Tatjana Pokorny
· 29.10.2022
28 Jahre nach dem letzten 470er-WM-Gold hat der deutsche Segelsport wieder zwei Weltmeister in der olympischen Zweihand-Jolle: Luise Wanser und Philipp Autenrieth sind die Champions. Weitere GER-Crews konnten ebenfalls glänzen
Vergessen ist die brutale Doppel-Disqualifikation bei den Olympischen Spielen in Japan, die Luise Wanser und ihre damalige Vorschoterin Anastasiya Winkel 2021 eine mögliche Medaille gekostet hat. Abgehakt der schockierende Schiedsrichterfehler bei der Europameisterschaft in diesem Jahr, der Luise Wanser und Philipp Autenrieth um die greifbare EM-Medaille in der neuen Olympia-Disziplin 470er-Mixed brachte. Bei der Weltmeisterschaft in Sdot Yam in Israel ließen sich Luise Wanser und Philipp Autenrieth durch nichts vom Gold-Kurs abbringen. Sie gewannen die Weltmeisterschaft mit 60 Teams aus 20 Ländern nach dominanter Vorstellung schon einen Tag vor dem Finale.
Mit den neuen Weltmeistern setzt das German Sailing Team seine goldene Erfolgswelle in diesem Herbst in mitreißender Weise fort: Sogar die WM-Veranstalter widmeten den Überfliegern Wanser/Autenrieth mit „Deutsche Dominanz“ und „Unaufhaltsam“ gleich mehrere deutschsprachige Überschriften in ihren englischen Pressemitteilungen.
Dass die 25-jährige Luise Wanser und der 32-jährige Philipp Autenrieth im Finale noch einen Crash hinnehmen mussten, bei dem das italienische Team mit dem mehrfachen Opti-Weltmeister und 470er-Neueinsteiger Marco Gradoni und Alessandra Dubbini ihnen die Backbord-Heckecke „abrasierte“, tat der überschäumenden Freude im deutschen Lager keinen Abbruch mehr. Die Welttitelkämpfe hat das norddeutsch-bayerische Duo in der Endabrechnung mit elf Punkten Vorsprung vor den spanischen Vizeweltmeistern Jordi Xammar und Nora Brugman dominiert. Bronze gewannen Camille Lecointre und Jérémie Mion aus Frankreich.
„Ich wollte immer Weltmeisterin werden. Rein segeltechnisch betrachtet, ist es mit Blick auf die große Flotte der 60 besten Teams der Welt die größte Leistung“, sagte Luise Wanser, die als erste deutsche Seglerin Mixed-Gold im olympischen Segelsport gewann. Wie Philipp Autenrieth mit seinem Bruder Julian, so war auch Luise Wanser einst mit ihrer Schwester Helena im 470er durchgestartet. Für den Vorschoter erfüllte sich ebenfalls ein lang gejagter Traum: „Ich bin 2009 mit meinem Bruder in den 470er umgestiegen. Unglaublich, dass wir jetzt 13 Jahre später den Titel feiern können.“
DSV-Coach Steve Lovegrove attestierte seinen Schützlingen eine „fantastische Serie“. Der britische 470er-Mixed-Trainer sagte: „Die beiden sind vor einem Jahr durchgestartet. Alles bis hierhin war die Vorbereitung auf diesen Höhepunkt. Man kann so ein Ergebnis nicht erwarten, aber hart dafür arbeiten. Das wurde jetzt fürs ganze Team belohnt.“
Philipp Autenrieth dankte auch den anderen deutschen Crews der Segelnationalmannschaft: „Ohne sie, ohne das German Sailing Team und ohne unser sehr intensives Wintertraining in Lanzarote wären wir nicht da hingekommen, wo wir jetzt stehen.“ Auch Luise Wanser weiß: „Das hier ist ein unheimlicher Teamerfolg. Wir hatten die ganze Saison das Privileg, immer mindestens zwei, drei deutsche Boote beisammenzuhaben. Wir mussten uns nicht nach internationalen Sparring-Partnern umsehen, konnten unser Ding machen.“
