InterviewGFK-Klassiker-Verein will ein Zertifizierungssystem für Boote

Lasse Johannsen

 · 09.08.2024

Die Grinde (l.) ist den skandinavischen Spitzgattern artverwandt, die Lady Helmsman (r.) den Schärenkreuzern
Foto: YACHT/Klaus Andrews
Die Szene der GFK-Klassiker wirbt seit Jahren um die Anerkennung des kulturhistorischen Wertes der alten Boote. Ein Gespräch über neue Ansätze

Vor mehr als zehn Jahren schon gründeten die Initiatoren des alljährlich in Maasholm stattfindenden GFK-Klassiker-Treffens den GFK-Klassiker e. V. Seither versuchen die Mitglieder ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Kunststoffbootsbau des 20. Jahrhunderts erhaltenswerte Oldtimer hervorgebracht hat. Eine zahlenmäßig starke Bewegung ist aus der Szene zwar noch nicht geworden, doch das soll sich nun ändern. Mit einem Zertifizierungssystem, das dem H-Kennzeichen im Automobilbereich ähnelt, will der Verein ein Angebot für die Eigner liebevoll erhaltener Yachten schaffen, das dazu beitragen soll, deren Wert zu steigern, ihre Bedeutung als maritimes Erbe hervorzuheben und den Eignern von Schwesterschiffen zu signalisieren, dass sie etwas Besonderes ihr Eigen nennen. Die Vorsitzenden Martin Horstbrink und Conny Kästner erzählten der YACHT von ihrem Vorhaben.

Ist den betreffenden Eignern ohne Ihr Engagement nicht bewusst, dass sie einen GFK-Klassiker besitzen?

Conny Kästner: Das ist denen oft überhaupt nicht klar. Für viele ist das nur ein altes Schiff. Oft höre ich, wenn es um Erhaltungsmaßnahmen geht: „Das lohnt sich ja gar nicht.“ Ich erwidere dann immer: „Das muss es auch gar nicht, es ist doch kein Geschäft.“ Darum geht es.

Zumindest wenn man einen Klassiker erhalten möchte …

Kästner: Ja, aber viele Leute sagen, wenn eine Reparatur ansteht, das ist ja ein wirtschaftlicher Totalschaden. Dabei ist eine Yacht doch kein Wirtschaftsunternehmen, es ist deine Leidenschaft, ein Teil von dir. Du hast daran Freude, es ist dein Lebensgefühl, und das hat seinen Preis. Damit muss man sich abfinden.

Vielleicht spielt bei Eignern alter GFK-Schiffe eine Rolle, dass sie sich überlegen: Bevor ich das jetzt noch in dieses Schiff stecke, kaufe ich mir auf diesem riesengroßen Markt lieber eins, das neuer oder fünf Fuß größer ist.

Kästner: Das ist sicher ein Kriterium. Ich habe ein Schiff, das ich auf der Bootsausstellung 1979 neu gekauft habe und immer noch besitze. Ich will auch kein anderes haben. Aber das ist vielleicht eine Ausnahme. Bei den traditionell gebauten Klassikern gibt es möglicherweise eher Leute, die sagen, dieses Schiff und sonst keins. Das Bewusstsein dafür zu fördern, dass die GFK-Klassiker etwas Besonderes sind, das es zu erhalten lohnt, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben. Neben der Aufgabe, die Frage zu beantworten, was überhaupt ein GFK-Klassiker ist.

Und: Was ist ein GFK-Klassiker?

Kästner: Darüber kann man Stunden diskutieren. Es sind verschiedene Eigenschaften, die dazu führen, dass ein Boot als klassisch empfunden wird. Das ist ja auch eine Gefühlsfrage. Die Linien und Proportionen, das Längen-Breiten-Verhältnis, das muss alles irgendwie stimmen. Dinge, die früher intuitiv beachtet wurden.

Wie sind die Mitglieder bisher zum Verein gekommen?

Martin Horstbrink: Ich würde sagen, die meisten sind über das Treffen dazu gekommen.

Kästner: So ging es mir auch, ich war gleich beim ersten Treffen 2006 dabei. Der Verein wurde erst sechs Jahre später gegründet. Wir wurden dann von der Öffentlichkeit etwas strukturierter wahrgenommen. Es entstand eine Facebook-Gruppe, die hat mittlerweile 2.000 Mitglieder. Dort posten wir viel zum Thema, und das wird jeweils etwa 6.000- bis 8.000-mal geklickt und häufig wieder geteilt. Wir haben schon eine beachtliche Reichweite. Aber die Bereitschaft, einem Verein beizutreten, ist heutzutage geringer, als es früher mal war. Obwohl unser Jahresbeitrag ja eher klein ist (50 Euro, d. Red.).

