InterviewWarum Luke Hartley sein Leben an Land für das Segeln aufgab

Marc Bielefeld

 · 23.06.2024

Hartley auf seiner „Songbird“, einer Vancouver 27. Kürzlich verglich ein amerikanischer TV-Sender den 25-Jährigen mit einem modernen Jack Sparrow
Foto: Luke Hartley
Hals über Kopf verliebt sich ein junger Musiklehrer ins Segeln. An Land gibt er alles auf, kauft sich eine Yacht und wirft die Leinen los. 4.000 Seemeilen hat Luke Hartley schon hinter sich – nun liegt der offene Pazifik vor ihm. Ein Gespräch über radikale Veränderungen und die ungeahnte Lust auf ein Leben mit dem Wind

Der US-Amerikaner Luke Hartley wuchs in Boston und Philadelphia auf. Er hatte nie etwas mit dem Meer zu tun, schon gar nicht mit Segelschiffen. Mit 15 Jahren zog er nach Oregon an die Westküste und begann nach der Highschool Musik zu studieren. Fortan beschäftigt er sich mit Opern, will Chorleiter werden. Mit 24 lebt er in Seattle, ist Musiklehrer und verfolgt die Idee, größere Konzerte zu organisieren.

Doch ein Jahr später, Ende April 2024, ist er plötzlich in Mexiko, gerade 25 Jahre alt geworden. Dort liegt er vor Anker, lebt auf einer kleinen Yacht namens „Songbird“ und plant, die Welt zu umrunden. Fünf Jahre lang will er unterwegs sein oder zehn, womöglich für immer.

Warum ein solcher Sinneswandel? Woher das plötzliche Bestreben, das eigene Leben auf ein Segelboot zu verfrachten? Luke Hartley ist kein Hasardeur, kein kopfloser Zivilisationsflüchtling. Eher ein nachdenklicher junger Mann, der das Segeln in Rekordzeit als neue Lebensphilosophie entdeckt hat.

Im Gespräch erklärt er, was ihn antreibt. Da ist er kurz vor dem Absprung. Sein Boot ist bereits proviantiert. Wenige Tage später will er einhand gen Südsee segeln.

Herr Hartley, türkisfarbenes Meer, blauer Himmel, das sieht nach einem tollen Ankerplatz aus. Wo liegen Sie gerade?

Luke Hartley: Ich ankere im Kanal vor La Paz am Südzipfel der Baja California in Mexiko.

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Sie lassen es sich gut gehen, wie man sieht. Sind das Hummer, die da an Deck liegen?

Ja, ich tauche jeden Tag im Meer. Ich harpuniere mir mein Essen selbst und angle von Bord aus. Die Riffe hier in Mexiko sind besser als jeder Supermarkt. So muss ich auch nur selten die Marinas anlaufen. Die sind teuer, und ich habe nur ein sehr schmales Budget.

Und trotzdem wollen Sie um die ganze Welt segeln?

Absolut. Das ist mein fester Entschluss.

Aber Sie sind doch eigentlich Musiklehrer und konnten bis vor Kurzem noch gar nicht segeln! Was ist passiert?

Ja, das ist richtig. Doch die Dinge entwickeln sich manchmal eben anders, als man denkt. Meinen Entschluss, um die Welt zu segeln, traf ich erst im zurückliegenden Jahr – und zwar ziemlich spontan.

Wie kam es dazu?

Ich habe Musik studiert mit dem Schwerpunkt Oper und Chor. Anfang 2020 hatte ich gerade meinen Abschluss an der Uni gemacht, aber dann begann die Covid-Pandemie. Das war ein schlimmes Jahr. Konzerthallen, Bühnen, Musikschulen, alles machte dicht oder wurde mit Restriktionen belegt. Keine gute Zeit für einen jungen Studenten, der gerade ins Berufsleben springen will. Es gab null Jobs. Irgendwann bewarb ich mich darum an einer öffentlichen Schule in Seattle und begann dort als Musiklehrer zu arbeiten.

Das hat mit Segeln nicht viel zu tun ...

