Projekt “Manaia”Meeresschutz unter Segeln - Manuel Marinelli und seine “Waya Waya”

Marc Bielefeld

 · 02.09.2023

Die „Waya Waya“ hat Platz für ein Dutzend Wissenschaftler, die wie der Skipper an  diversen Meeresschutzprojekten arbeiten
Foto: M. Bielefeld
Manuel Marinelli kreuzt seit Jahren übers Mittelmeer. Sein Boot ist ein segelndes Labor für Biologen und Umweltschützer. Seine Mission für den Meeresschutz: die Rettung des bedrohten Ökosystems

Wer seinen Fuß auf die „Waya Waya“ setzt, merkt schnell, das ist keine normale Yacht. Am Heck liegen Flossen, Schnorchel, Masken. Tauchbojen lehnen am Seezaun, unterm Großbaum trocknen Neoprenanzüge, Tauchcomputer baumeln am Steuerstand. Daneben ein Bandmaß sowie wasserfeste Kladden, um sich unter Wasser Notizen machen zu können. An Deck sind zudem mächtige Solarpaneele installiert, weit über 20 Meter ragen die Masten des weißen Schoners in den blauen Himmel Elbas. Nein, das ist wirklich kein normales Charterschiff. Die „Waya Waya“ ist in anderer Mission unterwegs.

Unter Deck ein ähnliches Bild. Ein Dutzend Schuhe steckt unter den Stufen des Niedergangs, am Zutritt zum Salon hängt der Wachplan. Zehn Namen stehen darauf, „Rotation alle 15 Minuten“. Die Mannschaft soll sich an Backbord, Steuerbord und am Bug verteilen, die Augen während jeder Fahrt aufs Meers richten. Ein Schreiber ist eingeteilt, um alles zu notieren: gesichtete Delfine, Meeresschildkröten, Mondfische, Art und Umfang des im Wasser treibenden Abfalls. Einer aus der Crew steht immer parat, um die Drohne hochzuschicken. Wenn das Schiff eine Quallenfront quert, einen Müllteppich durchfährt oder der „Waya Waya“ anderes Ungewöhnliches vor den Bug schwimmt, was so ungewöhnlich heute allzu oft leider nicht mehr ist.

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Das Meer an erster Stelle

In einem Schapp an Steuerbord steht ein 3D-Drucker, um Plastikflaschen zu recyceln, im Regal sind sechs Mikroskope gelascht. Daneben finden sich Bücher über Flora und Fauna des Mittelmeers, ein Kübel mit Bleistiften, Darwins „Origin of Species“ und al- lerlei nautische Handbücher. Ägäis, Ionische Inseln, Korsika. Griechische, kroatische und italienische Gewässer. Im Kühlschrank steht zwischen Marmelade und Margarine noch ein anderes Glas: eine Sammlung Seegrassamen, die aussehen wie grüne Oliven.

Überall liegen Kabel für diverse Ladegeräte. Kameras, Computer, Handys. Ein bunter Volleyball klemmt noch hinter einem Stropp. Doch für heitere Strandspielchen ist hier niemand an Bord gekommen.

Wechselnde Besatzungen reisen aus aller Welt an. Meist sind es Studenten, die sich für mindestens zwei Wochen, manchmal mehrere Monate einschiffen. Ein Interview muss vorab absolvieren, wer auf der „Waya Waya“ mitfahren will. Nicht jeder ist see- und segeltauglich, will sich die Vorschiffskabine mit mehreren Leuten teilen, kann die Bordroutinen einschätzen und Prioritäten setzen. Die heißt hier: erst das Meer, dann das Segeln!

Faszination für die Unterwasserwelt

In diesen Wochen Ende Mai sind zehn Leute an Bord der „Waya Waya“. Jutta aus Deutschland, angehende Kunststoffingenieurin. Sie studiert Umwelttechnologie, Schwerpunkt Recycling und Mikroplastik in den Ozeanen. Aoi aus Japan Biomedizin. Lily aus Schottland Marine Sciences. Esmee stammt aus England, sie studiert Marine and Terrestrial Conservation. Nachdem sie als „Reef Doctor“ die Korallenriffe vor Madagaskar inspiziert hat, widmet sie sich heute dem Seegras im Mittelmeer. Ryunosuke aus Tokio hat einen Abschluss in Ökologie. Er will sich mit den maritimen Besonderheiten des Mare Nostrum befassen. „Die Welt der Korallen kenne ich vom Pazifik und aus Australien“, sagt er. „Aber hier im Mittelmeer existieren richtige Wälder und Wiesen unter Wasser. Das ist absolut faszinierend!“

