Ostsee-SturmflutDie Bergung durch Profis – die Reportage

Nils Leiterholt

 · 10.11.2023

Die Farr 40 kann gehoben werden
Foto: YACHT/Nils Leiterholt
Die Ostsee-Sturmflut hat mehrere Yachthäfen wie Schlachtfelder hinterlassen. Das große Aufräumen ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Unterwegs mit den Bergungs-Profis

“Alle Mann aus dem Gefahrenbereich!“ Auf den eindringlichen Ruf hin setzen sich die rund zehn Besatzungsmitglieder des Kranschiffs – alle männlich – in Bewegung. Erst, als sie die Gefahrenzone verlassen haben, beginnt der Kran unter lautem Getöse zu hieven. Langsam hebt sich die am Heißstropp hängende Segelyacht von den massiven Pfeilern, die vor der Sturmflut den Steg trugen.

Die Szene spielt an Bord der „Noorcat“, es ist Tag sechs nach der verheerenden Sturmflut an der Ostsee. Das Bergungsschiff liegt im Süd-Teil des Olympiahafens von Kiel-Schilksee. Ein Taucher hatte den Bereich rings um die „Farr-Laessig“ zuvor schon einmal abgetaucht, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie sie geborgen werden kann. Seitdem das Hochwasser zurückgegangen ist, liegt sie auf dem Steg – zumindest auf dem, was noch davon übrig ist.

Bei dem Schiff, das da so hilflos gestrandet ist, handelt es sich um eine Farr 40. Sie ist 12,41 Meter lang, etwas über vier Meter breit und verdrängt fast fünf Tonnen. Die Erstwasserung erfolgte 1999, der Mast ist 20 Meter hoch. Hergestellt wurde sie bei Carroll Marine, an Bord finden zehn Personen einen Schlafplatz, und der immense Tiefgang beträgt 2,6 Meter.

Schnelle Hilfe für die Bergung vor Ort

Wenig weiter, an Land, befindet sich mit dem Büro-Container des Yachtversicherers Pantaenius ein anderer Schauplatz des Geschehens. Hier ist Dirk Hilcken seit der Sturmflut in Schilksee präsent. Er war einer der ersten Fachleute vor Ort und klärt seitdem die Anliegen der bei seinem Arbeitgeber versicherten Eigner. „Wir versuchen, die Schäden so gut es geht gering zu halten und die Werte, die geborgen werden, zu sichern. Viele Eigner kommen gern zu uns, denn sie wissen, dass wir helfen, wo wir können. Und vor allem, dass wir ein offenes Ohr für sie haben“, sagt Hilcken.

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Der Schadensexperte muss seine Kunden dann meist erst mal um Geduld bitten. Etwa weil zunächst der Fahrweg für den Schwimmkran geräumt werden muss. Oder weil einstweilen andere Schiffe zu sichern sind, die sonst noch stärker beschädigt werden oder gar sinken würden. So etwa bei großen Lecks oberhalb der Wasser­linie, die durch herausgerissene Klampen oder beschädigte Luken entstanden sind. Oder durch tiefe Gelcoatschäden, wie sie nach den zahlreichen Kollisionen mit losgerissenen Booten an der Tagesordnung sind.

Noch bevor mit der eigentlichen Bergungsarbeit am jeweiligen Schiff selbst begonnen wird, findet in Hilckens Büro-Container eine Besprechung statt. Neben Brötchen und Kaffee gibt es ein ausführliches Bild von der Lage: „Heute Nachmittag wird es wieder schwierig. Es sind fünf Windstärken aus Ost vorhergesagt. Es ist mit ordentlich Schwell im Hafen zu rechnen“, sagt Hilckens Kollege Ole Pietschke.

Dann geht es raus in die kühl-feuchte Luft von Schilksee. Beim Gang über die Promenade des Olympiahafens offenbart sich das ganze Ausmaß der fatalen Sturmflut. Wenn die Arbeiten wetterbedingt pausieren müssten, wäre das angesichts dieses Anblicks fatal.

Bergeprofis sind am Werk

Doch jetzt kümmert sich das Team des Marine Claims Service (MCS) erst mal um die „Farr-Laessig“. Verantwortlicher Bergekommissar in Schilksee ist der Geschäftsführer von MCS, Kai Haasler. Der gelernte Bootsbauer und Ingenieur trägt eine neongelbe Signaljacke mit Reflexionsstreifen, an der ein Funkgerät hängt, seine dunkel­blaue Mütze hat er tief ins Gesicht gezogen.

MCS ist ein unabhängiges Sachverständigenbüro und Havariekommissariat. Insgesamt haben die Bergeexperten infolge der Ostsee-Sturmflut über 290 Aufträge entlang der deutschen Küste. Davon sind rund 150 Yachten vollständig gesunken, der Rest nur zum Teil, liegt an Land oder wurde aufgespießt. In Summe hat MCS zehn Mitarbeiter in den Häfen, die mit den Aufräumarbeiten beschäftigt sind.

Vor Ort in Schilksee arbeiten die Bergespezialisten um Kai Haasler – seine Expertise war nach dem verheerenden Hurrikan „Irma“ selbst in den USA gefragt – mit der „Noorcat“, um die havarierten Schiffe zu bergen. Der gecharterte Multicat ist 23,5 Meter lang, neun Meter breit und verdrängt stattliche 153 Tonnen. Ähnliche Vehikel hat MCS parallel auch in Damp und Maasholm im Einsatz.

Die Bundesmarine hilft bei der Bergung

In Schilksee haben die Bergeprofis mittlerweile Unterstützung von Tauchern der Marine bekommen. In ihren schwarzen Taucheranzügen, umgeben von Kollegen in olivgrünem Flecktarn, fällt die Truppe in einem zivilen Hafen wie Schilksee auf.

