InterviewWie die Segelrebellen Krebspatienten helfen, neuen Lebensmut zu fassen

Fabian Boerger

 · 02.12.2025

Für sich und die Crew viel bewegen, das geht an Bord der Segelrebellen.
Foto: Fabian Boerger
Die Diagnose Krebs lässt das Leben junger Menschen schnell aus dem Ruder laufen. Die Organisation Segelrebellen hilft, neuen Lebensmut zu fassen.

Marc Naumann, 43, steht kurz vorm Staatsexamen, als er von seinem Hirntumor erfährt. Der Krebs wirft ihn aus der Bahn. Zumal der nach einer ersten Genesung zurückkehrt. In dieser Zeit findet Naumann Halt beim Segeln. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus trifft er eine Entscheidung: Er schmeißt seine Juristenkarriere hin und gründet 2014 die gemeinnützige Organisation Segelrebellen. Seither bringt er junge Krebspatienten aufs Wasser. Auf Törn sollen sie neuen Lebensmut schöpfen, das Vertrauen in sich und den eigenen Körper zurückgewinnen, rauskommen aus dem Karussell, das sich beständig um die Krankheit dreht. Das Motto der Segelrebellen: „F*ck Cancer. Go Sailing!“

Wir treffen Marc Naumann an Bord seiner „Magic“ und begleiten ihn und seine Crew aus der Flensburger Förde hinaus Richtung Dänische Südsee. Im Interview spricht der Segelrebellen-Gründer über Kontrollverlust, darüber, wie man sich auf See gegenseitig ergänzt – und warum das Segeln jungen Krebspatienten hilft, mit den Herausforderungen der Krankheit umzugehen.

YACHT: Herr Naumann, die Segelrebellen haben kürzlich den Ehrenamtspreis der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs bekommen. Als Sie vor zehn Jahren zum ersten Törn aufbrachen, bekamen Sie statt Anerkennung aber heftigen Gegenwind. Weshalb?

Marc Naumann: Damals segelten wir von Marseille nach Mallorca. In den sozialen Netzwerken bekamen wir zu diesem Törn einen regelrechten Shitstorm ab. Es hieß, wir brächten junge Menschen vorsätzlich in Gefahr. Einige schrieben: „Die sind doch krank und haben keine Ahnung, worauf sie sich einlassen“, oder: „Das muss gestoppt werden, wenn da was passiert und kein Arzt dabei ist.“ Viele Menschen wollen sich mit dem Thema Krebs nicht auseinandersetzen. Es ist unbequem, weckt eigene Ängste und Sorgen.

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Was hat das mit Ihnen gemacht?

Das hat mich zunächst verunsichert – dann aber umso mehr bestärkt, weiterzumachen. Denn es gab auch Unterstützung. Sie kam von wenigen, war dafür aber umso intensiver. Noch heute erreichen mich Nachrichten, die mir zeigen, dass es richtig ist, was wir tun.

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Was steckt hinter den Segelrebellen?

Wir machen Törns für junge Erwachsene, die an Krebs erkrankt sind. Es ist ein Angebot für jene, die merken, dass sie gerade über die Erkrankung oder deren Folgen straucheln – und die darum etwas verändern wollen.

Was ist daran rebellisch?

Ein Rebell will die Zustände verbessern. Schon damals, als ich noch an den Infusionsgeräten hing, bezeichnete ich mich als Rebell. Ich wollte mich nicht schonen, sondern etwas erleben. Rebellen gehen neue Pfade, probieren neue Sachen aus. Viele, die jetzt dabei sind, waren vorher noch nie segeln. Sie lassen sich auf ein Abenteuer ein und sagen: Ich traue mir das zu.

Wer geht denn so alles mit an Bord?

Die Mitsegler sind zwischen 18 und 40 Jahre alt und haben bereits eine Krebserkrankung hinter sich. Es sind junge Menschen, die etwas Neues ausprobieren wollen. Gleichzeitig geht es nicht immer per se ums Segeln, schließlich machen wir hier keine klassische Segelausbildung. Was den Törn besonders macht, sind unter anderem die Gespräche und Aktivitäten an Bord.