Gemeinsam sitzen sie an diesem Abend unten im Salon am großen Tisch. Ebenfalls mit dabei: Leonie aus der Schweiz, die Lehrerin werden will, sich eigentlich aber mehr fürs Meer interessiert. Simon, Biologe von der Uni Bremen, der die Charakteristiken von Seegebieten untersucht, die sich mit den steigenden Temperaturen immer weiter nach Norden verschieben. Für seine Forschungen reiste er schon oft in die Arktis. Spitzbergen, Grönland, die Fjorde Norwegens. Er zählt zu den wissenschaftlichen Beratern der „Waya Waya“-Crew.

Klimawandel als Thema für den Meeresschutz?

Es gibt Pilz-Risotto, zum Trinken Wasser aus der bordeigenen Entsalzungsanlage. Die schafft 1.000 Liter am Tag. Die „Waya Waya“ ist weitestgehend autark. Lateinische Namen machen beim Abendessen die Runde, Daten vom letzten Tauchgang. Es geht um die prozentuale Bedeckung mit Seegras in den Buchten, in denen sie vor Anker lagen. Um Sichtungen von Trichter- und Schirmchenalgen. Um die Folgen der Eutrophierung. Hier und da fällt ein Satz zum Klimawandel. Manchmal segelt ein Witz durch das Schiff.

Dass es hier generell jedoch nicht um Scherze geht, macht ein weiteres Ausrüstungsstück im Inventar der „Waya Waya“ deutlich. Es ist ein kleines Heiligtum, das seit Jahren mitsegelt und schon ordentlich zerfranst ist: eine alte Ausgabe von „Moby Dick“, die an Bord der „Rainbow Warrior“ war, als das Greenpeace-Schiff 1985 gegen Atomtests im Mururoa-Atoll protestierte. Französische Marinetaucher hatten danach im Hafen von Auckland, Neuseeland, eine Bombe am Rumpf angebracht. Das Schiff explodierte und sank, ein Mensch starb – dieses Buch aber überlebte.

Marinelli fuhr auf der “Rainbow Warrior” um die Erde

Die Greenpeace-Urgesteine Brian Fitzgerald und Peter Wilcox übergaben es vor vielen Jahren jenem Mann, der heute Kapitän der „Waya Waya“ ist. Manuel Marinelli, 39. Barfuß, T-Shirt, um seinen Hals hängt ein Lederband mit silbernem Amulett. Er sitzt still in der Runde am Tisch, über eine Melonenscheibe gebeugt. Marinelli ist keiner, der viel erzählt. Er mag kein großes Bohei. Er macht lieber sein eigenes Ding; das allerdings schon immer.

Bereits als Kind verfolgt er die frühen Aktionen von Greenpeace. Als Student meldet er sich bei der Umweltorganisation, verteilt Broschüren an Infotischen, absolviert in Wien ein Aktivistentraining: Kletterkurse, spezielles Tauchen. Seinen Segelschein hat er schon mit 16 im Schulsport gemacht, auf den Seen Österreichs. Später studiert er Meeresbiologie, arbeitet auf Forschungsstationen in Kroatien, erwirbt sämtliche Skipperscheine. Dann heuert Marinelli auf der „Rainbow Warrior“ an, ist auf der ersten Expedition im westlichen Indischen Ozean mit an Bord. Mosambik, Mauritius, Malediven. „Wir sahen Flotten von Trawlern, die die Meere abgrasten und so groß waren wie Fabriken“, berichtet er. Marinelli fährt mit der „Rainbow Warrior“ dreimal um die Erde. „Ich habe auf diesen Reisen alles gesehen“, erzählt er. „Das Sterben der Riffe, den Müll, den allmählichen Untergang.“

Leidenschaft und Meeresschutz für den Ozean

Die Ozeane sind seither das, wofür er brennt. Meeresschutz, am liebsten unter Segeln. Zwischen den Fahrten für Greenpeace kommt er zu seinem ersten eigenen Schiff: einem abgetakelten Katamaran im Mergui-Archipel vor der Westküste Myanmars. Marinelli macht das Wrack wieder seeklar, fährt drei Jahre mit Gästen durch den tropischen Archipel, bis die politischen Verhältnisse in der Andamanensee zu prekär werden.