Die Idee, diese Hilfe anzubieten, hatte Tauchmeister Sören Uhlstein. „Wir versuchen hier im Rahmen einer Übung zu helfen“, sagt Uhlstein. Konkret besteht diese Hilfe darin, die einzelnen Gefahrstellen abzusuchen und zu markieren.

„Wir sind zunächst mit unserem Sonargerät die Pier abgefahren, um zu gucken, wie es so unter Wasser aussieht. Vor allem, ob da noch größere Sachen liegen, die bei der Bergung behindern könnten“, so der Tauchmeister.

Auf der „Farr-Laessig“ wird unterdessen erörtert, ob die Bergung durch den vorhandenen Heißstropp erleichtert werden kann. Nachdem er die „Noorcat“ längsseits an die Dalben verholen lassen hat, betritt Kai Haasler die Farr 40. Nach eingehender Inspektion unter Deck kommt der Fachmann zum Ergebnis, dass das funktionieren wird.

Haasler hat zudem Unterstützung von dem Kieler Bootsbauer Stefan Esser bekommen. Der bewegt sich jetzt vorsichtig über das Schiff und begutachtet gemeinsam mit Haasler, was von der „Farr-Laessig“ übrig ist.

Die Bergung ist ein Drahtseilakt

Dann wird es spannend. Als die Männer den Heißstropp klarmachen wollen, um das Boot zu heben, passen die Schäkel nicht – sie sind zu groß. Erst als Ersatz in den richtigen Größen gefunden ist, befestigt Kai Haasler den mit einem Spanngurt verlängerten Heißstropp am Haken des Krans.

Wie viel Wert darauf gelegt wird, bei der Bergung keine weiteren Schäden anzurichten, wird deutlich, als die Profis den Heißstropp sorgfältig mit Spanngurten fixieren, damit er vom Niedergang freikommt.

Dann gehen die beiden Männer von Bord, und kurz darauf ist der durchdringende Warnruf des Kranführers zu hören: „Alle Mann aus dem Gefahrenbereich!“

Während der Kran zu hieven beginnt, hebt sich langsam zunächst das Vorschiff der „Farr-Laessig“, während das Heck noch stecken bleibt. Dafür ist kein Einsatz von Pumpen erforderlich. Da das Schiff auf dem Steg liegt, muss es nicht erst geleert werden, bevor der Kran es vollständig anheben kann. Auch Hilfsmittel wie Hebesäcke kommen in diesem Fall nicht zum Einsatz.

Mit einem Ruck kommt das Heck schließlich frei, und das Boot wird vorsichtig auf das Kranschiff manövriert. Dabei ist Teamwork gefragt, und Kran- und Leinenführer müssen sich gut miteinander abstimmen. Das erfordert klare Kommunikation, denn das Schiff im Kran darf sich unter keinen Umständen unkontrolliert bewegen oder gar drehen.

Viele Helfer sind an der Bergung beteiligt

Die Anspannung aller Beteiligten liegt in der Luft. Als die Farr 40 schließlich am Haken hängend mit dem Kiel auf dem Kranschiff steht, wird die „Noorcat“ langsam durch das Hafenbecken gesteuert. Schon aufgrund ihrer Größe ist das eine schwierige Aufgabe, nun kommen der auffrischende Ostwind und zunehmender Schwell im Hafen hinzu.

An der Kranstelle, wo die geborgenen Schiffe an Land gehoben werden, wartet schon Philipp Mühlenhardt, der Geschäftsführer der Sporthafen Kiel GmbH. Der Familienvater hatte aufgrund der Ereignisse eigens den Urlaub abgebrochen und ist seitdem mit seinen Hafenmeistern damit beschäftigt, das aufzuräumen, was die Sturmflut in seinen Häfen – besonders in Schilksee – angerichtet hat.

Zusammen mit einem der vier Hafenmeister des Olympiahafens Kiel-Schilksee richtet Mühlenhardt den Winterlagerbock der „Farr-Laessig“ so aus, dass die Yacht vom Kran darauf abgesetzt werden kann.

In die Betriebsamkeit mischen sich Anweisungen vom Kranschiff: „Etwas weiter von der Kante weg! Außerdem etwas gerader bitte.“

Ole Pietschke gibt die Kommandos, die da aus seinem Funkgerät kommen, stetig weiter. Einer der Hafenmeister läuft spontan los, um den Gabelstapler zu holen.

Unterdessen nähert sich das Bergungsschiff mit seiner Fracht dem Kranplatz. Als die „Noorcat“ ihn erreicht hat und der Winterlagerbock richtig ausgerichtet ist, werden die Leinen übergeben, und es beginnt der letzte, nicht minder schwierige Teil der Bergung, das passgenaue Abstellen in den Winterlagerbock.

„Wieder alle weg da!“, dirigiert der Kranführer alle nicht direkt an dem Manöver beteiligten Personen. Nun erst wird die „Farr-Laessig“ langsam an Land gehoben.

Hoch konzentriert steuert der Kranführer diesen letzten Akt der Bergung, und endlich gelingt es ihm mit Hilfe seiner Kollegen, die Farr 40 sicher auf den Winterlagerbock an Land zu bewegen. Die Erleichterung bei allen Beteiligten ist groß. Bei aller Anspannung war es eine reibungslose Bergung.

Am Nachmittag wird es, wie befürchtet, schwieriger. Die Stärke des Winds, seine Richtung und zunehmender Schwell erschweren die Aufräumarbeiten. Profis und Helfer geben dennoch alles, um noch möglichst viele der havarierten Boote zu bergen.


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