Sechs Uhr früh auf den Seychellen. Der Flieger geht runter und die Temperatur schlagartig rauf. Auf tropische 30 Grad. Der erste Atemzug auf der Gangway erinnert an einen Aufguss mit Exotik-Aroma. Die Schweißporen öffnen sich bereits beim Gang in den akklimatisierten Terminal, um dort Einreisestempel und Segeltasche abzuholen.
Samstagfrüh liegt Mahé, die Hauptinsel der Seychellen, im Dornröschenschlaf. Die Charterbasis auf Eden Island hat noch geschlossen. Selbst auf „Maui“, dem Katamaran vom Typ Lagoon 450 S, den wir hoffentlich bald übernehmen können, wird noch geschlummert – und geschnarcht. An Bord eine zehnköpfige Crew aus Russland, die das Schiff bedauerlicherweise in einem desolaten Zustand hinterlässt: unerledigter Abwasch, Müll und allgemeine Verwüstung. Ein Herd, der so in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass er ausgewechselt werden muss. Mit anderen Worten, der erste Tag beginnt etwas zäh: mit Warten, Schwitzen, Trinken.
Gegen Abend ist es dann endlich so weit. Die Crew kann auslaufen. Ein kurzer Schlag hinüber in den Sainte-Anne-Marine-Nationalpark, bevor es dunkel wird. Und das wird es ziemlich pünktlich und schnell in den Tropen. Hauptsache, noch irgendwo den Anker werfen, wo ein Lüftchen geht und sich die gebeutelte Crew an Deck in den Schlaf schaukeln lassen kann. Eine Idee, die offenbar sämtliche Charterschiffe aus der Inselhauptstadt Victoria haben, wie 40 bis 50 Ankerlichter um uns herum verraten.
Die Nacht geht, der Tag kommt. Und mit ihm zwei Ranger, die längsseits festmachen und die Parkgebühr kassieren. Wie einen Eintrittspreis für ein Freilichtkino. Kaum hat man die Quittung, beginnt die Show: ein spektakulärer Sonnenaufgang, jenseits des europäischen Farbspektrums. Ein flammendes Inferno. Noch rasch baden, dann schnell los und die Segel setzen. Fragt sich nur, wohin steuern und mit welchem Wind?
Vermutlich setzen all die weiteren Kats gleich über zu den anderen Inseln: Praslin oder La Digue – die klassische kleine Charterrunde. Dabei ist der Süden Mahés auch sehr schön und wild. Im Westen der Hauptinsel gibt es prächtige Strände: Police Bay, Anse Intendance, Anse Takamaka. Und zu dieser Jahreszeit, Mitte März, müsste man bei der vorherrschenden Windrichtung dort eigentlich geschützt liegen.
Doch langt das laue Lüftchen, das hier und jetzt in der generell schwachwindigen Wintersaison weht, zum Segeln? Wir probieren es aus, setzen die Tücher, um die Brise zu erzwingen. Gut, dass die Entfernungen zwischen den inneren Inseln der Seychellen nicht besonders groß sind.
Es ist ein törntaktisches Thema auf den Seychellen: Von Oktober bis April weht der schwächere Nordwest-Monsun, das Wasser ist klarer, dafür ist es oft heiß. Von Mai bis September herrscht der konstantere Südost-Monsun, der erträgliche Temperaturen bringt, aber auch Schwell in die Ankerbuchten schickt. Welche Seiten der Inseln genutzt werden können, hängt also von der Reisezeit ab.
Egal, wofür man sich entscheidet, mehr als fünf bis sechs Stunden wird man nie am Stück unterwegs sein. Immer ist das nächste Ziel schon vor Augen. Was auch ganz gut ist, wenn man bedenkt, dass es gegen 18 Uhr bereits wieder dämmert. Es gilt: Carpe diem – nutze den Tag!
