Da geht für mich ein Traum in Erfüllung“, sagt Frank freudestrahlend und glücklich. Das erste Boot. Ein ganz neues noch dazu. Ein Herzensprojekt, das nun Wirklichkeit wird. Frank ist ganz aus dem Häuschen. Ich kann es verstehen. Erinnerungen kommen hoch.
Wir sitzen auf unserem Schiff, und Frank erzählt, wo er überall hinwill mit der Familie, und dass seine Frau schon nach Töpfen und Bettwäsche schaut. Und ich, ich erinnere mich noch gut daran, wie es damals war, 2004, vor 20 Jahren. Wir waren genauso aufgeregt und euphorisch, denn der erste Bootskauf, so sagten mir damals viele Segler, ist nicht dasselbe wie ein Hauskauf. Ein Boot hat schließlich – das musste ich auch erst lernen – eine Seele. Man muss es hegen und pflegen und, so macht es jedenfalls mein Mann, man muss mit ihm sprechen.
Ich weiß noch genau, wo die Entscheidung fiel, unser erstes Boot zu kaufen: in einem Restaurant im Flensburger Hafen, bei Scholle mit Bratkartoffeln, bei Bier und Sonnenschein. Mit einem Kollegen meines Mannes saßen wir da und beratschlagten. Was spricht dafür, was dagegen? Lohnt es sich, und können wir es uns überhaupt leisten? Ich muss dazu sagen, dass ich vom Segeln so gut wie keine Ahnung hatte. Ich komme aus Frankfurt, da gibt es den Main und Badeseen, aber kein Meer wie die Ostsee. Für mich war Segeln nie ein Thema gewesen. Bis ich meinen Mann kennenlernte. Und nun: ein eigenes Boot. Das erste noch dazu!
Wir rechneten noch eine ganze Weile herum, und dann stand fest: Wir können, ja, es geht! Fortan drehte sich beinahe alles um das Schiff. Im April sollten wir es übernehmen, davor war viel zu tun. Mein Mann plante an, ich unter Deck. Er überlegte stundenlang, welche Fallen, was für eine Spinnakerausrüstung, was an Elektronik es haben sollte. Ich sinnierte über Matratzenschoner, Polsterbezüge, Ölzeug, Schuhe und Teller. Er brauchte „unbedingt“ ganz bestimmte Segel, „weil man es sonst auch gleich lassen kann“. Ich bekam Schnappatmung ob der zusätzlichen Kosten. Aber: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Abende lang planten wir, überlegten, welche Töpfe wir bestellen sollten. Welches Besteck. Welche Gummistiefel. Welches Ölzeug. Eine Salatschleuder? Unbedingt! Ein Boot ohne eine solche Schleuder war nicht auszudenken. Mein Mann hingegen liebäugelte mit einem Heckanker, weil wir doch möglichst bald schon in die schwedischen Schären segeln wollten.
Wir bestellten Seekarten für alle möglichen Gebiete. Er bestand auf einen Dampfgarer, weil das Boot ja auch schon in der Spargelsaison im Wasser liegen würde. Natürlich bekam er ihn! Dann machte er den verwegenen Vorschlag, eine Eiswürfelmaschine anzuschaffen. Das Boot würde zwar einen Kühlschrank, aber eben kein Eisfach haben. Und auf dem Boot ohne Eiswürfel zu sein – da sind wir uns beide heute immer noch einig –, geht gar nicht. Sich vorzustellen, den Gin-Tonic lauwarm genießen zu müssen: eine Katastrophe!
Wir diskutierten über Winschkurbeln, über die Farbe, die die Polster oben und unten haben sollten. Sand? Weiß? Nee. Blau? Grün? Grün ist gut, aber dunkelgrün? Nee, macht alles zu dunkel. Dunkelgrün ist aber superschön. Gut, dann eben dunkelgrün. Das Material? Weich soll es sein. Gut waschbar auch. Ob wir uns einen Autopiloten anschaffen sollten? Oder lieber noch warten. Komm, geht erst mal so.
