Es ist der Albtraum jedes Seglers: Ein Crewmitglied geht über Bord. Erschreckend schnell bleibt die Person im Kielwasser zurück, selbst wenn die Crew rasch reagiert und ein rettendes Manöver einleitet. Die größte Sorge ist zunächst, die Person im Wasser aus den Augen zu verlieren. Von einem schwimmenden Menschen guckt nur der Kopf aus den Fluten – sehr wenig, um ihn in kabbeliger See auszumachen. Je mehr Zeit aber die Suche in Anspruch nimmt, desto mehr kühlt der Verunglückte aus.
Jeder hat im Rahmen seiner Segelausbildung das Boje-über-Bord-Manöver geübt, es ist fester Bestandteil der Führerscheinprüfung. Die Boje ist mit dem Bootshaken rasch zurück an Bord befördert. Doch wenn ein Boot endlich sicher neben eine im Wasser treibende Person gesteuert wurde, beginnen in der Realität erst die Schwierigkeiten: Wie bekommt man sie zurück an Deck? Der Fachhandel hält Sicherheitsausrüstung für diese Fälle bereit.
Von Taljen, Netzen, Rettungskragen bis hin zu Systemen, die Verunglückte fast selbstständig aus dem Wasser holen, bietet der Markt einiges.
Doch nicht alle Boote sind mit solcher Ausrüstung ausgestattet. Auf Charterbooten beispielsweise findet sich meist nur die vorgeschriebene Sicherheitsausrüstung wie Rettungsweste und Lifeline. Und auch auf privaten Segelyachten sieht es oft nicht anders aus.
Von genau dieser Prämisse geht das Sicherheitstraining des Bremer Fachverbands Segeln aus. Geleitet von August Judel, fand es vor Hooksiel statt, zusammen mit Mitarbeitern von „Fire & Safety“ aus dem Trainingszentrum in Elsfleth. „Bergemethoden mit Bordmitteln und ohne spezielle Ausrüstung“ stand auf dem Programm für die Schulungsmaßnahme, die wir begleitet haben.
Mit einem Rib, zwei Yachten und einer Handvoll Freiwilliger in Neoprenanzügen wurde das Szenario durchgespielt. Dabei waren immer genügend Hände an Deck, um ein Fall oder eine Schlinge zum Aufholen der Person aus dem Wasser vorzubereiten. Zudem wehte es an dem Tag sehr schwach, und Wellen gab es auch nicht.
Fast zu einfache Bedingungen, und doch: Trotz großer Crew und freundlichem Wetter zeigten sich schnell Probleme, die im Ernstfall zu einer lebensbedrohlichen Situation führen können. Zuallererst ist die Crew bei einer Übung natürlich bestens vorbereitet: Die einzelnen Schritte wurden an Land besprochen und, wichtiger noch, es fehlt der Überraschungseffekt, wenn sich ein Freiwilliger ins Wasser fallen lässt.
Der erste wichtige Punkt, die Notsituation beobachten, die Crew alarmieren und das MOB-Manöver einleiten, kann bei kleiner Crew schon zur großen Herausforderung geraten. Etwa wenn niemand an Deck ist, der das Unglück überhaupt mitbekommt. Deswegen ist Prävention besonders für kleine Crews oder auch auf Nachtfahrten extrem wichtig: Sich anzuleinen bewahrt einen nicht immer davor, über die Reling zu gehen, doch zumindest besteht dann noch eine Leinenverbindung zum Schiff.
Der nächste Punkt betrifft die Rettungsweste. Sie verhindert, dass man ertrinkt, was ohne Weste spätestens passieren würde, wenn einen die Kräfte verlassen oder man zu sehr unterkühlt. Zusätzlich erhöht sie die Sichtbarkeit, mit Beleuchtung sogar nachts. Und sie eröffnet dank des integrierten Liftgurts die einfachste Möglichkeit, eine erschöpfte Person aus dem Wasser zu bekommen.
Technische Hilfsmittel wie Notfallsender (Personal Locator Beacon, kurz PLB) an der Rettungsweste oder das sofortige Markieren der MOB-Position auf dem Plotter können helfen, den Mitsegler wiederzufinden. Ist die Crew alarmiert und ein Ausguck besetzt, je nach Unglücksort Rettungskräfte via Funk oder in Küstennähe auch per Handy verständigen. Sollte deren Eingreifen doch einmal nicht erforderlich sein, lässt sich ein Notruf wieder quittieren. Das ist besser, als zu lange mit einem Mayday zu warten.
Die zweite große Herausforderung besteht darin, das Boot zurück zum Verunglückten zu steuern. Auch wenn das Manöver viel geübt wurde, gestaltet es sich oft nicht ganz einfach, eine Yacht genau neben einem im Wasser treibenden Menschen aufzustoppen.
Deswegen die Empfehlung, stets auch die Maschine zu starten. Sie unterstützt bei der Ansteuerung, beim Aufstoppen oder dabei, auf den letzten Metern nicht zu früh die Fahrt im Schiff zu verlieren.
Im Zweifel können sogar alle Schoten einfach losgeworfen und es kann allein mit der Maschine gefahren werden. Dann muss die Crew aber enorm aufpassen, nicht von einer um sich schlagenden Schot oder gar vom hin und her pendelnden Großbaum getroffen zu werden.
Das letzte Stück zur Person im Wasser ist das kritischste. Es muss ausreichend Fahrt im Schiff bleiben, der Verunglückte darf aber keinesfalls überfahren werden. Die Ansteuerung wird erschwert, weil der Rudergänger den Kopf des Mitseglers nicht mehr im Blickfeld hat, sobald der sich nahe der Bordwand befindet.
