InterviewSegeldynamo im Unruhestand – Gerd Eiermann bleibt sich treu

Tatjana Pokorny

 · 07.10.2025

Gerd Eiermann im Einsatz als Jugendtrainer.
Foto: privat

Mehr als 50 Meistertitel hat Multitalent Gerd Eiermann in verschiedensten Bootsklassen gewonnen, zählte zu Deutschlands Besten im Regattasport. Am 17. Juni 2004 riss den gelernten Rheinsegler ein schwerer Unfall in Kiel-Schilksee von der Erfolgswelle, die er aber als Unternehmer mit einem renommierten Bootsservice und als Jugendtrainer fortsetzte. Jetzt zieht er sich aus dem aktiven Berufsleben zurück, bleibt dem Segelsport aber auf vielen Ebenen treu.

Sag’ mal Gerd, kann jemand wie Du überhaupt Rente?

Gute Frage! Aber ich habe mal auf den Kalender geschaut und gesehen, dass da schon seit geraumer Zeit eine 7 steht. Ich bin 71. Das waren jetzt 49,5 Jahre mit dem Bootsservice. Echter Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. In dem Zeitraum sind viele gekommen und gegangen. Aber irgendwann muss man wirklich mal anfangen zu leben. Wobei: Mein ganzes Leben hängt ja am Segeln, sonst könnte man ja nicht so verrückt sein und das so lange machen.

Du bist eine Kooperation mit dem Jollenspezialisten Ziegelmayer in Hamburg eingegangen…

Ja, wir hatten überlegt, dass wir dem Markt als größter Jollenhändler nicht antun können, einfach Schluss zu machen. Dann haben wir mit Ferdi Ziegelmayer jemanden gefunden, der auch die Ilca-Sachen sehr gut macht. Man hört nur Gutes. Er ist in einem super Alter, alles passt. Da haben wir eine Übereinkunft getroffen. Ich glaube, dass er es speziell im Opti und auch im 420er so weitermacht.

Gerd Eiermann bleibt als Coach aktiv

Du bist noch beratend tätig und weiter als Jugendtrainer engagiert…

Man hat mich überredet. Ich betreue weiterhin 420er Segler. Letztes Jahr sind wir U17-Meister und Vizemeister geworden.

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Du segelst auch selbst weiter…

Wir haben uns für den Ruhestand einen Segel-Katamaran zugelegt. Ich nenne es Hausboot, weil es ja nicht das Segelfeeling wie auf einem Mono ist. Es gab auch bei uns die klassischen Überlegungen: Haus im Süden oder Boot? Aber mit einem Haus kann man nicht hinfahren, wo man sein möchte. Mit einem Boot kann man bleiben, wo es schön ist oder weiterfahren, wenn etwas anderes lockt.

Das ist ein bisschen wie das wilde Campen von früher.” Gerd Eiermann

Warum hast du dich als lebenslanger Einrumpfsegler für zwei Rümpfe entschieden?

Die Entscheidung pro Katamaran war der Überlegung geschuldet, wie viel man auf dem Schiff wohnt und wie viel die Segelstunden ausmachen. Da bist du vielleicht bei 10, 15 Prozent. Man muss dem Alter ein wenig Tribut zollen. Der Kat ist ebenerdig, easy Handling. Mit meinem eingeschränkten Bein ist Klettern ja nicht so prickelnd.

Du bist am 17. Juni 2004 im Hafenvorfeld im Olympiazentrum Kiel-Schilksee angefahren worden. Mit lebensverändernden Folgen…

Ich hatte 14 Kieler-Woche-Siege, damals mehr als Wolfgang Hunger. Wir wollten um den 15. kämpfen. Ich kam von rechts vom Wetterbericht, war etwa beim Olympia-Hotel auf dem Weg zum Campingplatz, habe gestanden. Ein Auto kam in falscher Richtung in die Einbahnstraße. Der Fahrer sah mich und machte wohl eine Vollbremsung auf nasser Straße, ist dann in mich reingeschleudert. Er bekam vier Punkte, kein Fahrverbot, musste 500 Euro für Körperverletzung zahlen.

Brutales Karriere-Aus für den Top-Segler

Und du?

Für mich waren es elf einschneidende Monate im Krankenhaus, die eine Menge mit mir gemacht haben, weil ich ein verrückter Segler war und bin. Damit war von heute auf morgen Schluss. Ich hatte mehrere gebrochene Rippen, vor allem aber eine schwere Fraktur des Schienbeinkopfs. Das Schienbein war ab, da waren nur noch Trümmerfragmente. Man stellte dann ein sogenanntes „Compartment-Problem“ fest. Wird das nicht binnen 24 Stunden beseitigt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man die Gliedmaße abnehmen muss. Ich hatte mega Glück im Unglück mit der Behandlung, erst in der Lubinus-Klinik bei Heinz Laprell und dann bei einem sehr guten Neurochirurgen in Duisburg, wohin mich ein ADAC-Flieger rechtzeitig brachte.

Hat sich der Unfallverursacher je bei dir entschuldigt?

Nein.

Du hast Dich zurückgekämpft, konntest aber nicht mehr wie vorher Regatten bestreiten…

… man hätte Drachen oder Dickschiff fahren müssen. Fürs Dickschiff braucht man viel Zeit und Geld, Drachen war nicht meine Klasse. Ich habe damals überlegt, wie ich weiter auf dem Wasser sein kann. Als Trainer und für die Jugend war das möglich. Es macht mir Spaß, seit meinem Unfall auf diese Weise etwas weiterzugeben – segelverrückt, wie ich bin. Ich bin aufs Schlauboot gestiegen. Das war die einzige Chance. Die Jugend gibt einem so viel. Nicht nur ich bringe ihnen was bei, sie mir auch. Ich sehe es im Umfeld bei Leuten, die nicht segeln. Da denke ich manchmal, meine Güte, sind das alte Menschen.

