Das Wetter spielte mit Sonnenschein und mäßigem Wind perfekt mit, als die Crew im Rostocker Stadthafen den Rennboliden übernahm. Die meisten der Gäste mit Beeinträchtigungen segeln üblicherweise auf deutlich kleineren Booten wie die RS Venture Connect oder in der J/70 Klasse. Mit einer der bedeutendsten Rennyachten der deutschen Segelgeschichte erwartete sie seglerisches Neuland. Die V.O.60-Rennyacht "Illbruck", die heute unter dem Namen “SkenData” firmiert, hat unter Skipper John Kostecki als erste und bislang einzige deutsche Yacht 2002 das legendäre "The Ocean Race" gewonnen. Während dieses Rennens rund um die Welt stellte das Team gleich zwei Weltrekorde auf: den 24-Stunden-Weltrekord mit 896 km und den Geschwindigkeitsrekord für Einrümpfer mit knapp 73 km/h. Die "Illbruck" hat durch ihre Erfolge und Rekorde einen festen Platz in der Offshore- und Hochseesegelszene.
Diese neue Dimension mussten die Gäste zunächst kennenlernen: Knapp 20 Meter, stattliche Winschen, Grinder und Stufen hinter den zwei Steuerständen. So erkundeten die blinden und sehbehinderten Teilnehmer die „SkenData“ zunächst mit den Händen tastend, und eine Gebärdendolmetscherin übersetzte die Erklärungen der Skipper, ehe gegen Mittag die Leinen losgeworfen wurden.
Nicht allein für die Gäste, auch für die Veranstalter war das außergewöhnliche Segelevent eine neue Erfahrung. Der Verein "Wir sind Wir -- Inclusion in Sailing" widmet sich seit fünf Jahren dem inklusiven Segelsport. 2022 und 2023 hat er erfolgreich zwei inklusive Segel-Weltmeisterschaften in Rostock ausgerichtet. Mit dem "Heinz Kettler Deutschland Cup" organisiert er auch die weltweit erste echte inklusive Regatta-Serie. Der Verein realisiert zudem zahlreiche inklusive Kinder- und Jugendsegelprojekte.
Speedsailing in Rostock, Anbieter für Segelevents mit langjähriger Erfahrung im Hochseesegeln, und der Rostocker Regatta Verein unterstützen das Projekt - Speedsailing mit seinem Ocean Racer und Crew, der Rostocker Regatta Verein mit Know-how, Infrastruktur und einer starken Verankerung in der lokalen Segelgemeinschaft. Die drei Akteure verbindet die gemeinsame Ausrichtung der "Inklusiven Segel-Weltmeisterschaften" (Inclusion World Championship for Sailing) in Rostock 2022 und 2023. Während dieser Wettkämpfe entstand auch die Idee für das Offshore-Segelprojekt. Dabei ging es ausnahmsweise nicht um den Wettbewerb, sondern darum, das inklusive Segeln sichtbarer zu machen. So war denn auch ein Filmteam des NDR an Bord und berichtete.
Fünf Stunden lang erlebte die inklusive Crew, wie schnell eine Offshore-Rennyacht auf Touren kommt, steuerte das Boot und kam an den Grindern ins Schwitzen. „Für uns war das Segeln auf der Illbruck ein unvergessliches und lehrreiches Erlebnis. Es war sehr spannend, dass wir bei den Bedingungen schon 14 Knoten fahren konnten“, schwärmt Alex, einer der sehbehinderten Teilnehmer: „Das Highlight für viele von uns war sicherlich auch, dass wir für eine kurze Zeit die Illbruck sogar steuern konnten."
Viele Boote, auf denen inklusiv gesegelt wird, verfügen über Adaptionen, die insbesondere körperliche Einschränkungen ausgleichen. Die „SkenData“ wurde für den Törn nicht angepasst. Stattdessen setzten die Seglerinnen und Segler auf Teamplay: Die Sehenden hielten Ausschau und kündigten den Rudergängern mit Sehbehinderungen nahende Böenfelder an. Für Skipper Martin Kringel von Speedsailing eine positive Erfahrung: “Besonders spannend finde ich es mit den Sehbehinderten, die wahnsinnig viel und schnell fühlen“, erzählt er und berichtet weiter: “Dieser Sinn ist sehr viel ausgeprägter als bei Menschen, die ganz normal gucken können – die stolpern hier gern mal übers Deck.“
Nach fünf Stunden kehrte die Crew um einige Erfahrungen reicher in den Hafen zurück. „Der Segeltag auf dem Ocean Racer war unbeschreiblich schön“, schwärmt Teilnehmer Jürgen. „Man konnte mit Stolz wieder feststellen, wie ein Zusammenhalt sich positiv auf alle auswirkte. Ein Team ist dann stark wenn alle mitziehen und das war gestern der Fall.“
Das Profi-Team von Speedsailing um Geschäftsführer Felix Hauß kennt harte Rennen, Spaß- und Teambuilding -Törns; einen inklusiven Segeltörn begleiteten die Skipper erstmals. „Inklusion ist wichtig und muss gelebt werden. Wir wollten wissen, kann es auch bei uns an Bord auf einem unserer Ocean Racer funktionieren“, zieht Felix Hauß Bilanz. „Es war eine Erfahrung, die wir alle nie vergessen werden. Crew und Gastsegler waren beeindruckt. Jeder konnte von dem anderen profitieren. Inklusion funktioniert. Man muss es nur einfach mal machen."
Am kommenden Wochenende geht es gleich weiter mit dem Inklusionssegel. Unter den knapp 80 Teams aus elf Nationen, die für den diesjährigen Helga Cup 2025 gemeldet haben, sind 16 inklusive Crews. Auch mehrere Olympiateilnehmerinnen gehen bei der weltweit größten Frauenregatta vom 12. bis 15. Juni auf der Hamburger Außenalster an den Start, darunter Silbermedaillengewinnerin Susann Beucke. Sie ist Skipperin der Crew „MammaSeatas“, einer Gruppe von Seglerinnen, die von Krebs betroffen und teilweise noch mitten in der Therapie sind. "Segeln vermittelt ein einzigartiges Gefühl von Freiheit - gerade für Menschen mit Behinderungen, die im Alltag oft mit Einschränkungen konfrontiert sind. Auf dem Wasser verschwinden diese Grenzen“, betont Beucke und ergänzt: „Außerdem schafft der Helga Cup einen sicheren Rahmen, der Frauen ermutigt. Es macht mich besonders glücklich zu sehen, dass durch das Event mehr Frauen zum Segelsport und auch zum Regattasport finden. Dies Empowerment und Inklusion ist genau das, was unser Sport für unsere Gesellschaft schafft."
Ausrichter des Events ist der Norddeutsche Regatta Verein, Veranstalter der Verein "Wir sind Wir", die seit vier Jahren gezielt Segelkurse für Frauen mit Beeinträchtigungen auf der Alster anbieten. Die Frauencrews segeln auf Booten der Klassen J/70 und RS Venture Connect. Sie treten in kurzen, zehn- bis zwölfminütigen Rennen gegeneinander an - ein Format, das spannende Action und auch für Laien gut nachvollziehbare Wettfahrten garantiert. Vorabworkshops sorgen dafür, dass auch Seglerinnen mit weniger Vorerfahrung teilnehmen können.