Kristina Müller
· 09.10.2016
Moritz Herrmann, Vater von Hochseeprofi Boris Herrmann, beschreibt in einem emotionalen Brief das dramatische Ende seiner Weltumsegelung
"Dieser Brief fällt mir etwas schwer, es ist ein Abschied von Träumen und meinem geliebten Boot." So beginnt die E-Mail, die Einhandsegler Moritz Herrmann am Wochenende an Segelfreunde und -bekannte schickte. Der Satz lässt ahnen, dass nichts Gutes, vielleicht sogar das Schlimmste folgen wird. Und richtig, der 74-Jährige auf Weltumsegelung, Vater von Deutschlands wohl bekanntestem Hochseeprofi Boris Herrmann, schildert in seinem Brief, wie er auf dem Indischen Ozean mit seiner Stahlketsch "Fidel" in eine derart verzweifelte Lage geriet, dass er einen Notruf absetzte und sich abbergen ließ. Zuvor öffnete er die Seeventile seines Schiffes, um es zu versenken und nicht zu einem Hindernis für die Schifffahrt zu machen.
Ende, aus, vorbei.
"Die Seeventile zu öffnen war, wie einen guten Freund zu ermorden", sagt Moritz Herrmann über seine letzten Momente an Bord. "Aber es war nichts mehr zu machen, und als ich das eingesehen hatte, war es dann auch gut. Ich habe so oft Glück gehabt."
Von Beginn an stand die geplante Weltumsegelung des Oldenburgers unter keinem guten Stern. Schon auf dem Atlantik hatte Herrmann Ruderverlust erlitten und wurde in einer beachtenswerten Rettungsaktion durch den Frachtsegler "Tres Hombres" an den Haken genommen und bis in die Karibik geschleppt (YACHT 5/2013). Doch auch danach machte die Hydraulik des Ruders Herrmann immer wieder zu schaffen.
Inzwischen ist Moritz Herrmann wieder in Deutschland, seinen sehr emotionalen Bericht in voller Länge lesen Sie hier:
"Liebe Freunde und Freundinnen des Segelns!
Dieser Brief fällt mir etwas schwer, es ist ein Abschied von Träumen und meinem geliebten Boot. In den letzten Monaten hatte ich viele Niederlagen erlebt: Immer wieder versagte die Hydraulik der Ruderanlage. In Bali entschloss ich mich, das Ruder umbauen zu lassen, damit es leichter drehte. Die Hydraulik wurde (noch einmal) generalüberholt. So startete ich nach Christmas Island und den Cocos Islands mit gutem Gefühl und erlebte glückliche Segeltage vor einem beständigen Südost. Ein Nordseesegler kann sich dieses Glück kaum vorstellen, bei warmen Temperaturen tagelang, fast ohne die Segel zu bedienen, dahinzugleiten in einer Meeresweite, die hier, 1000 Seemeilen von allem Land entfernt, keine Untiefen hat. Auf den Cocos Inseln fand ich den schönsten Ankerplatz meiner Reise, kristallklares Wasser über weißem Sand. Die meisten Segler waren nach Norden abgebogen, nur ein kleiner Trupp strebte weiter nach Westen Richtung Südafrika.
Mein nächstes Ziel nach Cocos war Rodrigues, eine Insel, die zu Mauritius gehört. Ich erlebte die schönsten Segeltage überhaupt mit Etmalen von 140 sm und sah mich schon in etwa 10 Tagen am Zwischenziel.
Da brach die neue Rollreffanlage aus dem Deck, an der Mastspitze hängend, schleuderte der schwere Rollkorb und die ganze Anlage mit dem Segel weit nach Lee, um dann immer wieder wie eine Abrissbirne gegen das Boot zu donnern. Es begann ein lebensgefährlicher Kampf, um den Fuß zu fangen. Eine besonders heftige Böe, unterstützt von einer heftigen See, wirbelte die Anlage hoch über den Mast auf die Luvseite. Da gelang es mir, sie mit einer Leine zu fangen und an der Reling zu verzurren. Verschnaufpause nur für einen kurzen Augenblick, denn das Segel riss so heftig, dass die Reffstange unberechenbar stieß und zerrte und die Fenster in der Bordwand einzuschlagen drohte. Die aber kamen bei jedem Rollen weit unter Wasser ...
Bei diesem Kampf wurde ich mehrfach hin und her geschleudert, schorte mit dem Rücken übers Deck, konnte mich aber immer an der Reling halten, blutete an Händen und Füßen, nach einem Schlag mit der Stange auch aus der Nase.