Was hat Sie motiviert, die Segelrebellen ins Leben zu rufen?

Nach der Chemotherapie holte ich mein Staatsexamen nach. Am letzten Prüfungstag erreichte mich dann die Nachricht, dass ein Freund an Krebs gestorben war. In diesem Moment wusste ich, dass ich mich nicht fest an einen Job binden wollte, stattdessen wollte ich segeln. Das hatte ich kurz vor der Diagnose gelernt, und es war mir seither ein Anker geworden. Doch auf große Fahrt gehen, allein die Welt anschauen? Das war nicht das Richtige. Als Charterskipper arbeiten wollte ich auch nicht, denn Urlauber wollen nicht mit kranken Menschen unterwegs sein. Jetzt mag man als Außenstehender denken: Was für herzlose Menschen! Aber ehrlich gesagt finde ich das völlig legitim. Umgekehrt wollte ich als Kranker auch nicht mit Gesunden segeln. Der Umgang untereinander ist einfach ein anderer.

Wie meinen Sie das?

Wenn wir segeln und jemand sagt, dass er müde ist oder die Schot nicht dicht-nehmen kann, dann guckt niemand schief. Keiner trägt die rosarote Urlaubsbrille und geht davon aus, dass alles perfekt läuft. Stattdessen haben wir eine ungefähre Route im Kopf, und alle versuchen beizusteuern, dass wir das auch schaffen.

Was bewirkt das Segeln, was Therapien und andere Angebote nicht leisten?

Als ich damals in Therapie war, gab es dort Batik-Malkurse und Gesprächskreise. Wenn man in seinen Dreißigern ist, entspricht das doch nicht der Lebenswirklichkeit. Junge Menschen machen Sport, wollen Abenteuer erleben, reisen. Genau das bietet das Segeln. Es bringt ein großes Freiheitsgefühl. Man bestimmt selbst seinen Weg, ist unabhängig, für sich selbst verantwortlich. Gleichzeitig entscheidet der Wind, wohin man segelt. Man muss mit dem arbeiten, was man hat, und daraus das Beste herausholen. Das trifft bei vielen einen Nerv – vor allem wenn sie die Krankheit hinter sich gebracht haben. Würden wir zum Beispiel wandern gehen und jemand kann nicht mehr, weil die Füße wehtun oder die Kraft fehlt, müsste man abbrechen oder gar umkehren. Hier sitzen wir alle in einem Boot und erreichen gemeinsam das Ziel. Jeder liefert seinen Teil, und sei es, die Crew mit Bananen zu versorgen.

Was bewegt die jungen Menschen, worüber wird an Bord gesprochen?

Wir machen hier kein Therapie-Bingo. Es geht nicht darum, wer die schlimmste Therapie oder die schlimmste Krankheit hatte, sondern um praktische Lösungen. Wer zwei, drei Jahre in Therapie ist, befindet sich in einer Art Zwangspause, während das Leben der anderen um ihn herum einfach weitergeht. Die eigene Ausbildung, das Studium oder der Job gehen hingegen nicht weiter, Beziehungen zerbrechen, man hat kein Einkommen, zieht vielleicht wieder bei den Eltern ein. Das ganze Leben, das man sich aufgebaut hat, bricht zusammen, und man hat die Fäden nicht mehr in der Hand. Es geht aber auch um andere Themen, etwa die Familienplanung. Hat man vorgesorgt und Spermien einfrieren lassen? Dann sind da teure Therapieansätze, die die Krankenkasse nicht übernimmt. Wie kommt man da ran? Es kommen Fragen auf zu Rente, Reha und anderem.

Das sind teils sehr tiefgründige Themen. Wie schaffen Sie es, dass sich auch zurückhaltende Teilnehmer dem öffnen?

Manche brauchen länger. Sie sind es nicht gewohnt, darüber zu reden, vielleicht aus Scham. Doch sobald einer anfängt, erzählen alle. Dann hört es manchmal gar nicht mehr auf. Und wenn doch einmal niemand anfängt, fange ich an.

