InternateSinnvolle Segel-Schule oder Elite-Penne?

Morten Strauch

 · 18.06.2025

Segelausbildung mit Lehrer im Wattenmeer. Hier sind ganz besondere Fähigkeiten gefragt.
Foto: Lietz
Der Umgang mit Pinne und Schot gehört auf Internaten von der Schlei bis nach Bayern zum Unterricht. Über Segeln als erlebnispädagogisches Fach und was Schulen mit Segelschwerpunkt auszeichnet.

Eine Brise rauscht durch das Blätterwerk der Sommerlinden, dazwischen funkelt die große Breite der Schlei. Im kleinen Hafen darunter dümpeln ein alter Krabbenkutter und zwei Ribs.

Die Ruhe ist vorbei

Die Ruhe ist vorbei, als zwei Steppkes mit Rollern die Auffahrt herunterfahren, gefolgt von weiteren Mädchen und Jungen, die ihre Schultaschen vor das Clubhaus werfen und in Windeseile in ihre Neoprenanzüge schlüpfen, um ebenso schnell mehrere Optimisten aus dem Schuppen zu holen. Nach einer kurzen Steuermannsbesprechung helfen sich die Schüler gegenseitig dabei, die Mini-Jollen ins Wasser zu slippen. Nach und nach gehen die Optis raus.

Die Szene spielt in Louisenlund, einem Internat an der Schlei, wo Segeln zum festen Bestandteil des Unterrichts gehört. Und das seit über 75 Jahren. Ein Erfolgsmodell, das längst auch auf anderen Internaten eingeführt wurde.

Segellehrer Jan-Hauke Erichsen

In einem der Ribs folgt nun auch Segellehrer Jan-Hauke Erichsen mit drei weiteren Schülern den Optis auf die Schlei, denn: „Es sind nicht alle versessen darauf, so lange wie möglich an der Pinne zu sitzen. Und wir können auf dem Wasser nachher auch durchtauschen“, sagt Erichsen.

Der Lehrer für Sport und Wirtschaftspolitik ist ehemaliger Leistungssegler und betreute bei den olympischen Segelwettspielen 2024 noch die deutschen Kiter.

Die Gründe, auf einem Internat zu landen, können ganz unterschiedlicher Natur sein. Sei es ein Schicksalsschlag in der Familie, beruflich eingespannte Eltern oder der Wunsch nach dem bestmöglichen Lehrangebot in einem elitären Umfeld.

Pflichtfach Segeln

Das idyllisch gelegene Louisenlund an der Schlei überzeugt viele Eltern und Schüler zudem mit dem Pflichtfach Segeln. Die seemännische Grundausbildung soll neben der akademischen Lehre die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung fördern und steht seit der Gründung der privaten Internatsschule im Jahr 1949 felsenfest im Programm.

Dichter, dichter! 50 Meter weiter und dann die Wende!“, ruft Erichsen bestimmt und gelassen zugleich. Nach jeder Runde im Regattamodus ruft er die Nachwuchssegler einzeln zum Rib, um direkte Manöverkritik zu äußern.

Nach einigen Runden auf der Bahn und abflauenden Winden finden sich die Optis an einer Badeinsel vertäut wieder. Mit voller Montur springen die Kinder vergnügt ins Wasser – wie schön Schule doch sein kann.

Die Schleitaufe

Die offizielle „Schleitaufe“ bekommen alle Neu-Louisenlunder bereits nach zwei Wochen. Bei dieser feierlichen Zeremonie wird ihnen ein Eimer Schleiwasser über die Köpfe geschüttet – egal ob Schüler oder Lehrkraft.

Acht Ilcas, vier 29er und eine J70 stehen für das Regatta-Training zur Verfügung. Mit der Verpflichtung der Olympionikin Franziska Goltz als Segellehrerin gelang dem Internat ein echter Coup. Speziell für das neu ins Leben gerufene Plus-Segeln-Talentprogramm kann die langjährige Kaderseglerin und DSV-Trainerin auf ihren reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Außerdem liegen normalerweise noch eine Hanseat 69 sowie vier Jugendwanderkutter mit zweimastigen Luggerriggs im Hafen.

Teamwork lernen

„Als ehemaliger Leistungssportler konnte ich mit dem Kuttersegeln zuerst nicht viel anfangen. Mittlerweile bin ich aber ein regelrechter Fan davon, weil ich erkannt habe, was die Gemeinschaft auf so einem Boot mit den Schülern macht. Besser kann man Teamwork nicht lernen“, so Erichsen.

Die Kutter werden regelmäßig auf Törns durch die Dänische Südsee, aber auch auf den Marinekutter-Regatten während der Kieler Woche gesegelt.

Derzeit sind sie auf einer zweitägigen Tour über die Schlei unterwegs. Am frühen Abend erreicht die kleine Flottille den Hafen der WSG Grödersby bei Arnis. An Bord der Schiffe sind Segelnovizen, die teils noch unbeholfen mit der Ausrüstung hantieren, aber auch alte Hasen, wie Yu Kin Song (24), der die Schule schon verlassen hat, aber immer wieder gerne zum Segeln zurückkommt.

