Nächtelang bei viel Mokka und Tabak”
Von den frühen Anfängen am Potsdamer Platz bis zur Schleswig-Ära: wie A. G. Nissen die YACHT über Jahrzehnte prägte
Die Alte Potsdamer Straße 5, Berlin-Tiergarten, war vor dem Zweiten Weltkrieg eine erste Adresse. Hier stand das mit Muschelkalk verkleidete „Weinhaus Hut“, angesagt, wenn es in Berlin um einen guten Schoppen ging. Doch wenn mein Vater, A. G. Nissen, die Adresse aufsuchte, ging es ihm nicht vorrangig um ein Glas erlesenen Rebensaftes, sondern um Besuche in der Redaktion der Zeitschrift „Die Yacht“. Die residierte mit ihrem Schriftleiter Karl Jasper über dem Weinhaus.
Mein Vater war Grafiker und Maler in Berlin, doch vor allem Segler von der Flensburger Förde, mit Lehrjahren im Flensburger Segel-Club. Er hatte 1936 die Atlantikregatta auf der „Aschanti“ gesegelt und 1938 den „Roland von Bremen“ stürmisch in die USA mit überführt. Die Berliner Seenlandschaft gehörte seit seinem Kunststudium in der Hauptstadt zu seinem Segelalltag. Bei Karl Jasper diente er sich als Illustrator an.
Die schlichten Spalten der YACHT zierten fortan kleine Vignetten, auf denen alles stimmte: der Rumpf in der Welle, die Segelstellung vorm Wind, die Yacht an der Kreuz. Als Segler und Zeichner ging für meinen Vater ein Traum in Erfüllung, sogar ein Honorar gab es. 1938 übernahm Günther Grell die Chefredaktion, und dieser leidenschaftliche Vielarbeiter war es dann auch, der nach Kriegsende die YACHT in Schleswig an der Schlei unter bescheidensten Bedingungen wiederbelebte; erst als „Segler-Nachrichten“, dann als „Yacht-Nachrichten“, schließlich wieder unter dem alten, zunächst von den Besatzungsmächten verbotenen Namen. Im Januar 1949 erschien die erste Nachkriegsausgabe, auf einfachstem Papier mit wenigen Seiten.
Auch mein Vater musste Berlin verlassen und lebte nach 1945 wieder in seinem Geburtsort Rinkenis an der Flensburger Förde – nicht weit von seinem Freund Günther. Die beiden trafen sich nun regelmäßig und produzierten tage- und nächtelang die YACHT-Ausgaben, bei viel Mokka und Tabak. Grell schrieb, mein Vater zeichnete.
Fotos fanden sich auf den praktisch anzeigenfreien Seiten selten, dafür Nissen-Zeichnungen, mal illustrativ, mal technisch: von den unterschiedlichen Riggs, internationalen Meter-Klassen, Schärenkreuzern, Seefahrtskreuzern mit ihren jeweiligen Zeichen, natürlich auch von den olympischen Klassen und den Regattabahnen der Kieler Woche. Mann-über-Bord-Manöver kamen vor und auch Beidrehen in schwerer See. Gern fertigte mein Vater ganzseitige Zeichnungen nach dem Motto „Was ist was?“: Baum, Schothorn, Fockschot, Wanten, Spanten, Segellatten – alles zum Nachschauen, Finden und Lernen. Solche Strecken in der YACHT waren wie Miniaturen von „Die kleine Seemannschaft“. In diesem Buch bündelten die beiden schon 1949 ihr geballtes Segelwissen – Grell mit fundierten, dabei amüsanten Texten, A. G. Nissen mit gefühlt hundert detaillierten Zeichnungen.
Mein Vater verlieh der YACHT nach dem Krieg auch mit manchem Titel ihr Gesicht. Dazu gestaltete er zahlreiche Bücher für den Delius Klasing Verlag. Diese Ära währte bis in die sechziger Jahre. Dann zog die Redaktion von Schleswig nach Hamburg um. Eine neue Epoche begann: Fotos ersetzten den Nissen-Strich, das Ein-Mann-Büro Grell wurde durch eine größere Crew ersetzt.
Und das „Weinhaus Hut“? Neben dem legendären Hotel „Esplanade“ blieb es als einziges Haus am total zerbombten Potsdamer Platz unversehrt, dank seiner robusten Stahlkonstruktion. „Die Yacht“ kehrte an ihre erste Adresse aber nicht zurück. Bis heute sollte das Redaktionsbüro nie wieder über einem renommierten Weinlokal liegen.