Das klingt, als hätte der Törn gar therapeutische Wirkung.

Ja, aber es ist weder Therapie noch Coaching. Ich zeige Möglichkeiten auf. Jeder nimmt sich dann das mit, was er braucht. Ich will niemandem etwas aufdrängen. Das Ziel ist, einen anderen Blick aufs Leben zu ermöglichen.

Bei Ihrem letzten Törn haben Sie eine Flaschenpost abgesetzt – zum Gedenken an Daniel Jox, einen ehemaligen Mitsegler. Was ist seine Geschichte?

Daniel war viele Male dabei. Mit 14 wurde er krank, mit 28 starb er. Sein halbes Leben verbrachte er in Therapie, er hatte einen Hirntumor. Mit 19 kam er zum ersten Mal an Bord, wir segelten von Lanzarote nach Ibiza. Ich erinnere mich vor allem an eine Situation: Weil der Tumor seinen Gleichgewichtssinn störte, musste er stets mit einer Safety-Line gesichert an Deck sitzen. Einmal sagte Daniel, dass sich der Anker gelöst habe. Die anderen waren gerade beim Kochen unter Deck. Also fragte ich ihn, ob er nicht nach vorne gehen und das kontrollieren könne. Er war verdutzt und sagte, er könne den Platz doch nicht verlassen. Ich wollte, dass er sich dennoch traut, obwohl alle sagten, er könne das nicht. Schließlich schaffte er es. Daniel war ein herzensguter Mensch. Dass er nun verstorben ist, ist traurig. Zugleich ist es auch schön, wie viel er noch erlebt hat und wie viel Selbstvertrauen ihm das Segeln gegeben hat.

Haben Sie viel Kontakt zu ehemaligen Teilnehmern Ihrer Törns?

Mit Daniel telefonierte ich noch, als er schon im Hospiz lag. Ein anderes Beispiel ist der Vater einer Teilnehmerin, die 2017 dabei war und bald danach verstarb. Der hatte vor Kurzem Geburtstag und sammelte Spenden. Generell setzen wir für alle, die verstorben sind, ein Papierschiffchen aus. Es ist aus der Seekarte des Reviers gefaltet, in dem wir gesegelt sind. Es ist ein stiller, bewegender Moment.

Vor zehn Jahren waren die Segelrebellen eines der ersten Projekte dieser Art. Wie hat sich das verändert?

Anfangs gab es kaum Alternativen. Mittlerweile ist das anders. Ich kenne zwei andere Vereine. Der eine chartert zweimal im Jahr Traditionssegler und geht mit großen Gruppen aufs Wasser. Das andere Projekt ist von ehemaligen Teilnehmern gegründet. Sie segeln mit Charterschiffen auf der Ostsee, im Winter gelegentlich im Mittelmeer.

Wie veränderten sich die Segelrebellen?

Anfangs haben wir auch Boote gechartert. Da gibt es ziemlich wilde Geschichten. (Lacht) Manchmal segelten wir in zehn Tagen 400 Seemeilen. Mit der Zeit sind wir ruhiger geworden.

Und nun gehört auch die „Magic“, eine Hylas 51 von 1992, zu den Segelrebellen.

Ja, seit 2017. Mit ihr brechen wir im Frühjahr wieder auf: In drei Etappen geht es dann über Dänemark nach Hamburg. Dort kommt das Schiff in die Werft, danach segeln wir über die Nordsee rund Skagen zurück.

Planen Sie, etwas an dem bisherigen Konzept zu ändern?

Oft werde ich gefragt, ob ich ein zweites Boot haben möchte. Auf keinen Fall! Was ich mir stattdessen vorstellen kann: die Segelrebellen an Land zu bringen. Auf meinem Hof in Dänemark starte ich die Rübenrebellen. Der Hof liegt etwas abgeschieden. Er ist weitläufig, es gibt Ziegen, Hühner, Katzen und viel zu tun. Das Angebot richtet sich an jene, die sich nicht auf ein Segelboot trauen. Es ist eine gute Ergänzung.


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