Leon Schulz
· 29.10.2025
Als mein Großvater Henrique Azevedo das Café 1918 gründete, kamen die Kunden in erster Linie von den beiden großen Telekommunikationsfirmen aus Deutschland und England, die hier in Horta eine Verstärkerstation für die Atlantikkabel bauten. Die vielen Deutschen und Engländer liebten Fußball und Cricket – ebenso wie mein Großvater, der sich sehr für Sport interessierte. Daher der Name Café Sport. Die starke Verbindung mit den Seglern aus aller Welt kam erst viel später.
Mein Vater, José Azevedo, ging selbst zur Seefahrt, und als er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Horta zurückkehrte, um das Café seines Vaters zu übernehmen, kamen bereits die ersten Abenteurer nach Horta. Auf der Insel sprechen wir nicht von Seglern oder Yachties, sondern von Abenteurern. Das Einklarieren konnte damals tagelang dauern. So mussten die Abenteurer nicht selten lange vor Anker auf einen der wenigen Ärzte der Insel warten, der ihre Gesundheit bestätigen konnte, während sie in dieser Zeit nicht an Land gehen durften. Und mein Vater verstand sehr gut, wie sehr man sich auf See nach Land sehnt! Daher ruderte er zu den Seglern hinaus – für ein Schwätzchen, um ihnen behilflich zu sein und um sie so gut wie möglich in ihren Wünschen und Anliegen zu unterstützen.
Sie brauchten ja alles Mögliche – von Mechanikern über Lebensmittel bis zum obligatorischen Arzttermin! Mein Vater genoss im Laufe der Zeit großes Vertrauen bei den Seglern wie auch bei seinem Arztfreund, und so fuhr er öfter kurz entschlossen nach einem fröhlichen Plausch mit sämtlichen Abenteurern vor Anker allein zum Arzt, um deren vollkommene Gesundheit zu bezeugen. Der Arzt war froh, nicht zu den zerzausten Seglern rausrudern zu müssen, und so setzte er gerne den Stempel auf das Einklarierungspapier. Die Abenteurer durften endlich an Land und kamen selbstverständlich gerne und begeistert als Erstes in seine Kneipe.
Das ist in der Tat ungewöhnlich, denn keiner in unserer Familie heißt Peter. Da der britische Kapitän auf der HMS „Lusitania II“ sehr starkes Heimweh nach seiner Familie hatte und mein junger Vater, der in seiner Besatzung segelte, offensichtlich seinem Sohn sehr ähnlich sah, nannte der Kapitän ihn schließlich einfach Peter. Seitdem tragen alle seine Nachkommen diesen Spitznamen. Sie können mich auch gerne Peter nennen.
Wissen Sie, die anderen Cafés wollten wenig mit den meistens doch übel riechenden, unrasierten Abenteurern zu tun haben, die in ihren sonnengebleichten Kleidern wie Vagabunden aussahen. Zudem sprachen die anderen Cafébesitzer kaum Englisch, im Gegensatz zu meinem Vater, und sagten meistens schlichtweg: „Go to Peter.“ Mein Vater hingegen hatte ein ausgeprägtes Faible für die Abenteurer und empfand sie als hoch interessant. Sie waren nämlich oft gebildet, gar nicht so mittellos, wie man zunächst glaubte, und hatten vor allem tolle Geschichten zu erzählen. In Peter’s Café Sport wurde für viele Bedürfnisse der Segler gesorgt : von der oft notwendigen Dusche über den Währungsumtausch bis hin zu Postdiensten, sodass die Abenteurer Briefe an die Familie schicken und von ihr erhalten konnten.
Nein, nein, wir haben zwar ein Segelboot, sind damit ab und zu zwischen den Inseln hier unterwegs und segeln manchmal auch Regatten. Aber ich bin erst einmal in die Karibik gesegelt, und mein Sohn hat noch nicht einmal einen Ozean überquert. Also richtige Abenteurer, so wie die Segler bei uns hier im Hafen, sind wir bei Weitem nicht! Darum faszinieren sie uns bis heute!