Man braucht einen ‘Popometer’ dafür.” Gerd Eiermann

Wie ist dein Gefühl, wenn du heute mit jungen Leuten als Trainer zur Kieler Woche fährst?

Mit den Seglern und auf dem Wasser gut. Aber jedes Mal, wenn ich zur Kieler Woche komme, fahren immer noch Leute falschherum in die Einbahnstraße. Manchmal spreche ich sie an.

Du hast mehr als 50 Meistertitel gewonnen. Warum warst du so gut?

Wie im Geschäftsleben muss man eine Menge Ehrgeiz haben. Dann kannst du dich öfter durchsetzen und erfolgreich sein. Ich habe den Sport auch zu meinem Beruf gemacht. Ebenso gehören harte Arbeit und Akribie dazu. Und – das hat mal der Rennfahrer Hans-Joachim Stuck gesagt – man braucht auch einen ‚Popometer‘ dafür. Dieses Gefühl, das mir dann ein Zehntel mehr Geschwindigkeit beschert, das kann man nicht lernen.

Segeln ist für dich…

… nie gleich, nicht wie in anderen Sportarten immer in der gleichen Halle. Das ist für einen fanatischen Segler einfach toll!

Du hast Piraten, 470er, FD, in Südafrika auch auf der TP52 deines alten Freundes Hasso Plattner, Admiral’s Cup, Copa del Rey und vieles mehr gesegelt. Dein größter Erfolg?

Ganz schwer zu sagen. Sind es die mehr als 50 Meistertitel oder die drei in einem Jahr? Als Erfolg würde ich auch die einzige Olympiaausscheidung bezeichnen, die ich je gefahren bin – und verloren habe. Da haben wir nach zwei von drei Regatten geführt. Zur dritten haben unsere Gegner das Material komplett gewechselt: anderes Schiff, anderer Hersteller, andere Segel. Das war dann die Kieler Woche. Und sie haben uns dann sowas von lang gemacht, sodass wir Zweite wurden. Bei Olympia gewannen sie Gold. Das hätten wir nie gewonnen. Es waren damals Frank Hübner und Harro Bode, die 1976 Olympiasieger wurden. Es war schade, nicht zu den Spielen zu fahren, aber uns hat jemand geschlagen, der Gold gewonnen hat. Das fand ich tröstlich.

Gerd Eiermann: alles gesegelt außer Foiler

Du warst in vielen Segelklassen erfolgreich.

Ich habe wirklich alles gesegelt. Alles, außer Foiler. Die bringen eine andere Art des Segelns, bei der Taktik und Trimm nicht mehr so gefordert sind. Es sind Sportgeräte, die man sehr gut beherrschen muss, aber mit denen man in wenigen Wenden zur nächsten Tonne kommt.

FD-Segeln macht einen Höllenspaß.” Gerd Eiermann

Hast du ein Lieblingsboot?

(Denkt länger nach). Es gibt ein Boot, mit dem ich wenig gesegelt bin und das ich heute mit meinem verletzten Bein nicht mehr fahren kann. Das ist einfach der FD. Der ist trimmmäßig so extrem. Aber da hatte ich nie Zeit für, weil ich Klassen gefahren bin, die auch für mein Geschäft interessant waren. Ich bin drei Jahre FD gesegelt, zweimal aus Versehen Meister geworden. Das macht eben einen Höllenspaß. Jetzt kann ich das Lied schon hören: alter Mann, altes Boot… Ja, ist so! Nur möchte ich dann mal einen 49er-Segler auf einem FD erleben. Der würde sich vielleicht das Genick brechen und nur schwer vorwärtskommen. Die sind es ja gar nicht gewohnt, mit dem Schwert nach vorne, nach hinten, rauf, runter, mit dem Mastfall, mit der Riggspannung zu arbeiten. Und das alles während des Rennens.

Welche großen Segel-Events verfolgst du gerne?

Sehr gerne die 52 Super Series. Da findet auf hohem Niveau das ganze taktische Segeln statt, das ich so liebe. Ich habe im Urlaub jetzt auch online den SailGP verfolgt. Da schließt sich für mich der Kreis wieder. Da fällt die Taktik wieder hinten raus. Es ist ein bisschen wie America’s Cup, nur dass da mehrere Boote fahren, nicht nur zwei. Sowas muss man lieben. Es gibt viele, die das lieben. Für mich in Ordnung. Die Zeit geht weiter.

Gerd Eiermanns “Peter-Burling-Moment”

Hast du als junger Segler oder im Verlauf deiner Karriere so etwas wie ein Idol oder Vorbild gehabt.

Da gibt es einige, die ich nennen könnte. Aber ich würde vielleicht auch welche vergessen, denen es dann wehtut, weil sie mir gerade nicht einfallen. Spontan erinnere ich mich aber gerne an eine Begegnung mit Peter Burling (Red.: 3 x America’s-Cup-Gewinner, Olympiasieger 49er, SailGP-Steuermann der Black Foils), als ihn noch keiner kannte. Da kam er zur 420er-Weltmeisterschaft 2006 nach Gran Canaria. Die hat er gewonnen. Ein halbes Jahr später waren wir in Neuseeland, in Auckland. Da hat er wieder gewonnen. Ich kenne ihn also schon aus seiner Jugendzeit. Es war faszinierend, wie der gesegelt ist! Und dann die Preisverteilung! Das war der Hammer für einen 15-Jährigen. Wie er sich bedankt hat! Bei den Eltern, bei dem Club, bei den Trainern, bei den Sponsoren. Das war in dem Alter einzigartig. Und was aus ihm geworden ist!

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