InterviewModerner Bootsbau in der Ukraine in Kriegszeiten

Nils Theurer

 · 23.05.2024

Interview: Moderner Bootsbau in der Ukraine in KriegszeitenFoto: Yuriy Nikolenko/www.unikyachts.com
Moderner Sperrholz-Bootsbau: Die CNC-gefrästen Teile sind auf den Millimeter passgenau und werden zusammengesetzt wie ein großes 3D-Puzzle. Yuriy Nikolenko liefert Werften und Privatkunden die Pläne dafür
Der Ukrainer Yuriy Nikolenko ist Kon­strukteur und entwirft Segelyachten und Motorboote zwischen fünf und zehn Meter Länge. Darüber hinaus ist er auf energieautarke Hausboote zwischen zehn und 15 Meter Länge spezialisiert

Herr Nikolenko, wie traf Sie der Krieg?

Am Abend des 23. Februar 2022 haben wir den Bau unserer neuen Lion 550 abgeschlossen, schlugen die neuen Laminatsegel an und bereiteten uns auf den ersten Törn vor. Wenige Stunden später brach der Krieg aus. Die gesamte Ukraine wurde massiv bombardiert, und ein paar Tage später begannen die russischen Streitkräfte mit dem Angriff auf Mykolajiw. Raketen mit 500 Kilogramm Sprengstoff zerstörten dort auch Yachtclubs und Yachten.

Wie war die Situation davor?

Die Ukraine hat an internationalen Regatten teilgenommen. Das Land beherbergt Yachtclubs und Segelschulen, und auf seinen Gewässern finden zahlreiche Wettfahrten statt. Mykolajiw gilt als die Hauptstadt des ukrainischen Segelns und hat den ältesten Yachtclub des Landes. Der organisiert regelmäßig große Regatten mit Feldern bis zu hundert Booten. Mehrere Teile der ukrainischen Meisterschaften haben auch in Mykolajiw stattgefunden.

Wo überall wird bei Ihnen gesegelt?

Die Ukraine ist reich an Gewässern, hat schiffbare Flüsse und Zugang zum Schwarzen Meer und zum Asowschen Meer. In den 30 Jahren seit der Unabhängigkeit entstanden in nahezu jeder Stadt am Wasser auch Sportboothäfen.

Arbeiten Sie trotz des Krieges weiter?

Aber ja! Ein Teil unseres Teams ging zwar an die Front, wir haben jedoch eine neue Produktionsstätte mit modernen Maschinen in der Westukraine errichtet und wollen noch in diesem Jahr die neue Lion 650 herausbringen, die alle Stärken der 550 und dabei etwas mehr Komfort hat.

Besteht eine länderübergreifende Zusammenarbeit?

Ja, die L30, die auch von der YACHT getestet wurde, ist eine ukrainisch-slowenische Co-Produktion. Und die Lion 550 wird trotz Krieg in Israel gebaut.

Wohin verkaufen Sie Ihre Konstruktionspläne?

Wir haben Partner auf allen Kontinenten, die Bestellungen kommen aus der ganzen Welt. Wir bauen außerdem derzeit unser Händlernetz weiter aus und arbeiten mit Bootsbauern und mit CNC-Fräsbetrieben zusammen. Jeder kann aber auch Pläne und Schnittdateien erwerben und unsere Boote in einem selbst gewählten Betrieb bauen lassen.

Was macht Sperrholzboote heute noch attraktiv?

Die CNC-Maschinen haben die Bauzeit minimiert. Alle Teile können im Voraus hergestellt werden. Die Passgenauigkeit macht den Bau zum Puzzlespiel.

Gibt es derzeit eine aktive Segelszene bei Ihnen?

Das Revier auf dem Fluss Dnipro unterhalb von Saporischschja zählt derzeit zur Frontlinie. In weiter entfernten Städten gibt es jedoch weiterhin aktive Segelvereine. Viele Segler halten sich aber im Ausland auf, trainieren dort und nehmen an Regatten in ganz Europa teil, mit hervorragenden Ergebnissen! Trotz aller Schwierigkeiten ist der ukrainische Segelsport somit lebendig und entwickelt sich weiter.

Wie sieht die Zukunft für Fahrtensegler aus?

Die Ukraine ist bemerkenswert schön, hat eine reiche Geschichte und eine unvergleichliche Küche. Das Land wird nach dem Krieg Segler, Touristen und auch Investoren freudig empfangen.

Yuriy Nikolenko, 52, ist Kon­strukteur und entwirft Segelyachten und Motorboote zwischen fünf und zehn Meter LängeFoto: Yuriy Nikolenko/www.unikyachts.comYuriy Nikolenko, 52, ist Kon­strukteur und entwirft Segelyachten und Motorboote zwischen fünf und zehn Meter Länge

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