InterviewFilm über Segelaussteiger zwischen Freiheit und Einsamkeit

Lasse Johannsen

 · 25.05.2025

Wolfgang „Gangerl“ Clemens (83): Der Bayer verkaufte 1987 seine Firma, stieg aus und bereist seither unter Segeln die abgelegensten Winkel der Erde mit seinen Yachten „Bavaria“ I und II. Davon handelt jetzt der Film „Ausgsting“.
Foto: Rainier Ramisch
Der Filmemacher Julian Wittmann war drei Monate lang mit seinem Team bei Aussteiger Wolfgang “Gangerl” Clemens in Indonesien und drehte ein Por­trät über den Abenteurer, das am 28. August in die Kinos kommt.

Taugt eine Yacht zum Film-Studio?

Nein, wir sind das sehr naiv angegangen, muss ich im Nachhinein sagen. Unser Team umfasst ja zehn Mann, die passen gar nicht alle an Bord, und von den 15 Koffern voll Equipment mussten wir das Meiste an Land lassen. Außerdem hatte es 35 Grad im Schatten und eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit. Und unser Tonmann fiel aus, weil er seekrank wurde…

Waren alle von Ihnen das erste Mal an Bord einer Segelyacht?

Unser Kameramann nicht. Der hat das schon mal gemacht. Aber für unseren Tonmann war das, glaube ich, auch das letzte Mal.

Ihr Protagonist, der Bayer Wolfgang Clement, genannt „Gangerl“, ist für treue YACHT-Leser schon ein alter Bekannter. Er stieg vor 38 Jahren aus und segelt seither mit seiner „Bavaria“ um die Welt…

Ja, und die Idee war, ihn dabei mit der Kamera zu begleiten und zu porträtieren. Und das Dramaturgische wurde dann sogar noch eine viel größere Schwierigkeit als die ungewöhnlichen Begleitumstände…

Inwiefern? Das ist doch Ihr Kerngeschäft!

Na ja, wir sind mit dem Bild an Bord der „Bavaria“ nach Bali gefahren, dass der Gangerl ein völlig freier Mensch ist, der da draußen seinen Traum verwirklicht und Abenteuer erlebt. Und wir begriffen, dass ein solches Dasein stark von unserem Bild abweicht. Dass es mit wahnsinnig viel Reduktion und einem Leben am Limit einhergeht. Und auch mit Geldsorgen und technischen Zwängen. Wir haben uns entschieden, das dann auch so im Film zu zeigen und nicht krampfhaft an dem Bild vom sorglosen Abenteurer festzuhalten, das die Leute daheim gerne sehen wollen. Sondern wirklich die Realität so abzubilden, wie sie ist. Das war das Wichtigste und zugleich das Schmerzvollste, was man begreifen hat müssen. Dieses ganze Vorhaben ist im Endeffekt auf totale Einsamkeit ausgelegt. Das ist einerseits schon wahnsinnig frei, aber andererseits auch sehr traurig, ja, bedrückend auf eine Art.

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Sind Sie dem Menschen näher gekommen, als Sie wollten?

So würde ich das nicht sagen, aber der Gangerl ist halt auch 83 Jahre alt und der hat seine Entwicklung schon durchgemacht. Mir war nicht bewusst, wie sehr das Leben auf dem Meer einen Charakter verändert. Der ist in einer anderen Form gesellschaftstauglich, als wenn man sich in Deutschland mit jemandem unterhält. Der hat keine Lust mehr, sich irgendwie zu verstellen, der sagt einfach alles direkt heraus, weil es ihm einfach wurscht ist, was die Leute denken, glaube ich.

Sie haben schon vor dem Dreh unübliche Anstrengungen auf sich genommen…

… ja, bis wir Filmförderung zugesagt bekommen haben, und bis wir uns klar darüber waren: wann hat der Gangerl Zeit, wann hat das Team Zeit, wo fahren wir mit, weil die Route interessant ist ... Dieser ganze Prozess hat vier Jahre gedauert.

Hat der Einsiedler Ihrem Vorhaben denn gleich begeistert zugestimmt?

Nein, er hatte bis zuletzt große Bedenken. Das ist ja klar, er ist vor fast 40 Jahren mehr oder weniger aus der Gesellschaft ausgestiegen und wollte mit sowas eigentlich nichts mehr zu tun haben. Und dann kommt da direkt ein ganzes Filmteam, das ist ja auch schon etwas Angsteinflößendes, so eine riesige Kamera und diese Masse an Filmequipment.

Gleich zu Beginn des Films ist er dann auch erst mal verschwunden…

Ja genau. Also das ist einfach der Gangerl: Wenn ihm etwas zu viel wird, dann ist er einfach weg. Aber nach drei Tagen war er dann wieder da und es konnte weitergehen.

Gab es noch andere skurrile Situationen?

Ja, also da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Es ist so wahnsinnig viel passiert. Wir haben den Propeller in einem Fischernetz verloren und mussten trockenfallen um einen neuen zu montieren. Ein andermal sind wir auf ein Riff gelaufen. Es war kurz davor, dass der Gangerl sein Schiff verliert. Wir haben nicht einmal mehr die Kamera anschalten können, weil es so hektisch war. Man kann so gut planen, wie man will, auf dem Segelboot und auf dem Meer draußen, da macht die Natur die Gesetze, kein Regisseur. Du musst schauen, dass du irgendwie mitnimmst, was du kriegst.

Hatten Sie nie Angst?

Nein. Ich habe da immer vertraut. Relativ am Anfang hatten wir einen Sturm. Der ist im Film gar nicht drin, denn das ging alles sehr schnell. Der Gangerl hat unter Deck geschlafen und war sofort da. Komplett nackt ist er oben gestanden und hat zwei, drei Handgriffe gemacht, sodass alles sicher war. Der Mensch weiß genau, was er tut, da passiert nichts.

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