Nein, ich hatte ganz andere Träume. Ich wollte in Seattle ein großes Musikprogramm auf die Beine stellen. Konzerte mit vielen Schülern, moderne Inszenierungen, mal etwas ganz anderes. Aber es entwickelte sich alles anders. Es war ein schwieriges Jahr. Eines störte mich besonders: Das Klassenzimmer, in dem ich unterrichtete, hatte keine Fenster. Im Winter ging ich im Dunkeln zur Schule, verbrachte den ganzen Tag in diesem Raum und ging im Dunkeln wieder nach Hause. Das hat mich fertiggemacht. Ich sah mich vor meinem geistigen Auge immer in diesem Klassenzimmer. Morgens rein, nachmittags raus. Das 40 Jahre lang? Der Gedanke fühlte sich nicht gut an.

Und dann schwappte auf einmal das Meer in Ihr Leben?

Während der Pandemie surfte ich viel im Internet. Dabei stieß ich aufs Segeln. Ich folgte einigen Kanälen, vor allem auf Youtube. Ich sah diese Leute, die auf ihren Booten leben und um die Welt segeln. Ich verliebte mich in diese Art Lebensstil – obwohl ich niemals zuvor ein Segelboot betreten hatte.

Welche Leute waren das?

Besonders die Beiträge von Sailing Triteia und der Delos-Crew haben mich gefesselt. Ich saß stundenlang vor deren Bildern und träumte mich davon. Wobei ich aber auch eine Menge gelernt habe. Auf einigen Kanälen wird nicht nur das traumhafte Segeln zelebriert, oft geht es auch um Probleme. Mit der Technik, dem Boot, dem Wetter. Aber das hat mich nur noch mehr gereizt. Am Ende war ich voll bei der Sache, als ob ich selbst mit an Bord sei. Ich dachte richtiggehend mit. Überlegte mir Lösungen, was man in bestimmten Situationen als Segler tun würde. Und dann schaute ich, was sie im nächsten Video tatsächlich machten. Ich steigerte mich da so sehr rein, dass ich mich am Ende zwei Monate von der Schule beurlauben ließ. Ich war vernarrt ins Segeln – nur vom Zuschauen im Internet!

Wann kam die erste praktische Erfahrung?

Vor zwei Jahren bin ich in den Ferien nach Mexiko geflogen, um irgendwo mitzusegeln. Ich fragte in den Häfen herum, und einige Crews nahmen spontan Gäste mit. Das war das erste Mal, dass ich an Bord eines Schiffs gestiegen bin. In zwei Monaten fuhr ich auf fünf verschiedenen Yachten mit – und sog dabei alles auf, was nur ging. Wir segelten vor Acapulco an der Pazifikküste, dann über den Golf von Kalifornien.

Wie sah anschließend der nächste Schritt aus?

Zu Hause in Seattle begann das neue Schuljahr. Im März 2023 bekam ich selbst Corona, zum Glück nahm die Krankheit einen milden Verlauf. Ich konnte eine Woche nicht zur Schule gehen. Ich verbrachte stattdessen viel Zeit draußen an der Luft, in der Sonne. Ich ging runter zum Wasser. Und dort wurde mir mit einem Mal klar, dass mein Leben bald ein anderes sein würde. Die Entscheidung, um die Welt zu segeln, traf ich im Bruchteil einer Sekunde. Das war ein sehr emotionaler Moment. Mir wurde in diesem Augenblick bewusst, dass ich meinen Job kündigen, mir ein Schiff kaufen und um die Welt segeln würde. Punkt.

Ein ziemlich radikaler Schritt.

Ich hatte schon immer Träume. Niemals kleine. Meine waren stets eine Nummer größer.

Träume sind das eine, aber wie sind Sie zum Boot gekommen?

Nur eine Woche später schaute ich mir das erste an. Genau die Yacht übrigens, mit der ich jetzt unterwegs bin. Die kanadische Vancouver 27 schwamm neben einer Slipanlage am Puget Sound, in einem Hafen nur 30 Minuten entfernt von meiner Wohnung. Sie war 20 Jahre lang kaum benutzt worden und hatte lange an Land gestanden. Das Boot selbst war in einem akzeptablen Zustand. Das Rigg allerdings, das stehende und laufende Gut, all das sah ziemlich übel aus.

