Nationalpark Ostsee“Kein Grund, das Segeln generell zu verbieten!” – YACHT-Interview mit Tobias Goldschmidt

Lasse Johannsen

 · 04.07.2023

Nationalpark Ostsee: “Kein Grund, das Segeln generell zu verbieten!” – YACHT-Interview mit Tobias GoldschmidtFoto: Andreas Diekötter/MEKUN
Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt auf der Eröffnungsveranstaltung der Konsultationen zum Nationalpark Ostsee im Kieler “Hotel Maritim”
Die Proteste gegen einen Nationalpark Ostsee in Schleswig-Holstein werden immer lauter. Eine Woche vor dem Konsultations-Workshop mit Vertretern des Wassersports wendet sich Umweltminister Tobias Goldschmidt von den Grünen nun mit einem offenen Brief an die Teilnehmer der laufenden Konsultationen und wirbt für sein Vorhaben. “Ich freue mich über die rege Debatte, die unser Vorschlag ausgelöst hat”, so der Minister. Doch in der emotional geführten Diskussion fehlen Goldschmidt sachliche Argumente. Im Gespräch mit YACHT online führt er aus, worum es ihm dabei geht

Yacht: Das Thema Nationalpark Ostsee wird unter anderem auch unter Seglern sehr emotional diskutiert …

Umweltminister Tobias Goldschmidt: Das ist zunächst einmal verständlich. Denn viele Menschen im Land leben von und mit der Ostsee, und die Seglerinnen und Segler lieben ihr Revier. Ich glaube, es sind aber auch unfassbar viele Missverständnisse im Raum! Deshalb haben wir auf unserer Website auch FAQs veröffentlicht, die vieles einordnen.

Ich glaube, es sind unfassbar viele Missverständnisse im Raum!

Unsere Leser äußern oft die Befürchtung, dass der Konsultationsprozess nur der Beruhigung dienen soll und das Ergebnis schon feststehe. Was entgegnen Sie den Menschen darauf?

Das ist falsch. Nichts steht fest, außer dass wir den Schutz der Ostsee verbessern wollen, insbesondere auch mit Blick auf unsere Schutzgebiete. Wir haben uns mit der Konsultation dafür entschieden, zuerst mit den Menschen darüber zu sprechen, ob wir den Nationalpark ausweisen, und wenn ja, wie wir ihn zum Nutzen der Menschen und der Natur einrichten. Ich finde es schade, dass dieses demokratische Vorgehen des frühen Dialogs nun offenbar in Frage gestellt wird.

Im Gespräch ist ein Nationalparkgesetz. Das würde es ermöglichen, Einschränkungen recht unkompliziert im Verordnungsweg zu regeln. Daher machen sich viele Segler Sorgen darüber, dass ihre Interessen bei Regelungen im Nationalpark Ostsee nicht mehr berücksichtigt werden, wenn er erst einmal eingerichtet wurde.

Ob es ein Nationalparkgesetz gibt, ist ja noch gar nicht entschieden. Wir befinden uns in einem ergebnisoffenen Prozess. Wenn es einen Nationalpark geben sollte, dann würde das über ein Landesgesetz gemacht, das ist deshalb richtig und wichtig, weil es ein großes Vorhaben ist und auf eine breite demokratische Grundlage gestellt werden sollte. Ein Gesetz drückt den Willen des Parlaments aus, der Volksvertretung. Und das finde ich für so ein Vorhaben absolut angemessen. Eventuelle Befahrensregelungen würde der Bund auf Antrag des Landes vornehmen, weil der Bund nach dem Grundgesetz für die Bundeswasserstraßen zuständig ist. Aber ich habe ja schon mehrfach klipp und klar gesagt, dass ich überhaupt keine Gründe sehe, den Segelsport in der Ostsee einzuschränken oder gar dies beim Bund zu beantragen. Das ist weder naturschutzfachlich geboten noch politisch gewollt.

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Ob es ein Nationalparkgesetz gibt, ist ja noch gar nicht entschieden!

Bei unseren Lesern schwingt die Sorge mit, dass ein ähnlicher Zustand entstehen könnte wie im Wattenmeer, wo seit Einrichtung der Nationalparks Unsicherheit darüber besteht, ob weitere Einschränkungen für Segler zu erwarten sind. Es gab darüber jahrelange Verhandlungen, auch mit den Seglern, und an der Ostseeküste gibt es nun die Befürchtung, dass dort ein ähnlicher Schwebezustand entstehen könnte, in dem es ein fortwährendes Tauziehen um die Frage gibt, was noch erlaubt ist und was verboten wird. Können Sie diese Sorgen zerstreuen?