Eine andere Weisheit, die nicht ganz neu ist, lautet: Zwei Knoten Fahrt vor dem Wind ist zu wenig, wenn man das Schiff nur eine Woche gechartert hat. Kommt hinzu, dass es selbst im Schatten ziemlich heiß ist. Da bleibt nur eins: Klar bei Motor! Das Groß kann erst mal dichtgeholt stehen bleiben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und die Crew ist dankbar für den selbst gemachten Fahrtwind.
Im Osten ist der Hauptinsel Mahé fast der Länge nach ein Riff vorgelagert, das uns gebührenden Abstand halten lässt. Die höheren Berge bleiben achteraus, die Bebauung wird spärlicher. An Steuerbord passieren wir den Flughafen. Kaum, dass wir das Kap, den Pointe du Sud, umrundet haben, auch Cap Malheureux genannt (franz. für unglücklich), bekommen wir eine Ahnung, was es mit dem Namen auf sich haben könnte. Uns läuft Schwell aus Madagaskar entgegen. Eine lange Dünung aus Südwest, die allerdings gutmütig unter den beiden Rümpfen der „Maui“ durchrollt und keine 200 Meter weiter an Land in reinstem Weiß und Türkis an einem Traumstrand bricht.
Gleich die erste Bucht, die Police Bay, ist so fantastisch, dass man nicht daran vorbeifahren kann. Anlanden ist angesichts der Brandung aber leider nicht möglich. Dennoch: Anker werfen, staunen, lauschen und baden geht. Allemal genug fürs Erste. Allein diese Farben: das totale Türkis!
Für die Nacht bietet sich die Baie Lazare an. Die Bucht ist etwas tiefer eingeschnitten. Zwar bricht sich noch immer eine beachtliche Brandung am Riff. Doch das gleichmäßige Grollen in der Ferne wirkt eher beruhigend, wenn man den Anker in feinstem Sand gut eingefahren weiß. Und das leichte Geschaukel infolge des Schwells kann einem Katamaran nichts anhaben – weshalb es auch deutlich mehr Multi- als Monohulls auf den Seychellen zu chartern gibt. Nur der Landgang muss abermals warten. Wie gut, dass wir für zwei oder drei Mahlzeiten an Bord proviantiert haben. Denn: Marinas sucht man auf den Seychellen vergebens.
Eigentlich wollen wir anderntags nach La Digue übersetzen. Doch daraus wird leider nichts. Nicht nur der Crew ist heiß, auch dem Motor. Ein Alarmsignal ertönt. Die üblichen Checks helfen nichts, ferndiagnostisch kommen wir mit Basisleiter Jude auch nicht weiter. Er bestellt uns nach Norden in die touristische Beau Vallon Bay. Dort entpuppt sich ein simpler Wackelkontakt im Bedienpaneel als Wurzel allen Übels; das Problem ist rasch behoben.
Immerhin geht danach eine segelfähige Brise. Wenn auch von vorn. Wir kreuzen etwas auf, aber je weiter wir von der Insel wegkommen, desto schwächer weht der Wind. Und der Wendewinkel des Katamarans nimmt sich auch eher bescheiden aus. Umso erstaunlicher, dass wir in dieser Woche nur einem einzigen Monohull begegnen werden.
Wir beschließen, die Nacht im Baie-Ternay-Marine-Nationalpark zu verbringen. Zwei freundliche unterbeschäftigte Ranger warten auf uns. Leider sei das Wasser zu aufgewühlt, um am Riff schnorcheln zu können, sagen sie, die Sicht einfach nicht gut. Dafür teilen wir den kleinen Strand, die Anse de Riz, nur mit ein paar Strand- oder Geisterkrabben und können mit dem Dingi anlanden. Mehr Tropik und Exotik geht kaum. Ich muss unwillkürlich an die James-Bond-Strandszene mit Ursula Andress denken.
Anschließend machen wir die 25 Meilen rüber nach La Digue, eskortiert von Delphinen und fliegenden Fischen. Schon von Weitem erkennt man die ankernden Yachten vor dem kleinen Hafen, allesamt Katamarane. La Digue scheint das beliebteste Ziel für Charteryachten. Was Wunder, befindet sich hier doch der berühmte und meistfotografierte Strand der Welt: die Anse Source d’Argent.
