”Jetzt drehen alle durch.“ Mein Mann kommt auf die „Alte“ und lässt sich auf ein Polster fallen. „Du kannst es dir nicht vorstellen.“ – „Was denn?“ Ich gucke von meinem Kreuzworträtselheft hoch und bin bereit, kurz zu unterbrechen. „Claudi faselt von einer Siebträgerkaffeemaschine. Jeder habe jetzt eine zu Hause, sagt sie.“ Eine Siebträgermaschine … Nie mehr bitterer Kaffee … Ach, ach! Ich sage nichts. Das braucht kein Mensch.
Nein, im Ernst: Das ist ja gerade das Schöne am Boot, dass alles ein wenig reduzierter ist, von den sieben Werkzeugkoffern und den beiden Schleifgeräten mal abgesehen. Woher kommt bloß diese Gier der Menschen? Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme. Wie gut, dass wir nicht so sind. Also ehrlich gesagt: Ich bin nicht so. Mein Mann hat noch nie einen Baumarkt verlassen, ohne etwas für die „Alte“ im Körbchen zu haben. Und wenn es nur Bläschenfolie ist. Selbst in einem Spielzeugladen findet er was fürs Schiff, so wie letztens die Poolnudeln. „Poolnudeln kann man zerschneiden, dann sind die perfekt zum Auspolstern der Backskiste, damit es da keine Kratzer gibt.“ Man kann ja damit leben, auch wenn das Geräusch der schubbernden Poolnudeln einen fast in den Wahnsinn treibt. Aber muss denn nun noch damit angefangen werden, dass alles wie zu Hause sein muss? Ich sollte mal mit Claudi reden.
„Ich kann das verstehen“, erklärt sie. „Wir sind nun mal jetzt alle in einem Alter, in dem man keine Kompromisse mehr eingehen mag. Früher hat man einen ausrangierten Komposteimer als Klo gehabt und hat sich in verpilzten Hafenduschen mit klebrigen Vorhängen gewaschen. Aber jetzt will man es doch schön haben. Wir verbieten uns gar nichts mehr. Und das solltet ihr auch nicht. Denkt mal an euer Alter!“
Noch wehre ich mich, denn ich will nicht alles nachmachen. Deswegen sage ich: „Wir brauchen keine Siebträgermaschine. Punkt.“ Ich schaue meinen Mann auffordernd an. Jetzt muss er mich doch loben. Mich, die sich mal zum Geburtstag eine Salatschleuder fürs Boot gewünscht und nicht bekommen hat. Das Gewicht, das Gewicht. Richtig stolz bin ich auf mich.
„Mag ja sein“, sagt mein Mann nun. „Aber praktisch wäre es schon. Ich bin ehrlich: Der von Hand gebrühte Kaffee schmeckt nach der zweiten Tasse bitter.“ Ach echt? „Letztendlich will man doch an Bord denselben Luxus haben wie zu Hause“, sabbelt mein Mann weiter. „Man wird ja nicht jünger. Und zu Hause brühen wir den Kaffee auch nicht mehr mit einem Filter auf. Wir haben einen Vollautomaten.“
„Wenn demnächst ein Vollautomat auf diesem Schiff wohnen sollte, bestehe ich auf einem Apfelzerteiler“, sage ich. Zu Hause hab ich einen. „Und endlich Porzellan, nicht mehr diese komischen Methadonteller.“ – „Du meinst Melamin.“ – „Von mir aus. Lass uns mal in die Stadt fahren.“
Keine Ahnung, was in uns gefahren ist, aber wir steigern uns richtiggehend rein. Denn wir werden ja nicht jünger. „Wenn wir schon so alt sind“, sagt mein Mann, während wir einen Parkplatz suchen, „will man wenigstens Spaß dabei haben. Sonst kann man es auch gleich sein lassen. Wer weiß, wie lange das noch gut geht!“ Vor meinem entsetzten inneren Auge sehe ich uns schon mit Rollatoren über den Steg eiern. „Bei uns?“ – „Nein, ich rede von der ‚Alten‘. Die wird ja auch nicht jünger.“ – „Ach so.“
„Schau mal, die Soundbar. Wie im Wohnzimmer.“ – „Ach guck, ein ausziehbarer Tisch. Wie bei uns in der Küche.“ – „Oh, ein Gefrierschrank, wie bei uns zu Hause …“ „Wie bei uns zu Hause“ wird zum geflügelten Wort. Wir kaufen sogar eine Bananenaufbewahrungsschale in Form einer Banane, weil wir die auch zu Hause haben.
