Andreas Fritsch
· 26.08.2022
YACHT-Meteorologe Dr. Michael Sachweh im Interview über die Lehren aus dem schweren Gewittersturm über Korsika vor einer Woche
Letzte Woche wurde Korsika von einer schweren Gewitterfront getroffen, die in Verbindung mit einem Tief nordostwärts über die Insel und dann weiter zur nördlichen Adria bis nach Österreich zog. Zehn Menschen starben, Dutzende Yachten strandeten oder sanken in Böen von über 200 Stundenkilometern. Selbst in Österreich knickten Hochspannungsmasten um. Wir sprachen mit dem Meteorologen und YACHT-Wetterexperten Dr. Michael Sachweh über den Sturm und welche Lehren und Rückschlüsse sich für Mittelmeersegler daraus ableiten lassen.
Müssen sich Mittelmeersegler jetzt verstärkt auf solche Phänomene einstellen?
Der ungewöhnlich warme und sonnenscheinreiche Sommer hat zu einer rekordverdächtigen Aufheizung des Mittelmeers geführt, vielerorts liegen die Wasseroberflächentemperaturen bei 27 bis 30 Grad. Je wärmer das Wasser, desto mehr Wasserdampf verdunstet in die Atmosphäre. Bei jeder labilen Wetterlage mit Tiefdruckeinfluss oder kalten Höhentiefs („Kaltlufttropfen“) kondensieren diese großen Feuchtigkeitsmengen in Gestalt gewaltiger Gewitterzellen. Das überwärmte Mittelmeer ist also eine tickende Zeitbombe mit Blick auf die bald beginnende herbstliche Gewittersaison! Segler sollten sich in der Nachsaison also auf besonders heftige Gewitter einstellen, mit Sturm- oder sogar Orkanböen, Hagel und Sintfluten. Dann sind 30 bis 80 Liter pro Quadratmeter in nur einer Stunde möglich. Für Segler auf See nicht so das Problem, doch Marinas könnten durch den vorübergehend erhöhten Meeresspiegel in der Nähe Hochwasser führender, an der Küste mündender Flüsse geradezu absaufen, besonders wenn es dann auch noch auflandig weht. Ganz zu schweigen von den Flash-Flood-artigen Verwüstungen im Hinterland.
Müssen wir uns an solche extremen Phänomene gewöhnen?
Das Unwetter über Korsika war schon ungewöhnlich. Ein starker südwestlicher Jetstream in der höheren Atmosphäre peitschte die gewittrige Orkanfront auf 300 bis 400 Kilometern nach Nordosten – von der Westküste Korsikas über die toskanische Küste bis zum Golf von Venedig – und ließ sich noch nicht einmal von den österreichischen Bergen aufhalten. Eine extreme Wetterlage, die Experten mit den berüchtigten „Derechos“ der USA vergleichen: Ein Derecho ist eine Gewitterfront mit Böen, die teils weit mehr 100 km/h aufweisen, die mit hoher Geschwindigkeit auf breiter Front über viele Hundert Kilometer nach Osten rast und dabei gewaltige Verwüstungen anrichtet. Solch ein Phänomen ist in Europas sehr selten, kann aber in extremen Situationen wie kräftigen Tiefs über einem aufgeheizten Mittelmeer auch hier auftreten. Das Mittelmeer hat sich nach dem Unwetter vom 18. August ein wenig abgekühlt, ist aber immer noch überwärmt. So müssen sich Segler auf einen turbulenten Spätsommer und Herbst bei Tiefdrucklagen einstellen!
Kann man so extreme Gewitterstürme eigentlich exakt vorhersagen?
Mit Sicherheit wurde für Korsika vor schweren Gewittern und Unwettern gewarnt, aber das Ausmaß des Windes war extrem und schon überraschend. Bisherige Augustrekorde von Windspitzen, die jahrzehntelang galten, wurden durch den mediterranen Derecho gleich reihenweise pulverisiert. Sogar an der durch die Berge geschützten Ostküste wurde mehr als 100 km/h registriert. Ab 118 Kilometern pro Stunde beginnt Windstärke 12, an der Westküste waren es teils über 200 km/h ! Ein Tipp: Achten Sie in Wetterportalen wie „Windy“ auf die Luftströmung in drei bis fünf Kilometer Höhe. Weht es dort mit Orkanstärke, sind in der Nähe von Schauern und Gewittern auch am Wasser schwere Sturm- oder gar Orkanböen zu erwarten.
Was kann der Skipper dann überhaupt tun, um sich davor zu wappnen, von solchen Ereignissen überrascht zu werden? Viele Crews vor Korsika wurden ja vor Anker oder an Bojen kalt erwischt, und die Schiffe gingen auf Drift, verhakten sich, strandeten, sanken.
Natürlich schon am Tag vor der angesagten Wetterlage einen vor der Windrichtung geschützten Hafen suchen oder, falls nicht verfügbar, wenigstens eine sehr gut geschützte Bucht. Ist ein starkes Gewitter mit Sturmböen angesagt, oder zeichnet es sich ab (aktuelle Regenradarbilder in Tools wie „Wetteronline“), dass solche bereits entstanden und mit uns auf Kollisionskurs sind, sollte der Skipper ständig das aktuelle Radarbild wie auch den Himmel im westlichen Quadranten im Blick behalten! Wind-Messwerte von Wetterstationen in Luv können dann zusätzlich helfen, den zu erwartenden Wind einzuschätzen.
Gibt es noch langfristigere Merkmale, die auf Unwetter wie das auf Korsika hinweisen?
In guten Wetter-Apps wie „Windy“ kann man die Luftströmungen der nächsten Tage sehen. Über einen Schiebe-Regler auch die in der höheren Atmosphäre, bis hoch zum Jetstream. Als Leitströmung für die voraussichtliche Verlagerung von Schauern, Gewittern und Unwettern gilt der Wind in Höhen von etwa 3000 bis 5500 Kilometer (Druckniveaus 700 bis 500 hPa). Wenn da oben relativ tiefer Druck herrscht und es aus Südwest stürmt, sollten die Alarmglocken läuten. Ein Landausflug anstatt eines Törns wäre dann die richtige Entscheidung.
In den letzten Jahren gab es auch vermehrt Medicanes, richtig wirbelsturmartige drehende Tiefs, die zum Beispiel in Griechenland 2020 für ziemliche Verwüstung sorgten. Werden auch die dieses Jahr stärker vorkommen?
Das Potential dafür ist ohne Frage wegen der hohen Wassertemperaturen vorhanden. In diesem Herbst gilt es also, im Mittelmeer wettermäßig besonders wachsam zu sein. Medicanes treten in der Regel erst ab Ende September/Anfang Oktober auf, ihre Hochsaison dauert bis in den November hinein. Sie benötigen ein abgeschlossenes Höhentief, oft eingeleitet durch einen Einbruch atlantischer Kaltluft ins Mittelmeer. Der enorme Temperaturgegensatz zwischen der untersten Atmosphäre über den überwärmten Gewässern und der Höhenkaltluft vermag dann einen eigenständigen, einem Hurrikan sehr ähnlichen Orkanwirbel zu produzieren: ein mediterraner Hurrikan (Medicane). Glück im Unglück: Medicanes zeichnen sich in den uns gewohnten Bodenwetterkarten deutlich als Tiefdruckwirbel ab, sind also in den Prognosewetterkarten deutlich sichtbar. So war Medicane „Ianos“ 2020 schon einige Tage vorher angekündigt.