Die Gemeinschaft steht im Vordergrund

Der gebürtige Hongkong-Chinese war vier Jahre in Louisenlund und sog die deutsche Sprache genauso auf wie das Segeln. „Auf den kleinen Regattabooten konnte ich immer perfekt vom Unterricht abschalten und alles um mich herum vergessen. Auf den Kuttern ist man zwar weniger engagiert, dafür ist das Gesellige umso schöner. Jeder hilft jedem und alle sind gleich.“

Gemäß dem Motto „Ein Boot im Hafen ist ein trauriges Boot“ dürfen die Ehemaligen die Schiffe ausleihen und an internen Regatten teilnehmen.

Während die restlichen Schüler Persenninge über die Großbäume legen, um sich darunter die Schlafplätze einzurichten, sammelt sich die Küchen-Crew am Grillplatz ein.

Ein Forschungsschiff als Geschenk

Zigaretten und Alkohol sind auf dem Törn ebenso tabu wie auf dem Privatinternat. Der Stimmung scheint das jedoch keinen Abbruch zu tun, auch wenn es mitunter Wege gibt, die Hausordnung kreativ zu umgehen. Andreas Schweizer, der zusammen mit seiner Frau Anna die Segelleitung innehat, weiß davon zu berichten: „Letzte Nacht ist ein Trupp mit einem Kutter in den Nachbarhafen gerudert, um dort die Bilge mit Bier zu beladen. Unter den Bodenbrettern war das Versteck fast perfekt. Aber auch wenn die Raffinesse bemerkenswert war, so mussten wir die Flaschen natürlich einkassieren.“

Der ehemalige Krabbenkutter „Kurt Hahn“ ist das Geschenk des Großvaters einer Schülerin und dient als Forschungsschiff. Ausgestattet mit moderner Technik wie Planktonnetzen, Bodengreifer oder Unter wasserdrohne, ist es einzigartig in der deutschen Schullandschaft.

Erlebnispädagogik in Deutschland

Der Namensgeber Kurt Hahn gilt als Begründer der Erlebnispädagogik in Deutschland und gründete bereits 1919 das Landschulheim Schloss Salem unweit vom Bodensee.

Im Gegensatz zu Louisenlund ist das Segeln auf Schloss Salem kein Pflichtprogramm. Es findet in Arbeitsgemeinschaften statt, die auf das Erlernen von Selbstverantwortung durch Erlebnispädagogik abzielen.

Im Winter stehen Arbeitseinsätze im Bootsschuppen an, um auch handwerkliche Erfahrungen und nachhaltige Lernerfolge zu vermitteln, wie Hafenmeister und Segelverantwortlicher Sebastian Mücke erklärt: „Das Segeln geht bei uns auf das Konzept der Dienste am Nächsten von Kurt Hahn zurück. Neben unseren sozialen Diensten gibt es die Einsatzdienste in der Feuerwehr oder im Technischen Hilfswerk und den Nautischen Dienst, der neben Segeln auch die Wasserrettung, den Hafenbetrieb und die Wartung der Boote umfasst.“

Segeln in Schloss Salem

Die Nautiker verpflichten sich dazu, einmal pro Woche ihren Dienst zu absolvieren sowie den Sportbootschein Binnen und das Bodensee-Schifferpatent zu erwerben. Neben Optis, Ilcas und Randmeerjollen stehen auch Flying Cruiser zur Verfügung, die zu fünft, aber aufgrund ihrer Segelfläche von nur 11,99 Quadratmetern ohne ein Patent gesegelt werden können.

Auch im bayerischen Internat Landheim Ammersee hat das Segeln eine lange Tradition. Schüler, die über zwei Jahre regelmäßig an Trainings, Regatten und im Winter an Bootspflege und Reparaturarbeiten teilnehmen, bekommen ein Zertifikat ausgestellt.

„Diese Urkunde könnte für eine Lehrzeitverkürzung vorgelegt werden oder einfach als Referenz für das Bewerbungs-Portfolio. Auch selbst geleitete Coachings für jüngere Kameraden werden aufgeführt“, so Internatsleiter Reinhard Milz. „Verantwortung zu übernehmen zahlt sich aus!“

Zu den Highlights am Ammersee zählen die Teilnahme an der bekannten 24-Stunden-Regatta, aber auch Touren in Kroatien oder der jährliche Törn von Hamburg nach Helgoland in Kooperation mit der Yachtschule Eichler.

Die Gilden auf Spiekeroog

Ureigene Naturerlebnisse bietet die Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog. Inmitten vom UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer liegt das Internat abseits des Dorfes auf der autofreien Nordseeinsel. Da liegt es förmlich auf der Hand, dass Segeln mitsamt seinen tidenbedingten Herausforderungen eine bedeutende Rolle spielt.

Zu den Schulbooten gehören neben offenen Jollen für die Grundausbildung auch reviertypische Schiffe wie das elf Meter lange Plattbodenschiff „Tuitje“ oder zwei betagte Jollenkreuzer. Eines davon ist der etwa 65 Jahre alte „Albatros“, dessen Stahlkasko der Schule einst von einem Vater gestiftet wurde.