Ach, es war herrlich! Vor 20 Jahren war es mir auch völlig egal, dass das Boot keine Dusche hatte. Das neue Boot wird auch kein richtiges Klo haben, man wird sich mit „Cactus“ begnügen müssen. „Cactus“ ist eine Trockentoilette mit Einweg-Deckelsäcken, ja, wirklich! Da macht man rein, verschließt das Ganze und trägt es dann zum Müll. Meine Panik bestand stets darin, dass das Ding auf dem Weg aufgehen könnte – was auch mal passiert ist. Später dann haben wir eine richtige Toilette einbauen lassen.
So ging es weiter. Mein Mann dachte sich schon Segelrouten aus, während ich bruchfestes Geschirr googelte und nach Sonnenschirmen Ausschau hielt. Schließlich der Besuch bei der Werft – es war wie auf einer Entbindungsstation: „Wann ist es denn fertig? Wann kommt es denn nach Hause? Ist es auch gesund?“
Es war für uns damals noch kaum vorstellbar, dass dieses Wesen, dieses wunderhübsche Boot, diese zweite Heimat, nun bald bei uns sein würde. Wie ein Baby, das es dann zu umsorgen galt. Allerdings: Es würde nicht wachsen! Daran habe ich damals aber noch nicht gedacht.
Wenn die bestellte Ausrüstung fürs Boot kam, war das jedes Mal wie Weihnachten. Vorsichtig packten wir die Sachen aus, konnten minutenlang auf ein ineinander gestapeltes Kochset starren. Wir malten uns aus, wie darin ein leckeres Süpplein oder Gulasch vor sich hin köcheln würde, während eine Café-del-Mar-CD lief und wir an einem hübschen Ankerplatz lägen. Die neuen Segel wurden schon mal im Wohnzimmer ausgebreitet. Das Boot würde nur mit einem zweiflammigen Spirituskocher ausgerüstet sein, und heißes Wasser würde es nicht geben. Aber wir waren ja dankbar, überhaupt fließendes Wasser zu haben. Leider fehlte ein Wassertank. Stattdessen gab es zwei große Plastikbehälter, die mit dem Schlauch gefüllt werden mussten. Damit sie nicht überschwappten, musste beim Bunkern derjenige, der unten war, mit einem Kescher durchs Vorluk winken. Egal. „Man kann nicht alles haben“, lautete das Credo meines Mannes, und ich stimmte ihm zu.
Es waren Wochen und Monate, die ich wie einen einzigen Glückstaumel in Erinnerung habe. Jeden Abend saßen wir zusammen und überlegten, was wir noch brauchen würden oder könnten und vor allem, wo wir hinsegeln würden. Jede Vernunft war von uns gewichen, und das war ein verdammt gutes, wenn auch verwegenes Gefühl. Als die Eiswürfelmaschine eintraf, packten wir sie demütig aus, begrüßten sie in der Familie.
Dann war der besondere Tag da. Das Boot wurde auf dem Landweg nach Sonderborg gebracht. Wir standen am Hafenkran wie ein Elternpaar, das auf sein von der Klassenreise zurückkehrendes Kind wartet. Hoffentlich ist nichts passiert, hoffentlich hat es keine Kratzer, hoffentlich ist alles gut. Schließlich kam es langsam auf dem Trailer angefahren, und wir hielten Händchen vor Glück. Unser Schiff war da! Es war da!
Wir sahen zu, wie es ins Wasser gelassen wurde, und dann folgten viele wunderbare erste Male: zum ersten Mal der Schritt über den Relingszaun. Zum ersten Mal den Niedergang aufschließen und nach unten gehen. Zum ersten Mal Segel setzen, zum ersten Mal wenden. Wie wundervoll das alles aussah und roch. So neu, so herrlich.
Dann das erste Mal die Eiswürfelmaschine anschalten, die fertigen Würfel klackern hören, der erste Drink. An diesem ersten Abend als Bootsbesitzer waren wir beide so glücklich wie lange nicht. Es war ein besonderes Glück. Mit „als wäre man angekommen“ lässt es sich am ehesten beschreiben. Oder wie von innen mit Glück angemalt sein. Alles hatte sich ganz wunderbar gefügt. Als sollte das so sein.
Nachts musste ich aufs „Cactus“-Klo und traf meinen Mann im Salon. Mit einem Weinglas wiegte er sich wie im Takt; als er mich sah, sagte er einfach nur: „Ich fürchte, ich tanze!“ Er, der sonst nie auf die Idee kommen würde, zu tanzen, er sah so glücklich aus. Und er war es auch.
