Glosse Wolffs RevierWenn Stegnachbarn Böses im Schilde führen

Steffi von Wolff

 · 22.05.2025

Glosse Wolffs Revier: Wenn Stegnachbarn Böses im Schilde führenFoto: Nico Krauss
Ups, jetzt ist doch glatt der Ehemann über Bord gegangen – bloß wegen eines kleinen Schubsers!
Das Böse lauert überall. Auch am Steg. Also Augen und Ohren offenhalten! Steffi von Wolff über höchst verdächtige Liegeplatznachbarn.

“Es ist doch immer wieder schön in Flensburg“, sagt mein Mann und hält sein Gesicht in die Sonne. „Und war das nicht auch wieder eine schöne Überfahrt?“ Das kann ich nur bedingt bestätigen. Die „Alte“ lag mal wieder so schief, dass ich dachte, das ist es jetzt gewesen, wir werden sterben. Und mein Mann steht ohne Rettungsweste seelenruhig bei gefühlt acht Windstärken vorne und fummelt an irgendwelchen Leinen herum, die meines Erachtens sowieso überflüssig sind. Aber Hauptsache keine Weste, denn man ist ja der große Zampano, dem die tosende See nichts ausmacht. Und natürlich habe ich mich „mal wieder angestellt wie sonst was, allein schon deswegen geht mir die Pumpe. Willst du mich eigentlich umbringen, ist es das, was du willst?“



Das aber lasse ich nicht auf mir sitzen: „Und ich frage mich, ob du eigentlich willst, dass ich vor Angst kollabiere“, schieße ich zurück, weil mir das langsam wirklich auf den Keks geht, seine permanente Sicherheitsverweigerung. Es ist immer wieder dasselbe. Was mich aber kürzlich wirklich entsetzt hat, war die Tatsache, dass ich mir im Traum – wirklich nur im Traum – vorgestellt habe, wie er bei extremer Schräglage über Bord geht, mit beiden Armen winkt und „Jetzt geht mir gleich nie mehr die Pumpe!“ brüllt. Zum Glück bin ich dann aufgewacht und stellte erleichtert fest, dass er mit funktionierendem Atem neben mir lag. Ich machte mir Vorwürfe, weil ich so etwas träumte, und hatte ein schlechtes Gewissen, woraufhin ich beschloss, milder mit ihm umzugehen. Aber das funktioniert leider nur bedingt. „Manchmal würde ich dich echt gern um die Ecke bringen!“, sage ich nun stinkwütend. Er winkt nur ab.

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Gespräch auf dem Nachbarboot

Nach dieser unschönen Überfahrt – wenigstens war Sonne – haben wir also nun im Stadthafen von Flensburg angelegt. Neben uns macht ein Boot mit zwei Frauen in unserem Alter fest, die höflich grüßen und sich fürs Leinen-Annehmen freundlich bedanken. Mein Mann sieht zufrieden aus: kein Hund, keine schreienden Kinder. Perfekte Bootsnachbarn also seiner Meinung nach. Weil es immer wärmer wird, verzichten wir auf die Kuchenbude. Ich blättere in einer Illustrierten, mein Mann spleißt irgendwas und hantiert anschließend mit dem Bunsenbrenner. Der Nachmittag ist wirklich ruhig und schön. Die beiden freundlichen Frauen waren ein wenig walken, dann offenbar beim Bäcker und setzen sich nun mit Kaffee und Kuchen ins Cockpit. Während ich etwas über irgendeine Kronprinzessin lese, höre ich mit einem Ohr dem Gespräch auf dem Nachbarboot zu. Ich kann leider nie nicht zuhören.

„Es muss jetzt was passieren, so geht das nicht weiter“, sagt die Blonde der beiden und schaut die Brünette an. „Ich muss zu einer Lösung kommen.“ Die andere nickt. „Ich verstehe dich so gut. Wir müssen uns vorsichtig da rantasten. Du darfst dir da keinen Fehler erlauben, die Leute sind nicht blöd.“ Die Blonde nickt: „Ja, das weiß ich auch. Aber er muss weg. Ich hab schon über eine Scheidung nachgedacht, aber das geht aus verschiedenen Gründen nicht. Allein schon wegen der Lebensversicherung.“ Sie seufzt. Die andere rückt ein Stück näher zu ihr und redet so leise, dass ich richtig die Ohren spitzen muss: „Es darf auf gar keinen Fall nach Selbstmord aussehen. Die kriegen das in der Rechtsmedizin raus.“

Ein Mord wird geplant

Mein Mann, ebenfalls hellhörig geworden, hat aufgehört zu spleißen. Bewegungslos sitzen wir da und lauschen mit Riesenohren. „Man könnte ihn doch einfach …“

„Ah, aua!“, ruft da mein Mann, der sich die halbe Fingerkuppe mit dem Bunsenbrenner abgefackelt hat. Ausgerechnet jetzt! Ich helfe nicht, es ist mir egal. Viel wichtiger ist, dass ich weiter mitbekomme, was da auf dem Nachbarschiff vor sich geht! Und jetzt hab ich den weiteren Satzverlauf nicht mitbekommen. Nur wegen einer Fingerkuppe. Dabei kann er froh sein, dass er noch lebt, wenn man mich fragt.

„Au, au!“ Mein Mann hebt anklagend wie E. T. der Außerirdische seinen schlimmen Finger hoch, während die Frauen nebenan leise weiterreden. Wenn er jetzt noch „Nach Haus telefonieren“ ruft und ich Weiteres vom Nachbarboot nicht mitbekomme, stoße ich ihn unter Deck. Er sieht meinen Blick und schweigt leidend.

