Hans-Günter Kiesel
· 14.04.2020
Der ehemalige YACHT-Fotograf Hans-Günter Kiesel hat alle großen Reisen von Wilfried Erdmann dokumentiert – seine Hommage an seinen Freund zum 80. Geburtstag
Im Mai 1968 kreuzten sich zum ersten Mal unsere Wege. Ich war damals Fotoreporter beim „Hamburger Abendblatt“, und die Redaktion hatte mich hinausgeschickt in den Wedeler Yachthafen, wo ein junger Kerl von 28 Jahren mit seinem kleinen Boot lag. Wilfried Erdmann hatte gerade eine Reise in die Geschichtsbücher im Kielwasser: Als erster Deutscher hatte er die Welt allein umsegelt. Diese Fahrt markierte den Beginn seiner fantastischen Karriere.
Der nur ein Jahr ältere Wilfried hatte schon beneidenswerte Rad- und Segelreisen hinter sich, ein Abenteurer mit Erfahrung. Ich hatte geheiratet und eine Tochter.
Wilfried, der Extremsegler, machte es ganz anders. Er ging erst allein, dann mit Frau Astrid und später auch mit Sohn Kym auf große Segeltour. Ein Wunschtraum für viele, auch für mich: mit der Familie am weißen Südsee-Strand zu sitzen und über tiefblaues Wasser zu kreuzen. Ich beneidete ihn wirklich.
Aber mir war schnell auch klar, welchen Preis er dafür bezahlte. Damit meine ich nicht allein die Entbehrungen und Strapazen, die ein Törn unter solchen Bedingungen mit sich bringt. Zur Wahrheit gehört auch: Wilfried war zwar reich an glücklichen und extremen Erfahrungen, die ich in der Form nie würde machen können, aber materiell war er es nicht. Tatsächlich hat er sich sein Leben lang an diesen Prioritäten orientiert. Das Leben und das Erleben auf See standen für ihn immer an erster Stelle. Und er war stets ehrlich genug, das in seinen zahlreichen Büchern auch so zu beschreiben.
Meine Ehefrau und ich besuchten die Diavorträge, die Wilfried hielt, um Geld zu verdienen. Er erzählte mir, wie schwer ihm diese ersten öffentlichen Auftritte fielen. Seine Ehefrau Astrid hilft und unterstützt ihn bis heute bei dieser Aufgabe. Bei diesen Bildvorträgen bewunderte ich als Berufsfotograf seine Aufnahmen, die er nur „so nebenbei“ und doch so professionell machte.
1980 begann ich für die YACHT zu fotografieren, Test- und Technikthemen waren meine hauptsächlichen Arbeitsfelder. Dann erhielt ich im Juni 1985 den Auftrag, Wilfrieds Ankunft nach seiner Nonstop-Weltumsegelung in Kiel-Schilksee zu dokumentieren. Welch eine Leistung, wie schaffte er das bloß! Ich hatte inzwischen drei Kinder und ein Haus.
Wann genau er mit seiner „Kathena nui“ ankommen würde, wusste keiner so genau. So harrte ich schon drei Tage vorher in meinem Wohnmobil in Schilksee aus. Astrid und Kym Erdmann waren auch schon da, voller Vorfreude. Handys gab es damals noch nicht, aber dann kam ein Funkspruch auf UKW: Wilfried meldete sich, er stand querab von Langeland.
YACHT-Chefredakteur Harald Schwarzlose und ich sprangen in unser Redaktions-Motorboot „Tintenfisch“ und fuhren Richtung Leuchtturm Kiel. Harald hatte berechnet, dass wir gegen 13.30 Uhr Sichtkontakt bekommen müssten. So war es dann auch.
Wir näherten uns der „Kathena nui“, aber von Wilfried keine Spur. Erst nach mehrmaligem Rufen tauchte eine Pudelmütze aus dem Niedergang auf. Wilfried war erstaunt, wo wir denn herkommen: „Wie habt ihr mich gefunden?“ Dann sprang er an Deck und rief uns zu, als könnte er es selbst noch nicht fassen: „Ich hab’s geschafft!“
Er freute sich auf ein vernünftiges Essen, möglichst mit einem frischen Ei. Das war für mich kein Problem, denn ich hatte als Proviant hart gekochte Eier mit. Ich warf zwei hinüber, die Wilfried fing und genüsslich verspeiste.