Das Interview mit Éric Tabarly, das ich in der Dusche führte”
Welche Höhepunkte Svante Domizlaff in 50 Jahren als Autor erlebte – und warum Horst Stern für ihn unvergessen bleibt
Die YACHT begleitet mich fast mein ganzes Leben lang. Ich habe sie schon gelesen, als ich noch gar nicht richtig lesen konnte. Und ich habe für sie geschrieben, als ich noch gar nicht richtig schreiben konnte. Diese Begebenheiten sind mir in besonderer Erinnerung geblieben:
Mein Vater Hans Domizlaff hatte 1930 als erster deutscher Segler mit einer Yacht das Nordkap erreicht und über die Reise mit „Dirk III“ eine Serie in der YACHT veröffentlicht. Später entdeckte er mit seinem Motorsegler „Triglav“ die Côte d’Azur für die Leser. Verleger Konrad Wilhelm Delius war daher stets ein gern gesehener Gast an Bord. So auch an einem Sommerabend 1958 in Arnis. Nach einem feucht-fröhlichen Besuch ging der elegante Herr aus Bielefeld die Gangway hinunter, bog falsch ab – und plumpste ins nachtdunkle Wasser der Schlei. Weg war er. Schreie, Stille, dann ein Prusten, schließlich Erleichterung: Rettung geglückt! „Aha“, dachte ich, „das ist also der Mann, dem die YACHT gehört.“
Obwohl journalistisch ungelernt, wurde ich 15 Jahre später als Redakteur Konrad Wilhelms Angestellter. Das Hamburger Redaktionsbüro lag in den oberen Etagen eines Privathauses an der Neuen Rabenstraße nahe der Alster in Hamburg. Große Aufregung schon am ersten Tag. Die Vermieterin der Immobilie war am Morgen in ihrem Blut liegend hinter der Eingangstür aufgefunden worden. Die Axt lag noch daneben. Was für ein Einstand!
Ein Jahr später, 1973, erlebte ich als einziger deutscher Journalist den grandiosen Sieg des hiesigen Admiral’s-Cup-Teams mit den Yachten „Saudade“, „Rubin“ und „Carina“. Die Segelwelt war von den Socken. Für mich gab’s daher viel zu berichten, auch weil sich Premierminister Edward Heath als Teamchef der Briten mit seiner „Morning Cloud“ im Nebel verirrt hatte.
1976 schickte mich die YACHT zu den olympischen Segelregatten nach Kanada. Eine glorreiche Zeit! Deutschland (West) gewann zwei Gold- und eine Bronze-Medaille. Delegationsleiter Otto Schlenzka, legendärer Kieler-Woche-Chef und weltkriegserprobter Marineoffizier, bekam auf dem Süßwasserrevier Salzwasser in die Augen. Deutschland (Ost) holte Gold und Bronze. Den Bericht haben die SED-Oberen aber erst spät erhalten, weil ihre Korrespondentin vor Ort, ein wahrer Drachen, vom Steg gefallen war. Ausweis weg, Akkreditierung weg, keine Leitung frei, um den Erfolg ihres Gold-Jungen Jochen Schümann, 22, in die sozialistische Heimat zu telefonieren. Den Ausweis haben wir ihr am nächsten Tag zurückgegeben ...
In den späten siebziger Jahren erreicht die YACHT mit 124.000 verkauften Exemplaren ihre höchste Auflage. Die Hefte haben regelmäßig mehr als 200 Seiten Umfang und lassen sich kaum noch klammern. Es gab ein Telex in der Redaktion, aber noch kein Fax, keine Computer. Die Manuskripte klapperten wir mit drei Durchschlägen in unsere Monika-Schreibmaschinen. Den Rest des Tages spielten wir in der Redaktion „Schiffe versenken“.
Zu dieser Zeit erhielt ich Post von einem Weltumsegler, der über ein Taifun-Erlebnis auf den Fidschi-Inseln berichtete: ein Meisterstück! Wir trafen uns später auf der Hamburger Bootsmesse, er im Trachtenjanker. Der Amtsrichter aus Oberbayern sollte später einer der bekanntesten YACHT- und Bestseller-Autoren werden: Bobby Schenk.
Mein großes Vorbild war und blieb stets Horst Stern. Mit ihm begleitete ich 1981 die Gerichtsverhandlung über den Doppelmord auf der Hochseeyacht „Appolonia“, er, der Meister, ich sein Schüler. Viele Male sind wir zum Prozess nach Bremen gefahren. Regelmäßig schlief Horst Stern im Gerichtssaal ein, vernehmlich schnarchend. War mir höchst unangenehm. Aber der Vorsitzende hatte Nachsicht mit dem berühmten Reporter.
Was ich über den Journalismus gelernt habe, verdanke ich dem Herausgeber der YACHT. Wir blieben befreundet bis zu seinem Tod. Horst Stern wurde 97 Jahre alt. Wir haben ihn 2019 in kleinem Kreis nahe Passau zur Musik eines bayerischen Dudelsackspielers begraben. Das hatte er sich so gewünscht.
Ich könnte ein Buch über meine Erlebnisse bei der YACHT schreiben. Über das Interview mit Éric Tabarly, das ich 1973 mit dem ansonsten unzugänglichen Seeheld der Franzosen in der Dusche führte. Über meinen Besuch in der Royal Yacht Squadron, die ihre heiligen Hallen erstmals einem ausländischen Reporter öffnete. Über die Gespräche mit Wilfried Erdmann. Aber am Ende bleibt für mich die Zeit mit Horst Stern am unvergesslichsten.
