Joshua Slocum war 51 Jahre alt, als er am 24. April 1895 von Boston aus mit 1,50 Dollar in der Tasche allein um die Welt segelte. Sein Boot war ein 36 Fuß langer Austernfischer, den er selbst umbaute. Seine Weltumsegelung machte ihn zur Legende, um seinen Tod ranken sich bis heute Geheimnisse.
Joshua Slocum wird 1844 in Nova Scotia, Kanada, als fünftes von elf Kindern geboren. Schon früh entwickelt er eine Faszination für die See, die ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen wird. Mit 16 Jahren verlässt er endgültig seine Heimat und heuert auf einem Holzfrachter an. In den folgenden Jahren macht Slocum eine steile Karriere in der Handelsschifffahrt und wird mit nur 18 Jahren bereits Zweiter Offizier. Die 1860er und 1870er Jahre markieren den Höhepunkt der Segelschifffahrt. Slocum befährt in dieser Zeit den Atlantik, die Karibik, den Pazifik und das Südchinesische Meer. 1869 erhält er im Alter von 25 Jahren sein erstes Kommando auf einem Küstenschoner. Kurz darauf führt er bereits die Bark "Washington" auf Langfahrt. In Australien lernt er seine erste Frau Virginia kennen, die ihn fortan auf seinen Seereisen begleitet.
1881 erreicht Slocums Karriere ihren Zenit. Er übernimmt das Kommando über den Clipper "Northern Light" und kann sich sogar an dem schnellen Schiff beteiligen. Doch der Aufstieg der Dampfschifffahrt läutet das Ende der Segelschiff-Ära ein. Slocum, der Dampfer als "dreckige, stinkende Schiffe" verabscheut, muss miterleben, wie seine Welt untergeht. Eine Weltumsegelung mit der "Northern Light" wird zu Slocums letzter großer Handelsreise. Sie ist von Widrigkeiten geprägt: Meuterei, ein Vulkanausbruch und ein schwerer Sturm, bei dem Teile der Ladung über Bord geworfen werden müssen. 1884 stirbt zudem Slocums Frau Virginia an Herzversagen, während das Schiff vor Buenos Aires vor Anker liegt.
In den folgenden Jahren erleidet Slocum weitere Rückschläge. Eine zweite Ehe scheitert, er verliert Schiff und Ladung. 1887 strandet er schließlich in Brasilien, nachdem sein Schiff "Aquidneck" auf eine Sandbank läuft. In dieser ausweglosen Situation fasst Slocum einen kühnen Plan: Er baut ein neues Boot, um sich und seine Familie zurück in die USA zu segeln. In sechsmonatiger Arbeit entsteht die 35 Fuß lange "Libertade". Mit diesem selbstgebauten Schiff gelingt Slocum tatsächlich die 5.510 Seemeilen lange Überfahrt nach South Carolina. Doch zurück in den USA muss er feststellen, dass sich die Welt weitergedreht hat. Dampfschiffe und Eisenbahnen haben die Segelschiffe verdrängt. Slocum steht vor dem Nichts - ohne Frau, Zuhause, Vermögen und Beruf.
1892 wendet sich Slocums Schicksal. Ein befreundeter Kapitän schenkt ihm einen 100 Jahre alten Austernkutter, der einer Generalüberholung bedarf. Slocum macht sich an die Arbeit und baut das Schiff in 13-monatiger Arbeit komplett um. Er tauft es auf den Namen "Spray" und investiert sein gesamtes verbliebenes Geld von 553,62 Dollar in das Projekt. Am 24. April 1895 sticht Slocum mit der "Spray" in See, um als erster Mensch allein die Welt zu umsegeln. Die größte Herausforderung wird die Passage der gefürchteten Magellanstraße, die ihn zwei Monate kostet. Doch Slocum meistert alle Widrigkeiten. Nach drei Jahren und 46.000 Seemeilen läuft er am 27. Juni 1898 wieder in Newport, Rhode Island ein und vollendet damit die erste Einhand-Weltumsegelung der Geschichte.
Slocum verarbeitet seine Erlebnisse in dem Buch "Sailing Alone Around the World", das 1900 erscheint und ein Bestseller wird. Der Schulabbrecher hat nicht nur eine beeindruckende Kapitänskarriere hingelegt, sondern auch einen Klassiker der Segel-Literatur geschrieben. Das Werk inspiriert bis heute unzählige Segler und Abenteurer. Doch was soll auf diesen Triumph folgen? Slocum findet keine Ruhe an Land. 1909 bricht er zu einer weiteren Reise auf, diesmal mit dem Ziel, den Orinoco und Amazonas zu erkunden. Es sollte seine letzte Fahrt werden. Die "Spray" verschwindet spurlos, Slocum wird nie wieder gesehen. 1924 wird er offiziell für tot erklärt.
Joshua Slocums Leben war geprägt von Höhen und Tiefen, von Pioniergeist und Tragik. Seine Einhand-Weltumsegelung machte ihn unsterblich, doch sein mysteriöses Verschwinden gibt bis heute Rätsel auf. War es ein Sturm, ein Zusammenstoß mit einem Dampfer oder fand der alte Seebär doch noch sein langersehntes letztes Abenteuer? Die Antwort liegt irgendwo auf dem weiten Ozean verborgen, den Slocum so sehr liebte.