Paukenschlag im Scheine-StreitRYA-Yachtmaster erstmals umgeschrieben

Fabian Boerger

 · 26.09.2025

Eine Segelscheinausbildung in England ist auch für viele deutsche Segler attraktiv. Die Ausbildung und Prüfungen finden meist in anspruchsvollen Revieren statt – etwa im britischen Solent.
Foto: Leon Schulz
​Erstmals wird eine britische Yachtmaster-Lizenz in einen deutschen Segelführerschein umgeschrieben. Ein YACHT-Leser hat eineinhalb Jahre mit dem DSV gerungen – und nun einen Präzedenzfall geschaffen.

​Eigentlich wäre Roland Thiemanns Geschichte schnell erzählt: Während er beruflich eine Zeit lang in Australien lebt, will er sein seglerisches Können ausbauen. Den Sportbootführerschein See (SBF) sowie den Sportküstenschifferschein besitzt er bereits. In Down Under ist jedoch das britische Segelscheinwesen verbreitet. Daher geht Thiemann nun nach und nach die Ausbildung der Royal Yachting Association (RYA) zum Yachtmaster Coastal, Off­shore und Ocean an. Zurück in der Heimat will er sich die Qualifikationen anerkennen und in einen deutschen Schein umschreiben lassen. Doch sein Antrag bleibt unbearbeitet.

Nach Monaten des Wartens hätte Thiemann die Sache auf sich beruhen lassen können. Bislang wurde noch nie ein britisches Yachtmaster- Zertifikat in einen deutschen Segelschein umgeschrieben. Doch Thiemann will das nicht hinnehmen. Er bohrt nach, arbeitet sich tief in die Materie ein und kämpft gegen bürokratische Windmühlen. Erst ein Gerichtsverfahren bringt schließlich Bewegung in die Sache, und die Geschichte von Roland Thiemann endet mit einer überraschenden Entscheidung von höchster Stelle. Doch der Reihe nach.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Scheine umschreiben statt neu machen

​Wer in Deutschland einen ausländischen Bootsführerschein umschreiben lassen möchte, muss darlegen, warum dieser gleichwertig mit einem hiesigen Schein ist. Zuständig für die Prüfung der Gleich­wertigkeit ist die Zentrale Verwaltungsstelle des Deutschen Segler-Verbands (DSV), und zwar im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr (BMV). Der DSV erstellt ein entsprechendes Gutachten und leitet es anschließend an das BMV weiter. Dort wird dann die endgültige Entscheidung getroffen. So ist es in der Sportseeschifferscheinverordnung (SportSeeSchV) geregelt, die für den Sportküsten-, Sportsee- und Sporthochseeschifferschein gilt, abgekürzt SKS, SSS und SHS.

Am 30. Juni 2023 reicht Thiemann den Antrag samt seiner britischen Scheine ein. Darin enthalten ist auch eine spezielle Befugnis für kommerzielle Fahrt, die seinen Yachtmaster Ocean ergänzt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung lebt er noch in Australien, die Heimreise ist aber schon absehbar. „Ich wollte in Deutschland nicht alle Scheine noch einmal neu machen müssen“, sagt er. Darüber hinaus hofft er, dass sich das deutsche Scheinwesen in Zukunft mehr an internationalen Standards orientiert.

Wer als Skipper beispielsweise in der Karibik arbeiten will, kann mit deutschen Scheinen kaum etwas anfangen. Gefragt wird dort fast immer nach dem Yachtmaster Ocean oder Offshore.

RYA-Yachtmaster mit internationalen Ruf

Die britischen Scheine genießen international einen guten Ruf. Laut der RYA werden jährlich rund 3.500 Yachtmaster absolviert, verteilt auf Coastal, Offshore und Ocean. Tendenz steigend. Sie gelten weltweit in Seglerkreisen als Ausdruck von Kompetenz, nicht zuletzt wegen ihres hohen Praxisanteils. Die Prüfungen sind umfangreich und legen mehr Wert auf praktische Erfahrung als auf theoretisches Wissen. So dauert die Prüfungsfahrt zwei volle Tage. Navigiert wird ohne elektronische Hilfsmittel und unter herausfordernden Bedingungen – etwa aufgrund von starkem Schiffsverkehr, starken Gezeiten­strömen und eines mit Untiefen gespickten Reviers.

Die vergleichbaren deutschen Segelscheine sind zahlenmäßig gleichauf. Laut DSV wurden im vergangenen Jahr 3.522 ausgestellt. Davon entfallen etwa 90 Prozent auf den SKS. Den kleinsten Anteil hat der SHS mit 53 Absolventen (1,5 Prozent). Letztgenannter ist das deutsche Pendant zum Yachtmaster Ocean. Für private Fahrten auf hoher See ist der Schein freiwillig. Wer jedoch gewerblich auf einer unter deutschen Flagge fahrenden Yacht unterwegs ist, beispielsweise bei Charter- oder Ausbildungstörns oder aber mit einem Traditionsschiff bis 25 Meter Länge, braucht den SHS verpflichtend. Im Vergleich zum britischen Yachtmaster Ocean ist der deutsche SHS eher theoretisch ausgerichtet. Eine praktische Prüfung gibt es nicht.