Hier hat die Übung gezeigt, dass das Münchner Manöver ideal ist, bei dem die Fock back stehen bleibt: Beim Beiliegen treibt die Yacht langsam nach Lee Richtung des Überbordgegangenen. Auch hier ist die Maschine eine große Hilfe. Mit leichten Schüben vor oder zurück wird sichergestellt, dass man nicht an der richtigen Stelle vorbeitreibt.
Das Beiliegen sollte zuvor aber unbedingt einmal mit dem eigenen Boot geübt werden, da sich bei diesem Manöver jede Yacht etwas anders verhält.
Es folgt der Teil, der am wichtigsten ist: Die Person muss irgendwie aus dem Wasser zurück an Bord.
Als Erstes wird dem Verunglückten eine Leine zugeworfen, um eine Verbindung zum Boot herzustellen. Im einfachsten Fall ist er noch bei Kräften, sodass er mit der Leine zum Heck geführt werden kann und dort etwa über die Badeleiter allein aufentert. Bei zu hohem Seegang und stampfendem Heck oder wenn die Person im Wasser zu entkräftet ist, hilft nur eine Rettungsleiter mittschiffs oder das Hochwinschen.
Während der Übung auf der Jade zeigte sich, dass dabei viel schiefgehen kann. So ist die Kommunikation vom Steuer aufs Vorschiff nicht einfach, Handzeichen funktionieren meist am besten. Zudem erwies sich das Spifall als zu kurz, es reichte nicht bis hinab auf die Wasseroberfläche. Außerdem war der Schnappschäkel so schwergängig, dass er sich mit nassen Fingern nicht öffnen ließ.
Auch hier gilt daher, mit dem eigenen Boot MOB- und Bergemanöver immer wieder zu üben, um im Ernstfall gegen böse Überraschungen gefeit zu sein. Vor allem Handzeichen im Vorhinein verabreden. Und Schäkel, Schoten und Fallen regelmäßig kontrollieren.
Ist das Fall in die Liftschlaufe an der Rettungsweste des Verunglückten eingehakt, muss er hochgewinscht werden. Das ist enorm anstrengend! Fallwinschen sind meist kleiner als die für die Genuaschoten. Zudem kann es sein, dass sich das Fall zwischen der Umlenkrolle auf dem Masttopp und dem Rollenkasten verklemmt, da es sehr weit zur Seite gezogen wird.
Um das zu vermeiden und auch das Winschen selbst leichter zu gestalten, helfen ein Block und eine Festmacherleine oder eine Vorschot. Der Block wird am Fall befestigt und die Genuaschot oder der Festmacher hindurchgefädelt. Das eine Ende kommt auf die Winsch, am anderen wird die Person eingepickt. Wenn ein Festmacher verwendet wird, muss dieser auch durch den Holepunkt geschoren werden, damit der Zugwinkel zur Winde stimmt. Auf diese Weise kann die Genuawinsch zum Aufholen genutzt werden.
Was viele nicht bedenken: Die Person muss so weit nach oben gewinscht werden, dass sie über die Reling kommt. Dabei aber besteht die Gefahr, dass sie bei Schiffsbewegungen stark pendelt und gegen Wanten, Mast oder Großbaum schlägt. Das wird umso mehr zum Problem, wenn die Person waagerecht geborgen wird. In diesem Fall sind Mitsegler auf dem Laufdeck enorm hilfreich, die den Verunglückten führen, während er noch in der Luft schwebt.
Die Rettung einer Person aus dem Wasser ist auch einhand möglich, wir haben es ausprobiert. Dann ist vorher aber viel Übung erforderlich. Die Dehler 36 verfügte außerdem über eine Elektrowinsch. Die vereinfachte den Ablauf enorm, zumal sie auch vom Steuerrad aus bedienbar war. Dennoch zeigt die Erfahrung vor Hooksiel: Ein über Bord gefallenes Crewmitglied zu retten, gerät selbst mit Crew rasch zu einer Herausforderung. Besonders, wenn improvisiert werden muss.
Aber auch wenn die Schlinge zum Aufwinschen schon bereitliegt, kann eine Rettung an Details wie unverständlichen Kommandos, klemmenden Schäkeln, zu kurzen Leinen oder eingeschränkter Sicht am Steuer scheitern. Deswegen die dringende Empfehlung, den Manöverablauf genau abzusprechen und zu trainieren.
Dafür reicht dann vorerst auch wieder ein Fender. Schaden kann es aber nicht, zu überlegen, welche Leine im Ernstfall für eine Rettungsschlaufe geeignet wäre: Leinen mit größerem Durchmesser schneiden weniger ein. Daher am besten den dicksten Festmacher wählen.
Kommunikationshindernisse lassen sich überwinden, wenn jeder weiß, was im Notfall zu tun ist, und Handzeichen verabredet sind. Dazu eine genaue Verteilung der Notrollen: Wer besetzt den Ausguck und weist dem Steuermann den Weg, wer startet die Maschine, wer setzt den Notruf ab, wer wirft die Schoten im richtigen Moment los?
Am besten jede Saison einen Übungstermin einplanen. Wenn sich die Crew Zeit dafür nimmt, wird es garantiert ein spannender Tag – der jedem das gute Gefühl vermittelt, für den Notfall gewappnet zu sein. Der wichtigste Tipp aber bleibt: Einpicken und Rettungsweste anlegen!