Ich war erst sechs Jahre alt, als ich begann, täglich ins Café zu gehen, und spüre bis heute großen Stolz, von so vielen Abenteurern in ihren Büchern erwähnt zu werden. Joshua Slocum, Bernard Moitessier, Jacques Cousteau … Alle waren sie schon hier! Ich habe sogar ein Buch zusammengestellt mit allen Seglergeschichten über das Café, das in Kürze auch auf Englisch publiziert werden wird. Und ich habe sämtliche Bilder, die von Abenteurern auf der Hafenmole gemalt wurden, fotografiert.
Auch Éric ist natürlich hier gewesen! Die größten Segler verehre und verewige ich mit einem Porträt, das ich auf einen Walzahn ritze. Die Kunstart nennt sich Scrimshaw, und ich bin sehr stolz auf meine, wenn nicht die größte, so doch die schönste Sammlung. Die Freude darüber teile ich gerne mit anderen Seglern. Daher ist mein Museum auch direkt über dem Café gelegen.
Mein Vater hatte Mitleid mit den Walfängern, die extrem hart arbeiteten und gleichzeitig enorm arm waren. Keiner wollte, dass ihre Kinder Walfänger werden sollten, und so starb die Jagd nach dem Walöl von alleine aus, was gut war. Die Walfänger, die in schmalen offenen 40 Fuß langen Arbeitsbooten unter Segel und Ruder lebensgefährliche Arbeit leisteten, bekamen für das Öl erst am Ende des Jahres oder sogar erst im darauffolgenden Jahr einen äußerst überschaubaren Lohn. Die Zähne hingegen bedeuteten Cash auf die Hand, und so kaufte mein Vater die Zähne und unterstützte dadurch die Walfänger mit schnellem Geld, denn sie hatten häufig überall Schulden. Vielleicht auch im Café Sport, wer weiß …Der nächste Abenteurer auf einem Zahn wird wahrscheinlich eine deutsche Frau: Ich möchte gerne Susanne Huber-Curphey mit einem Zahn verewigen.
Dass ich noch heute für die Abenteurer nützlich sein kann! Wie zum Beispiel als ich im Covid-Jahr 2020 genau das Gleiche tat wie mein Vater 70 Jahre zuvor. Genau wie er fuhr ich zu den Abenteurern raus, die vor Anker lagen und wegen der strengen Einreiseregeln nicht an Land durften. In voller Schutzausrüstung mit Maske, Handschuhen und mit Plastik überzogen tat ich dasselbe wie damals mein Vater: hielt ein Schwätzchen und versuchte das Nötigste für sie zu besorgen. Meine Angestellten, die wegen der Covid Schließung des Cafés nicht viel zu tun hatten, konnten mir dabei behilflich sein, täglich zum Supermarkt zu fahren und für die an Bord festgesetzten Abenteurer Besorgungen zu machen.
Obwohl meine Kinder studiert haben und gute Jobs auf dem Festland hatten, sind sie inzwischen alle wieder nach Horta zurückgekehrt, um das Café weiterzuführen – es ist eine Leidenschaft für uns alle! Uns lockt die Lust, mit den Seglern vereint zu sein und aus erster Hand deren Geschichten zu erfahren. Meine Tochter hat zum Beispiel einen Podcast, in dem sie mit spannenden Abenteurern spricht. Auch meine Kinder fühlen eine große Verantwortung, weiterhin für die vielen Abenteurer da zu sein, die kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen über den Atlantik segeln und in Horta für einen Peter Gin do Mar, ein Bier oder nur für ein nettes Schwätzchen kurz haltmachen. Auch in Zukunft möchten wir gerne der zentrale und beliebte Treffpunkt für Abenteurer und Segler mitten im Atlantik sein.