Die nächsten Tage waren ausgefüllt mit Einräumen, mit Umräumen, mit Verstauen und anders Verstauen. Hier die Sherry-Gläser hin oder lieber dahinten? Oh, die Bettwäsche mit den Ankern drauf passt aber schön zum Holz. Die Matratze ist so gemütlich. Und es wackelt so leicht und sanft, wenn man liegt und vor sich hindöst.
Nie werde ich die erste Nacht auf unserem ersten Boot vergessen, das Gefühl, sachte hinwegzugleiten in den Schlaf und sich auf eine denkwürdige Art geborgen zu fühlen. Ja, geborgen. Ich vermute, wenn man den Niedergang hinuntergeht und dann im Schiffsbauch steht, ist das ein bisschen so, als wäre man in einem Mutterleib. Man fühlt sich gut und sicher, willkommen und geliebt. Das mögen manche Leute merkwürdig finden, Bootseigner hingegen verstehen es.
Unsere Zeit mit dem ersten Schiff begann also. Sie sollte 14 Jahre dauern. Hätte man mir vorhergesagt, dass mir kotzübel werden, dass ich über das Nichtvorhandensein eines Backofens meckern, ein neues, richtiges Klo fordern würde – egal. Ich hätte es trotzdem nochmal gemacht. Auch wenn ich mittlerweile in keine Hafendusche mehr gehe, damals war es mir einerlei. „Hauptsache, wir sind auf dem Boot“, war der Lieblingssatz meines Mannes. Das Merkwürdige war, dass wir uns auf dem Boot so gut wie gar nicht in die Haare bekommen haben, obwohl man ja auf engstem Raum – ich rede von acht Metern Rumpflänge – zusammen ist, und das teilweise über einen längeren Zeitraum.
Wir segelten wunderschöne Touren, unsere Saison dauerte von Februar bis November. Wir haben das gesamte Kattegat abgeklappert, wir waren bis weit nach Schweden hoch. Es war himmlisch! Wenn ich so zurückdenke, sehe ich immer dieses gemütliche, kleine Boot, das natürlich bei Wind und Welle rumzicken konnte wie eine giftige Seekuh. Aber es war eben unser Boot, und ich habe es sehr lieb gehabt.
Doch wie das so ist: Alles hat seine Zeit, und mit eben dieser wuchsen Ansprüche und Wünsche. Man will es größer, komfortabler und sicherer. Mir waren viele Dinge wichtiger geworden, die am Anfang gar nicht wichtig waren: ein richtiges Bad an Bord zum Beispiel. Warmes Wasser aus dem Hahn. Nicht alles wegräumen müssen, um an irgendwas dranzukommen. Oder auch mehr Geschwindigkeit, mehr Höhe, eine größere Range und Platz für Gäste.
Irgendwann häuften sich die Punkte, und dann waren wir an dem Punkt angekommen, an dem es hieß: größeres Boot! Wie gut es war, dass wir dann die Möglichkeit bekommen haben, eine Eignergemeinschaft zu gründen. Wir überlegten gemeinsam lange, welches Modell es werden sollte, und am Ende war klar, dass es 38 Fuß haben müsste.
Mein Mann war glücklich und jubelte vor Vorfreude. Er sagte: „Es gibt zwei Höhepunkte im Leben eines Eigners – den Moment, wenn er das Boot kauft, und den, wenn das Boot verkauft wird.“ Und dann war das neue gekauft und die Kleine verkauft. Er jubelte noch mehr.
Und ich: heulte, als wir unser erstes Schiff, unser Baby, unser Ein und Alles, ausräumten. Zum letzten Mal die Gläser aus dem Regal nehmen, zum letzten Mal in meiner „Höhle“ schlafen, zum letzten Mal ein Drink mit den selbst gemachten Eiswürfeln! Ich war am Boden zerstört. Würde denn das neue Boot schaffen, was unsere Kleine geschafft hatte?
Es blieb abzuwarten. Und so begann alles von vorne, nur dieses Mal in XXL. Ich weiß es noch wie heute, als ich zu Hause und mein Mann den ersten Abend alleine auf dem neuen Boot war: Er schickte mir von Bord eine Whatsapp-Nachricht. Sie enthielt nur diesen einen Satz: „Ich fürchte, ich tanze!“