120 Jahre YACHTVom Kannibalismus zu digital first

YACHT-Redaktion

 · 23.07.2024

120 Jahre YACHT: Vom Kannibalismus zu digital firstFoto: YACHT
Die YACHT ist 120 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum kramten Zeitzeugen der YACHT-Geschichte ganz persönliche, bisher unveröffentlichte Anekdoten aus dem vielseitigen Redaktionsalltag hervor. Hier sind sie in mehreren Teilen zu lesen. Heute: YACHT-Chefredakteur digital Lars Bolle

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Lars Bolle, Chefredakteur digital

Weit mehr, als in ein Heft passt”

Lars Bolle über die bescheidenen Anfänge von YACHT online und fast 30 Jahre Entwicklung bis zum heutigen „Digital first“

Wir müssen jetzt auch etwas im Internet machen.“ Das soll Verlagsleiter Olaf Kleinelanghorst Mitte der neunziger Jahre zu Chefredakteur Jörn „Edde“ Bock gesagt haben. Zumindest ist es so überliefert. Edde gab den Satz auf einer Redaktionskonferenz wieder, gefolgt von dem wenig ambitionierten Hinweis, dass sich bei ihm melden solle, wer das machen möchte. Ich war jung und naiv und neugierig genug, also meldete ich mich. Das liegt nun fast 30 Jahre zurück, und das Thema Internet, heute verallgemeinernd mit Digital umrissen, begleitete mich die ganze Zeit.

Lars Bolle lernte Wassersport verkehrtrum kennen, als Ruderer. Erst 1983 kam der gebürtige Warnemünder zum Segeln. Im Finn wurde er 1990 10. bei der ersten gesamtdeutschen Meisterschaft, 1991 Deutscher Meister. Beim Vorstellungsgespräch für die YACHT stand er 1995 vor der Wahl: „Journalist oder Olympiasieger?“ Lars wählte das Wort.Foto: YACHT/S.ReinekeLars Bolle lernte Wassersport verkehrtrum kennen, als Ruderer. Erst 1983 kam der gebürtige Warnemünder zum Segeln. Im Finn wurde er 1990 10. bei der ersten gesamtdeutschen Meisterschaft, 1991 Deutscher Meister. Beim Vorstellungsgespräch für die YACHT stand er 1995 vor der Wahl: „Journalist oder Olympiasieger?“ Lars wählte das Wort.

Wobei Internet in den Anfängen nichts mit dem heute bekannten zu tun hatte. Zu Beginn waren wir ein „IP“ von AOL, ein sogenannter Individual Producer bei America Online, einem der ersten Internetanbieter. Das Netz bestand damals nur aus den Angeboten einiger weniger Telekommunikations-Riesen. In vorgefertigte Masken wurden Meldungen und Bilder in Briefmarkengröße eingefügt. Zugriff hatten nur Mitglieder von AOL und damit zahlende Kunden dieses Anbieters. Eigene, freie Internetauftritte gab es damals praktisch nicht.

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Das alles, und später viel mehr, passierte neben meinem eigentlichen Job. Ich war Ressortleiter Sport, wurde aber auch überall sonst eingesetzt: Seemannschaft, Tests, Reviere.

Mein Weg zur YACHT führte über ihre, wie wir es immer nannten, kleine Schwester, das Magazin „Der Segler“. Gegründet nach der Wende als Joint Venture mit dem Delius Klasing Verlag, versuchten die damaligen Verleger, das Ehepaar Gangloff, eine Zeitschrift für Segler aus der ehemaligen DDR zu etablieren. Ich schliff gerade das Unterwasserschiff meines Finn-Dinghys im Yachthafen Warnemünde, als Ralf Gangloff vorbeikam und mir den Handschlag für ein Volontariat gab, auf das ich mich zuvor beworben hatte. Schnell war jedoch klar, dass die gewünschten Zahlen nicht zu erreichen waren. Die Redaktion zog von Rostock nach Travemünde um und ich mit, das Magazin wurde inhaltlich auf „Norddeutschland“ erweitert, die Zahlen stiegen. Jedoch nicht im nötigen Umfang. Als „Der Segler“ eingestellt wurde, bekam ich das Angebot, zur YACHT zu wechseln.

