Erstwasserung von "Malizia Seaexplorer"Rennen gegen die Uhr für Boris Herrmanns Team Malizia

Jochen Rieker

 · 18.07.2022

Erstwasserung von "Malizia Seaexplorer": Rennen gegen die Uhr für Boris Herrmanns Team MaliziaFoto: YACHT/J. Rieker
Sonntagnacht, 22.30 Uhr. Noch immer brennt Licht im Hangar von Team Malizia in Lorient

Morgen wird die faszinierendste deutsche Hochseeyacht gekrant. Davor standen heiße lange Tage und Nächte. Einblicke in ein Team, das unter Druck wächst

Morgen Früh soll der 18,30 Meter lange und bunt bemalte Kohlefaserrumpf erstmals zu Wasser gehen. Aber wer das Treiben um, in, auf und unter "Malizia Seaexplorer" in den vergangenen Tagen verfolgt hat, konnte schon ins Grübeln kommen.

Foto: YACHT/J. Rieker

An die 50 Mitarbeiter wuseln um Boris Herrmanns neues Boot, den ersten und einzigen Imoca 60 der neuesten Generation eines deutschen Skippers – und einen der technologisch spannendsten noch dazu. Bis heute Nachmittag war das Backbord-Foil noch beim Lackierer, ein paar Hundert Meter entfernt von der Malizia-Basis in Lorient.

Um es von den Böcken und auf einen Transportwagen zu heben, formierte Team-Direktorin Holly Cova kurzerhand ein gutes halbes Dutzend Helfer, darunter der Hamburger Segelprofi Tim Kröger, der morgen beim offiziellen Launch zu den Gästen gehören wird. Heute packte er gleich mehrfach mit an – beim Verladen der Getränke für die für morgen Abend geplante Team-Party und beim Sichern des 200.000 Euro teuren Tragflügels.

Dieses Neben- und Miteinander von Arbeitern und dem Friends-&-Family-Netzwerk von Boris zählt zu den Besonderheiten der Kampagne. Selbst jetzt noch, ausgestattet mit einem großen Budget, greift das Hands-on-Prinzip des Hochseehelden, der vor vier Jahren noch mit einer vergleichsweise winzigen, aber verschworenen Truppe gestartet war und sich bei der vergangenen Vendée mit seinem fünften Platz weltweit höchste Anerkennung ersegelt hatte.

So wundert es auch nicht, wenn Holly Cova abends selbst den Besen schwingt, um den Hallenboden zu säubern, wenn Finanzchefin Kerstin Hainke Lukendeckel grundiert oder Team-Fotograf Ricardo Pinto den Gabelstapler fährt, um das Foil anzuheben.

  Mal Managerin, mal Küchenfee: Wie alle im Team lebt auch Direktorin Holly Cova MultitaskingFoto: YACHT/J. Rieker
Mal Managerin, mal Küchenfee: Wie alle im Team lebt auch Direktorin Holly Cova Multitasking

Gestern sah man im Hangar von La Base auch Otto Schacht mit anpacken, Executive Vice President Sea-Logistics bei Kühne+Nagel und einer der wichtigsten Partner des Teams. Es herrscht eine Atmosphäre irgendwo zwischen Highend-Werftbetrieb und Jugendlager. Und trotz 37 Grad im Schatten gehen alle hier mit bewundernswerter Hingabe und Konzentration ihren Aufgaben nach.

Will Harris, der britische Co-Skipper von Boris, wirkte heute Früh abgespannt und bleich. Dem 28-Jährigen sieht man die Strapazen der vergangenen vier Wochen an. Aber auf die Frage, wo er seine Segler-Bräune verloren habe, antwortet er gut gelaunt, regelrecht gelöst: "Es war ganz schön viel zu tun", sagt er. "Ständig wurde im Schiff noch etwas laminiert oder lackiert. Aber jetzt kommt der Teil, der Spaß macht." Will kümmert sich um die gesamte Bordelektronik und die 320 Lastsensoren, die den kompletten Rumpf, Foils, Ruder und Kiel überwachen werden.

  Hat vier Wochen lang kaum die Sonne gesehen: Co-Skipper Will Harris und Kollegin beim Installieren der ausgefeilten BordelektronikFoto: YACHT/J. Rieker
Hat vier Wochen lang kaum die Sonne gesehen: Co-Skipper Will Harris und Kollegin beim Installieren der ausgefeilten Bordelektronik

Gestern, als das an drei Kettenzügen hängende Boot auf den Transportwagen abgelassen wurde, blieb er einfach unter Deck sitzen und arbeitete mit seiner Teamkollegin unbeirrt weiter, während unter ihnen eine der vier drehbaren Rollen brach. Grund zur Panik oder wenigstens Sorge? Nö!

  Radbruch am Transportgestell: für die Shore-Crew kein Problem, für Onboard-Reporter Antoine Auriol aber ein willkommener Anlass zum FilmenFoto: YACHT/J. Rieker
Radbruch am Transportgestell: für die Shore-Crew kein Problem, für Onboard-Reporter Antoine Auriol aber ein willkommener Anlass zum Filmen

Unterdessen bewiesen die Techniker am Boden ihr Improvisationstalent. In wenigen Minuten holten sie aus einem der Container, die sich im Hangar stapeln, vier Transportwagen. Boot wieder hoch in den Kran, Rollen ab, Wagen drunter – und weiter ging's. Wäre ja noch mal schöner, wenn die Erstwasserung an einem Baumarkt-Artikel für 29,90 Euro scheitert.

Es gab in den letzten Tagen allerdings auch diffizilere Probleme zu lösen. Bis vor Kurzem fehlten die Bolzen für die Kielmontage. Sie wurden eigens per Spezialtransport aus England hergeschafft. Da die Aufnahme für die Kielfinne nur 0,1 Millimeter Toleranz aufweist, musste sie noch minimal nachgearbeitet werden. Es sind Aufgaben, die in der meterlangen minutiösen Ablaufliste für den Launch nicht aufgeführt sind, aber Zeit und Aufmerksamkeit binden. Typisch für einen Prototypen-Bau, und kein Grund für das Team, in Hektik zu verfallen.

Gestern waren um halb elf in der Nacht noch gut 25 Teammitglieder am Wirbeln, heute Früh um fünf kam die Frühschicht. Auch jetzt, Montagabend, 22 Uhr, ist noch lange nicht Schluss. Boris Herrmann war ab acht auf dem Gelände. Er hatte schon vor fast einem Jahr den morgigen Tag für die Erstwasserung festgelegt.

Beim letzten Besuch der YACHT in der Multiplast-Werft im nahegelegenen Vannes vor sechs Wochen schien es noch verwegen bis kaum vorstellbar, dass der Termin gehalten werden kann (Bericht in YACHT 15/2022). Aber auch wenn die Uhr tickt, und auch wenn eine Kaltfront morgen den Krantermin durcheinanderbringen könnte: Es gibt keinen Zweifel mehr, dass "Malizia Seaexplorer" zu Wasser gehen wird. Der feierliche Moment wird ab 8.45 Uhr live auf Youtube übertragen (hier geht’s zum Stream, bitte klicken!).

Wir sind morgen natürlich auch am Kai und später an Bord. Ab 13 Uhr berichten wir vom Launch und zeigen in einer Fotogalerie den Werdegang und die spannenden Details des Neubaus!