An der Westküste hat es einen intensiven Dialog mit den Seglerverbänden gegeben. Und ich habe den Eindruck, dass dort Regelungen getroffen wurden, die sehr breit akzeptiert sind. Und dann muss man sagen, dass es sich um sehr unterschiedliche Naturräume handelt. Die Ökosysteme an der Westküste sind besonders verletzlich, weil sie trockenfallen. Zudem stehen andere Arten im Fokus. Es macht einen Unterschied, ob Boote auf Sänden im Wattenmeer trockenfallen, auf denen Robben liegen, seltene Vögel brüten und wo sonst niemand hinkommt, oder ob auf einer Wasserfläche gesegelt wird. Deswegen sage ich ja auch klipp und klar, dass ich selbst in der Kernzone eines eventuellen Nationalparks Ostsee keinen Grund dafür sehe, das Segeln generell zu verbieten.

Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne)Foto: MEKUNSchleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne)

Das lässt die Frage nach anderen Einschränkungen aufkommen. Das Segeln von A nach B ist ja nur der halbe Spaß. Es wird natürlich auch geankert, es wird motort, gebadet, mit dem Beiboot gefahren, wenn in der Kernzone alles bliebe wie vorher, bräuchte man sie ja nicht …

Diese Argumentation setzt ja voraus, dass wir über diesen Nationalpark reden, weil da Seglerinnen und Segler ihren Sport ausüben. Das ist aber nicht der Fall. Es geht darum, dass die Lebensräume und Arten der Ostsee in ihrem Bestand gefährdet sind, weil viele verschiedene Belastungen zusammenkommen: Störungen von Ökosystemen, Nährstoffeinträge, Munition, Klimakrise. Und darum muss jeder etwas für einen besseren Schutz der Ostsee tun, wenn wir eine Chance haben wollen, dass die Ostsee die Kurve kriegt. In der Konsultation werden wir mit dem Wassersport darüber reden, was ein Beitrag sein kann. Und das müssen ja nicht Verbote sein, es gibt doch mildere und kreativere Wege. Wie wäre es, wenn man sich beispielsweise darauf verständigt, klimaneutrale Treibstoffe zu verwenden? Oder Plastik, das irgendwo rumschwimmt, aufzusammeln. Es geht um kreative Lösungen, zum Beispiel Moorings für Seegraswiesen, damit man dort keinen Anker werfen muss, mit dem man sie beschädigt. Oder darum, dass man die Rastgebiete der Meerenten in den sensiblen Zeiten meidet. Es gibt Tausende Möglichkeiten, wie man als Nutzerin oder Nutzer der Ostsee auch etwas Gutes für sie tun kann. Und das ist es, was wir unter dem Dach eines Nationalparks gerne möchten, da steht nicht das Verbot im Vordergrund. Ein Nationalpark könnte eine Art Geberkonferenz für unsere Ostsee werden.

Ich habe den Eindruck, dass Seglerinnen und Segler sehr naturverbunden sind

Segler verstehen die Ostsee als ihren Lebensraum und sind über deren Zustand in Sorge, viele befürchten aber, dass der Nationalpark von den großen Problemen ablenkt, etwa den Einträgen durch die Landwirtschaft …

Ich habe auch den Eindruck, dass Seglerinnen und Segler sehr naturverbunden sind. Und deswegen ist es ja auch nicht so, dass wir aus dem Segelsport nur Befürchtungen, Sorgen und Ängste gespiegelt bekommen, sondern auch viel Zustimmung und Interesse. Und das finde ich sehr gut. Darüber freue ich mich. Und es ist richtig, dass ein Nationalpark nicht auf einen Schlag alle Probleme lösen würde. Die Ostsee ist eben ein großes Meer. Darum werden alle einen Beitrag leisten müssen, wenn wir den Zustand, der wirklich extrem dramatisch ist, verbessern wollen. Und ein schleswig-holsteinischer Beitrag könnte aus meiner Sicht ein Nationalpark sein, weil er Teile der Ostsee von Störungen beruhigen und der Natur ihren Raum geben würde. Bisher fehlen Ruhe- und Rückzugsräume für viele bedrohte Arten. Dem Schweinswal geht es beispielsweise extrem schlecht, und Hunderte weitere Arten, deren Lebensraum die Ostsee ist, sind massiv bedroht. Über dieses Schutzgebiet hinaus würde vieles deutlich einfacher werden, zum Beispiel das Thema Akquise von Fördermitteln von Bund und Europäischer Union, etwa für Nationalparkzentren, wo die Natur erlebt werden kann. Oder das Thema Umweltmonitoring, die Feststellung von Veränderungen in der Ostsee durch die vielen negativen Umwelteinflüsse. Wir wissen nämlich vergleichsweise weniger über die Ostsee als zum Beispiel über den Naturraum Wattenmeer. Man würde also die Forschung verbessern. Für all das wäre ein Nationalpark einfach ein tolles Instrument.

In dem Zusammenhang wird oft gefragt, warum die sogenannte Potenzialkulisse ausschließlich aus Wasserflächen besteht …

… es handelt sich ja zunächst nur um einen Vorschlag. Welche Gebiete Teil eines Nationalparks werden könnten, darüber sprechen wir auch in der Konsultation. Unser Ausgangspunkt ist aber ein Meeresnationalpark. Deshalb gehen wir von den bestehenden marinen Schutzgebieten aus. Es ist aber nicht ganz richtig, dass keine Landflächen einbezogen sind. Dort, wo Landflächen ohnehin unter Naturschutz stehen oder besonders schützenswert sind, wurden sie mit in die Potenzialkulisse aufgenommen.

