Das Geschenk des Winfried Herrmann”
Wie die YACHT von Deutschlands führendem zu Europas wichtigstem Segelmagazin wurde – unfreiwillig
Die Beziehung zwischen Werften und Redaktion ist stets eine delikate. Man kennt sich, schätzt sich, geht der gleichen Leidenschaft nach und ab und an auch bei schwerem Wetter gemeinsam in See. Das verbindet. Umso härter kann der Aufprall werden, wenn die Harmonie von der Wirklichkeit herausgefordert wird.
Mit Bavaria ist uns das mehrfach widerfahren, und den Giebelstädter Bootsbauern umgekehrt mit den „Schreiberlingen aus Hamburg“, als die uns Winfried Herrmann in weniger guten Tagen titulierte. Auch das Wort „Schmierfinken“ fiel vereinzelt.
Herrmann, 2015 im Alter von nur 72 Jahren verstorben, war zusammen mit Willy Dehler und Michael Schmidt der fraglos innovativste und zugleich erfolgreichste Werftchef der Republik. Auch im internationalen Vergleich können sich nicht viele mit ihm messen. Als eine Art „Henry Ford des Serienyachtbaus“ entwickelte der ehemalige Fensterfabrikant die effizienteste Produktion für Seeschiffe weltweit. Er war freilich so besessen vom Streben nach Erfolg und so hemdsärmelig in seinem unternehmerischen Gebaren, dass er immer wieder Grenzen überschritt. Seine Zulieferer ließ er gern von weit her anreisen, nur um ihnen in breitem Fränkisch mitzuteilen, dass sie gleich wieder ins Auto oder den Zug steigen könnten, nachdem er ihre Angebote förmlich und wörtlich zerrissen hatte. Wahrscheinlich muss man so ticken, um Marktführer zu werden. Herrmann jedenfalls war so.
Da verwundert es nicht, dass er auch sonst kein Pardon kannte. Um den Erfolg seiner Boote zu sichern und die Konkurrenz zu düpieren, schreckte auch nicht davor zurück, die Wahl zur Yacht des Jahres zu kapern. Die war in den neunziger Jahren als Leservotum konzipiert. Teilnehmen konnte nur, wer die offiziellen, der YACHT beigehefteten Stimmkarten ausfüllte. Winfried Herrmann, ganz findiger Geschäftsmann, ließ also in großem Stil Ausgaben an den Kiosken im Raum Würzburg aufkaufen, sogar bei Grossisten ließ er anfragen. Die Hefte verteilte er an Mitarbeiter und Händler, die wiederum ihre Familienmitglieder um Hilfe baten. Das Ergebnis: In jeder Kategorie, in der eine Bavaria nominiert war, bekam diese die mit Abstand meisten Stimmen.
Als wir den Schwindel 2001 aufdeckten und öffentlich machten, verhängte der Werftchef den ersten von zwei länger währenden Anzeigenboykotten (der zweite folgte nach der kritischen Berichterstattung über mangelhafte Kielkonstruktionen an Booten des Typs 38 und 42 Match). Tatsächlich aber machte uns Winfried Herrmann ungewollt das größtmögliche Geschenk.
Weil die Leserwahl desavouiert war, mussten wir fürs Folgejahr eine Alternative finden. Und die sollte sich als ein Gewinn in jeder Hinsicht erweisen: Europas Yacht des Jahres.
Die Auszeichnung, von vielen als „Oscar des Bootsbaus“ bezeichnet, verlegte den Auswahlprozess vom Wohnzimmer aufs Wasser. Statt Lesern entschied fortan eine Fachjury der zwölf führenden Segelmagazine über Nominierungen, Platz und Sieg. Statt einer nationalen Bestenkür entstand die weltweit angesehenste Wahl der Yachtbranche. Spätestens durch diese Initiative wurde auch die YACHT selbst, wiewohl schon immer bedeutsam, endgültig zum europaweit führenden Leitmedium des Wassersports.