell einen hörenswerten Podcast gestartet - quasi die Fortführung des Freiwache-Talks mit Boris, nur diesmal an Land und mit wechselnden, höchst prominenten Gesprächspartnern.
Die ersten drei Folgen sind bereits online, abrufbar bei Spotify und Apple Podcasts. Darin interviewt die 29-jährige Yoann Richomme, einen der Top-Favoriten für den Sieg in der aktuell laufenden Vendée Globe, Clarisse Crémer, die vor vier Jahren den Rekord als schnellste Frau aufstellte und auch jetzt wieder am Rennen um die Welt teilnimmt, und ihren einstigen Chef, Boris Herrmann.
Anders als bei “End of Watch” oder im persönlichen Gespräch wirkt Rosie in ihrer neuen Rolle noch etwas ungelenk - dann etwa, wenn sie den Teaser zur nächsten Folge abliest oder ihren Ansager vorträgt. Auch verliert sie sich zu oft in Selbstbezügen, spiegelt also das Gesagte mit ihren eigenen Erfahrungen und Empfindungen - obwohl es ja nicht um sie geht, sondern um andere Skipper. Das irritiert bisweilen, weil sie ihre Gäste unterbricht und hörbar kurz vom eigenen Kurs abbringt. Ein Manko, das sie mit vielen Podcasts-Hosts teilt.
Möglich auch, dass sich das Format mit der Zeit abnutzt, weil Rosie einen festen Kanon von Fragen entwickelt hat. Diese Standards sind durchaus interessant, etwa die Frage nach der größten Angst vor einer Weltumsegelung oder der größten Vorfreude. In der Wiederholung aber kann der Podcast erwartbar werden, was schade wäre.
Denn trotz der kleinen Unzulänglichkeiten lohnt es sich, “The Human Behind the Sailor” zur eigenen Playlist hinzuzufügen. Es ist vermutlich die Vertrautheit unter Gleichgesinnten, die es Rosie ermöglicht, ihre Gesprächspartner aufzuschließen - sie in entspannter Runde zu offenen und teils erstaunlich ungefilterten Antworten zu führen.
So bekennt Yoann Richomme, wie emotional und verletzlich er bisweilen ist, wie schwer es ihm früher fiel, sich Ziele zu setzen. Boris, ohnehin ein introspektiver Skipper, bekennt, dass er kurz vor dem Start der Vendée Hilfe brauchte, um die richtige Einstellung und Zuversicht fürs Rennen zu finden. Und Clarisse, die wie auch ihr Mann Tanguy Le Turquais gerade im Südmeer segelt, plaudert munter über die Mühen, die Doppelbelastung zweier Eltern und Skipper halbwegs auszutarieren.
Gerade diese jüngste Folge, erst gestern veröffentlicht, ist so authentisch und lebendig, dass man sich am Ende wünschte, sie hätte länger gedauert als eine halbe Stunde. Aber auch so erfüllte das Zwiegespräch mit Clarisse Crémer das Versprechen, das im Titel des Podcasts liegt: die menschliche Seite der schier übermenschlichen Soloskipper aufzudecken.