Es fängt wie so oft im Leben harmlos an: Ein verliebtes Pärchen schlendert Eis essend über den Steg. Nach einer Weile kommt der Mann auf die Idee, ein paar Fotos von seiner Liebsten vor einem der Boote zu machen. Genauer: vor Hannos Boot. Sie stimmt bereitwillig zu und lässt sich von ihm vor den Bugkorb dirigieren. Dann geschieht das Unglück. Bevor das Handy überhaupt gezückt ist, fällt ihr die Eiswaffel aus der Hand – und landet mit einem „Platsch!“ auf dem Teakdeck. Die Frau ist sichtlich verärgert. Nicht weil sie Hannos Holz versaut hat, sondern weil ihr das leckere Eis runtergefallen ist.
Ich sitze auf unserem Boot und sehe, wie Hanno, der die Szene aus seinem Cockpit beobachtet hat, aufsteht und nach vorne geht. Mein Mann, der neben mir sitzt, tut dasselbe. Das bedeutet: Krieg!
„Du liebe Zeit!“, jammert unterdessen die Frau. „Ich hab mich so auf mein Eis gefreut!“ Ihr Geliebter eilt herbei und will den Gentleman geben. Er reicht ihr seine Eiswaffel. „Hier, nimm von mir.“ Wie liebreizend – würde ihm beim Anreichen nicht wie zuvor der Dame ebenfalls die Waffel aus der Hand rutschen. „Platsch!“, macht es erneut. Neben in der Sonne bereits schmelzendem Schoko- und Krokanteis breiten sich nun auch die Geschmacksrichtungen Lakritz und Mango unansehnlich auf Hannos Teak aus. Die beiden Spaziergänger sind untröstlich. Der Mann nimmt seine Frau beruhigend in den Arm.
Doch da erreicht Hanno das Vorschiff. „Da ist Eis auf meinem Deck!“, sagt er in einer Stimmlage, die jeden Fremdenlegionär in den Staub sinken lassen würde.
Mein Mann steht, noch auf unserem Schiff, ebenfalls vorne und beobachtet, ist aber bereit, im Ernstfall einzuschreiten und Hanno zur Seite zu stehen. Die Frau verschmiert das Eis inzwischen mit den Fingern. Vermutlich versucht sie es aufzuklauben. Mit mäßigem Erfolg. „Lassen Sie das!“, wird sie da auch schon von Hanno angefahren. „Wer hat Ihnen erlaubt, mein Boot anzufassen?“
„Meine Güte, das ist ja wohl nicht schlimm!“, sagt der Mann und streicht seine Haare dandymäßig zurück. „Es ist doch nur Eis.“ Und seine Partnerin ergänzt: „Ein bisschen Chlorreiniger, und schon ist wieder alles gut.“ Bevor Hanno, der sichtlich nach Worten ringt, eine passende Replik hervorbringen kann, drehen sich die beiden um und gehen.
Entrüstet kommt Hanno zu uns rüber. „Habt ihr das gesehen?“ Damit geht es los. Hanno und mein Mann steigern sich derart in das Ganze rein, dass es sinnlos ist, sie zu bitten, mal das Thema zu wechseln. Später stoßen noch Michi, Jan und Heiner dazu. Gemeinsam überlegt man, was zu tun ist. „Ich hab schon immer gesagt, wer weiß, was mit unseren Schiffen gemacht wird, wenn wir nicht an Bord sind.“ Heiner hebt drohend den Zeigefinger. „Wahrscheinlich tanzen die da betrunken Polka. Ich überlege schon länger, was mit Überwachung zu machen.“
„Du hast doch schon eine Kamera“, sagt Michi. Richtig, erwidert Heiner, die sei aber nur für die Kajüte unter Deck. Ich frage mich insgeheim, wofür das gut sein soll. Was soll denn im Bootsinneren passieren, wenn man nicht da und alles abgeschlossen ist? Doch ich will keine neuerliche Diskussion entfachen. „Wisst ihr noch, in Svendborg?“, fragt da außerdem schon mein Mann, und alle nicken. Auch ich erinnere mich. Im Hafen dort thronte ein Segelboot mit gleich fünf Überwachungskameras. Eine zeigte aufs Vorschiff, eine auf den Niedergang, zwei sicherten die Cockpit-Ecken und eine verfolgte – so schien es – jeden arglosen Spaziergänger, der es wagte, das Boot auch nur schräg anzuschauen. Der Eigner berichtete uns stolz, er würde sofort per SMS informiert, sollte sich jemand dem Boot auf unter zwei Meter nähern.