Mittlerweile kamen uns auf dem Weg nach Schilksee andere Boote entgegen, auch die Yacht „Tom Kyle“ mit Astrid und Kym an Bord. Ich fotografierte die herzliche Begrüßung der Familie und schleppte die „Kathena nui“ mit der "Tintenfisch“ nach Schilksee an die Pier, denn Wilfrieds Boot hatte keinen Motor.
Eines meiner Fotos von der Ankunft wurde Titelseite der YACHT 16/1985, im Heft folgte die ganze Geschichte dieser Reise, bestückt mit Wilfrieds Aufnahmen: eine Serie toller Bilder, die ich wirklich bewunderte, weil sie quasi als Nebenprodukt dieser strapaziösen Reise entstanden, vor allem anderen musste sich Wilfried ja ums Segeln kümmern. Inzwischen dokumentierte er seine Reisen auf diese Art, denn durch die Veröffentlichungen in Zeitschriften und Büchern verdiente er seinen Lebensunterhalt. Das war vor allem deshalb eine Leistung, weil zu der Zeit noch analog fotografiert wurde, was bedeutete, dass er selbst nicht wusste, was die Filme hergaben, ehe sie Monate später entwickelt waren. Außerdem stellte das Lagern des Materials in tropischen Bedingungen besondere Anforderungen.
Im August 2000 war es dann wieder einmal so weit. Wilfried startete in Cuxhaven „allein gegen den Wind“ – so hieß denn auch sein viel beachtetes Buch zu diesem Törn, das sich 32 Wochen lang in der „Spiegel“-Bestsellerliste hielt. Erst 343 Tage später sollte er in Cuxhaven wieder die Leinen ausbringen.
Die YACHT begleitete diese Reise journalistisch sehr eng. Um im Heft möglichst bald nach seiner Rückkehr die ganze Story erzählen zu können, reiste ich mit zwei Redakteuren und einem externen Skipper nach England, um ihn im Ärmelkanal schon fotografieren und interviewen zu können. Wir liehen uns in Salcombe eine Moody und liefen gleich aus. Aber von Wilfried noch keine Spur. Wir übernachteten vor Anker an einem schrecklichen Platz mit enorm viel Schwell, ein furchtbares Geschaukel und Getöse von allem Möglichen, das da irgendwo in den Schapps schepperte. Ich glaube, keiner bekam in dieser Nacht ein Auge zu.
Am nächsten Morgen aber erfuhren wir Wilfrieds Position per Telefon. Sie war allerdings ein paar Stunden alt, und wir überlegten, wohin ihn der Wind und die enorme Strömung in der Zwischenzeit wohl getragen haben könnten. So etwas wie AIS gab es damals nicht. Dann machten wir uns auf den Weg.
Englischer Kanal, das klingt so harmlos. Tatsächlich ist er, vor allem an seinem Ausgang, eine einzige weite Wasserwüste. Bei strahlendem Sonnenschein suchen wir sie mit dem Fernglas ab, dass uns die Augen schmerzten. Dann entdeckten wir ein kleines Pünktchen an der Kimm. Ob er das tatsächlich sein könnte? Hatten unsere Berechnungen und Überlegungen einigermaßen gestimmt? Der Punkt kam näher, und tatsächlich: Er war es! Unsere Besatzung jubelte.
Von Bord zu Bord berichtete Wilfried von seiner grandiosen Fahrt, und ich hatte eine solche Menge Filmmaterial im Gepäck, dass ich drauflos fotografieren konnte, als gäbe es kein Morgen. Ich arbeitete damals noch analog mit Fujichrome-100-Filmen, weit mehr als ein Dutzend konnte ich belichten. Schon am 1. August 2001, nur eine Woche nach Wilfrieds Ankunft in Cuxhaven, stand die ganze große Geschichte in der YACHT.
Als Wilfried in Cuxhaven einlief, war das Heft bereits in der Produktion. Aber natürlich dokumentierte ich auch seine Ankunft für die nächste Ausgabe. Er wurde umjubelt und gefeiert, und ich freute mich wie ein Kind mit ihm, der über die Jahre zum Freund geworden war.
Ich fragte ihn einmal, warum er diese extremen, teilweise unvorstellbaren Anstrengungen auf sich genommen hat. Aber das bleibt sein Geheimnis. Ich weiß nur, dass Wilfried alles in seinem Seglerleben richtig gemacht hat. Und ich wünsche ihm zu seinem 80. Geburtstag, dass damit noch lange nicht Schluss ist.