Mehr dazu:


Erst die Warteschleife, dann die Klage

Zurück zu Roland Thiemanns Antrag. Nachdem er diesen an die Zentrale Verwaltungsstelle des DSV geschickt hat, erhält er wenig später eine Eingangsbestätigung. Der Lenkungsausschuss, der den Antrag prüft, werde sich auf der nächsten Sitzung damit befassen, heißt es. Dann hört er lange Zeit nichts mehr. In den darauffolgenden 16 Monaten hakt er achtmal nach (Schriftwechsel liegt der YACHT vor). Immer wieder wird er vertröstet. Die Begründungen reichen von verschobenen Ausschusssitzungen bis hin zu verzögerten Rückmeldungen vonseiten des Ministeriums. Kurzum: Nach 17 Monaten fehlt noch immer das Gutachten und damit auch eine Antwort, ob sein Schein anerkannt wird.

Im November 2024 fordert Thiemann den DSV ein letztes Mal auf, sich seiner Sache anzunehmen, doch erneut ohne Erfolg. Daraufhin klagt er wegen Untätigkeit vor dem Verwaltungsgericht in Köln. Das zeigt Wirkung. Die „Verwaltungsstreitsache Roland Thiemann gegen Deutscher Segler-Verband“ kommt ins Rollen. Es folgt ein schriftlicher Schlagabtausch: Der DSV bittet um Fristverlängerung, die wird gewährt. Wenig später dann widerspricht der Verband der Klage.

“Substanzlose Ausreden”

Begründung: Thiemann habe den Antrag falsch adressiert. Statt „Deutscher Segler-Verband (Zentrale Verwaltungsstelle)“ hätte es korrekt „Zentrale Verwaltungsstelle für Sportsee- und Sporthochseeschifferschein im DSV“ heißen müssen, so der DSV. Außerdem sei der Arbeitsaufwand sehr hoch, da die eingereichten Dokumente nur in englischer Sprache vorlägen und die Prüfer zudem ehrenamtlich tätig seien und unregelmäßig tagen würden. Thiemann widerspricht seinerseits. Er hält die Argumente des DSV für substanzlos.

Vielmehr entsteht der Eindruck, dass einer inhaltlichen Auseinandersetzung seit nunmehr fast 20 Monaten durch die Geltendmachung unterschiedlicher Verzögerungsgründe gezielt ausgewichen wird.

​Das Verwaltungsgericht gibt Thiemann schließlich recht. Doch noch bevor ein Urteil gesprochen wird, regt sich der DSV: Ende Juli 2025, zwei Jahre nach Antragsstellung, legt der Verband dann doch ein Gutachten vor: „Keine Gleichwertigkeit im konkreten Antragsfall.“ Neben dem Verwaltungsgericht bekommt auch das Bundesverkehrsministerium das Ergebnis vorgelegt.

Immer wieder gegenan

Thiemann gibt sich nicht geschlagen. Erneut legt er Einspruch ein, nun beim BMV, und widerspricht dem Gutachten in den meisten Punkten. So wird unter anderem beanstandet, dass keine deutschen nautischen Fachbegriffe gelehrt würden. Doch die habe er schon mit dem SBF und SKS nachgewiesen. Diese Scheine, die er ja schon vor seiner Zeit im Ausland gemacht hatte, waren seinem Antrag beigefügt. Zum Verständnis: Der Sportbootführerschein See ist für eine Umschreibung höherer Scheine zwingend erforderlich.

Einer anderen Kritik des DSV, wonach theoretische Prüfungen fehlten, widerspricht er mit Verweis auf britische Zertifikate, die das Gegenteil belegen und die dem Antrag ebenfalls beigefügt waren. Auch der Behauptung, die praktische Prüfung sei unvollständig, weil Kompetenzen in der Radarnavigation fehlen würden, tritt er entgegen. Laut Thiemann sei die geforderte Radarnavigation bereits Bestandteil der Ausbildung und Prüfung zum Yachtmaster Offshore gewesen.

Ein Paukenschlag und bedeutsamer Präzedenzfall

Nun liegt der Ball im Feld des Bundesverkehrsministeriums – und das entscheidet sich gegen das Votum des DSV. Es sei zu der Überzeugung gelangt, schreibt ein Sprecher auf YACHT- Anfrage, dass die eingereichte Yachtmaster-Lizenz dem deutschen SHS gleichwertig sei. Wenige Tage später hat Thiemann seinen Sporthochseeschifferschein im Briefkasten.