Wie sind Sie auf diesen Bootstyp gekommen?

Ich habe viele Segler gefragt, was für ein Boot bei meinem kleinen Budget für solch eine Reise infrage kommt. Man sagte mir, ich solle nach einer Contessa 26 suchen. Aber diese Boote waren fast ausschließlich in England zu finden. Ich hatte inzwischen viel recherchiert und wusste, dass die Vancouver 27 ähnliche Qualitäten besaß. Ein absolut seetüchtiges Schiff, designt, um Ozeane zu überqueren. Die erste Vancouver 27, die gebaut wurde, segelte von Kanada nach Neuseeland. Als das Boot nach Kanada zurückgekehrt war, nahm der Designer Robert Harris von ebendiesem Exemplar die Form ab. Meine Entscheidung fiel letztlich jedoch aus einem anderen Grund.

Aus welchem?

Der Preis stimmte. Ich hatte zwar ein bisschen gespart, aber als Musiklehrer an einer öffentlichen Schule verdienst du in den USA nicht viel. Ich habe die Vancouver für 14.000 Dollar gekauft und noch einmal 20.000 Dollar hineingesteckt.

Und dann ging das Abenteuer los?

Ja, ich krante das Boot aus dem Wasser und machte mich an die Arbeit. Ich wusste so gut wie nichts über Segelboote und dachte, ich würde nur eine Woche brauchen, um das Schiff klar zu bekommen. Am Ende dauerte der Refit sieben Monate. Und ich arbeitete wirklich jeden Tag am Schiff, oft bis tief in die Nacht. Und lernte dabei jede Menge. Über Lacke, Schleifmaschinen, Material.

Was ist mit der technischen Seite des Segelns? Hatten Sie davon eine Ahnung?

Auf einigen Youtube-Kanälen wird auch in dieser Hinsicht viel erklärt. AIS, Echolot, Radar. Viele Crews berichten, welche Gerätschaften sie nutzen, welche Tücken die Technik hat, welche Vorteile. Ich habe mich auch hier möglichst gut informiert und viele Bücher verschlungen. Und mich am Ende gefragt: Was brauche ich als Einhandsegler – und was nicht? Ich habe zum Beispiel Radar an Bord und auch AIS. Ich kann andere Schiffe sehen, sende selbst jedoch kein Signal aus.

Sie waren noch nie selbst mit dem Boot draußen – und wollten dann gleich eine große Seestrecke segeln. Wie haben Ihre Familie, Freunde, Kollegen darauf reagiert?

Die meisten waren schockiert. Viele haben gedacht: „Schon klar, du holst dir ein Boot und segelst um die Welt – wer’s glaubt, wird selig.“ Meine Eltern reagierten dagegen anders.

Angst um den verlorenen Sohn?

Sie sind beide Professoren, haben also wie ich Lehrberufe. Als ich ihnen verkündete, dass ich meine Karriere an den Nagel hängen und somit auch alle Sicherheiten aufgeben würde – Job, Krankenversicherung, Altersvorsorge –, da sagten sie erst mal nur eins: „Luke, du kannst doch gar nicht segeln! Wie willst du das schaffen?“ Das hat sie sehr nervös gemacht.

Durchaus verständlich.

Ja, klar. Sie sahen dann aber auch, dass ich sieben Monate lang Tag und Nacht am Boot arbeitete. Sie haben gesehen, wie viel Anstrengung ich da reinsteckte. Wie ich mich informiert und weiter vorbereitet habe. Das hat sie ein wenig beruhigt. Allerdings sorgte sie noch etwas anderes: Der Lehrberuf gilt als ehrwürdige Beschäftigung mit sozialer Verantwortung. Man genießt einen guten Ruf. Wer jedoch allein um die Welt segeln will, gilt schnell als Snob oder schräger Vogel. Man gerät in den Verdacht, sich als selbstgerechter Eremit davonzustehlen.

Wie reagieren Sie auf solche Vorurteile?