Wer sich für das Thema inte­ressiert, kommt aber an Ihrem Verein nicht vorbei …

Horstbrink: Nein. Durch unser Treffen wurden die GFK-Klassiker erstmals öffentlich thematisiert. Das ist jetzt knapp 20 Jahre her. Man kann gut beobachten, dass der Erhaltungszustand der teilnehmenden Boote immer besser wird.

Sind GFK-Klassiker heute gesuchter als noch zu Beginn Ihrer Aktivitäten, gibt es nach Ihrer Beobachtung zunehmend mehr Käufer, die ganz gezielt ein solches Boot suchen, weil sie schon dieses Bewusstsein mitbringen und es restaurieren wollen?

Horstbrink: Da hat sich viel getan, seit ich vor 20 Jahren damit angefangen habe. Damals wurden die alten Boote vor allem deshalb gekauft, weil das Budget nicht mehr hergab. Der ein oder andere hat dabei schon gewusst, was er sucht, aber dieses Bewusstsein dafür, dass es sich um einen Klassiker handelt, das hat sich seither sicherlich verdoppelt.

Kästner: Genau können wir es nicht sagen, aber das würde ich auch schätzen.

Horstbrink: Es kommt hinzu, dass es unter den alten GFK-Yachten auch Typen gibt, die bis heute eine Nische füllen. In der YACHT wurde neulich beispielsweise über einen Amerikaner berichtet, der auf einer Vancouver 27 auf Weltumsegelung geht. In der Größe gibt es dazu kaum eine Alternative. Ein Blauwasserschiff von 27 Fuß ist am Markt überhaupt nicht mehr zu finden.

Kästner: Oder nehmen Sie die Linien. Wer einen Langkieler mag, der kommt um die alten Boote ja gar nicht herum.

Horstbrink: Das sind oft Formen, die Emotionen wecken.

Beim Langkieler wird niemand widersprechen, wenn der als Klassiker bezeichnet wird. Aber zur Flotte der Treffen gehören regelmäßig auch solche Kunststoffboote, die nicht den traditionellen Yachten nachempfunden, sondern für den aufkommenden industriellen Serienbau entwickelt wurden, mit entsprechend optimierter Formgebung, die seinerzeit als modern galt und es bis heute nicht in jedermanns Auge zum Prädikat „klassisch“ geschafft hat. Wie ist bisher die Definition des GFK-Klassikervereins? Und soll das geplante Zertifizierungssystem diese Definition irgendwann ablösen?

Horstbrink: Wir haben uns bisher, angelehnt an die Oldtimer bei den Autos, mit der Altersgrenze von 30 Jahren begnügt. Doch das wird zum Problem, weil da immer größere Massen nachkommen, die ich persönlich emotional gar nicht mit den Klassikern in Zusammenhang bringe. Wobei ich zugebe, dass es Schiffe gibt, die jetzt sogar erst 20 Jahre alt sind, aber sehr zeitlose Linien haben und mit Sicherheit eines Tages zum Klassiker werden.

Kästner: Es geht um die Schiffe, die aus der Zeitlosigkeit zum Klassiker geworden sind. Und das ist nicht beliebig. Ein Zer­tifikat würde das begrenzen. Und das würde auch dazu führen, dass sich Leute bewerben, die ihr Schiff in dem Bewusstsein segeln und pflegen, einen Klassiker zu erhalten. Umgekehrt würde dann keiner kommen, der ein modernes Boot hat, nur weil es 30 Jahre alt geworden ist.

»Es sind verschiedene Eigenschaften, die dazu führen, dass ein Boot als klassisch empfunden wird. Das ist auch eine Gefühlsfrage«

Was meinen Sie damit, aus der Zeitlosigkeit zum Klassiker?

Horstbrink: Da ist zum einen das Alter. Das Boot muss sich einer yachtgeschichtlichen Epoche zuordnen lassen: den Anfängen des GFK-Bootsbaus oder des industriellen Serienbaus, der IOR-Ära und so weiter. Zum anderen spielt das Design eine wichtige Rolle. Zeitlosigkeit entsteht durch Ästhetik und Eleganz, was natürlich subjektiv ist. Aber es gibt Schiffe, denen das niemand absprechen würde. Dann die Kon­struktion. Die Segeleigenschaften können ja beispielsweise dazu beitragen, dass eine Yacht als klassisch angesehen wird. Und schließlich ist ihre kulturhistorische Bedeutung relevant. Wir empfinden heute zum Beispiel eine Sangria als echten GFK-Klassiker, gerade weil sie das erste Großserienboot von Jeanneau war und 3.000-mal gebaut wurde. Und natürlich gibt es auch Groß­serienboote, die zeitlos anmuten, deren Äußeres wirkt wie ein Kindchenschema.

