Auf dem Segelschulschiff Gorch Fock werden gelegentlich Journalisten zu kurzen Präsentations-Törns eingeladen. Diese “Badegäste”, wie sie von der Besatzung spöttisch genannt werden, bekommen jedoch selten einen authentischen Einblick in den tatsächlichen Bordalltag. Sie fotografieren, stellen Fragen und stehen der arbeitenden Crew dabei meist im Weg. Anders bei Lukas Wiehler: Der Jungredakteur beim Hessischen Rundfunk hat als erster Journalist überhaupt an der kompletten Ausbildung auf dem Segelschulschiff teilgenommen. Zwei Wochen lang begleitete er die Kadettinnen und Kadetten auf ihrer Reise von den Azoren bis nach Schottland - nicht als Beobachter, sondern als aktives Crewmitglied. Mit der Kamera dokumentierte er dabei seinen Dienst und die täglichen Herausforderungen an Bord des Marineschiffs.
Der Film zeigt Wiehler in der gleichen blauen Kluft wie die anderen Kadetten, wenn er um 6:30 Uhr mit dem traditionellen Ruf „Rise, rise" aus dem Schlaf gerissen wird oder gemeinsam mit den anderen an den zahlreichen Tauen der Takelage zieht. Die Dokumentation fängt aber nicht nur die spektakulären Momente ein, sondern gibt auch Einblick in die vielen Routineaufgaben, die zum Dienst gehören: Das morgendliche Verschnüren und Verstauen der Hängematten vor dem Frühstück, Chorproben auf Deck im Schmuddelwetter oder den theoretischen Unterricht.
Der Höhepunkt des Törns war für Wiehler das Aufentern in den Großmast - ein Erlebnis, das für ihn unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen stattfand. „Dabei war das an sich gar nicht so dramatisch, man ist ja nur etwa eine Minute unterwegs", berichtet er. Nach Erreichen der Position im Mast sichern sich die Besatzungsmitglieder mit Karabinern im stehenden Gut. „Das funktioniert so wie in einem Kletterwald." Diese Sicherheitsmaßnahmen sind Teil eines überarbeiteten Konzepts, das nach dem tödlichen Unfall einer Kadettin im Jahr 2010 eingeführt wurde. Die junge Frau war damals aus der Takelage aufs Deck gestürzt. Wiehler absolvierte den Aufstieg in den Mast nur ein einziges Mal. „Ich hatte ja nicht die Vorausbildung an Land absolviert und wollte nicht ständig den Betriebsablauf stören", erklärt er. Oben angekommen half er dann beim Bergen eines Rahsegels.
Die Integration des Laien in die professionelle Segelcrew stellte eine besondere Herausforderung dar. „Ich war das schwächste Glied der Gruppe", gibt Wiehler zu. Bei Kommandos musste er regelmäßig nachfragen und konnte sich die Namen der zahlreichen verschiedenen Leinen des Riggs kaum merken. Erschwerend kam hinzu, dass sein Kameramann plötzlich ausfiel. „Er hatte unterschätzt, wie sich ein Segelschiff wie die Gorch Fock bei schlechtem Wetter verhält." Während Wiehler vorsorglich ein Pflaster gegen Seekrankheit hinterm Ohr trug, war sein Kollege unvorbereitet an Bord gekommen. Bei bis zu acht Windstärken und vier Meter hohen Wellen im Atlantik setzte die Seekrankheit den Kameramann außer Gefecht. Glücklicherweise sprang ein Bundeswehrsoldat mit Kameraerfahrung ein und übernahm die weitere Dokumentation.
Der 30-minütige Filmbeitrag gibt einen ungeschönten Einblick in das Leben an Bord. Er zeigt sowohl die anstrengenden Arbeiten wie das Zerren an den Leinen und das Aufentern als auch die alltäglichen Routinen wie Essenspausen und Gespräche zwischen den Crewmitgliedern. Windgeräusche bei der Arbeit im Mast und Wasserspritzer auf dem Kameraobjektiv verleihen der Reportage zusätzliche Authentizität. Trotz aller Strapazen scheint Wiehler die Erfahrung genossen zu haben, auch wenn er sich über die Kälte und das frühe Aufstehen beklagt. Besonders der teilweise Verlust der Individualität stellte für ihn eine Herausforderung dar. „Es ist schon eine Riesen-Einschränkung", sagt er. Dies gelte besonders im Rahmen der soldatischen Tätigkeit: „Mir ist die Bundeswehr als Institution furchtbar fremd, und das geht vielen in meinem Alter so."