HafenmanöverWie ich den perfekten Ableger fuhr – fast perfekt…

Jochen Rieker

 · 22.01.2025

Hafenmanöver: Wie ich den perfekten Ableger fuhr – fast perfekt…Foto: Max Gasser; YACHT/N. Krauss
Es lief alles wie geplant bei diesem ersten Törn der Saison: rückwärts raus aus der Box, Radeffekt nutzen, leicht Ruder nach Backbord legen, langsam mehr Gas. Besser hätte man das nicht machen können, fand ich. Die Frau am Steg winkte fröhlich… oder war es hektisches Gestikulieren? Da rummste es schon!

In der Serie „Segler beichten“ gestehen wir unsere dümmsten Fehler beim Segeln. Aber wir sind auch auf Ihre Beichte gespannt. Schicken Sie uns ihren Text, wenn möglich mit Bildern, an mail@yacht.de, Stichwort „Seglerbeichte“. Falls gewünscht, erfolgt die Veröffentlichung anonymisiert.



Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass dies mein einziges Missgeschick gewesen sei, sollte ich der einen vielleicht besser eine Sammelbeichte voranstellen – und auf Generalabsolution hoffen: Es gibt wenig, was ich ausgelassen habe in einem guten halben Jahrhundert auf dem Wasser.

Gennaker-Hals mit dem Schothorn verwechselt? Ein Klassiker! Schuldig! Maschine nach dem Aufstoppen nicht in den Leerlauf geschaltet? Noch so ein Klassiker? Schuldig! Den nach dem Winterlager noch leeren Boiler eingeschaltet, sodass sich flugs die Sicherung verabschiedet? Schuldig! Das Deck mangels geeigneter Mittel mit Spüli gewaschen – und Wochen später grün blühend gefunden? Schuldig!

Am meisten und längsten aber hat mich der kurzzeitig nahezu perfekte Ableger gewurmt. Sie müssen sich das vorstellen wie ein vor ihren eigenen Augen kollabierendes Weltbild – so als hätte jemand für eine Split-Sekunde die Regeln der Physik außer Kraft gesetzt. So fühlte es sich jedenfalls an.

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Der erste magische Frühjahrstörn

Es war Ende April in Kappeln an der Schlei, vor etwa zehn Jahren. Ich hatte mein Boot bei der Mittelmann’s Werft über den Winter in Neuzustand versetzt. Kumuliert zwei Wochen Plackerei an Unterwasserschiff, Rumpf und Deck. Alles blitzte. Selbst in dem ungnädigen Licht eines noch grauen, wolkenverhangenen Frühlingstags, der jeden Schleier offenlegt, jede Mattierung von Mikronen zurückgebliebener Polierpaste, sah alles schier und schön aus.

Ich sehnte diesen Moment herbei, wie jedes Jahr. Diese ersten magischen Meilen, in denen kein Algenschleim am Antifouling und keine Kalkplatten am Faltpropeller dem vorbeiströmenden Wasser Widerstand bieten. In denen das Gefühl für die Reaktionen des Bootes zurückkehrt, als wäre man den Winter durchgesegelt. In denen die Handgriffe sitzen wie sechs Monate zuvor, am Saisonende, als wäre man nie weg gewesen.

Bald würde mich der Nordwest Richtung Schleimünde schieben, dann südwärts Richtung Kiel Leuchtturm und weiter nach Heiligenhafen. Eine Raumwindkreuz bei perfekten Bedingungen, 15 bis 18 Knoten Wind. Selbst die Sonne sollte später durchkommen. Was sollte schiefgehen? Wetter handig, Boot wie neu, Dieseltank voll, selbst Wassertank und Boiler waren diesmal gefüllt. Man lernt ja dazu.

Der erste Ableger der Saison

Dass die Schlei ihre Tücken und bisweilen reichlich Strom hat, war mir wohl bewusst. So hatte ich fürs Hafenmanöver einen Plan, und mit der Herzensdame am Steg zudem eine helfende Hand beim Fieren der Vorleine. Der Radeffekt würde beim Rückwärts-aus-der-Box-Fahren das Heck leicht nach Backbord versetzen, das Ruder die Drehung Richtung Fahrwasser unterstützen.

So kam es auch. Ohne die Dalben auch nur zu touchieren, glitt mein 35-Fuß-Boot in einem weichen Schwung vom Liegeplatz am Steg in die Boxengasse. Ohnehin euphorisiert von der Aussicht auf einen schönen ersten langen Segeltag, winkte ich kurz, griff zum Fahrhebel an der Cockpitwand und erhöhte die Drehzahl etwas. Die Dame am Steg winkte zurück, erst fröhlich, dann zunehmend energischer. „Muss gut aussehen, unser Boot, so blitzeblank“, dachte ich. Das Winken ließ nicht nach, es wurde zu einem beidarmigen Tänzchen. „Wow, welche Emotionen!“

Die Ernüchterung

Statt nach achtern zu peilen, schaute ich weiter zu meiner Wegbegleiterin, die diesmal das Auto zum Heimathafen fahren würde. Ich orientierte mich an der Dalbenreihe zu meiner Linken. Noch dolleres Winken auf dem Steg. Während ich in Gedanken schon die Festmacher aufschoss und die Fender in der Backskiste verstaute, hörte ich einen Ruf, der aber nicht klar genug bis zu mir durchdrang – überlagert vom Wind, vom Motorengeräusch, vom Patschen der Schlei unterm Heck…

Und dann stand ich auch schon…!

Von vielleicht drei auf null Knoten in Nullkommanix. Und nein, es war kein Flach, auch kein vergessener Festmacher. Ein federnder Schlag war durchs Schiff gegangen, begleitet von einem dumpfen Rummsen. Ich war dermaßen perplex, dass ich zunächst gar nicht wahrhaben wollte, was mich zum Stehen gebracht hatte. Dabei war es so offensichtlich...

Der Fehler

Auf meiner Steuerbordseite versprangen die Dalben etwa auf der Hälfte der Boxengasse um zwei Meter nach achtern, damit auch größere Yachten hier festmachen können. Eine ergreifend schlichte Tatsache, die mir durchaus bewusst war, aber die ich in der Euphorie des geglückten Ablegemanövers schlicht vergessen, verdrängt, jedenfalls komplett ignoriert hatte. Den ersten dieser versetzten Dalben hatte ich folglich mit der Außenseite meines Hecks ungebremst aufs Korn genommen.

Der Schaden

Öffentliche Schmach blieb mir zum Glück vorenthalten, weil es nur eine Augenzeugin meines gloriosen Scheiterns gab, und diese war mir freundschaftlich verbunden. Aber der Moment verfolgte mich noch die gesamte Saison – zum einen, weil ich mich einfach zu dusselig angestellt hatte, zum anderen, weil mein Boot am frisch polierten Spiegel nun einen Schmarren im Laminat hatte, der zwar in keiner Weise strukturell war, aber höchst unansehnlich. Auch mein Versuch, den Schaden vom offenen Heck aus leidlich zu reparieren, blieb nur ein Provisorium. Es sollte bis in den Winter dauern, bevor die Komposit- und Gelcoat-Künstler von Mittelmann die Narbe für alle Zeit unsichtbar verspachteln würden.

Es schmerzt heute noch, diesen Vorfall aus der Erinnerung zu holen! Glauben Sie mir: Ich sehe diese Stelle, als wäre es gestern gewesen. Ein Glück ist mir eine ähnliche Peinlichkeit seither nicht wieder passiert. Dafür ein paar andere. Aber die behalte ich wohl wirklich besser für mich!



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