Woran würden Sie dieses Kindchenschema festmachen?

Horstbrink: Ich glaube, es ist eine Frage der Proportionen. Die lassen sich nicht mit Streifen kaschieren, die nimmt der Mensch am Ende unbewusst einfach wahr. Die Höhe vom Rumpf zur Länge, die Form des Aufbaus, das können Kleinigkeiten sein. Nehmen wir die Hallberg-Rassy 312. Die ersten Exemplare mit den Fenstern im Rumpf sehen filigraner aus als die späteren mit den Fenstern im Aufbau.

Sie planen konkret ein Zertifikat für Klassiker. Was ist das genau für eine Idee?

Horstbrink: Wir haben ursprünglich, wie bei den Autos, die Altersgrenze von 30 Jahren als Kriterium dafür angesetzt, wann ein Kunststoffboot zum Klassiker wird. Das betrifft aber unendlich viele Schiffe, und wir wollen Eignern künftig einen plausiblen Grund dafür an die Hand geben, warum ihr Schiff anders ist als andere. Und definieren, wer zur Klassikerflotte gehört oder wer vielleicht auch eben nicht.

»Zu Ästhetik und Design gehört das Gesamt­erscheinungsbild. Und die Frage, wie Veränderungen vorgenommen worden sind«

Was haben Sie konkret vor?

Horstbrink: Das Zertifikat dokumentiert, dass ein Boot aus Sicht unseres Vereins als GFK-Klassiker gilt. Dafür muss es bestimmte Kriterien erfüllen, die wir erarbeitet haben.

Kästner: Dadurch soll anderen Eignern bewusst werden, dass sie sich auch um diese Auszeichnung bewerben können. Außerdem soll es eine Anerkennung der Bemühungen um den Erhalt der Boote sein. Und es soll die GFK-Klassiker als solche von den anderen alten Kunststoffschiffen abheben.

Horstbrink: Wir sind damit auch wieder beim Thema Mitgliedergewinnung, denn ein solches Angebot würde ja jedem erklären, warum er bei so einem Verein mitmachen sollte, weil diese Kernkompetenz dann klarer wird. Und weil das Ergebnis eine klar definierte Flotte ist, ähnlich wie bei den traditionellen Klassikern, denn die anerkannten GFK-Klassiker werden in ein Register aufgenommen.

Kästner: Mit dem Vorteil sogar, dass man mit einem Schiff, das noch nicht dazugehört, noch reinkommen kann über diese Zertifizierung. Aber vor allem soll durch das Zertifikat und auch die Plakette, die ans Boot geschraubt werden kann, die Wertschätzung erhöht werden. Und natürlich wird das dann auch den Marktwert des Schiffes erkennbar steigern.

Die Parallelen zu traditionellen Klassikern haben Sie schon angesprochen. Das waren auch irgendwann mal nur noch alte Boote, die immer weniger wurden, bis Liebhaber anfingen, sie zu restaurieren. Ist der Punkt bei den GFK-Klassikern auch erreicht?

Horstbrink: Ich glaube, die Thematik ist ähnlich, aber man kann Holz- und GFK-Klassiker nicht komplett gleichsetzen, weil die Nutzung häufig eine andere ist. Neben der Ästhetik geht es daher auch um technische Fragen. Und die berühren oft die Originalität. Das Zertifikat muss das berücksichtigen. Wichtiger als die Originalität ist es dabei meiner Meinung nach, das Wesen eines Schiffes, die Idee dahinter zu erkennen. Es sollte nicht konstruktiv verändert worden sein, aber eine Rollanlage, würde ich sagen, ist als systematische Verbesserung unproblematisch.

Kästner: Man schafft natürlich eine Grauzone, wenn man wegkommt vom Originalzu­stand, und es ergeben sich spannende Fragen …

Wie sehen Anforderungen für die Klassifizierung als geprüfter GFK-Klassiker konkret aus?

Kästner: Grundsätzlich soll eine Bewertung nach zwei Kriterien stattfinden. Das eine ist eine Alterseinstufung. Wir haben herausgearbeitet, wie man die Boote nach Epochen kategorisieren kann, und dafür Bezeichnungen gefunden. Das heißt, man würde also einmal diesen Namen bekommen.

Wie gefällt Ihnen dieser Artikel?

Welche sind das?

Kästner: Das ist die EarlyClass der 1950er Jahre, die SilverClass der 1960er Jahre, die Classics der 1970er Jahre, die Klasse Post Modern der 1980er Jahre und die Modern Classics der 1990er Jahre.

