“Was machst du denn da?“, frage ich Birte. Seit einer halben Stunde läuft sie konzentriert auf ihrem Boot herum und macht Fotos, dann schreibt sie etwas in ein Notizbuch, dabei seufzt sie. Birte schaut über den Steg zu mir. „Na, ich dokumentiere“, sagt sie so, als würde das alles erklären. Ich stehe auf. „Was denn?“ „Du kennst doch Hanno?“ Was ist das denn für eine Frage? „Ja, er ist dein Mann.“ „Siehst du, da hast du die Antwort“, meint sie zufrieden. Ich verstehe gar nichts.
„Dein Mann ist doch genauso“, zischt sie giftig. „Die beiden könnten von ihren Anlagen her gesehen ein und derselbe Mensch sein.“ Aha. „Warum?“ „Weil sie glauben, sie könnten uns verhohnepipeln.“ Sie nickt bekräftigend. „Und sie denken, wir merken es nicht. Merkst du es denn nicht? Sag doch mal, merkst du es nicht?“ „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Birte sieht sich wieder um, aber mein Mann ist mit Hanno im Baumarkt, es ist nicht auszuschließen, dass sie erst abends zurückkommen werden. Vielleicht übernachten sie dort auch in der Schiffsabteilung. „Die beiden sind nicht normal. Hast du das mit den Krallengreifern mitgekriegt?“ Ich schüttele den Kopf. „Siehst du. Jeder hat zehn Stück gekauft, und weißt du, warum?“ Wieder schüttele ich den Kopf.
„Weil sie beleuchtet sind.“ „Ach. Die hat er mir gar nicht gezeigt.“ „Darum geht es ja! Sie zeigen es uns nicht. Nichts zeigen und sagen sie uns. Damit ist jetzt Schluss. Gleiches Recht für alle. Bei meiner Mutter war das noch so, dass die einen Pelzmantel bekommen hat, wenn ein neues Großsegel angeschafft worden ist. Soll ich dir mal meine Liste zeigen?“ „Klar. Komm an Bord! Ich hab auch Kaffee.“ „Ein Rum wäre angebrachter, immerhin bin ich einem Betrug auf der Spur.“
„Angeblich ist eine Winschkurbel kaputt“, erzählt Birte. „Das sei ein Sicherheitsaspekt.“ „Na ja, ist es ja auch …“ „Ja, von mir aus. Das ist vielleicht das falsche Beispiel. Aber niemand braucht heutzutage einen Stechzirkel. Und dauernd neue Fendersocken, natürlich mit dem Bootsnamen bestickt! Und wer macht das?“ „Hanno!“ Mein Mann würde so was glücklicherweise nie tun. „Ja. Und dein Mann! Sie haben bestickte Fendersocken bestellt. Für die armen, armen Fenderchen. Damit sie nicht frieren, die Süßen. Das kostet auch. Das läppert sich. Und nie werden wir gefragt, ob das in Ordnung ist, alles müssen wir hinnehmen. Wir ackern und schuften doch auch auf diesen Schiffen, wir schleppen an den Wochenenden Weinflaschen und Wasserflaschen und wir machen uns den Rücken kaputt …“
„Also bitte, du redest wie eine Trümmerfrau nach dem Zweiten Weltkrieg.“ „So fühle ich mich auch. Die sind clever, die zwei. Ich hab sie schon belauscht. Die wispern vor sich hin, schauen sich um, ob wir da sind und sie hören.“ Sie steht auf und ballt die Hand zur Faust. „Aber nicht mit mir! Damit ist jetzt Schluss. Und ich krieg noch nicht mal eine neue Küche.“
Ich denke kurz nach. „Wurde nicht letztes Jahr eine gekauft?“ „Stimmt. Tatsache aber ist, sie wollen alles, wir kriegen nichts. So geht es ja nicht. Es ist ja nicht mehr so wie in den Fünfziger-Jahren, dass die Frau zu Hause ist und nix zu melden und keine eigenen Ansprüche zu haben hat, nein, wir arbeiten und leisten unseren Beitrag, und dann so was.“
„Und was hast du nun vor?“, will ich wissen, und mir fällt ein, dass ich genau das, diese ständigen Lustkäufe und noch teurere Anschaffungen, vor längerer Zeit mal bemängelt hatte. Natürlich wurde ich ignoriert. Ist ja alles für die „Alte“. „Ganz einfach. Ich google die Preise und für den Gegenwert will ich was für mich. Du solltest das genauso machen. Kein Mensch braucht beleuchtete Krallengreifer. Mach du das doch auch.“
Nach der Rückkehr meines Mannes am Abend inspiziere ich die heute getätigten Käufe. „Wir hatten doch gesagt, dass nicht mehr so viel für die ‚Alte‘ gekauft wird“, wage ich zu sagen und werde mit einem waidwunden Blick bedacht.„Nicht wir, du hast das gesagt. Das ist etwas ganz anderes.“
Das mag sein, aber eine Tatsache ist, dass ständig immer mehr für das Boot angeschafft wird. Und wenn ich etwas kaufen will, so wie letztens eine neue Handtasche, dann wird gesagt: „Du kannst doch immer nur eine Tasche benutzen, warum brauchst du denn so viele?“ Aber die „Alte“, die braucht das.
Ich muss an die Sache mit den Ohrringen denken. In Hamburg gehen wir seit Wochen fast täglich an diesem Schaufenster vorbei, und jedes Mal bleibe ich stehen und sage: „Oh, sind das schöne Ohrringe, ach, sind die schön.“ Sind sie wirklich, antik mit roten Steinen. „Es sind einfach nur Ohrringe“, lautet stets die Antwort.