Als wir am nächsten Tag sehr früh das Dingi im kleinen, aber geschäftigen Hafen von La Passe festmachen, dreht ein Rochen seine Kreise um unser Boot. Wir verzichten auf das obligate Leihfahrrad und flanieren lieber über die weitgehend autofreie Insel. Erst durch den Ort, dann am Strand an der La Digue Lodge und einem aufgebockten und überwucherten Wrack vorbei. Es lohnt sich, gleich morgens einer der Ersten zu sein, will man den Strand der Anse Source d’Argent noch ohne zahllose Besucher sehen und fotografieren. Und das will man. Unbedingt. Der frühe Vogel macht das bessere Bild. Viel schöner kann ein Strand aber auch einfach nicht sein.
Oder doch? La Digue hat noch mehr Strände der Extraklasse – die offenbar auch sanktionsflüchtige Oligarchen zu schätzen wissen. Gegen Nachmittag umrunden wir die Insel mit dem Boot. Als die Crew Kurs Anse Coco nimmt, liegt da die Superyacht „Nord“, martialisch, ja beinahe militärisch anmutend. Bei Lürssen in Bremen gebaut. Wert: 500 Millionen Euro. Laufende Kosten jährlich zirka 50 Millionen Euro. Eigner ist der Milliardär Alexei Mordashov. Die Begegnung erweckt ein seltsames, die Idylle trübendes Gefühl. So nah war man der Kleptokratie noch nie. Und was bitte soll diese Hüpfburg am Heck oder was immer das ist? Ein Sichtschutz, ein künstlicher Eisberg? Die Dekadenz kennt keine Grenzen.
Nichts wie weg ob der Nachbarschaft. Weiter nach Praslin, bevor es zu dunkel wird. Das geht in den Tropen wie gesagt ungewohnt schnell. Und wie gleichfalls schon erwähnt, praktisch täglich farblich spektakulär. Wir ankern in der Anse Volbert, um tags drauf in eine der schönsten Buchten von Praslin zu segeln: die Anse Lazio. Spätestens dort wird man zugeben müssen, dass das größte Kapital der Seychellen die wohl schönsten Strände der Welt sind. Weshalb sie selbst auf Privatinseln wie North Island per Gesetz zugänglich sind. Das Eigentum beginnt erst dort, wo die ersten Palmen wachsen.
Es gibt Ausnahmen. Naturreservate wie Aride zum Beispiel. Die Insel steht unter Schutz. Ankern ist erlaubt, aber individuelles Anlanden mit dem Dingi verboten. Ein Grund, warum die Tierwelt auf den Seychellen so einmalig schön ist. Wir verbringen dort die Nacht in unmittelbarer Nachbarschaft einer gigantischen Vogelkolonie. Wer glaubt, bei Dunkelheit wird es still, sieht sich getäuscht. Die Ruß- und Feenseeschwalben scheinen echte Nachtschwärmer zu sein. Oder liegt es am Vollmond? Am Himmel jedenfalls ist die Hölle los, sodass man fast Ohrstöpsel braucht, um draußen im Netz zu schlafen, wie es sich einige Crewmitglieder angewöhnt haben.
Am nächsten Morgen werden wir von den Rangern mit dem Dingi abgeholt. Eine Lehrstunde in Sachen Brandungsanlanden folgt. „Alle festhalten bitte!“ Mit der erstbesten Welle brettern wir auf den Strand und können trockenen Fußes aussteigen. Kurz darauf wird der Fotorucksack inspiziert, dass man auch ja keine Ratten oder Kakerlaken anschleppt, die in so vielen Tropenparadiesen schon die heimische Fauna und Flora dezimiert haben und zur Plage geworden sind.
