Der bayerische Filmemacher Julian Wittmann wagte sich für sein neues Projekt auf unbekanntes Terrain: Drei Monate lang begleitete er mit seinem Team den Aussteiger Wolfgang "Gangerl" Clemens auf dessen Segelyacht "Bavaria" in indonesischen Gewässern. Das Ergebnis ist ein 94-minütiges Porträt über den 83-jährigen kantigen Freigeist, der vor 38 Jahren aus der Gesellschaft ausstieg und seither die Weltmeere bereist. Der Film "AUSGSTING." kommt am 28. August in die deutschen Kinos.
Die Dreharbeiten gestalteten sich für Wittmann und sein Team deutlich schwieriger als zunächst angenommen. "Wir sind das sehr naiv angegangen, muss ich im Nachhinein sagen", erklärt der Regisseur. Die zehnköpfige Crew passte nicht komplett an Bord der "Bavaria", sodass ein Großteil des Equipments an Land bleiben musste. Zudem herrschten mit 35 Grad im Schatten und hoher Luftfeuchtigkeit extreme Bedingungen. Der Tonmann fiel aufgrund von Seekrankheit sogar komplett aus. Für die meisten Teammitglieder war es die erste Erfahrung auf einer Segelyacht. Nur der Kameramann hatte bereits Erfahrung in diesem Bereich.
Die größte Herausforderung für den Filmemacher war jedoch die dramaturgische Umsetzung. "Wir sind mit dem Bild an Bord der 'Bavaria' nach Bali gefahren, dass der Gangerl ein völlig freier Mensch ist, der da draußen seinen Traum verwirklicht und Abenteuer erlebt", sagt Wittmann. Doch die Realität wich stark von dieser romantischen Vorstellung ab. Das Aussteigerleben von Wolfgang Clemens ist geprägt von extremer Reduktion, einem Leben am Limit sowie Geldsorgen und technischen Zwängen.
Wittmann und sein Team entschieden sich, diese Realität ungeschönt im Film zu zeigen, statt krampfhaft am Bild des sorglosen Abenteurers festzuhalten. "Das war das Wichtigste und zugleich das Schmerzvollste, was man begreifen hat müssen. Dieses ganze Vorhaben ist im Endeffekt auf totale Einsamkeit ausgelegt", erklärt der Regisseur kürzlich in einem Interview mit YACHT-Online.
Dem ist einfach wurscht, was die Leute denken!”
Die intensive Zeit mit Wolfgang Clemens offenbarte dem Filmteam, wie sehr das jahrzehntelange Leben auf See einen Menschen prägt. "Mir war nicht bewusst, wie sehr das Leben auf dem Meer einen Charakter verändert", sagt Wittmann. Der 83-jährige Aussteiger habe eine andere Form der Gesellschaftstauglichkeit entwickelt. "Der hat keine Lust mehr, sich irgendwie zu verstellen, der sagt einfach alles direkt heraus, weil es ihm einfach wurscht ist, was die Leute denken, glaube ich", beschreibt der Filmemacher seinen Protagonisten.
Die Dreharbeiten waren von zahlreichen unvorhergesehenen Ereignissen geprägt. Gleich zu Beginn verschwand Clemens für drei Tage, bevor die Aufnahmen weitergehen konnten. "Also das ist einfach der Gangerl: Wenn ihm etwas zu viel wird, dann ist er einfach weg", erklärt Wittmann. Auch technische Probleme und Gefahrensituationen prägten die Reise. So verlor das Schiff den Propeller in einem Fischernetz und musste trockenfallen, um einen neuen zu montieren.
Ein anderes Mal lief man auf ein Riff. "Es war kurz davor, dass der Gangerl sein Schiff verliert. Wir haben nicht einmal mehr die Kamera anschalten können, weil es so hektisch war", erinnert sich der Regisseur.
Die Umsetzung des ambitionierten Filmprojekts erforderte einen langen Vorlauf. Vier Jahre vergingen von der ersten Idee bis zum Drehbeginn. In dieser Zeit musste Wittmann die Filmförderung organisieren, Termine mit Wolfgang Clemens und seinem Team koordinieren sowie eine passende Route finden.
Der nun erschienene Trailer - für alle Nicht-Bayern mit Untertiteln - lässt indes erahnen, dass sich die Arbeit gelohnt haben könnte. Und er macht klar, dass AUSGSTING. alles andere ist als eine herkömmliche Dokumentation. Krachledern und urbayerisch sind die wohl passenden Attribute dieses Films. Die Premiere ist auf dem kommenden Filmfest München.
Der Aussteiger selbst hatte übrigens bis zuletzt Bedenken bezüglich des Vorhabens. "Das ist ja klar, er ist vor fast 40 Jahren mehr oder weniger aus der Gesellschaft ausgestiegen und wollte mit sowas eigentlich nichts mehr zu tun haben", erklärt Wittmann. Die Anwesenheit eines kompletten Filmteams mit umfangreichem Equipment sei für Clemens zunächst beängstigend gewesen. Zum Glück hat der “Gangerl” seine Bedenken über Bord geworfen.