GlosseRückwärts statt vorwärts - und mit der Ruhe ist es vorbei

Steffi von Wolff

 · 14.11.2024

Glosse: Rückwärts statt vorwärts - und mit der Ruhe ist es vorbeiFoto: Gettyimages
Gesellige Runde im Cockpit. Mit den Liegeplatznachbarn zu klönen, ist fast schöner, als segeln zu gehen. Oder etwa nicht?
Manchmal genügt eine kleine Veränderung, und das gewohnte Leben gerät komplett aus den Fugen. Steffi von Wolff über eine folgenreiche Entscheidung

Mein Bootsleben veränderte sich aufgrund eines einzigen Satzes. Wirklich wahr. Ich weiß noch genau, wann und wo ich ihn ausgesprochen habe: im dänischen Ebeltoft, nach einem völlig in die Hose gegangenen Anlegemanöver bei geschätzten 20 Windstärken, Starkregen, Gebrüll von meinem Mann und Todesangst bei mir. Unsere „Alte“ droht die beiden Nachbarboote zu touchieren, keiner ist zum Helfen da, und ich stehe, nachdem ich mit Ach und Krach einen Heckpfahl belegt habe, zitternd mit einer Leine vorn, feststellend, dass der Bug doch sehr hoch und der glitschige Steg davor doch sehr weit unten war. „Spring! Jetzt spring doch!“ Die Aufforderung brüllt mein Mann, der hinten an der Pinne steht.

Spring! Der Steg ist doch direkt unter dir!“

Ist er natürlich nicht. Irgendwie legen wir dann an, und ich verstauche mir dabei einen Knöchel.

Verdammt noch mal! Wie oft habe ich darum gebeten, dass wir mit dem Heck anlegen, wie das so gut wie alle vernünftigen Menschen tun. Mit dem Heck anlegen ist viel einfacher, stressfreier und nicht so gefährlich. Aber nein: „Ich lass mir nicht vom Steg aus von Touristen aufs Getränk glotzen“, erklärte mein Mann ein ums andere Mal. „Ich hasse es, wenn Leute von oben auf einen runtergucken, dauernd wird man angelabert, man hat keine Ruhe mehr.“ Und so weiter. Da ist kein Rankommen an ihn, und ich habe mich jahrzehntelang gefügt.

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Den schmerzenden Knöchel abtastend, schwelge ich zum tausendsten Mal in Rachefantasien: dass ich meinen Mann am Mast festbinde und dann vor seinen entsetzten Augen den neuen Gennaker zerschneide. Dass ich das Teakdeck mit rosa Lack ansprühe, während er unten eingeschlossen verzweifelt gegen das Niedergangsluk bollert.

Dann fällt dieser Satz:

Nun aber ist es so weit. Ich bin am Ende meiner Geduld. Also sage ich endlich diesen einen Satz. Ganz ruhig. Anstatt loszuschreien, mit Scheidung zu drohen oder Schlimmerem, sage ich zu ihm:

Wenn du so weitermachst, riskierst du, dass ich nie mehr mit aufs Schiff komme!“

Er schaut mich nur an. Und er scheint zu verstehen, dass ich es wirklich ernst meine. Ich fühle mich ein bisschen so, als hätte ich einen langjährigen Krieg gewonnen. Kurz darauf ist es dann so weit. Wir segeln nach Sønderborg zurück, steuern unseren Liegeplatz an und er macht es wahr: Wir legen mit dem Heck an. Unsere Stegnachbarn stecken erstaunt ihre Köpfe aus den Kajüten und schauen dem Prozedere fassungslos zu.

„Dass ich das noch erleben darf“, kommt es fast ehrfürchtig von Michi. Und: „Jetzt können wir ganz schnell Prosecco zusammen trinken“, sagt Sunny froh. „Vor allem muss man nun nicht mehr so umständlich auf eure ‚Alte‘ klettern.“

„Man sieht dann auch gleich, ob ihr an Bord seid“, freut sich Claudi. Und Heiner strahlt : „Josie freut sich auch, jetzt kann sie sich bei euch auf der Badeplattform sonnen, da hat sie Abwechslung.“ Josie ist der Hund von Sunny und Heiner.

