Zwei Bilder von gut und gern 25.000”
Von 1980 an prägte er das Bild der YACHT. Was Hans-Günter Kiesel als erster und letzter Hausfotograf so alles erlebte
Schon in meiner Zeit als Fotograf des „Hamburger Abendblatts“ hatte ich einige Berührungspunkte mit dem Yacht- sport. Ich besuchte Bootsmessen, unternahm für meine Zeitung Reisen in die Partnerländer, begleitete Werftpräsentationen in Finnland, Schweden und Großbritannien. So wird auch die Redaktion auf mich aufmerksam und bietet mir eine Festanstellung an. Vom„Kartoffeldruck“ einer regionalen Tageszeitung zum Hochglanzmagazin!
Im Sommer 1980 beginnt meine Arbeit auf der Travemünder Woche. Verleger Konrad Delius zeigt mir gleich, wo ich statt meiner grünen Sportschuhe passende blaue Bootsschuhe erwerben kann. So viel Etikette muss schon sein. Es wird auch sonst eine höchst interessante Zeit. Mein erstes Titelfoto produziere ich an einem lauen Sommerabend am Strand von St. Peter-Ording. Zu illustrieren ist ein Sicherheits-Journal; als Aufmacher soll eine Rettungsinsel in Aktion auf Seite eins erscheinen. Fotos, selbst erstellt, werden für das Magazin immer wichtiger. Sie sind Teil der Identität der Zeitschrift. Und sie unterstreichen, dass wir, worüber wir schreiben, auch wirklich erfahren haben.
Für meine Kollegen Joachim Muhs, Karin Rübner und Eric von Krause heißt das, vom Fotoboot namens „Tintenfisch“ zunächst ins Nordseewasser zu steigen und anschließend in die Insel zu klettern. Die Wasserschutzpolizei ist informiert, dass wir Seenotfackeln abbrennen werden. Man will ja keinen Einsatz auslösen. Ich warte das richtige Licht ab, in den Händen eine Mittelformat- Kamera Mamiya 645. Die ist sperriger als eine Kleinbild-Spiegelreflex, bietet aber eine bessere Auflösung. Für den Titel ist das entscheidend. Nach zwei Tagen bekomme ich die Diapositive aus dem Labor zurück. Das Foto wird von der Grafik am Leuchttisch ausgesucht, mit dem „Fadenzähler“, einer kleinen Lupe. Am 8. Oktober 1980 erscheint Yacht 21. Sie ist 298 Seiten stark. Und vorn drauf mein erstes Titelbild!
Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werde ich von da an fast alle YACHT-Tests begleiten. Segeln, Ausrüstung und Charterreisen begeistern mich. Jede neue Hallberg-Rassy etwa wird von uns schon damals in Schweden getestet. Der Werftchef, Christoph Rassy, ist immer dabei und kocht höchstpersönlich hausgemachte Fischsuppe an Bord. Sie schmeckt vorzüglich. Und so wird sie Teil einer kleinen Tradition.
Anfang der achtziger Jahre wird das Heft noch überwiegend mit Schwarz-Weiß-Fotos bebildert, die ich selbst im Labor entwickle und vergrößere. Nach und nach wird das Heft jedoch farbiger. Für Fotos auf See eignet sich meine Leica mit manueller Scharfeinstellung nicht, denn eine Hand brauche ich zum Festhalten, die andere für meine Pentax-Autofokus-Kamera. Spätestens nach 37 Aufnahmen muss ich schon den Film wechseln – ohne dass Spritzwasser ins Gehäuse kommen darf. Häufig bin ich genau dann unter Deck, wenn Schiff und Segel in der besten Position zur Sonne stehen. Von den Segnungen der Digitalfotografie konnte ich damals nicht einmal träumen. Aber es ging auch analog.
Einer meiner unvergesslichsten Einsätze führt mich mit Uwe Janßen und Jochen Rieker im Juli 2001 nach England. Wir chartern eine Moody 36 und segeln auf den Englischen Kanal, um Wilfried Erdmann vor seiner Ankunft in Cuxhaven abzupassen. Ein schwieriges Unterfangen, denn der Kanal ist groß, und es bläst mit 7 bis 8 Beaufort aus West. Eine Nacht warten wir vor Anker in einer Bucht mit querlaufendem Schwell. Die Bewegungen sind so stark, dass das Geschirr in der Kombüse scheppert. Sie machen mich total seekrank.
Am nächsten Morgen gehen wir früh Anker auf. Die frische Seeluft macht mich wieder munter, und gegen Mittag entdecken wir an der Kimm tatsächlich einen Segler. Ist es Wilfried? Tatsächlich, er ist es! Ich bin hellwach und jage ein Dutzend Filme durchs Magazin, so viele wie möglich. Denn es ist ein historischer Moment. Schon im Juli 1985 durfte ich Wilfried nach seiner ersten Nonstop-Weltumsegelung begrüßen, damals in Kiel. Beide Ereignisse werden zu YACHT-Titeln, in Heft 16/1985 ebenso wie in Heft 16/2001.
Die Wende der Fotografie kommt für mich ein Jahr später. Alles Handwerkliche der analogen Fotografie kann ich von da an vergessen. Mit meiner Nikon 5000 beginnt das neue Zeitalter der Fotografie. Das erste digital aufgenommene Bild erscheint im Februar 2002. Bis heute fasziniert mich die Möglichkeit, Fotos gleich nach der Aufnahme betrachten und notfalls wiederholen oder variieren zu können. Und dann der rasante Fortschritt! Ein iPhone Pro der neuesten Generation kann mehr als die ersten drei Generationen meiner Nikon-Profikameras.
Zusammengenommen sind wohl gut und gern 25.000 Bilder und zig Titelfotos von mir erschienen, dazu Aufnahmen in über 100 Fachbüchern von Delius Klasing. Von 1980 bis zu meinem Ruhestand gab es keine einzige YACHT ohne ein Foto von mir. Als das „Hamburger Abendblatt“ eine Geschichte über mich, seinen einstigen Hausfotografen, veröffentlicht, überschreibt es ihn mit: „Dienstreise ins Paradies“. Besser kann man es nicht ausdrücken. Ich hatte übrigens für die 27 Jahre Festanstellung keinen Arbeitsvertrag. Ein Handschlag vom Verleger genügte.