Wenn die Leute erst mal begreifen, wie ernst man die Sache angeht und was wirklich hinter solch einem Segelabenteuer steckt, dann verschwinden die Zweifel. So war es auch bei meinen Eltern. Sie hatten bald Respekt vor diesem Abenteuer. Und erkannten auch den noblen Hintergrund: den Sinn des Reisens, die Schönheit des Segelns, die Historie solcher Fahrten. Und vor dem Hintergrund unserer heutigen Zeiten gewinnt das alles ja noch mal an Bedeutung.

Und dann kam der Tag, an dem Sie nach ersten Probefahrten einfach ablegten?

Ich habe meinen Liegeplatz in Seattle am 7. Oktober 2023 verlassen. Am 17. November bin ich in Mexiko angekommen. Inzwischen liege ich in La Paz und habe 4.000 Seemeilen hinter mich gebracht. Ein großartiges Gefühl. Hier anzukommen bedeutete mir sehr viel. Es bedeutete, dass es geht. Dass ich es schaffen kann. Ich hatte meine erste größere Etappe hinter mich gebracht. Und ich kam das erste Mal in einem Revier wirklich an. Ich musste nicht mehr gleich weiter. Ich konnte in Ruhe ankern und die Inseln hier entdecken. Konnte das Leben an Bord genießen, die tropischen Temperaturen. Und das fühlt sich wunderbar an.

Bis La Paz waren Sie fast sechs Wochen unterwegs. Was haben Sie erlebt?

Ich habe unterwegs keinen Hafen angelaufen, dafür zehnmal vor Anker gelegen. Auf dieser Strecke nach Süden, vom Puget Sound vor Seattle bis Cabo San Lucas im Süden von Baja California, hatte ich also immer wieder längere Seestrecken vor mir. Auf der längsten Etappe vom Columbia River bis nach San Francisco war ich sieben Tage am Stück auf See. Die Bedingungen waren ziemlich rau. Ich geriet in die Ausläufer eines Hurrikans bei Alaska und hatte sechs Tage lang Wellen zwischen 25 und 35 Fuß Höhe. Der Wind wehte die ganze Zeit mit 25 bis 30 Knoten.

Wie fühlte sich das an? Hatten Sie keine Angst?

Es war absolut großartig. Segeln ist eine der erhebendsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Wenn du am Ruder stehst, auf deinem eigenen Boot, auf dem du lebst und an dem du sieben Monate lang jeden Tag gearbeitet hast – dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Es ist euphorisierend, magisch fast. Angst hatte ich nicht, aber großen Respekt. Und das liegt sicher auch daran, dass meine Vancouver sich so gut macht. Auch als der erste Sturm kam. Ich bin unglaublich stolz auf meine „Songbird“.

Meterhohe Wellen und tagelang viel Wind, das ist kein Pappenstiel. Wie meistert man das als blutiger Anfänger?

Das Boot segelte ungefähr 150 Seemeilen vor der Küste, vorbei an Cape Mendocino. Ich war mitten auf dem Ozean. In der letzten Bucht im Puget Sound hatte ich vorab gezielt ein Buch über Schwerwetter­segeln gelesen. Das Kapitel über die Handhabung einer Yacht in Sturm und hohen Wellen habe ich dreimal studiert. Und alles funktionierte. Das Reffen, das Steuern. Kein Bruch, das Boot lief prima die Wellenfronten hinab. Ich wusste, dass die Westküste der USA gefährlich werden kann. Kaum über die Schwelle zum offenen Pazifik, kamen auch gleich die ersten 35-Fuß-Wellen aufs Boot zumarschiert. Wenn ich das Buch vorher nicht so genau gelesen hätte, ich weiß nicht, was passiert wäre. Und ich war auf dieser ersten Etappe auch nicht allein an Bord.

Wer war dabei?

Nicht lange vor der Abreise habe ich auf Facebook einen Mit­segler gesucht. Es meldeten sich sofort rund 30 Leute, um die Strecke nach Mexiko mitzumachen. Ich habe mich für Angus entschieden, einen 19-Jährigen aus Südafrika. Er ist mit mir nach Cabo gesegelt und wollte von dort aus über Weihnachten nach Südafrika fliegen. Wir kamen gut zurecht, inzwischen sind wir befreundet. Danach bin ich allein weiter­gesegelt. Später habe ich noch mal einen anderen Segler mitgenommen, der weiter südlich nach Puerto Vallarta wollte. Und dann konnte ich auch noch meine Eltern beruhigen – live sozusagen.