„Ja, das wird sicher schön“, sagt mein Mann, der Josie zwar liebt, aber Hundehaare hasst wie der Teufel das Weihwasser.

Rückwärts ist Pillepalle

„Ich mach das nur für dich“, wird er mir nun regelmäßig unter die Nase reiben. Egal, ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Rückwärts anzulegen ist Pillepalle im Vergleich zu vorwärts. Wie hatte man mir das so lange vorenthalten können? Bestens gelaunt stelle ich fest : Man kommt bei jedem Wetter gut an und von Bord. Und das Gepäck muss nicht mehr mühsam übers gesamte Vorschiff geschleppt werden. Dabei habe ich mich grundsätzlich in den Leinen verheddert und bin auch das ein oder andere Mal gestürzt. Von den blauen Flecken, die man sich holt, wenn man sich mit vollen Taschen zwischen Reling, Wanten und Spritzpersenning hindurch nach hinten zwängt, möchte ich gar nicht sprechen.

Nun lassen wir einfach die Badeplattform runter. Da kann man drauf sitzen und sich in normaler Lautstärke mit den Nachbarn unterhalten. Kein „Hallo. Hallooo! Seid ihr da? Seid ihr daaa?“ mehr. Und auch kein „Grüselfulliduddiknuppelmu“, kein „Das hab ich nicht verstanden“ mehr. Oh, eine wundervolle Zeit beginnt! Ich habe nur noch gute Laune, auch weil wir jetzt direkte soziale Kontakte haben und nicht mehr allein bei uns im Cockpit sitzen und nur hin und wieder von unseren Nachbarn Frank und Melina besucht werden.

Der Skipper ist unglücklich

Mein Mann hingegen ist schwer von der neuen Situation zu begeistern. Eigentlich gar nicht. Immer wenn Leute am Steg vor unserem Boot stehen bleiben und uns einen guten Appetit wünschen, knurrt er Verwünschungen vor sich hin. Desgleichen, wenn uns wildfremde Passanten anglotzen wie Affen im Zoo.

Ich mach das nur für dich, vergiss das nicht!“

Das bekomme ich dann einmal mehr zu hören. Gefährlich wird es, wenn jemand ungefragt auf die „Alte“ klettert, um ein Selfie für Insta zu machen. „Einmal noch, dann geht es aber los!“, droht mein Mann. Ich besänftige: „Lass die Leute doch leben, die tun nichts“, während ich mit Claudi, Heide und Sunny Prosecco aus Dosen trinke und Josie vor uns liegt und einen Schuh meines Mannes zernagt.

Meinetwegen müssen wir auch gar nicht mehr segeln. Es ist doch schön mit den anderen hier am Steg. Dauernd hat man Kontakt – herrlich! Tatsächlich werden wir sofort in Beschlag genommen, sobald wir ankommen. Man kommt kaum zum Auspacken. Ich fühle mich wohl wie nie. So wollte ich es immer haben. Mitten im Geschehen sein, alles mitbekommen.

„Ich mach das nur für dich“, sagt mein Mann, nun schon arg resigniert. Denn einer fragt immer: „Wollen wir heute essen gehen?“ Gemeinsam gehen wir nun täglich ins Restaurant, und niemand fährt mehr raus. Auch kommen tagsüber Leute vorbei, die ebenfalls im Hafen liegen, aber eben nicht an unserem Steg. Sie freuen sich, uns zu sehen und bleiben dann gerne mal länger.

Mein Mann, so stelle ich innerlich frohlockend fest, scheint sich allmählich mit der Situation zu arrangieren. „Fahren wir in den Baumarkt?“, „Kannst du mich mal in den Mast ziehen?“ oder „Komm, wir trinken ein Bier“, sind Sätze, die ihn plötzlich umwehen. Er und die Männer von den anderen Schiffen lieben es, gemeinsam auf dem Steg zu stehen, über Winschkurbeln zu fachsimpeln oder sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, weil man damals bei der doch sehr gefährlichen Überfahrt von Marstal nach Middelfart oder umgekehrt nicht aufgegeben hat.