Wanser schickte auch Grüße an ihrem Heimatverein: „Ich bin im NRV im Opti durchgestartet und jetzt Weltmeisterin. Der NRV stand mir immer zur Seite.“ Nach dem WM-Triumph von iQFoil-Weltmeister Sebastian Kördel (NRV) am vergangenen Samstag ist es das zweite WM-Gold für NRV-Athleten binnen einer Woche. Erneut wird das NRV Olympic Team seine Goldprämie von 50.000 Euro für Weltmeistertitel oder Olympiasiege ausschütten. Luise Wanser sagte: „Es hat mich enorm motiviert, dass Sebastian am vergangenen Woche Weltmeister geworden ist. Er ist der Freund meiner Schwester, und ich habe mir gedacht: Wenn er das schaffen kann, dann können wir das auch.“
Und sie schafften es, auch wenn der Weg weniger leicht war, als er auf dem Papier aussieht. Luise Wanser weist dabei auf die konstanten Ergebnisse fast aller Crews hin. Philipp Autenrieth erklärt: „Es war schon sehr, sehr anspruchsvoll. Die ganze Zeit herrschten Pumpbedingungen, die extrem viel Kraft gekostet haben. Wir haben alles gegeben, und es lief gut zusammen.“ Luise Wanser stimmt zu: „Es war nicht leicht, vor allem nicht für die Vorschoter. Wir sind taktisch und strategisch sehr gut gesegelt. Unser Sieg zeigt, dass es sich gelohnt hat, im vergangenen Jahr direkt durchzustarten. Auch, wenn ich mein Studium noch zu Ende bringen musste und Philipp mich in der Zeit sehr entlastet hat.“
Dass Luise Wanser am vorentscheidenden vorletzten Renntag mit ihrer Lycra-Leggins im Schneeleopardenmuster antrat, hat sich als gutes Omen erwiesen: „Die Leggins habe ich getragen, als ich 2019 mit meiner Schwester Helena die Junioren-Weltmeisterschaft gewonnen habe. Ich dachte, das könnte Glück bringen …“ Der Ziegelmayer-470er namens „Daisy“ hat das Duo mit der Segelnummer GER 10 schnell und zuverlässig durch die Serie getragen. Ihren Namen hat die Jolle, weil Luise Wanser ein T-Shirt mit der Aufschrift “Daisy” besitzt und Philipp Autenrieth den Vorschlag machte.
Für die olympische 470er-Klasse, die 2024 vor Marseille als Mixed-Disziplin Premiere feiert, ist es das erste WM-Gold seit dem Sieg von Ines Bohn und Sabine Rohatzsch 1994. Bei den 470er-Männern war zuletzt Ausnahmesegler und Kieler-Woche-Rekordsieger Wolfgang Hunger 1991 mit Rolf Schmidt zu seinem zweiten WM-Sieg in Folge gesegelt. Im 470er-Mixed wird die Klassengeschichte von gemischten Doppeln fortgeschrieben.
Das große Leistungsvermögen der 470er-Mixed-Crews im German Sailing Team unterstrichen Simon Diesch und Anna Markfort (Württembergischer Yacht-Club/Verein Seglerhaus am Wannsee) mit Platz fünf. Simon Diesch sagte: „Die Vorzeichen standen schon vor der WM auf positiv. Ich glaube, wir haben uns als Team intensiver und akribischer auf die WM vorbereitet als alle anderen Nationen. Luise und Philipp haben den WM-Titel mit ihrer Dominanz in dieser Woche hoch verdient.“
Mit Blick auf Olympia 2024 und die anstehende nationale Ausscheidung um nur einen Olympiastartplatz im 470er-Mixed sagte Diesch: „Das wird sicher eine spannende, beinharte Quali. Aber dafür betreiben wir Leistungssport. Wer sich da durchsetzen wird, dürfte ein hoher Medaillenkandidat für die Spiele sein.“ Zu diesen Kandidaten zählen auch Malte und Anastasiya Winkel (Schweriner Yacht-Club/Norddeutscher Regatta Verein). Das segelnde Ehepaar erkämpfte mit Rang zwei im Medaillenfinale noch WM-Platz sechs. Mit drei Crews unter den besten sechs WM-Teams wirkt das German Sailing Team auf Kurs Olympia 2024 mehr als gut gerüstet.
DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner sagte: „Es ist der Hammer, was Luise und Philipp geleistet haben! Wir gratulieren sehr, sehr herzlich. Wir haben Weltmeister, drei Boote im Medaillenrennen, insgesamt vier in den Top 15. Die herausragende Gesamtleistung zeigt, wie gut gearbeitet wurde. Das gilt für das Gesamtpaket von Seglern, Trainern, Vereinen und allen Unterstützern.“ Das German Sailing Team gewann auch die WM-Nationenwertung.