Seitdem wird er von Schülergeneration zu Schülergeneration in einem fortlaufenden Bastelprojekt kontinuierlich ausgebaut, verbessert und instand gehalten.

Praktisches Lernen

Die Schüler sind, ähnlich wie in Louisenlund, in sogenannten Gilden organisiert. Dabei handelt es sich um Arbeits gemeinschaften, die dem Gemeinwohl der Schule dienen. Diese Gilden entstanden in den Grün dungsjahren der Schule aus reinen Notwendigkeiten: So mussten etwa die Deiche gepflegt, der Garten bestellt und die Tiere versorgt werden. Heute gibt es auch Gilden für Bereiche wie Marketing oder Fahrradreparatur. Ziel ist es, durch praktisches Lernen das Leben zu meistern und die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln.

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Der ehemalige Schüler Axel Hoppenhaus erinnert sich noch gut an seine Zeit im abgelegenen Inselinternat, wo er Teil der Bootsbau-Gilde war. Diese Erfahrung prägte ihn so sehr, dass er sich nach dem Abitur direkt für eine Ausbildung im Bootsbau entschied. Nach der Lehrzeit folgte ein Studium im Schiffbau, bevor er schließlich ins Industriedesign wechselte. Danach arbeitete er 20 Jahre lang als technischer Illustrator für die YACHT und machte sich anschließend erfolgreich mit der Entwicklung von innovativen Klampen und Klüsen selbstständig. Ehrenamtlich ist der Designer immer noch mit der Schule verbunden, um beispielsweise Förderer für neue Projekte und Boote zu finden.

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Innovationen von ehemaligen Schülern

Als die Steckruder der neu angeschafften Regattaboote von Beneteau First 18 im Wattenmeer Probleme bereiteten, entwarf er kurzerhand ein schwenkbares unter Federlast stehendes Ruder, welches bei Grundberührung nach hinten schwingt. „Da schließt sich der Kreis, und ich konnte der Hermann Lietz-Schule etwas zurückgeben, in diesem Fall sogar fachlich“, sagt Hoppenhaus und erinnert sich:

„Zu meiner Zeit gab es auf Spiekeroog noch keinen Hafen, sodass alle Boote der Insulaner durchgängig im Watt vor Anker lagen. Bei jeder Tide brachen die Anker aus dem Grund und gruben sich anschließend wieder ein. Das funktionierte tatsächlich! Unsere Boote lagen meistens auf halber Tide, um gut wieder wegsegeln zu können. Das bedeutete einen langen Fußweg, mitunter auch durch knietiefes Wasser. Die Lehrer hatten so ein Vertrauen in uns, dass wir in den Sommerferien ohne Aufsicht bis nach Texel gesegelt sind. Zwei Wochen unterwegs im Alter von 14 bis 18 Jahren. Ein riesiges Abenteuer, ganz ohne Mobiltelefone!“

Fundierte Segelausbildung

Heute wäre das undenkbar. Es gibt einen Hafen und eine fundierte Segelausbildung in den Sportstunden. In der achten Klasse gibt es eine Segelwoche, in der täglich gesegelt wird, um die Schüler heranzuführen. Sogar ein Sportabitur Segeln ist möglich.

Geblieben ist jedoch die Abgeschiedenheit der Insel, und die Möglichkeit, an den Wochenenden zu segeln – Heimfahrten sind vor allem auch deshalb seltener als in Schulen mit guten Verkehrsanschlüssen.

Im Jahr 1993 wurde von der Hermann Lietz-Schule mit der High Seas High School ein einzigartiges Projekt ins Leben gerufen. Jedes Jahr im Herbst starten Schüler zu einem siebenmonatigen Blauwassertörn auf einem gecharterten Traditionssegler.

Einzigartige Projekte

Nach dem Start an der deutschen Nordseeküste und einem Zwischenstopp auf den Kanaren geht es quer über den Atlantik in die Karibik.

In Costa Rica gehen die Jugendlichen für vier Wochen an Land, lernen Spanisch und arbeiten auf einer Finca bei der Kaffee- und Zuckerrohrernte.

Über Kuba und die Azoren segeln sie schließlich zurück nach Deutschland.

An Bord haben die Schüler Unterricht nach dem Lehrplan des 11. Jahrgangs des Landes Niedersachsen. Aber sie lernen während ihrer Reise auch viel über das seemännische Handwerk, etwa alle Segelmanöver, das Steuern des Traditionsschiffes sowie das selbstständige Navigieren und Wetterkunde.

Der Wermutstropfen aller Segelinternate ist der Preis. In der Oberstufe werden je nach Ort, Klasse und Unterrichtsform bis zu 4.900 Euro monatlich fällig.

Grund- und Tagesschüler kommen günstiger davon – mit etwas Glück besteht auch die Möglichkeit eines (Teil-)Stipendiums. Und: Zumindest das Träumen ist kostenlos.


Ein weiteres, besonderes Segel-Internat befindet sich in Kiel-Schilksee. Dort trainiert der Nachwuchs für Olympia. Wir haben uns auch dieses Internat angesehen.


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