Damals hat man das noch belächelt. Heute sieht das anders aus. Wer Eis auf einem Teakdeck verteilt, sägt auch Masten ab, wenn keiner an Bord ist. Man erstellt Listen mit Gerätschaften, die zur Bootsüberwachung zwingend notwendig sind. Dann fahren die Männer gemeinsam zum Baumarkt. Hannos Frau Birte kommt entnervt rüber. „Irgendwann drehe ich noch durch!“ Bei einem Kaffee stellen wir uns Fragen: Wovor genau haben unsere Männer eigentlich solche Angst? Dass jemand den Gennaker klaut? Den alten Kartenplotter von 2012? Oder heimlich mit dem Boot einen Ausflug macht?
Klar kommt es vor, dass was geklaut wird. Aber wir reden hier nicht von einem unübersichtlichen Hafen mit 10.000 Booten, sondern von einer gepflegten Marina an der Ostsee, wo die größte Bedrohung in der Regel ein Möwenangriff auf ein Fischbrötchen ist. Jedenfalls kehrten die Jungs zurück mit Kameras und Bewegungsmeldern sowie irgendwelchen Matten, in die man Nägel stecken konnte, damit Fremde sich die Nägel in die Füße bohren und dann „sehen, was sie davon haben“.
Klar ist Sicherheit wichtig, das stell ich gar nicht infrage. Aber, und das ist bei unseren Männern leider gang und gäbe, man kann es auch maßlos übertreiben. Einmal rief Heiner uns – wir waren an Bord – abends von zu Hause aus an: „Irgendwas ist an unserem Schiff, guckt doch mal!“ Es stellte sich heraus, dass eine Fliege in der Kajüte herumgeflogen war und den Bewegungsmelder aktiviert hatte. Meine Güte! Wie sollte das denn weitergehen?
»Wer sein Eis auf das Teakdeck anderer Leute fallen lässt, der sägt nachts auch Masten ab!«
Auch Michi hat jetzt ein neues Kameraauge am Geräteträger: „Damit haben wir sogar den Heckwinkel im Blick. Falls sich nachts jemand anschleicht – zack, Alarm aufs Handy. Da schläft man gleich viel ruhiger.“ Claudi verdreht die Augen. „Dass ich nicht lache. Du schläfst doch sowieso nicht, weil du alle halbe Stunde checkst, ob das Boot noch da ist. Das ist doch gestört, was ihr da treibt.“
Mein Mann ignoriert den Einwand. „Ich hab mir gerade so ein System bestellt, das erkennt, ob sich jemand zu lange in der Nähe unseres Bootes aufhält. Mit Gesichtserkennung! Dann zeig ich denen aber, wo der Hase langläuft!“
„Von zu Hause aus?“, frage ich, und er grummelt irgendwas Unverständliches vor sich hin. Birte kichert: „Und dann? Startet ihr dann eine Drohne, oder wie? Jetzt macht euch doch mal locker, da sind doch nur Leute mit einem Eis vorbeigekommen. Das war kein Piratenangriff!“ Jan ist gereizt. „Gute Vorbereitung ist alles. Wer heute nicht vorsorgt, wacht morgen ohne Außenborder auf!“, insistiert er. „Oder ohne Frau“, sagt Mel nur ein ganz klein wenig sarkastisch.
„Aber Sicherheit geht doch vor“, versucht es mein Mann noch einmal. Da sind sich dann auch alle einig. „Wenn was passiert, dann sehen wir das gleich“, sagt mein Mann. „Hat übrigens jemand meine rote Kappe gesehen, ich glaub fast, die ist mir bei der ganzen Montiererei ins Wasser gefallen.“
Claudi geht nicht darauf ein. „Ich sage euch, wie das wird: Drei Wochen Urlaub, davon vier Tage segeln, wetten? Der Rest? WLAN-Antennen testen, Software-Updates fahren und so weiter …“ Weiter kommt sie aber nicht.
„Leute, es ist so weit! Der Feind naht in Form von einem älteren Ehepaar, denen ich zutraue, dass sie meinen Plotter klauen“, wird Claudi raunend von meinem Mann unterbrochen. Die beiden kommen tatsächlich näher – und nicken freundlich. „Was wollen Sie hier? Das ist unser Steg!“, werden sie da unvermittelt von meinem Mann angefahren. Die beiden Alten bleiben erschrocken stehen. „Also wir wollten nur fragen, ob jemand eine rote Kappe vermisst. Die haben wir am Steganfang gefunden und dachten, vielleicht gehört die jemand von Ihnen.“ Flugs ändert mein Mann den Tonfall. Er springt behände auf den Steg. „Also so was Nettes, vielen Dank, an dieser Kappe hänge ich sehr!“
In diesem Moment gehen aus unerfindlichem Grund auf allen Schiffen plötzlich irgendwelche Alarmanlagen und Sirenen los. Der Lärm ruft den Hafenmeister auf den Plan. Der fackelt nicht lange. „Die anderen haben schon erzählt, dass ihr hier spinnt. Eins sag ich euch, ihr vergrault mir nicht die Gäste! Das wird alles wieder abgebaut. Ihr seid wohl irre geworden!“ Ich bin richtig froh, behalte das aber für mich.