“Sie haben die Welt umsegelt, also wird Ihr Artikel gedruckt!
Wie Bobby Schenk in der YACHT alte Lehrsätze erschütterte und Tausenden von Seglern die Kunst der Astronavigation näherbrachte
Für diese Geschichte muss ich ein wenig ausholen. Sie beginnt in den späten siebziger Jahren, als meine Frau Karla und ich auf unserer ersten Weltumsegelung sind. Auf den Marquesas-Inseln warten wir auf eine günstige Abfahrtszeit durch die Tuamotus, als mich ein Amerikaner fragt, ob ich ein einfaches Rezept für die Navigation mit dem Sextanten habe. Über meinen Vorschlag, er müsse halt mit der Gesamtbeschickung anfangen, also den Korrekturen für Lichtbrechung, Winkelhöhe, Luftdruck et cetera, wirkt er nicht begeistert. „Total Correction???“, fragt er skeptisch. „Ah…, you mean ‚plus ten‘?“
Da geht mir ein Licht auf. Der Mann erspart sich einfach diese Rechnerei, indem er immer zehn Minuten dazurechnet. Ist das so verkehrt? Ja, aber genial! Denn bei der auf Yachten üblichen Augeshöhe erhält man als Ergebnis, die unwichtigen Zehntelmeilen auf- oder abgerundet, tatsächlich nur drei Werte: zehn, elf oder zwölf Minuten. Rechnet man der Einfachheit halber stets nur zehn Minuten dazu, liegt man im schlimmsten Fall zwei Seemeilen daneben. Für die Praxis langt das. Man muss nur wissen, dass in der astronomischen Navigation ohne Kommastellen gearbeitet wird – und kann sich die Gesamtbeschickung sparen.
Der „Plus ten“-Gedanke elektrisiert mich. Ich finde mit der Zeit noch eine ganze Reihe von Vereinfachungen und will meine Methode publik machen. Also schreibe ich Anfang der Achtziger einen Artikel für die YACHT, die zuvor schon manchen Bericht von mir gedruckt hatte, mit dem Hinweis, dass man die astronomische Navigation an einem Wochenende lernen könne.
Harald Schwarzlose verweist mich an den Fachmann in der Redaktion, Hans Georg Strepp. Der freilich lehnt glattweg ab – unter anderem, weil ich nicht die „Hexagesimal-Schreibweise“ verwendet habe. Strepps Brief, den Schwarzlose an mich weiterleitet, ist bemerkenswert kurz, um nicht zu sagen verstümmelt. Der Chefredakteur hat nämlich vorsichtshalber unsachliche Bemerkungen von Strepp weggeschnitten und die kläglichen Reste mit Tesa zusammengeklebt.
Auf der Bootsausstellung in Hamburg steckt er Strepp und mich in ein Kabuff. Wir diskutieren heftig, bis der Chef entscheidet: „Sie haben mit dieser Methode die Welt umsegelt, also wird Ihr Artikel gedruckt!“ Schwer zu verdauen für Strepp, der bis dahin der große Navigationsexperte der YACHT war. Viele bewunderten ihn, darunter auch ich, wegen seiner spitzen, gelegentlich bitterbösen Schreibe.
Also erschien der Artikel. Und er löst eine Flut an positiven Leserzuschriften aus, wie sie die Redaktion vorher noch nicht erhalten hat. Ermutigt biete ich dem Verlag ein Buch an, Titel: „Astronavigation – ohne Formeln praxisnah“. Die Büroleiterin, Frau Steinbrinker, fragt vorsichtig, wie viele Leser dieses Buch wirklich brauchen würden. Ich sagte ehrlich: „Vielleicht 50.“ Delius Klasing nimmt es dennoch in die Programmvorschau auf. Kurz darauf liegen schon 5.000 Vorbestellungen vor.
Hans Georg Strepp nimmt die ungeheure Nachfrage nicht ganz unwidersprochen hin. Er bezeichnet meine vereinfachte Form der Astronavigation als „Methode für Idioten“. Es sei ihm verziehen. Inzwischen ist das Buch in der 17. Auflage am Markt und hat an die 100.000 Leser gefunden.
Die Zwist mit Strepp ist längst Geschichte. Letztlich haben wir uns sehr gut vertragen. Denn abgesehen von seiner gelegentlich bösartigen Schreibe war er ein sympathischer Mann. Sein Verleger meinte, er sei halt nicht wiederzuerkennen, wenn er hinter einer Schreibmaschine sitzt. Als wir uns das letzte Mal sehen, zeigt er noch so viel Humor, dass er mich, den er einst als „Staatsanwalt wilhelminischen Zuschnitts“ betitelt hatte, zu einem Foto bittet, auf dem wir unsere Kugelschreiber kreuzen.