Glosse Wolffs RevierWenn die allerletzte Fahrt über die stürmische Nordsee geht

Steffi von Wolff

 · 14.08.2025

Glosse Wolffs Revier: Wenn die allerletzte Fahrt über die stürmische Nordsee gehtFoto: Weisse Flotte GmbH
Urnenbeisetzung auf See. Eine friedliche Angelegenheit – solange die trauernde Besatzung sich nicht in die Haare bekommt.
​Eine Seebestattung kann für Landratten zur Herausforderung werden. Steffi von Wolff über eine stürmische Fahrt zur letzten Ruhestätte auf der Nordsee.

Da ich schwülstigen Traueranzeigen vorgreifen möchte, hier mein eigener Text:

Ich gehe weder hinüber in eine bessere Welt noch habe ich in meinem Leben stets hingebungsvoll und gern für meine Lieben gesorgt. Die sind mir alle ziemlich auf den Sack gegangen. Mit 92 darf man wohl abtreten; spart euch eure Heucheleien von wegen: Ach, er wird uns fehlen und bleibt immer in unseren Herzen – und dabei schaut ihr euch traurig an, aber ich weiß, dass ihr nur auf die Testamentseröffnung lauert, um euch dann die Augen auszukratzen. Gott sei Dank muss ich das nicht miterleben. Also Leute, ich bin fort. Ich komm auch nicht wieder. Versprochen!

Helmfried Graf von Lüders-Annencron

geb. 7.3.1933 natürlich in Hamburch | gest. 5.11.2024 natürlich ebenda gibt sein (von Erbschleichern lang herbeigesehntes) Ableben bekannt.

Mein Körper wird der Forschung zur Verfügung gestellt (keine Ahnung, ob man mit Leber und Lunge noch was anfangen kann), der Rest wird verbrannt, in einer Urne verwahrt und dann ab dafür. Das Datum der Bestattung steht noch nicht fest, aber der Bestatter ist informiert und wird es rechtzeitig bekannt geben. Ich möchte vor Helgoland seebestattet werden. Ach so: Wer glaubt, nicht teilnehmen zu müssen, der soll wissen: Dann gibts auch nix zu erben. Der Notar Dr. Ansgar Wilhelmi ist involviert. Also dann! Auf geht’s!

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PS: Bei der Bestattung wäre ich allerdings gern anwesend. Vielleicht guck ich ja „von oben runter“. (Ironie)


Helmfried ist gestorben.“ Ich halte meinem Mann das Handy mit der Traueranzeige hin und er liest und grinst. „Ha! So, wie wir es von dem alten Zausel gewohnt waren. Immer ein bisschen zynisch, giftig und verdammt ehrlich. Er wird mir fehlen.“ Wir mochten Helmfried. Er lag mit seiner Luffe an einem anderen Steg, aber man hat sich beim Grillen getroffen und geschnackt. Helmfried, der gewitzte Pfeffersack. Kaufmann durch und durch, verwitwet, drei Kinder, die wir noch nie zu Gesicht bekommen haben. Er hat gern einen über den Durst getrunken und Kette geraucht.


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Mein Handy klingelt und Birte ist dran. „Wann ist denn die Beerdigung?“, will sie wissen. „Da gehen wir doch hin.“ Eine Woche später kommt per Mail die Nachricht von dem Bestatter, dass die Seebestattung vor Helgoland wiederum eine Woche später stattfinden wird. Nur ein ausgewählter Kreis darf mit auf das Schiff, und wir gehören dazu. Birte und Hanno auch. „Das war ein großer Wunsch des Toten“, erklärt uns der Bestatter noch. „Er mochte Sie sehr. Er sagte, dass Sie alle sehr bodenständige, nette Menschen seien.“ Er sei einfach eingeschlafen, so wie er es sich gewünscht hatte. „Irgendwie merkwürdig, so ein Trara um alles zu machen, aber das passt zu Helmfried“, konstatiert mein Mann. „Trotzdem jagt man doch bei diesem Wetter keinen Hund vor die Tür.“ Da hat er recht. Seit Tagen tobt ein Sturm an der Nordsee. Hoffentlich darf das Schiff überhaupt auslaufen. Es soll noch schlimmer werden.

Nette Leute

„Das ist das Allerletzte von Vati. Wie konnte er uns das nur antun?“, ist das Erste, was ich von einer älteren Dame höre, und zwei Herren nicken böse im Takt. „Sind das die Kinder?“, flüstert Birte. „Ich denke schon. Hallo“, ich reiche der Frau die Hand. „Wir sind …“ „Es ist mir egal, wer Sie sind“, lautet die schnippische Antwort, und meine Hand wird ignoriert. Nette Leute. „Will der bei diesem Wetter wirklich rausfahren?“, ist das Einzige, was Hanno und meinen Mann interessiert. Wir tragen Gummistiefel und Ölzeug, die übrigen Teilnehmer schwarze Anzüge und Kostüme.

Das Wetter ist unbeschreiblich. Es stürmt und regnet, die Wellen klatschen gegen das Boot. „Gestatten, Wilhelmi.“ Ein hochgewachsener Mann mit grauem Haar reicht mir die Hand. „Ein denkwürdiger Tag. Er wird noch denkwürdiger.“ „Aha.“ „Gut, dass Sie sich so praktisch angezogen haben. Die Kinder des Verschiedenen und deren Kinder und deren Kinder und … also sie mussten sich ja so kleiden, wie sie gekleidet sind.“ „Aha.“

Birte kommt. „Ganz ehrlich, ich hab richtig Schiss. Das sind neun Windstärken, in Böen zehn, was machen wir denn, wenn wir kentern? Ob man diese Beisetzung nicht verschieben kann?“ „Keine Ahnung.“ Mir ist auch nicht wohl bei der ganzen Sache.