„Ihr spinnt ja“, sagt Hanno und runzelt die Stirn. „Sag mal, geht es dir gut, ist alles okay?“, fragt er dann meinen Mann, der gerade eine Liste erstellt. „Alles bestens“, sagt er. „Man will doch an Bord denselben Luxus haben wie zu Hause. Man wird ja nicht jünger mit den Jahren.“ – „Aha“, sagt Hanno. „Kommt dann hier noch eine Sofalandschaft an Bord? Und eine Badewanne?“
Kurz zuckt mein Mann zusammen, und ich tue es auch. Das wäre schon was! Wir könnten nebeneinandersitzen und beide die Beine ausstrecken. Oder man stelle sich vor: in einem duftenden Schaumbad zu liegen und durchs Fenster aufs Meer zu schauen. Wundervoll.
Melina und Frank kommen vorbei, um mal „nach euch zu gucken, die anderen erzählen so komische Sachen“. Ich bin euphorisiert. „Ja, man hat keine Zeit mehr zu verlieren“, erkläre ich den beiden. „Ruckzuck sind wir achtzig oder neunzig, und dann?“
„Dann sitzt ihr in einer Seniorenresidenz, die ihr komplett alleine ausgestattet habt, weil alles doppelt vorhanden ist“, sagt Melina. „Außerdem dauert das doch noch.“ – „Das geht schneller, als man denkt“, bin ich sicher. „Das geht jetzt ruckzuck. Wir sind ja jetzt schon nicht mehr jung.“ – „Du übertreibst.“
„Nein. Ich weiß auch schon, was als Nächstes angeschafft wird“, erkläre ich ihr.“ – „Nämlich?“ – „Ein Dörrautomat. Haben wir zu Hause. Man kann damit dörren.“ – „Tatsächlich?“ – „Ja, das ist gesund. Und wir werden ja nicht jünger. Du hast doch auch einen Thermomix an Bord und hast zu Hause auch einen.“
Jetzt hab ich sie. „Das ist doch ganz was anderes“, sagt Melina voller Ehrfurcht. „Ein Thermi ist eine Lebenseinstellung. Man lebt mit dem Thermi.“ Während ich automatisch nicke, fällt mir ein, dass wir zu Hause eine Waschmaschine haben. Und einen Carport. Und einen Rasenmäher.
Mein Mann kommt an diesem Tag mit einem Baum-Entaster an Bord. „Wir werden ja nicht jünger. Ruckzuck braucht man einen.“ – „Das Alter hat euch doch sonst nicht zu schaffen gemacht“, stellt Michi verwundert fest. „Das sagst du so“, erklärt mein Mann, „aber ehe man es sich versieht, ist man achtzig, dann neunzig, dann … Tja. Wer weiß das schon.“
Wir bestellen Teppichboden für den Salon und liebäugeln mit einer italienischen Aufschnittmaschine, die so groß ist wie ein Drittklässler. Dieses Ding haben wir zwar nicht zu Hause, aber egal.
Wie konnten wir unser Alter nur dermaßen außer Acht lassen? Ich bin richtig wütend auf mich. Das alles hätten wir schon viel früher haben können. Wir dürfen nicht mehr warten und bestellen einen Trockner. Unsere Wäscheklammern will ich an einen jungen Mann auf einem 20-Fuß-Boot verschenken, aber er sagt, er habe keine Reling, außerdem brauche man so was nicht. Das verstehe ich nun nicht. Man braucht doch Wäscheklammern.
Und dann, eines Abends, sitzen wir auf unserer „Alten“, Michi ist auch da. Und Heiner und Sunny. Und Claudi. Alle gucken uns an. „Wir machen uns Sorgen“, sagt Claudi dann, „ihr seid irgendwie anders geworden.“ – „Weil wir keine Zeit mehr verlieren dürfen“, sagt mein Mann mit einer Vehemenz an Enthusiasmus. „Ruckzuck sind wir siebzig, es dauert nicht mehr lang.“ – „Ihr werdet sechzig. Ihr seid eurer Zeitrechnung zehn Jahre voraus.“ Fast bin ich erleichtert. Uns wurden gerade zehn Jahre geschenkt.
Neben uns macht ein Schiff fest, und die Leute grüßen höflich, später sitzen sie beim Essen. Die Frau kommt mit einer merkwürdigen Schüssel aus Porzellan nach oben. Die Schüssel hat Löcher.
„Darf ich mal fragen, was das ist?“ – „Sicher.“ Sie lächelt. „Eine Spargelliege. Da tropft der Spargel ab. Ich möchte auf nichts mehr verzichten, es soll genauso komfortabel wie zu Hause sein. Denn man wird ja nicht jünger mit den Jahren. Immerhin werden mein Mann und ich demnächst dreißig.“
Was für Spießer! Bestimmt haben sie auch einen Zestenreißer und einen Fleischwolf an Bord. Und einen Eierschalensollbruchstellenverursacher. Zum Glück sind wir nicht so.