Danach widmet er sich noch gezielter dem Meeresschutz. Er kauft die „Independence“, eine 43 Fuß lange Stahlketsch von Bruce Roberts, und fährt damit fast zehn Jahre lang durchs Mittelmeer. Er nimmt Meeresbiologen mit, Walexpertinnen, Ökologen, Zoologen. Seine NGO, das „Project Manaia“, wird zu einer Art alternativer Basis für wissenschaftliche Feldforschung. Ein „Open Research Boat“, um das leidende Mare Nostrum besser zu verstehen.

Mittelmeer gilt als eines der schmutzigsten Gewässer des Planeten

„Auf dem Mittelmeer verdichten sich die Probleme unserer Zeit wie auf keinem anderen Meer der Erde“, sagt Marinelli. Tourismus, Schiffsverkehr, Überfischung, Erhitzung, der Müll: Das Mittelmeer gilt als eines der schmutzigsten Gewässer des Planeten. Marinelli sagt: „Es ist ein Schlüsselmeer, wenn wir hier zu Lösungen kommen, könnten sie überall funktionieren.“

Seine Schwerpunkte: Seegras, Verschmutzung und invasive Arten. Unter anderem hilft Marinelli, „Heat Maps“ zu erstellen. Das sind Seekarten, die zeigen, wo sich der Plastikmüll im Mittelmeer konzentriert. Für diese Karten, die bisher kaum existieren, ist er fünf Jahre lang kreuz und quer gesegelt, vom Bosporus bis nach Gibraltar – Meeresmüll kartografierend.

Seit letztem Winter hat er für seine Expeditionen ein größeres Schiff: die „Waya Waya“. Das ist ein 21 Meter langer Schoner von Plan Joubert, gebaut aus Stahl, 27 Tonnen schwer. Marinelli lebt mit seiner Frau Pinar auf dem Schiff, er hat seit Jahren keinen festen Wohnsitz. Bis zu zwölf Gäste können mitsegeln. Unterstützt wird das „Project Manaia“ unter anderem von der Deutschen Stiftung Meeresschutz. Für seine Bemühungen, die Migration invasiver Arten aus dem Roten Meer besser zu verstehen, bekam Marinelli den „Hans und Lotte Hass Preis“. Mit Unterstützung der österreichischen Regierung drehte er auch schon Lehrvideos für Schulen.

Wissen teilen, wo nur möglich

Marinelli teilt sein Wissen, wo er kann. Mit anderen NGOs, mit Forschern und Universitäten. Er geht in Schulen, hält Vorträge in Gemeinden und Tauchschulen. Auf seinen Törns erhebt er Daten, nimmt Forschende mit, propagiert Lösungsvorschläge. Sicher, im großen Weltengefüge sind seine Anstrengungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Marinelli weiß das. Aber er weiß auch: „Irgendwann höhlt der Tropfen den Stein.“

Die „Waya Waya“ ist gerade von Frankreich gekommen, ankerte danach im Norden Elbas. „Es gibt dort ein Gebiet mit Seegras, das uns Rätsel aufgibt“, erzählt Marinelli. „Während viele Posidonia-Flächen absterben, geht es diesem gut – es wächst und gedeiht auf ungewöhnliche Weise.“ Woran liegt das? Was können sie daraus lernen?

Das Thema Seegras liegt Marinelli am Herzen. Ein Drittel aller maritimen Spezies wächst in diesem Habitat auf. Das Neptungras produziert Sauerstoff, speichert große Mengen an CO2. Es gilt als die Lunge des Mittelmeers, spielt für Arten- und Klimaschutz eine zunehmend wichtige Rolle.

Sportboote verursachen auch Probleme

„Jedoch, die Erwärmung des Meeres, die Einspülung von Nährstoffen, die Schleppnetze, die vielen Schiffe setzen dem Seegras zu.“ Niemand wisse, was letztlich am meisten Schaden anrichte. „Die Anker der Sportboote sind ein großes Problem. Sie können binnen Sekunden zerstören, was über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gewachsen ist. Die Wiesen werden fast überall dünner, verlieren an Fläche“, sagt er. In der Ägäis oder in Kroatien seien an die 80 Prozent bereits zerstört.