Es scheint das Paradies zu sein

Ich tausche derweil mit Sunny, Claudi, Melina und Heide Salatrezepte und den neuesten Tratsch aus, oder wir sitzen zusammen und giggeln herum. So, genau so wollte ich es haben, jawohl! Mit Menschen reden, grillen, feiern, Spaß haben. Ich komme noch nicht mal mehr dazu, ein Buch zu lesen oder in der Modezeitschrift zu blättern.

Kaum legen wir am Steg an, ist schon der Erste da. Kaum ist man am Freitagnachmittag an Bord, ruft jemand. Alte Freunde meines Mannes, die für zwei Tage mit ihrem Schiff in Sønderborg sind, kommen ebenfalls ungefragt vorbei. Großes Hallo, ist das toll, kommt an Bord. Ja, klar.

Ich erwische mich dabei, dass ich murmelnd überlege, die Badeplattform hochzuklappen, um wenigstens eine kleine Barriere zu schaffen. Doch: „Bist du verrückt?“, fragt mein Mann. „Wo soll Josie sich denn sonnen? Außerdem wolltest du das doch so. Ich hab das nur für dich gemacht, vergiss das nicht.“

Seine Einstellung hat sich komplett ins Gegenteil verkehrt. Er lebt plötzlich richtig auf, nein, er blüht auf. Braucht jemand einen Kreuzschlitzschraubenzieher oder ist interessiert an der Geschichte, als der kleine Seehund plötzlich neben der „Alten“ aufgetaucht ist? Will jemand eine Bratwurst? Und klar hab ich Pflaster, warte. Ich komm mal zu dir rüber. Fährst du in die Stadt und holst Grillzeug?

Die Stimmung kippt

Mein Mann ist voll in seinem Element. Mir aber wird es langsam zu viel. „Wollen wir mal nach Flensburg segeln?“, frage ich ihn eines Freitags. Er überlegt kurz, dann: „Warte, ich frage die anderen.“ Verdammt, fluche ich im Stillen, so war das nicht gemeint! Doch zu spät. Wir segeln mit sechs Booten nach Flensburg, natürlich legen alle mit dem Heck an. „Kommt zu uns, es gibt Aperol Spritz!“, ruft Sunny fröhlich, während Josie auf meinen Schoß springt und ihre Streicheleinheiten einfordert.

Während meine Hand durch Josies zugegeben herrlich weiches Fell fährt, denke ich zurück an die Zeiten, in denen ich alleine im Cockpit saß, nur mit einem guten Buch und einem Glas Wein. Ich hatte Ruhe und Behaglichkeit. Wie lange war das her?

Inzwischen bekomme ich selbst im Hafen meinen Mann kaum noch zu Gesicht, und wenn doch, dann meist in Begleitung eines oder mehrerer Stegnachbarn. Er ist nur noch am Strahlen und freut sich, während ich ein bisschen mit den Zähnen knirsche. Nur ein Wochenende lang Stille, das wäre schön.

In einer ruhigen Sekunde, und die sind inzwischen selten, nehme ich meinen Mann zur Seite. „Also“, setze ich an, „von mir aus können wir das Boot auch wieder umdrehen. Ich muss das nicht auf Dauer haben mit dem Heck-Anlegen. Wirklich nicht.“ Er sieht mich an. „Ich tu das nur für dich“, ergänze ich noch gönnerhaft. Doch er entgegnet nur: „Ach, das ist gar nicht nötig.“

Und nun? Ich gehe zum Bug und setze mich aufs Vorschiff. Wenigstens kurz mal ein bisschen für mich sein. „Da bist du ja!“, rufen Sunny und Claudi. „Warte, wir kommen rüber! Dann musst du nicht so alleine dasitzen.“



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