Dann beginnt die Führung für knapp 45 Euro pro Person. Während die Crew aus dem Schwärmen und Staunen nicht herauskommt, zählt die junge Volontärin des Nationalparks jeden Tag. Und nicht nur Vogeleier. Sie hat Heimweh, sagt sie. Und vermisse ihre Familie. Sechs Monate müsse sie noch aushalten. Erst einer sei um. Man versucht sie zu verstehen. So ganz gelingen will das nicht. Inmitten einer Paradiesfiliale. Voller Wildlife. Und mit einem Haushai namens Bobby, wie Martha sagt. Ob wir den schon beim Schnorcheln gesehen hätten?
Die Crew verneint und ist gar nicht traurig drum. Die wunderbaren Meeresschildkröten tun es auch. Der schöne, uralte Banyantree, die Fregattvögel, die eleganten Weißschwanz-Tropikvögel, die Schwalben, die fliegenden Hunde, die fliegenden Fische und so weiter und so fort. Das ganze Naturerleben ist schwer in Worte zu fassen, es ist das, was das Revier so besonders macht.
Wer hingegen kernig segeln möchte, ist zumindest in den europäischen Wintermonaten in der Karibik mit ihrem stabilen Passat besser aufgehoben. Auf den Seychellen dient das Boot eher als bequemes Reisegefährt. Auch schön!
Anreise: Freitags mit Condor direkt ab Frankfurt ab 800 Euro. Flugzeit: zehn Stunden, Ankunft: 6 Uhr morgens. Es gibt nur drei Stunden Zeitverschiebung.
Charter: Wir waren mit einer Lagoon 450 S von VPM unterwegs. Die Woche kostet im europäischen Sommer ab 5.600 Euro, Weihnachten/Neujahr 8.750 Euro. Skipper und Koch können für 320 Euro/Tag gebucht werden. Einzelbucher/Paare können an sogenannten Segelyacht-Kreuzfahrten auf größeren Katamaran teilnehmen. Preise: 1.330 bis 1.750 p. P./Woche. Buchungen: Barone Yachting, Tel. 0761/38 06 30, barone.de.
Das Revier: Die 115 Inseln der Seychellen liegen zwischen 4 und 6 Grad Süd. Man unterscheidet zwischen den inneren und äußeren Inseln, deren Hoheitsgebiet sich über eine Seefläche von 390.000 Quadratkilometern erstreckt. Chartersegler dürfen nur die inneren Inseln ansteuern. Dazu gehören Mahé, Praslin, Silhouette und La Digue sowie etliche kleinere Eilande – allemal genug auch für einen Zweiwochentörn.
Navigation & Seemannschaft: Familientaugliches Revier; navigiert wird nach Sicht. Die Passagen von Insel zu Insel sind bequem tagsüber zu schaffen. Der Tidenhub von knapp 1,50 Metern sorgt an engeren Stellen für etwas Strömung. Nachdem man die Marina auf Eden Island verlassen hat, wird meist geankert. Wer Wasser bunkern muss und nicht zurück zur VPM-Basis will, kann dies kostenpflichtig auf Praslin am Steg von Dream Yacht Charter tun.
Wind & Wetter: Die Regenzeit dauert von Oktober bis April, die Trockenzeit von Mai bis September. Im Schnitt schwankt die Windstärke zwischen 10 und 25 Knoten. Wir waren im März unterwegs und hatten es im Mittel eher mit 2 Beaufort und sehr wenigen Schauern zu tun. Von Dezember bis März herrscht Nordwest-Monsun vor. Nach einer eher windarmen Übergangsphase im April setzt von Mai bis September die windigere Zeit des Südost-Monsuns ein. Die Temperaturen sinken dann zwar auf angenehmere Werte, aber viele Buchten werden als Ankerplatz unbrauchbar. Die Seychellen liegen jenseits der Zyklonenschneise.
Bücher & Karten: Auf Nachfrage erhält man über Barone Yachting ein PDF mit Revierinfos. Für den Landgang: „Seychellen“, Dumont, 23,95 Euro.