Die Verwandtschaft muss sommerlich gekleidet draußen stehen

Schließlich geht es an Bord, und tatsächlich legen wir ab. Keine Ahnung, wie viel Geld dem Skipper oder Bestatter gezahlt wurde, dass er bei diesen Bedingungen rausfährt. Die Nordsee empfängt uns mit weit geöffnetem Maul und scheint bereit dazu, uns zu verschlingen. Das Boot hüpft wie ein Gummiball auf den Wellen herum, legt sich zur Seite, dann macht es einen Satz nach vorn. Zum Glück gibts in dem Salon Haltegriffe.

Entsetzt beobachte ich, dass die Verwandtschaft von Helmfried ungeschützt im stürmischen Regen steht und ich sehe auch, dass sie sich alle an der Reling festhalten und im Strahl Würfel husten. Ach du meine Güte. Selbst der mitgebrachte Labrador reihert. Da kommt der Pfarrer, während das Schiff durch die Wellen büffelt wie ein Wal auf Ecstasy. Er stellt sich mit Sommerland vor.

„Wollen wir nicht mal in den Salon …“, fängt mein Mann an, aber Doktor Wilhelmi winkt ab. „Nein, nein, so steht es im Testament. Die Verwandtschaft muss sommerlich gekleidet draußen stehen. Kein Schirm. Keine Pelerine.“ „Die kotzen sich da gerade die Seele aus dem Leib“, sagt Hanno. „Das ist ja unmenschlich.“ „Wie gesagt, das Testament. Sonst geht man leer aus.“ „Aber warum?“, will ich wissen. „Och, hören Sie doch einfach der Verwandtschaft zu.“

Der Hund schielt mittlerweile

„Ich hab überhaupt nichts in den Ruin gewirtschaftet, Katrin!“, schreit Casimir seine Schwester an. „Du hast das ganze Geld verbraten mit diesem gestörten Schornsteinfeger.“ Der andere Bruder mischt sich ein. „Du hast alles verprasst.“ „Halt doch deinen dummen Rand, John!“, schreit Katrin. „Du mit deinem Flittchen etwa nicht. Die große Liebe, dass ich nicht lache! Deine ganze Kohle hat dieses durchtriebene Stück mitgenommen.“ Kurz herrscht Gesprächsruhe, weil wieder gekübelt wird. Casimir rutscht aus und landet neben dem Hund, der mittlerweile schielt.

»Er nimmt die Urne und hebt sie hoch. Dann neigt sich das Schiff bedenklich zur Seite, die Urne klatscht ins Wasser und alle schreien.«

Pfarrer Sommerland hebt beide Hände. „So verabschieden wir hier in Liebe unseren Vater, Freund und Weggefährten, unseren Onkel, unseren Freund, unseren Chef, unseren …“ „Ist ja gut!“, brüllt Casimir leidend. „In Liebe, ja, in Liebe, ich glaub, ich brenne.“ Er steht auf und versucht, seinen nassen Anzug abzuklopfen. „Er hat uns nicht geliebt! Dauernd hat er verlangt, dass wir was tun sollen für unser Erbe.“ „… unseren Skatbruder, unseren Aufsichtsratsvorsitzenden, unseren …“ redet Sommerland weiter.

„Jetzt reicht es aber!“, mischt sich Wilhelmi da ein. „Ihr habt alle eure Chance gehabt und ihr habt alles verprasst. Irgendwann war der Geldbrunnen mal zu.“ „Uns das hier anzutun. Vati weiß genau, dass wir alle seekrank werden.“ „Wären die mal mit Segeln gegangen, wäre das schnell vorbei gewesen“, stellt mein Mann fest. „Dann hätten die jetzt Seebeine.“

Das muss alles geregelt sein

„Euer Vater hat das Richtige getan, und deswegen darf ich euch hier und jetzt darüber in Kenntnis setzen, dass das gesamte Vermögen in diverse Stiftungen geht und alles, was an Immobilien etcetera pp. vorhanden ist, wird veräußert beziehungsweise Stiftungen zur Verfügung gestellt. So nehmen wir denn jetzt Abschied.“ Er nimmt die Urne und hebt sie hoch. „Auf Wiedersehen!“ Stille. Selbst der Pfarrer schweigt. Und dann neigt sich das Schiff bedenklich zur Seite, die Urne mit Helmfried drin klatscht ins Wasser, und alle schreien.

Eine Woche später steht in der Zeitung eine Danksagung von Helmfried. In seinem speziellen Charme dankt er allen Dagewesenen und vor allen Dingen seiner Familie. Auch ein Foto ist zu sehen – keine Ahnung, wer das geschossen hat. Seine Kinder, die an der Bordwand stehen und kübeln.

„Weißt du, worüber ich sehr froh bin?“, fragt mein Mann erleichtert. „Dass wir so gut wie nichts zu vererben haben. So ist es doch viel einfacher. Ich werde mich aber mal mit den Einzelheiten einer Vorsorge auseinandersetzen. Das muss alles geregelt sein.“

Oh. Falls er früher gehen muss als ich, will er alles regeln. Ich bin gerührt.

„Nicht auszudenken, dass du die ‚Alte‘ dann an irgendjemanden verkaufst, der unsympathisch ist. Wenn ich daran denke, geht mir schon wieder die Pumpe.“


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Der Text stammt aus dem neuen Buch von YACHT-Autorin Steffi von Wolff. Amüsantes aus dem Hafenkino und von unterwegs in einer Edition. Delius Klasing, 22 Euro

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