Und die Probleme würden immer mehr. Die ansteigenden Temperaturen, die Dichte der Schiffe, der Grad der Überfischung. Auch die Menge der Segelschiffe nehme zu, Charterbasen seien allerorten aus dem Boden geschossen. „Die Segler haben immerhin ein stärkeres Bewusstsein für verantwortungsvolles Handeln entwickelt“, sagt Marinelli.

In diesen Tagen ankert die „Waya Waya“ im Golfo Stella bei Lacona im Süden Elbas. Die Studierenden sind ins Meer gesprungen, schwimmen sogenannte Transekte: Meter für Meter inspizieren sie bestimmte Areale am Meeresgrund, tauchen zum Seegras, bestimmen Bewuchs und Biodiversität, um Veränderungen zu dokumentieren. Marinelli steuert viele Buchten Jahr für Jahr erneut an, um zu sehen, was sich im Meer verlagert. Was kommt? Was verschwindet? Die Daten übertragen sie abends in Tabellen, füttern die Computer und stellen ihre Erhebungen interessierten NGOs, Universitäten und Biologen zur Verfügung.

Gemeinden intensiver in den Meeresschutz einbinden

An Land spricht Marinelli mit Fischern und Tauchbasen, diskutiert Optionen, Ankerbojen auszubringen, die Gemeinden intensiver in den Meeresschutz zu integrieren. Im Süden von Elba steht ein besonderes Projekt an: Sie wollen Seegras auf natürliche Weise nachpflanzen. Marinelli: „Schutzgebiete und Verbotszonen reichen im Mittelmeer vielerorts nicht mehr, wir müssen die Posidonia-Flächen gezielt renaturieren.“ Das jedoch kommt einer Sisyphosarbeit gleich. Wann und wo geben die Seegraswiesen ihre seltenen Samen ab? Wo gedeihen sie? Unter welchen Bedingungen?

Marinelli hält am Abend einen Vortrag vor den Gästen und Studierenden an Bord. Der Termin ist mit grünem Filzer an die Tafel mit dem Tagesprogramm geschrieben: „Seagrass chat 17.30“. Am nächsten Mittag kommt Besuch aufs Schiff: Svend Andersen, ein deutscher Treibhausgas-Buchhalter, der von Kanada aus in aller Welt arbeitet. Andersen will die genauen Mengen an Kohlenstoffdioxid quantifizieren, die im Seegras gespeichert sind. Experten wie er sind öfter an Bord, halten Vorträge, wollen vor Ort ihr Wissen mehren.

Andersen erklärt, wie wichtig das Blue Carbon für den Klimaschutz ist. Er tauscht sich mit Marinelli und den Studierenden aus, erörtert, mit welchen Methoden sich das Seegras am besten pflanzen ließe. Versuche dazu finden in aller Welt statt. Aber noch stellen sich viele Fragen. Die Natur ist diffizil, ihre über Millionen Jahre bewährten Methoden sind nicht mal eben kopiert. Wie in einer Schulklasse sitzen sie alle an Bord, oben an Deck, fachsimpeln, wie man das Meer und überhaupt den Planeten wieder in den Griff bekommen könnte.

Über Elba strahlt derweil die Sonne. In Italien wird es wärmer, ein weiterer Hochsommer naht.

Neue Seegrassamen im Meeresboden

Am nächsten Tag taucht Marinelli mit Flaschen ab. Er, die Engländerin Esmee Tobin und die Dive Guides der lokalen Tauchbasis Sottolonda gehen auf 15 Meter Tiefe. Dort unten setzen sie die Seegrassamen aus, drücken sie behutsam in den mimosengrünen Meeresboden. Marinelli wird Kontakt zur Tauchbasis halten, wird in einem Jahr wiederkommen, um zu prüfen, was aus den Samen geworden ist. Winzige Triebe vielleicht, im besten Fall ein kleines, zartes Büschel neues Seegras. Die Pflanzungen im großen Stil voranzutreiben wird einer herkulischen Aufgabe gleichkommen.