Wie das?

Sie hatten letzten Herbst einen kurzen Urlaub in Mexiko gebucht und flogen nach Mazatlán. Als ich davon erfuhr, plante ich, dort hinzusegeln, um sie zu treffen. Sie standen beide auf der langen Pier, als ich mit meiner Yacht reinkam. Da haben sie mich und das Boot das erste Mal in Aktion gesehen. Ich segelte in einem weiten Bogen in die Bucht und ging vor Anker. In dem Moment haben sie realisiert, dass ich unterwegs nicht sterben würde. Es war ein berührender Moment. Für mich, für meine Eltern.

Und nun steht die große Fahrt über den Pazifik bevor?

Ja, bald beginnt in Mexiko die Hurrikansaison, dann will ich unterwegs sein. Also schon in wenigen Tagen. Ich habe mir für 1.500 Dollar Proviant besorgt und an Bord geschleppt. Damit kann ich ungefähr sechs Monate ohne jegliche Versorgung von außen auskommen.

Wohin geht es als Erstes – zu den Galapagos-Inseln?

Dort könnte ich stoppen. Aber das würde viel Papierkram bedeuten, denn diese Inseln haben viele Einschränkungen. Und es ist extrem teuer dort. Darum will ich nonstop in den Südpazifik zu den Marquesas. Mich reizt aber auch die lange Passage. Luftlinie sind es etwa 2.700 Seilen bis Nuku Hiva. Ich rechne mit rund 3.000 Meilen, die das Boot durchs Wasser zurücklegen wird. Konservativ kalkuliert werde ich 40 Tage auf dem Meer sein. Wenn der Wind nachlässt, werde ich jedoch nicht den Motor anschmeißen. Ich lasse mir lieber Zeit und passe mich den Bedingungen an.

Über einen Monat allein auf dem größten Ozean der Erde, haben Sie da als Blauwasser-Neuling keine Bedenken?

Die erste Etappe an der US-Westküste war deutlich fordernder, denke ich. Inzwischen fühle ich mich sicherer und gewappnet für die weite Strecke. Als Solosegler bin ich auf hoher See auch sicherer als unter Land. Und ich halte das gut aus. Wenn es dunkel wird, lege ich mich schlafen. Ich quäle mich nicht damit, zwanghaft wach zu bleiben. Ich lasse die Segel nachts oben und segele weiter. Denn sollte es zu einer gefährlichen Situation kommen, will ich ausgeschlafen sein.

Und Sie wollen wirklich ganz allein los?

Ich habe tatsächlich kurz darüber nachgedacht, wieder jemanden mit an Bord zu nehmen. Doch ich bin zu einer anderen Entscheidung gelangt. Das Boot ist mit 27 Fuß relativ klein. Viel wichtiger aber: Ich will diese große und besondere Etappe allein schaffen.

Die Ankunft in Nuku Hiva dürfte ein großer Moment werden. Das Archipel in Französisch-Polynesien ist ja sogar berühmt.

Ja, Herman Melville hat dort schon vor Anker gelegen, bevor er „Moby Dick“ schrieb. Heute sind viele Yachten auf dieser tropischen Route unterwegs. Ich bin in diesem Sinne also kein großer Abenteurer oder Ähnliches. Im Gegenteil. Via Starlink bin ich auf See mit dem Internet vernetzt. Ich kann googeln, bekomme aktuelle Wetterberichte. Ich kann mich über jeden Ankerplatz im Voraus informieren. Was für ein Luxus! Wenn ich nachts ein Riff ansteuere, kann ich das live im Web verfolgen und sehe, wie ich navigieren muss. Sicher, für mich ist das schon ein riesiges Abenteuer. Aber mir ist klar, dass das nichts mit den früheren großen Reisen zu tun hat, wie etwa der eines Joshua Slocum. Als Segler bin ich eine kleine Leuchte.

Das Internet spielt heute eine wichtige Rolle – in vielerlei Hinsicht inzwischen auch beim Segeln. Wie gehen Sie damit um als junger Mensch?