In die Kernfläche darf nichts eingebracht und ihr nichts entnommen werden. Gilt das auch für Einträge durch die Landwirtschaft?

Ein Nationalpark ist zwar ein wirkungsvolles Instrument, aber keine Wunderwaffe gegen alle Probleme der Ostsee. Die Regulierung der landwirtschaftlichen Einträge muss über die konsequente Umsetzung der entsprechenden Fachgesetze erfolgen. Ein ganz wesentlicher Bestandteil ist hier das Düngerecht. Das wurde gerade erst verschärft. In diesem Bereich würde der Nationalpark nicht zu Veränderungen führen. Die Landwirtschaft hat sich auf den Weg gemacht. Mit viel Eigeninitiative, aber auch mit Ordnungsrecht. Das sollten wir anerkennen und den getroffenen Maßnahmen eine Chance geben, Wirkung zu entfalten.

Ein Nationalpark ist keine Wunderwaffe gegen alle Probleme der Ostsee

Eine ganz andere Frage: Vertreter der maritimen Wirtschaft, also Werften, Vercharterer und so weiter, haben beklagt, dass sie in den Konsultationsprozess zu wenig eingebunden wären. Wie ist das aus Ihrer Sicht?

Wir haben auf breiter Basis gesellschaftliche Interessensvertreterinnen und Interessensvertreter zur Konsultation eingeladen. Zudem haben wir vielfach Interessensbekundungen zu den Workshops berücksichtigt. Bei der Erstellung der Einladungsverteiler wurde zudem darauf geachtet, dass ein möglichst repräsentativer Querschnitt der entsprechenden Stakeholderinnen und Stakeholder mit Bezug zur schleswig-holsteinischen Ostseeküste zu Wort kommen. Die Spielregeln, wer an der Konsultation teilnehmen kann, haben wir auch auf der Website veröffentlicht.

Am 12. September findet ein Workshop zur regionalen Wirtschaft statt. Hier sind auch viele Vertreterinnen und Vertreter der maritimen Wirtschaft eingeladen. Den Einladungsverteiler finden Sie auch auf unserer Website.

Bei der Auftaktveranstaltung des Konsultationsprozesses in Kiel wurde beanstandet, dass die Erkenntnisse darüber, was die bisherigen Maßnahmen an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste, etwa durch Schutzgebiete, gebracht haben, zu wenig in die Planung einbezogen werden …

… natürlich haben wir alle uns vorliegenden Erkenntnisse in die Planungen miteinbezogen. Zudem nutzen wir dieses Jahr, um in der Konsultation mit den vielen Expertinnen und Experten zu sprechen, die an und mit der Ostsee leben. Mit den Fischern, die jeden Tag zur See fahren, oder mit dem Naturschutz, der den Umweltzustand der Ostsee schon lange im Blick hat. All diese Erkenntnisse fließen in den Prozess ein. Parallel sammeln wir weitere wissenschaftliche Informationen, die fortwährend in das Konzept einfließen. Aber auch der Nationalpark selbst würde ja die Möglichkeit geben, noch mehr über den Zustand herauszufinden.

Wie sieht der zeitliche Fahrplan des Vorhabens aus?

Der Wassersport-Workshop findet am 11. Juli statt. Und wir haben gesagt, dass wir zum Ende des Jahres die Konsultation der Interessenvertretungen abschließen wollen. Im nächsten Jahr werden wir dann alle Ergebnisse so auswerten und aufbereiten, dass dann Kabinett und Landesregierung entscheiden können, ob sie einen Nationalpark einrichten wollen und wenn ja, wie. Aber zur Ergebnisoffenheit eines Prozesses gehört natürlich auch, zu gegebener Zeit zu entscheiden.

Ich glaube, dass Segelsport und Naturschutz gemeinsam richtig viel bewegen können!

Was erwarten Sie vom Wassersport-Workshop?

Ich weiß, dass es den Seglerinnen und Seglern auch darum geht, das Meer wieder in einen guten Zustand zu bringen. Ich habe auch die vielen Leserbriefe in der YACHT gesehen, da war das Meinungsbild ja sehr unterschiedlich. Daher wünsche ich mir einfach sehr, dass sich alle gut über den Prozess und über die Situation der Ostsee informieren. Aber ich glaube, dass Segelsport und Naturschutz gemeinsam richtig viel bewegen können. Und ich würde mir wünschen, dass es gelingt, über dieses Projekt Nationalpark Ostsee so zu sprechen, dass es als Chance gesehen wird, dieses Meer künftigen Generationen in gutem Zustand und in voller Schönheit zu übergeben.

YACHT: Vielen Dank für das Gespräch!


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