Es ist ein Rennen gegen die Zeit, ein Rennen gegen die weitere Dezimierung. Doch Marinelli gibt nicht auf. Er weiß um die Bedeutung solcher Aktionen: „Sie sind kein Ende, sie sind ein Anfang.“

Seismograf des Mare Nostrum

Sein Schiff ist über Monate ausgebucht, seine Route wird ihn dieses Jahr abermals weit durchs westliche Mittelmeer führen. Seit Jahren streift er durch diverse Seegebiete zwischen Afrika und Europa und ist längst zu einer Art Seismograf des Mare Nostrum geworden. Kaum ein anderer dürfte so viel Zeit auf dem Wasser verbringen, kaum ein anderer den Signaturen dieses Meeres so nahe kommen wie er. Marinelli. Der Name stehe wirklich so in seinem Pass, sagt er. Seit seiner Geburt.

Er überlegt. Alles in allem müsste er in seinem Leben inzwischen um die 16 Jahre auf Schiffen verbracht haben. Erst auf der „Rainbow Warrior“, danach an die zehn Jahre auf seinen eigenen Yachten. Mit einer früheren Freundin hatte er zwischendurch mal eine Wohnung in Graz gemietet, zu Hause in Österreich. „Nette Gegend, 60 Quadratmeter, zwei Zimmer“, wie er sagt. Aber es ging nicht. Nach einem Monat zog er aus und wieder los. Aufs Schiff. „Ich hing in der Wohnung herum, wusste nicht, was ich tun sollte. Es war fremd, und als Nächstes hätte ich mir womöglich ein Sofa und einen Fernseher angeschafft.“

Wie geht es weiter?

Mit seiner größeren „Waya Waya“ eröffnen sich nun noch einmal neue Möglichkeiten. Noch mehr Leben an Bord. Weiter die Reisen, tiefer die Einblicke in die Wunder und Wunden dieses Meeres. Mehr Biologen und Meeresfreunde können heute zu ihm und seiner Frau Pinar an Bord kommen. Können forschen, können agieren, um auf ihre Weise gegenzusteuern und den Wahnsinn irgendwie abzuwenden. Auf die Frage, wie dies im Großen letztlich zu schaffen sei, schaut Marinelli nüchtern durch seine Sonnenbrille: „Wenn wir uns nicht beeilen und alles daransetzen“, sagt er, „dann wird sich das Mittelmeer in den nächsten Jahrzehnten in eine Badewanne verwandeln, in der sich die Rotfeuerfische gegenseitig auffressen.“

Mit den Eindringlingen aus dem Roten Meer kennt sich Marinelli ebenfalls aus. Der Rotfeuerfisch, der aus dem Suezkanal ins Mittelmeer gelangt ist, ist längst zur Plage geworden. Bei Kreta hatten Taucher vor einigen Jahren ein erstes Exemplar gesichtet. Bald darauf zählten sie fünf, danach waren es 100, dann vermehrte sich der Eindringling in rasendem Tempo.

Ein Rotfeuerfisch legt 2.000 Eier im Jahr. Die Eier haften sich an Treibgut, Holz, an Schiffsrümpfe. Sie gelangen überall hin. Die Fische sind giftig, haben keine Feinde. Der Rotfeuerfisch kann an einem Tag die Hälfte seines Körpergewichts fressen, zur Not wochenlang fasten. Die Fische haben schon ganze Stellnetze leergefressen, inzwischen sind sie dabei, sich das östliche Mittelmeer vorzuknöpfen. Die ersten schwimmen vor Sardinien.

Unabsehbare Folgen

„Solche invasive Arten können massiven Schaden anrichten“, sagt Marinelli. „In der Karibik haben sie halbe Populationen ausgerottet.“ Letztlich sind sie aber nur ein weiteres Beispiel dafür, wie viele natürliche Kreisläufe der Mensch durcheinandergebracht hat. Die Dimensionen: global. Die Folgen: unabsehbar.

Am nächsten Morgen setzt die „Waya Waya“ die Segel. Sie wollen um die Halbinsel am Monte Grosso segeln, weiter in die Buchten im Westen, danach rüber nach Korsika. Wie ein alter Fregattvogel zieht das weiße Schiff über das blaue Meer, legt sich leicht auf die Seite, als sie die Schoten dichtnehmen und hoch an den Wind gehen. Gegenankreuzen. Bei einem wie Marinelli gewinnt das Wort auf einmal eine ganz neue Bedeutung. Und man denkt sich im Stillen: Wenn es doch nur der Wind wäre.


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