Da saß ich nun also, als Einziger mit einem Internetzugang, noch mit Telefonmodem, Bandbreite 56 Kilobit pro Sekunde. Wer sich erinnert: Das war die Zeit, als man sich nach dem Eingeben des Verbindungsbefehls erst mal einen Kaffee holen konnte, um dann dem Fiepen und Knarzen des Modems zu lauschen.

Ein bis zwei Jahre vor der Jahrtausendwende ging es dann ins „richtige“ Internet, mit eigenem Auftritt und eigener Adresse: yacht.de. Die Technik hatte sich kaum geändert, ISDN kam erst ab 1998, immerhin mit 64, als Doppelleitung mit 128 kbps. Allerdings musste ich mir diese mit der Grafik teilen, die schon damals erste digitale Layouts mit der Druckerei austauschte. Wenn da ein Upload lief, war erst einmal Pause.

Wie das Heft hat auch der Internetauftritt der YACHT mehrere Redesigns und Erweiterungen erfahren. Heute  erscheint alles digitalFoto: Repro/YACHTWie das Heft hat auch der Internetauftritt der YACHT mehrere Redesigns und Erweiterungen erfahren. Heute erscheint alles digital

Die Strategie war damals anders als heute. Die gedruckte YACHT hatte und hat bis heute etwa zehn Tage Vorlaufzeit. Echte Aktualität war also nicht möglich. Heute kommt es mir fast lächerlich vor, dass wir in jedem Heft eine Doppelseite mit Regattaergebnissen füllten. Die Listen, per Fax übermittelt, waren bei ihrem Erscheinen längst Schnee von gestern.

YACHT online sollte dagegen die „Tageszeitung für Segler“ sein, also über Aktuelles berichten. Finanziert, so die Hoffnung, über Werbeeinnahmen, da das Internet in seinen Anfängen überall kostenlos war. Inhaltlich war der Auftritt als Ergänzung zum Heft gedacht, keinesfalls als Konkurrenz, denn das gedruckte Heft durfte nicht gefährdet werden.

Ja, das war tatsächlich über viele Jahre, eher Jahrzehnte, das Denken. Von Kannibalismus war die Rede, Online würde dem Heft zum Nulltarif Leser wegnehmen. Ein Totschlagargument, dem mehr Gefühle als Argumente zugrunde lagen. Festgemacht wurde es am langsamen Abschmelzen der Print-Auflage, dem sich auch die YACHT trotz aller Anstrengungen nur in zwei der letzten 25 Jahre entziehen konnte.

Heute führen Online-Experten den Print-Schwund auf eine Änderung der Lesegewohnheiten zurück. Sehr interessant ist dazu eine Statistik aus den USA, beginnend 1945, Ende 2015. Es wurde die Häufigkeit der Nutzung von Zeitungen in Haushalten untersucht. Die Kurve zeigt, von einigen kleinen Erhebungen und Senkungen abgesehen, wie mit dem Lineal gezogen nach unten. Weder das Radio noch das Fernsehen, noch das Internet hatten einen schlagartigen Einfluss auf die Nutzung gedruckter Medien. Vielmehr ist die Wandlung von Print zu Digital ein fließender Prozess gewesen, der bis heute anhält.

Diese Entwicklung ging auch der Delius Klasing Verlag mit. Vor drei Jahren baute er eine Digitalabteilung auf; ich verließ meine Print-Heimat bei der YACHT und leite seither als Chefredakteur alle digitalen Wassersportauftritte.

Digital ist heute ein fester Bestandteil der Arbeit jedes Redakteurs. Und es kam eine ganze Familie neuer Produkte hinzu: Youtube, Facebook, Instagram, Podcast, Newsletter. Mit der Beschleunigung des Digitalausbaus ging ein Strategiewechsel einher. Alle von der Redaktion produzierten Inhalte gibt es auch online, und zusammen mit der tagesaktuellen Berichterstattung sind es weit mehr Artikel, als das Heft in einem vergleichbaren Zeitraum liefern kann. Seit Frühjahr dieses Jahres als Premium-Angebot, das heißt als kostenpflichtiges Abo für 2,49 Euro pro Woche. Also weniger, als der Kaffee gekostet hat, den man damals beim Warten auf die Einwahl holte.

Es wirkt auf mich noch immer fast surreal, dass wir 120 Jahre YACHT feiern, aber bereits über rund ein Viertel dieser Zeit auch digital unterwegs sind. Was für eine fulminante Entwicklung!

Lars BolleFoto: PrivatLars Bolle

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