„Du verheimlichst mir Käufe“, sage ich nun giftig. „Hä?“ „Die Krallengreifer, die beleuchteten, wieso braucht man davon zehn Stück?“ „Also erstens wollte Michi auch zwei und ansonsten hast du vielleicht noch nichts von Nachhaltigkeit gehört. Außerdem sind Krallengreifer ein Sicherheitsaspekt. Mir geht schon wieder die Pumpe.“
„Also, was ist das alles?“ Ich deute auf die Einkäufe. Auf einmal sticht mich ein Gleichberechtigungsstachel. Da wollen wir doch mal sehen, wie man das alles gegenrechnet. Ich halte ein kleines Teil hoch, das aussieht wie ein Folterwerkzeug für Kolibris. „Was ist das?“ Er seufzt. „Das sind Zackenösen.“ „Und die sind wichtig, ja?“ „Die schlägt man in Persenningstoff.“ „Und den braucht man?“ „Ja herrje, natürlich braucht man eine Persenning.“
„Aber das hier nicht, das ist nur, weil du kaufsüchtig bist, stimmt’s?“ Ich sehe ihn an. „Das ist eine noch verpackte Rettungsweste“, erklärt mir mein Mann. „Das ist natürlich kein Sicherheitsaspekt. Die brauchen wir selbstredend nicht. Wir brauchen auch kein Ruderblatt und auch keine Leinen, das ist alles nur, weil ich kaufsüchtig bin.“
„Dauernd wird was fürs Boot angeschafft und ich kriege gar nichts“, sage ich. „Es ist doch auch dein Boot.“ „Trotzdem. Du könntest mir auch mal wieder was schenken und nicht nur immer deiner ‚Alten‘. Du weißt genau, was ich mir schon lange wünsche.“
„Hat Birte dich aufgehetzt?“, will er wissen. Ich werde rot. „Wie kommst du denn darauf?“ „Also ja. Unmöglich ist das. Hanno hat schon erzählt, dass sie neuerdings anfängt, gegenzurechnen. Wahrscheinlich möchte sie demnächst einen Porsche.“ „Ach! So viel ist da zusammengekommen?“
„Wo wir gerade dabei sind und damit du dich nicht zweimal aufregen musst: Wir brauchen einen neuen Gennaker.“ „Warum?“ „Weil der alte marode wird, teils schon geflickt ist, und weil es längst bessere Profile gibt.“ Ach, er denkt, er kriegt mich damit. Oh nein. „Was kostet der denn?“ „Keine Ahnung.“ Natürlich nicht.
„Nie kriege ich mal was für mich!“ Er schaut mich an. „Also gut. Was möchtest du denn gern haben, womit kann ich dir denn eine Freude machen?“ Geht doch. Aber so einfach wird es ihm nicht gemacht. „Du weißt genau, was ich mir schon so lange wünsche.“ „Weiß ich nicht. Also? Nun sag schon.“ „Nein, da musst du selber draufkommen.“ „Du bist wirklich kompliziert.“
Er beginnt, in einem Katalog zu blättern und macht hier und dort Kreuzchen. Ich google Gennaker-Preise und bekomme Schnappatmung. Die kosten ab 3000 Euro. Ich glaub, ich brenne. „Das ist ein Sicherheitsaspekt“, sagt mein Mann. „Und ohne Segel kann man nicht segeln, das ist halt so.“
„Aber das, was ich mir am meisten wünsche, kriege ich nicht.“ „Weil du es mir nicht sagst“, regt er sich auf. „Dann denk doch mal nach!“ „Gib mir doch wenigstens mal einen Tipp.“ „Es ist etwas, worüber sich jede Frau freut“, umschreibe ich die Ohrringe. „Aha.“ Er grübelt vor sich hin und liest nun seine Mails. Dann sieht er auf und strahlt mich an. „Ich hab’s!“
Na endlich! „Da freue ich mich aber.“ Das tue ich wirklich. „Hier“, er hält mir ein Angebot seines liebsten Segelmachers hin. „Ich hab den passenden Gennaker gefunden.“ Das darf nicht wahr sein. Mein Mann freut sich. „Klasse. Der passt genau.“ Mir passt das gar nicht. „Also was wünschst du dir denn so sehr?“, fragt er. „Wenn du mich wirklich liebst, kommst du von selbst drauf.“ Er seufzt und bestellt den Gennaker. Von Birtes und Hannos Boot fliegen Gesprächsfetzen zu uns rüber. „Wenn du es mir nicht sagst, kann ich auch nichts machen“, hören wir, und mein Mann schaut mich nickend an: „Siehst du.“
Am nächsten Wochenende ist mein Mann in der Stadt. Er kommt mit einem Riesenpaket an, das er in einer Hafenkarre mit sich schleppt. Es ist in rosa Papier verpackt. „So“, sagt er freudestrahlend. „Nun komm her und pack aus.“ Ich gehe über die Badeplattform auf den Steg. „Das, was sich alle Frauen wünschen“, jubiliert er. Ich reiße das Papier ab. Bitte, nein, lass es nicht sein, was ich denke. Lass es nicht das sein, was ich auf keinen Fall, unter gar keinen Umständen, niemals haben möchte. Lass es keinen …
„Ein Thermomix!“ Die Stimme meines Mannes kippt. „Das neueste Modell.“ Oh nein. Nein.
„Ähem“, mache ich. „Freust du dich?“ Er ist so glücklich. „Und wie.“ Ich schaue das Monstrum an. Ein Albtraum. „Das ist toll“, sagt er. „Dann hab ich ja alles richtig gemacht. Erst wollte ich dir nämlich diese antiken Ohrringe kaufen.“ Eigentor, würde ich sagen.