Ich kann mitten auf dem Ozean Mails empfangen und meine Social-Media-Kanäle bespielen. Aber ich versuche, das zu limitieren und mich nicht zu sehr abzulenken. Ich will im Hier und Jetzt sein, in der Realität auf dem Wasser. Das ist schließlich ein Grund, weshalb ich diese Reise mache. Um mich aus der Komfortzone an Land herauszubewegen. Und um die mediale Beschallung herunterzufahren.

Gerade die macht es einigen Seglern heute überhaupt erst möglich, so ein Leben auf dem Wasser zu führen. Sie selbst sind quasi über Nacht zum Instagram-Helden geworden.

Das stimmt. Bevor ich losfuhr, hatte ich gerade mal 300 Follower auf Instagram. Kurz vor dem Ablegen habe ich dann ohne jede Absicht dieses eine Video gepostet: Musiklehrer segelt um die Welt. Tschüs, bis bald. Das waren 32 Sekunden, mehr nicht. Das Video ging viral. Nach fünf Tagen hatte ich über 100.000 Follower. Einen Monat später waren es 200.000, inzwischen sind es über 230.000 Follower. Ich war überwältigt. Unter manchen Posts gab es an die 3.000 Kommentare. Da musst du erst mal hinterherkommen. Unglaublich, was so eine Segelreise auslösen kann.

Gab es auch Kritik?

Ja, absolut. Ich wurde schon gehated im Netz. Die Reise sei viel zu gefährlich, kommentierten einige. Ich agiere unverantwortlich, sei ein Idiot, ein Spinner. Meiner Ansicht nach liegt das auch daran, dass ich noch sehr jung bin im Vergleich zu den meisten anderen Seglern. Gerade auf solchen Routen sind es doch eher Ältere, die man auf den Yachten sieht. Wenn du so etwas machst und gerade mal 25 bist, fliegt dir unglaublich viel Kritik um die Ohren. Die meisten aber finden wunderbar, was ich tue. Tausende Menschen machen mir Mut und wünschen mir Glück. An der Pazifikküste in Mexiko wurde ich eingeladen, doch bitte einmal vorbeizuschauen. Andere wollten am liebsten gleich selbst mitkommen. Seit diesem Video ist viel passiert.

Wohin wird die Reise Sie nach den Marquesas führen, nach der Südsee?

Ich habe ein Drei-Monats-Visum für Französisch-Polynesien. Ich will zu den Cookinseln und im Südpazifik schauen, wohin die Winde mich wehen. Auf jeden Fall möchte ich viele Südseeinseln besuchen. Unter anderem Fidschi, Tonga, die Salomonen. Dann plane ich, Australien anzulaufen. Danach weiter nach Indonesien, nach Thailand. Von dort aus über den Indischen Ozean nach Mauritius und La Réunion. Und dann, auf jeden Fall: Madagaskar! Dort will ich viel Zeit verbringen und einmal um die gesamte Insel segeln. Ich möchte Land und Leute kennenlernen. Ich habe so viel Gutes und Spannendes über dieses Land gehört. Dann plane ich, Südafrika anzusteuern und mit meinem Segelfreund Angus ums Kap der Guten Hoffnung zu segeln. Das wäre doch großartig!

Wie lange soll die Weltumsegelung am Ende dauern?

Ich habe mir einen vagen Zeitraum von fünf Jahren eingeräumt. Aber ich will noch gar nicht an das Ende dieser Reise denken. Es könnten auch zehn Jahre werden. Wer weiß schon, was unterwegs passiert? Ich will mich nicht festlegen. Vielleicht arbeite ich eines Tages wieder als Musiklehrer in Australien, in Tasmanien oder sonst wo. Oder lebe weiterhin an Bord. Mir geht es jetzt erst einmal darum, andere Länder kennenzulernen und meinen Horizont zu erweitern.

Alles mit dem Boot?

Das kann ich mir im Moment jedenfalls sehr gut vorstellen. So eine Segelyacht ist ein wundervolles Gefährt. Ich bin zwar erst vor gut sechs Monaten aufgebrochen, aber eines kann ich schon jetzt sagen: Mein neues Leben auf „Songbird“ übertrifft meine kühnsten Träume. Und es hat gerade erst angefangen.

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