Nächstes Kampfziel, das Vorsegel zerfetzen. Es entwickelte einen ungeheuren Druck auf die Mastspitze, die nicht mehr nach vorne gesichert war. An einen scharfen Fischhaken band ich ein langes Aluminiumrohr und versuchte, mit diesem schweren Ding in das Segel zu hacken. Frei zu stehen ging natürlich nicht, immer wieder wurde ich aus meiner Verklammerung an einem Want geschleudert. Einmal kletterte ich auf das Dach der Kuchenbude, und ehe ich mich aufrichten konnte, katapultierte mich eine Welle nach unten. Unglaubliches Glück, ich fiel nicht nach außenbords, sondern in den Gang zwischen Aufbauten und Reling. Es dauerte Tage, ehe ich die nervenaufreibend knatternden Segelfetzen kleiner gehackt hatte.
Nächster Schritt, eine Schot war ins Wasser gefallen und hatte sich um den Propeller gewickelt. Ich versuchte zu tauchen, aber das auf- und niedersausende Heck drohte mich zu erschlagen. Da zog ich eine andere Leine so um das Heck, dass ich mich daran runterziehen und festhalten konnte, wenn das Boot eintauchte. Es gelang mir, die Leine zu lösen.
Nun konnte ich wieder auf Kurs gehen. Damit beruhigte sich das Rollen etwas, und ich wagte es, ein Stück in den Mast zu steigen, um einen Block anzubringen, durch den ich eine Leine schor, um eine Sturmfock zu hissen, schließlich setzte ich noch das gereffte Besansegel, und tatsächlich segelte das Boot mit drei Knoten Richtung Rodrigues.
Ich atmete auf und entspannte mich; okay, dann wäre ich also noch 20 Tage unterwegs, statt 10. Na und, das konnte mich nicht bekümmern. Den Motor brauchte ich regelmäßig, um Strom für den Autopiloten zu erzeugen, und er lief ruhig, wie immer, nachdem ich einen Defekt am Aussteller entdeckt hatte.
Wieder das Hochgefühl, blickend über die lebende, immer bewegte Weite des Ozeans, wo du die Wetter kommen und wieder abziehen siehst, hinter dir der Sonnenaufgang, vor dir ihr Untergang. Du hast all dieses, den Tagesablauf, die Horizontsicht, das Wetter, den Wind und die ewige See für dich, unverstellt durch Reklamewände, unübertönt von Beschallungen und immer frische, würzige Luft; atmen ist eine Lust.
In der Nacht hörte der Autopilot auf zu arbeiten ... „Fidel“ taumelte wieder quer zur See, rollte und schleuderte mich hin und her. Ich drehe energisch am Steuerrad, es geht verdächtig leicht, das Boot reagiert nicht. Ich robbe zur Achterpiek und klettere rein: überall Öl. Die Hydraulik ist hin, alle Dichtungen tropfen. Wie kann das sein, nach all den Reparaturen? Ich spüre, wie etwas in mir bricht: Das ist das Ende. Nein, schreie ich, jetzt keine Entscheidung fällen, verkeil dich in der Koje. Versuch erst einmal zu schlafen. Ich krieche ins Vorschiff und krame die einzige Dose Bier heraus, die ich mitgenommen hatte. Ich binde mich an, um trinken zu können und schaue über das nächtliche Meer. So lebendig und schön siehst du aus, denke ich, aber im Hintergrund meines Bewusstseins quillt wie eine giftige Wolke der Gedanke auf: Moritz, du hast verloren.
Am nächsten Morgen rief ich Boris an, meinen Sohn, erklärte, dass ich bereit sei, mich von einem Schiff aufnehmen zu lassen, gab ihm meine Position und bat ihn, die Seenotleitstelle in Bremen zu benachrichtigen, die die Meldung an Australien weitergab.
Zunächst bekam ich von da die Nachricht, dass es wohl einige Tage dauern würde, die Gegend sei sehr einsam. Aber dann wurde mir plötzlich ein Schiff in den nächsten Stunden angekündigt. Bald tauchten seine Umrisse am Horizont auf, hastig rasieren, etwas waschen, ein paar nötige Dinge zusammenpacken. Es war ein Riesenpott, der da von Nordosten herkam, wie ich später genauer erfuhr, 280 Meter lang, 40 Meter breit. Der Kapitän zog langsam einen Kreis um mich, aber er kam nicht an mich ran. Für enge Manöver sind die Kolosse nicht gebaut. Es wurde dunkel, schließlich startete ich meinen Motor und fuhr querkant auf die "Pacific Spirit" zu. Was würde passieren? „Fidel“ rammte gegen die hohe Bordwand und legte sich dann, wie schutzsuchend, längsseits. Eine schwere Leine kam von oben, ich konnte sie greifen, es war unglaublich schwierig, sie zum Bug zu ziehen und durch die Klüse zu zerren und schließlich über die Klampen zu belegen. Von oben kam eine zweite Leine. Ich band meine kleinen Gepäckstücke an und brüllte aus dem Dunklen nach oben: Hiev an! Von dort kamen Enttäuschungsschreie: Wir wollen nicht dein Luggage retten, sondern dein Leben! Ich hatte mir Ölzeug angezogen und die Schwimmweste angelegt, um auch dieses Zeug zu retten.
