HistorieOtto Protzen – einer der ersten deutschen Yachtkonstrukteure

YACHT-Redaktion

 · 04.11.2023

Otto Protzen: Eine der seltenen Abbildungen des Herrenseglers der ersten Stunde zeigt ihn im Clubjackett
Foto: Sammlung Rolf Bähr
Der Berliner Otto Protzen war bislang nur Eingeweihten bekannt – als Segler, Ruderer und Künstler. Nun stellt sich heraus, er war auch einer der ersten deutschen Konstrukteure

Der Kunstmaler, Buchautor, Regatta- und Fahrtensegler Otto Protzen lebte vom 24. März 1868 bis 22. Juli 1925 in Berlin und wurde nur 57 Jahre alt. Er ist heute allenfalls noch einer kleinen Community in Wannsee und interessierten Seglern im Verein Seglerhaus am Wannsee (VSaW) bekannt, dem er angehörte. In dessen Seglerhaus kommt man über die breite Haupttreppe unweigerlich am „Otto Protzen-Zimmer“ vorbei, über dessen schöner hölzerner Tür im Tympanon in schwungvollen Lettern sein Name eingeschnitzt prangt.

Zu Lebzeiten war Protzen eine prominente Berliner Ausnahmeerscheinung sowohl in seglerischer wie auch in künstlerischer Hinsicht. Er war sechsmaliger Gewinner der Kieler Woche in der Sonderklasse, anlässlich der ihm Kaiser Wilhelm II. nach jedem Sieg persönlich den Samoa-Pokal überreichte. Daneben erfolgreicher Ruderer, Schriftsteller und Autor des deutschen Wassertourismus mit vielen Wanderfahrten auf deutschen Flüssen. Er wirkte als großartiger Landschaftsmaler, war Mitautor und Illustrator des zweibändigen Handbuchs „Kunst des Segelns“ und hat als Bootsdesigner und -konstrukteur seinerzeit dem deutschen Segelsport seine reichen Regattaerfahrungen zur Verfügung gestellt.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Otto Protzen war Herrensegler der ersten Stunde – aber auch Ruderer, Schriftsteller und Kunstmaler”

Otto Protzen war ein Weggefährte von Max Oertz und Herausgeber der YACHT

Zur Welt kam Protzen als Sohn eines Teppichfabrikanten, in dessen Fußstapfen er treten sollte. Doch die vom Vater verordnete kaufmännische Ausbildung betrieb er nach dem Besuch des Königlichen französischen Gymnasiums nur lustlos, um sich anschließend dem Studium an der Berliner Kunstakademie zu widmen, nachdem der Vater ihn aufgrund vermeintlicher Farbenblindheit als für die Teppichfabrikation untauglich gemustert hatte.

Seglerische Heimat Protzens war der VSaW. In den Jahren 1900 bis 1911 errang er 110 Siege als Steuermann verschiedener Sonderklasseyachten unter dem Stander seines Vereins. Seit 1902 war Protzen außerdem außerordentliches Mitglied im Berliner Akademischen Segler-Verein, dem auch sein Weggefährte Max Oertz angehörte, auf dessen Werft am Hamburger Reiherstieg die von Protzen für sich selbst konstruierten Ruder- und Segelboote entstanden.

Über viele Jahre war Protzen Herausgeber der 1904 erstmals publizierten YACHT, die damals wöchentlich erschien und auch den Rudersport abdeckte, den Protzen ebenso aktiv betrieb wie das Segeln. Schon 1880 hatte er als Zwölfjähriger an der ersten Berliner Ruderregatta in Grünau teilgenommen.

Monatelange Reisen im besegelten Ruderboot

Einem breiten Publikum bekannt wurde Protzen neben seinem künstlerischen Schaffen vor allem durch seine veröffentlichten Berichte über monatelange Reisen im besegelten Ruderboot, von denen er stets mit zahlreichen Zeichnungen und Gemälden heimkehrte. So zog es ihn 1895 beispielsweise Zeichnungen: Verein Seglerhaus am Wannsee/VSAW von Berlin über Havel und Elbe zu den Eröffnungsfeierlichkeiten des Kaiser-Wilhelm-Kanals und der anschließenden Kieler Woche und danach über Lübeck, Wismar, Schwerin, Waren und Oranienburg wieder zurück nach Berlin.

Heute ist Otto Protzen über den Kreis der Eingeweihten hinaus in Vergessenheit geraten

Seine Autobiografie „40 Jahre auf dem Wasser – Aus den Logbüchern und Studienmappen von Otto Protzen“ erschien 1924, ein Jahr, bevor Protzen, inflationsbedingt verarmt, an Krebs verstarb. Protzen beschreibt darin sein gesamtes Wirken am und auf dem Wasser, beginnend mit frühen Jugenderlebnissen, ohne genaue Details über Elternhaus oder Weggefährten preiszugeben.

Heute ist Otto Protzen über den Kreis der Eingeweihten hinaus so gut wie in Vergessenheit geraten. Um mehr über ihn, sein Leben und Schaffen in Erfahrung zu bringen, wurde nach den Recherchen zur Chronik anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des VSaW ein Internetauftritt für den Segler und Künstler etabliert und digitalisierte Originalwerke veröffentlicht, die damals überraschend in abgeschlossenen Schubladen und auf dem Boden des Clubhauses gefunden wurden.

Überraschungsfund: eine Rolle mit Zeichnungen von Protzen und Oertz

Seither gibt es viel Resonanz. Allergrößtes Erstaunen rief jedoch hervor, als eine segelaffine Dame mit einer 1,20 Meter langen Holzkiste im Club erschien und meinte, da sei etwas von Otto Protzen drin. Dieser Dachbodenfund stellte sich als eine sensationelle Überraschung heraus. Es handelte sich um eine fest gewickelte, schwere Rolle von 35 Zentimeter Durchmesser. Der Versuch, die einzelnen Papier-, Pappe- und Pergamentlagen aufzurollen, wurde gestoppt, weil sie sofort Risse zeigten. Aber es war klar, dass der gesamte Inhalt von Otto Protzen stammen musste. Ein Clubmitglied übernahm es, den Rolleninhalt zu glätten, zu scannen und archivarisch nach Größen in Mappen aufzubewahren.

Das nahm einige Zeit in Anspruch, doch es fanden sich 123 Zeichnungen und Risse von Otto Protzen auf Papier, Pappe oder Pergament in der Rolle. Vielfältige Konstruktionen neuer Boote und Yachten – darunter allein 34 Risse für seine Sonderklassen und Segelpläne von 1900 bis 1911 – sowie für Bootsbeschläge und sogar für eine Lafette zum Bootstransport, aber auch etliche Blaupausen von Max Oertz. Es war schon bekannt, dass Protzen am Bau und der Konstruktion von dessen Sonderklassen mitgewirkt und mit Max Oertz auch Segelpläne entwickelt hatte. Nun aber belegen etliche Zeichnungen, wie eng diese Kooperation war und dass Otto Protzen wohl mit Recht als einer der frühen deutschen Boots- und Yachtkonstrukteure bezeichnet werden kann.

Text: Rolf Bähr


Mehr zum Thema:

Meistgelesen in der Rubrik Special