“Glaubst du?“, fragt nun die Blonde. „Wichtig ist, dass er keine blauen Flecken hat“, sagt ihr Gegenüber ernst. „Am praktischsten wäre es, wenn man ihn erschreckt oder so und er von selbst in die See fällt.“ – „Und dann? Die haben doch immer alle Schwimmwesten an. Was, wenn er aufgegriffen wird und seinen Rettern brühwarm erzählt, dass ich ihn einfach im Meer zurückgelassen habe?“ – „Also erstens gibt es immer noch so rechthaberische Deppen, die keine Weste tragen, das ist schon nachvollziehbar. Und außerdem kann man die Weste ja eventuell zu Hause vergessen haben oder sie ist plötzlich defekt, da fällt uns schon was ein.“

Mein Mann starrt mich an, dann pustet er seinen schlimmen Finger vermeintlich gesund. Nein, ich singe nicht „Heile, heile Gänschen, wird schon wieder gut.“ Nebenan werden weiter Mordpläne geschmiedet. „Meinst du?“, fragt die Blonde wieder. Die Brünette nickt. „Was glaubst du, wie viele Suizide wirklich auf Kreuzfahrtschiffen stattfinden? Und wie viele Morde es tatsächlich sind?“ – „Keine Ahnung. Aber wir sind ja auch auf gar keinem Kreuzfahrtschiff, sondern auf einem ganz normalen Segelboot.“

»Es gibt ja immer noch diese Deppen, die keine Weste tragen. Wichtig ist nur, dass es wie ein Unfall aussieht!«

„Es muss sichergestellt sein, dass bei einer Obduktion nichts Auffälliges gefunden wird. Glaub mir, da …“ Ein Schiff motort vorbei, ich könnte den Eigner erwürgen. Mein Mann trommelt mit den gesunden Fingern nervös auf den Cockpittisch. „… wie man ja auch bei Instagram sehen kann. Guck dir mal die Videos von diesem Dr. Tsokos an, dem Leiter der Charité in Berlin, da bleibt nichts unbemerkt.“

„Okay.“ Die Blonde nickt. „Mir fällt gerade noch was anderes ein. Das könnte prima funktionieren: Ich steuere falsch, der Baum knallt rum, ihm ins Gesicht, und dann helfe ich ein bisschen nach, falls er nicht gleich über Bord geht.“ – „Das ist gut, das kann klappen. Super Idee, Mo. Dann aber zügig weiterfahren. Du darfst dann nicht vergessen, die Segel runterzunehmen und den Motor anzumachen. Du musst ja versuchen, ihm zu helfen, verstehst du?“ Sie lachen.

Jetzt kann nur die Polizei helfen

Mein Mann ist nun weiß im Gesicht. Und ich mit Sicherheit auch. Da wird ein Mord geplant und wir sind mittendrin. Ich bin fassungslos und wackle mit dem Kopf Richtung Niedergang. Wir müssen besprechen, wie wir mit der Situation umgehen. Er starrt mich nur an. „Runter“, sage ich lautlos. „Hä? Ich geh doch jetzt nicht unter Deck!“ Natürlich haben das die beiden Frauen gehört. Wenn sie jetzt leiser sprechen, werde ich nichts mehr mitkriegen. Ich könnte ihn schlagen. „Jetzt hab ich schon mal ein paar Optionen“, sagt die Blonde, die Mo heißt, zufrieden. „Es ist doch immer gut, wenn jemand mit einem überlegt.“ Ja, das ist gut. Es ist noch besser, wenn so was gar nicht passiert.

Ich gehe unter Deck, nehme mein Handy und wähle die 110. „Was?“, fragt mich der kurz darauf eintreffende Beamte. „Ein Mord wird geplant? Von diesen Damen?“ Er deutet gemeinsam mit seinem Kollegen aufs Nachbarboot, auf dem die beiden Frauen sitzen und neugierig schauen, was bei uns plötzlich los ist. „Ich grüße Sie, Frau Rosenbrook.“ Der andere Polizist ist ganz ehrfürchtig. Er kennt sie? Er kennt eine Mörderin! „Ja wissen Sie denn nicht, dass das Molly Rosenbrook ist?“, fragt er uns ungläubig. „Die wohl bekannteste Krimiautorin Deutschlands, die Molly Rosenbrook, die zu Ehren aller beschlossen hat, hier in unserer schönen Stadt zu leben und zu segeln und ihre Bestseller zu schreiben!“

Ach. Das ist ja ein Ding. „Nein, ich kenne sie nicht“, mir ist das fast unangenehm. Hallo“, sagt Molly. „Berit und ich überlegen uns gerade neue Mordvarianten. Berit ist bei der Kripo und hilft mir immer mal. Sie kennt auch viele Rechtsmediziner.“ – „Ach. Hallo.“

„Na ja, nix für ungut.“ Die Polizisten verabschieden sich. Ich lächle den Frauen fast enttäuscht zu. „Wir wollten Sie nicht erschrecken“, lacht Berit dann. „Kommen Sie doch rüber auf einen Kaffee.“

Mein Mann steht auf und öffnet die Backskiste. Dann hält er seine Rettungsweste in der Hand und sieht mich beinahe misstrauisch an. „Die lass ich besser mal warten. Man hört ja so viel. Und weiß nie, was passieren kann.“ Ja, da hat er recht.

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