Es ist ein Paukenschlag, denn zum ersten Mal wird ein RYA-Yachtmaster Ocean in einen SHS umgeschrieben. Noch bedeutender: Es ist ein Präzedenzfall, auf den sich andere Segler mit dem Yachtmaster Ocean, der eine kommerzielle Befugnis enthält, berufen können. Ein neues Gutachten zur Gleichwertigkeit ist dann nicht mehr erforderlich, wie der Sprecher des Ministeriums bestätigt. Der Deutsche Segler-Verband wollte sich auf Anfrage der YACHT zu diesem Fall nicht äußern. Man verweist stattdessen auf die Zuständigkeit des BMV. Ein schon vereinbarter Interviewtermin mit der Redaktion wurde kurzfristig vom DSV abgesagt.

Eine Entscheidung mit Tragweite

​In Großbritannien treffe die Nachricht aus Deutschland auf offene Ohren, sagt Richard Falk. Er ist bei der Royal Yachting Association für Ausbildung und Qualifikation verantwortlich. Falk findet, dass es allen, die mit Segeln Geld verdienen wollen, das Leben um ein vielfaches leichter macht, wenn die dazu erforderlichen Qualifikationen international übertragbar sind.

Inzwischen erkennen mehr als 20 Länder die Yachtmaster-Scheine als Nachweis für kommerzielle Fahrten an. Ein wichtiger Punkt, denn laut RYA planen rund 80 Prozent der RYA-Absolventen, im maritimen Bereich zu arbeiten. Für Richard Falk ist die Entscheidung des deutschen Ministeriums deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.

Vorteile vor allem für kommerzielle Skipper

Auch Bernd Reese verfolgt den Fall mit Interesse. Er ist Inhaber der Yacht- Skipper Akademie mit Sitz in Essen und bereitet seit über 20 Jahren deutsche Segler auf Yachtmaster-Prüfungen vor. Reese sagt, dass der Fall natürlich wichtig für all jene Skipper sei, die gewerblich unterwegs sind. Im Gegensatz zu Falk habe er aber die Erfahrung gemacht, dass rund 90 Prozent seiner Schüler den Yachtmaster vor allem wegen der praktischen Fähigkeiten machen wollen – speziell fürs Segeln unter Gezeitenbedingungen.

Der Schein als Berechtigung, kommerziell skippern zu dürfen, stehe nicht so sehr im Mittelpunkt. „Eine Umschreibung in die andere Richtung, also vom SHS zum Yachtmaster Ocean, sehe ich zudem eher kritisch“, fügt Reese hinzu. “Da könnte jemand eine praktische Ausbildung vorgeben, die er im Zuge einer reinen Umschreibung gar nicht erhalten hat.“

“Ungerechtigkeitsgefühl hat mich motiviert”

​Für Roland Thiemann ist die Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums ein Erfolg. Er sagt: „Es war ein Ungerechtigkeitsgefühl, dass mich motiviert hat.“ Der DSV vertrete die wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder, wie zum Beispiel die der Segelschulen. Gleichzeitig spiele der Verband eine wichtige Rolle bei der Anerkennung alternativer Scheine. „Das kann nur schwer funktionieren – ein Interessenkonflikt“, wie er findet.

Darüber hinaus wirft der Fall weitere Fragen auf: Zum einen, warum das Ministerium gegen die Einschätzung des DSV entschieden hat. Aber auch, welche Auswirkungen das nun auf die Umschreibung vergleichbare Scheine haben wird. Das Ministerium erklärt dazu, dass es bisher nur wenige entsprechende Anträge gegeben habe. Deshalb habe sich zwischen Ministerium und Verband noch keine feste Verwaltungspraxis etabliert. „Vor diesem Hintergrund ist es nicht ungewöhnlich, dass bei der internen Abstimmung unterschiedliche Rechtsauffassungen aufeinandertreffen.“ Für andere Scheine müsse das Verfahren jeweils erneut durchlaufen werden, so der BMV-Sprecher.


Mehr zum Thema Ausbildung:


Folgen auch für niedrigere RYA-Zertifikate

Roland Thiemann geht davon aus, dass dies aber nun kein Problem mehr sein werde – beispielsweise, wenn ein Yachtmaster Offshore in einen SSS umgeschrieben werden solle. „Der höhere Yachtmaster Ocean setzt ja zwingend den Offshore und dessen Prüfungsbestandteile voraus. Da der Ocean nun anerkannt worden ist, wäre es seitens des Ministeriums inkonsequent, einer Umschreibung niedrigerer Scheine nicht zuzustimmen.“

Allerdings müsste sich erst wieder jemand finden, der das aufwändige Verfahren freiwillig durchläuft. Heißt: Antrag stellen, die Gleichwertigkeit prüfen lassen, ein DSV-Gutachten abwarten und schließlich auf die Entscheidung des BMV warten. Falls sich niemand findet, sagt Roland Thiemann, überlege er bereits, es noch einmal selbst zu versuchen, und sich auch seine anderen RYA-Scheine umschreiben zu lassen. In jedem Fall wäre es ein weiterer Schritt, das deutsche Segelscheinwesen an die weltweit anerkannten britischen Standards anzugleichen.

Meistgelesen in der Rubrik Wissen