In der Brusttasche hatte ich das Hand-UKW-Gerät, der Kapitän schrie, ich solle sofort kommen, die Mannschaft brüllte von oben, aber ich musste noch eine schwere Pflicht erfüllen: Ich stieg noch einmal nach unten, durchschnitt einen Schlauch und öffnete das Seeventil. So würde „Fidel“ untergehen und nicht als Geisterschiff andere gefährden.
Eine andere Leine kam von oben, daran hing ein Lifebelt, aber ich konnte ihn nicht anlegen, alles war verdreht, und meine Hände flogen. Da bat ich um eine Strickleiter. Die kam auch. „Fidel“ schoss an der Bordwand auf und ab und wurde immer wieder grausam gegen den Großen geschmettert. Ich erlebte, wie stark mein Boot gebaut worden war, jedes Holz- oder Plastikboot wäre zerschellt. Am unglaublichsten war, dass der Mast immer noch stand, die Salinge waren neben mir herabgestürzt, ohne mich zu treffen, jederzeit konnte der Mast brechen, und bei jedem Brecher, der „Fidel“ gegen die hohe Bordwand schmetterte, schrie die Crew oben auf.
Ich musste nun die Strickleiter erwischen, und zwar mit beiden Händen. Dazu musste ich das Want von „Fidel“ loslassen. Ich hatte Angst, mal war „Fidel“ über einen Meter und mehr von der Bordwand entfernt, mal knallte er dagegen, und immer ging es meterweise auf und ab. Das Schwierige war, auch die Füße blitzschnell auf die Leiter zu kriegen. Irgendwie gelang das. Ich kletterte einige Stufen hoch und fühlte, dass die Kräfte mich verließen, war schweißüberströmt und rang um Luft. Der Blick nach oben drohte, mir den Rest zu geben – die Bordwand verschwand nach oben im Dunklen, ich hörte die Crew nur schreien, sie feuerten mich an!
Der erste Teil der Kletterei war der schwerste. Die Leiter hing am einfallenden Teil des Schiffskörpers unten frei und drehte sich auch noch. So hing die ganze Last an den Armen. Die Hände verkrampften sich um das Seil, und ich konnte sie kaum lösen. Dann kam ich in den Bereich, wo die Leiter an der senkrechten Bordwand anlag, da wurde das Klettern leichter. Schließlich konnte mich die Crew von oben packen, und dann lag ich zwischen ihnen an Deck, keuchend, gerettet. Ich rappelte mich hoch, von vielen Händen unterstützt, und sah in freundliche Gesichter: Wir haben um dich Angst gehabt, sagten sie immer wieder. Die "Pacific Spirit“ ist ein rein chinesisches Schiff einer chinesischen Gesellschaft.
Von da ab ging es mir gut. Chinesisches Essen ist gesund und schmeckt gut, ich lernte, chinesischen Tee zu lieben und chinesische Gastfreundschaft zu genießen. Der Kapitän schenkte mir zwei Hemden und einen weißen Anzug, ließ mir die Haare schneiden, denn ich sollte ja für die vielen Fototermine als ihr Geretteter ordentlich aussehen. Die Crew sammelte chinesischen Tee für mich. In mein Zimmer wurde Milch, Wasser, Obst gestellt und immer wieder nach meinen Wünschen gefragt. Die Kompanie, die das Schiff betreibt, änderte den Kurs in Richtung Mauritius, weil von da der kürzeste Heimflug für mich möglich war. Sie organisierte eine Barkasse, die mich vom ankernden Schiff abholte und einen Agenten, der den Behördenkram erledigte und für den Weiterflug sorgte. Die Zeit bis zum Abflug verbrachte ich beim deutschen Honorarkonsul auf Mauritius, auch von ihm wohlverpflegt.
Tja, nun Suche nach einer Wohnung und Versuch eines Neuanfangs. Eine schmerzhafte Lücke klafft noch neben mir: Da ist kein Boot mehr.
Mein Sohn und seine Freundin und meine langjährige Freundin Ulla helfen mir über die ersten Tage hinweg in den neuen Lebensabschnitt.
Liebe Grüße an Euch alle, Moritz"