Und das zweite Kriterium?

Horstbrink: Ist dann der Zustand. Für die Zustandsnote haben wir eine Auflistung erstellt, die man abarbeiten und abhaken kann. In der man zu den einzelnen Punkten sagt, das ist original, das ist nicht original, das ist gut, das ist schlecht. Und dabei haben wir uns vorgestellt, dass Modernisierungen auch positiv bewertet werden können, wenn sie zum Beispiel der Sicherheit dienen. Dinge wie einen GPS-Empfänger, die gab es vielleicht zur Bauzeit noch nicht.

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Kästner: Und wenn das Schiff begutachtet und als GFK-Klassiker eingestuft worden ist, bekommt es ein Zertifikat und eine Plakette zum Anschrauben und wird ins Register eingetragen. Es wird aber kein Wertgutachten werden.

Wie wird die Jury voraussichtlich zusammengestellt sein?

Kästner: Die Jury besteht aus drei bis sechs Personen: einem Mitglied des Vereins, einem Fachjournalisten, einem Techniker oder Bootsbauer und einem Gutachter. Das Schiff muss technisch in Ordnung sein. Wir machen keinen Stempel drauf und sagen, das ist ein seegängiges Schiff, aber wenn es das augenscheinlich nicht ist, kann es kein Zertifikat bekommen.

Horstbrink: Zu Ästhetik und Design gehört das Gesamterscheinungsbild ja auch dazu. Durchgescheuerte alte Leinen oder ein angerostetes Want, das wird es so nicht geben. Themen wie Motortechnik oder Elektrik, finde ich, sind auch wichtig. Weil sie sicherheitsrelevant sind. Da sollte der Gutachter eben draufgucken. Dann ist die Frage zu beurteilen, ob und wie Veränderungen vorgenommen worden sind.

Bekommen Bewerber, deren Schiff nicht den Anforderungen genügt, dann einen Zettel mit, auf dem steht, was sie nachbessern müssen?

Horstbrink: Ja, das wollen wir so handhaben. Wir können die Anforderungen aber auch nicht so hoch hängen, dass die Leute frustriert sind, dann machen sie ja nicht mit.

Kann dann jemand, der ein Dreier-Zeugnis bekommen hat, nach zwei Jahren wiederkommen und sich verbessern?

Horstbrink: Ja. Und die Zertifizierung wird auch nach einer bestimmten Zeit ablaufen.

Wann?

Horstbrink: Nach fünf Jahren kann das Zertifikat mit einer Wiederholungsprüfung erneuert werden.

Und wie wird das Prozedere ablaufen, wie verläuft der Weg zum GFK-Klassiker-Zertifikat für Eigner, die es anstreben?

Horstbrink: Die müssen sich bei uns melden. Wir wollen die Begutachtung zweimal pro Saison anbieten, jeweils auf dem Treffen in Maasholm und einem Frühjahrstreffen.

Kästner: Das Register wird dann öffentlich zugänglich sein, über die Webseite.

Welche Rolle spielte der Wandel des Bootsbaus zur indu­s­triellen Massenfertigung für die GFK-Klassiker?

Kästner: Eine große, möglicherweise ist es die entscheidende Zäsur. Vorher haben Bootsbauer und andere Handwerker, auch im Serienbau, immer noch mit Herzblut an jedem einzelnen Boot gearbeitet und etwas Seele in jedem einzelnen Schiff verbaut. In der Industrialisierung des Bootsbaus sehe ich persönlich einen Übergang hin zu einer Zeit, in der der Schaffensprozess emotionslos wurde.

GFK-Klassiker e. V.

 | Grafik: GFK-Klassiker e.V. | Grafik: GFK-Klassiker e.V.

Der überregionale Zusammenschluss gleichgesinnter Eigner dient seit Gründung im November 2012 der Förderung des Bewusstseins dafür, dass die Kunststoffyachten aus den Anfangsjahren bis Ende des 20. Jahrhunderts nicht die „Joghurtbecher“ sind, für die sie einst gehalten wurden, sondern vielmehr Zeugnisse einer Zeit, in der trotz der Modernisierung im Bootsbau die Formgebung noch wichtiger war als das Raumangebot.

Neben verschiedenen Serviceangeboten rund um die alten GFK-Yachten, die der Verein bereitstellt, veranstaltet er jährlich mehrere Treffen, schreibt einen Fahrtenwettbewerb aus und veröffentlicht das Mitgliedermagazin „GFK News“. Seit 2006 findet Anfang September mit den GFK-Classics in Maasholm der Jahreshöhepunkt der Szene statt, in diesem Jahr vom 30. August bis zum 8. September.

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