Sie sind wieder da! Asha Reich und Helge Aßmann haben es geschafft. Binnen zehn Jahren umrundeten sie einmal die Erde. Im Kielwasser ihrer treuen „Gegenwind“, einer Hanseat 70, liegen unzählige Seemeilen und zahlreiche Abenteuer. Voraus wartet eine noch teilweise ungewisse Zukunft, der die beiden aber zuversichtlich entgegenblicken. Wir haben das Paar kurz vor seiner Ankunft in Kiel an Bord besucht.
Helge Aßmann: Ich wusste, dass die Hanseat 70 MK II bei der Marine oft für Schulungen eingesetzt wurde. Dort sind sie bei jedem Wetter rausgefahren; fünf Mann in Ölzeug, und los geht’s! Die haben die Schiffe einfach nicht kaputt gekriegt. Da dachte ich mir, das muss ein gutes Schiff sein; da muss ich genauer hingucken. Irgendwann kam der Moment, an dem mein alter Königskreuzer zu klein wurde. 2006 habe ich dann “Gegenwind” gekauft – für damals zwischen 40.000 und 50.000 Euro.
Aßmann: Kurz und bündig gesagt: Sie segelt relativ gut und auch schnell – sogar bei leichtem Wind. Und das, obwohl das Schiff gerne als Panzer bezeichnet wird. Das kommt wohl daher, dass das Material einfach superdick ist. Wir haben zum Beispiel mal eine Logge im Vorschiff eingebaut. Das ging nur, weil wir von beiden Seiten durch den Rumpf gebohrt haben. Das schafft ein sicheres Gefühl. Darauf kann man sich verlassen.
Asha Reich: Das stimmt. Man weiß einfach, dass einem nichts passieren kann. So sind wir zum Beispiel auf ein Riff aufgelaufen. Drei Stunden knallten wir immer wieder auf die Felsen – und wir haben es überstanden. Das hätten viele andere Schiffe sicherlich nicht ausgehalten.
Aßmann: Das war zur Coronazeit. Vor der thailändischen Ostküste befand sich unser Quarantäne-Ankerplatz. Dort haben wir auf dem Sprung gelebt. Starker Wind ließ unseren Anker immer wieder ausbrechen. Teilweise haben wir, wie auf See, Wache gehalten. Als das Ende der Quarantänezeit gekommen war, sind wir los. Allerdings ist das Gebiet dort schwierig und schlecht kartografiert. Inseln befinden sich nicht immer dort, wo sie eingezeichnet sind.
Reich: Infolge der Pandemie war auch der Austausch in der Segler-Community noch nicht wieder in dem Maße vorhanden, dass wir hätten gewarnt werden können.
Aßmann: Deshalb sind wir, wie zuvor auf dem ganzen Stück von Osttimor nach Thailand, mithilfe von Satellitenbildern, AIS-Tracks großer Schiffe und allen Infos, die wir kriegen konnten, losgesegelt. Doch schon nach einer Viertelstunde machte es rumms und sogleich ein zweites Mal. Dann saß “Gegenwind” fest. Der Kiel steckte in einer Kuhle, der Skeg samt Ruderblatt hing hinter einer Riffkante. Im Minutentakt ging es mit den Wellen hoch, danach krachte das Schiff zurück auf den Kiel. Drei Stunden ging das so weiter. Das Schiff hat gewackelt und vibriert bis zur Mastspitze! Immer wieder schauten wir besorgt nach, ob wir Wassereinbruch haben.
Reich: Unsere Notfalltaschen waren bereits gepackt. Zum Glück lag eine Superyacht in der Nähe; deren Crew hatte unseren Mayday-Ruf gehört und stand bereit, uns aufzunehmen.
Aßmann: In dem ganzen Auf und Ab habe ich nur die Augen zugemacht. Ich wollte nicht wissen, wie das Schiff unter Wasser aussieht. Als dann die Flut einsetzte, kamen wir wieder frei. Vorsichtig warfen wir den Motor an. Und siehe da, er funktionierte noch! In der nächsten Werft konnten wir dann den Schaden begutachten.
Aßmann: Der erste Blick fiel auf Ruderblatt und Skeg. Damit hatten wir ganze Riff-Blöcke beiseitegeschoben. Beides ist aus Edelstahl gefertigt und an den GFK-Rumpf angeflanscht. Tatsächlich war lediglich Farbe abgeblättert; abgesehen von ein paar Kratzern war alles unversehrt geblieben. Den Kiel hatte es hingegen stärker getroffen. Wir haben etwa zehn Zentimeter der Kielhacke verloren, und es war jede Menge GFK weggescheuert. Glücklicherweise blieb noch so viel übrig, dass kein Wasser über den Kielsumpf eingedrungen ist. Am Ende haben wir viel Glück gehabt. So etwas hält nicht jedes Schiff aus.
Reich: So viele Stürme waren es gar nicht. Wir mögen nämlich kein schweres Wetter. Gleich zu Beginn, 2014, haben wir auf dem Weg von Cascais nach Porto Santo schlechte Erfahrungen gemacht. Eigentlich sah das Wetterfenster gut aus, doch es war ein kleines Band dazwischen. Diesen Sturm haben wir genau erwischt.
Aßmann: Das war das erste Mal, dass wir ernsthaft beigedreht haben. Gemütlich war das nicht. Alles knallte, und “Gegenwind” machte acht Knoten Fahrt – beiliegend über die Seite! Der Wind nahm weiter zu. Als Wellen ins Cockpit hereinbrachen, haben wir das Groß heruntergenommen. Dann sind wir mit eingerolltem Vorsegel – mehr als der Sonnenschutzstreifen war nicht draußen – die Wellen abgelaufen.
Aßmann: Ja, bis auf einen Schäkel, der gebrochenen ist, ist nichts weiter passiert.
Reich: Ja, wir haben ernsthaft darüber nachgedacht, wie wir in Zukunft weitermachen wollen. Also nahmen wir uns vor, künftig vorsichtiger zu sein und das Wetter genauer anzuschauen. Und wir einigten uns: Wenn einer von uns ein schlechtes Gefühl hat, nicht segeln möchte, dann segeln wir auch nicht – ohne es infrage zu stellen.
Aßmann: Wir haben nicht damit gerechnet, dass uns das so mitnimmt. Deshalb haben wir uns fortan Wetterfenster gesucht, in denen der Passat weniger stark wehte. Lieber sind wir mal ein paar Tage länger auf See geblieben, anstatt mit 30 bis 40 Knoten Wind rechnen zu müssen.
Reich: Und das ging auch so weit gut. Abgesehen von einer ruppigen Überfahrt von den Azoren in den englischen Kanal sind wir vor Stürmen auf See verschont geblieben.
Aßmann: Der erste und auch einzige Hurrikan, den wir mitbekommen haben, war im November 2016 in Panama. Eigentlich eine Region, von der man uns sagte, dass dort keine Wirbelstürme hinzögen. Doch das galt nicht für Hurrikan „Otto“. Der ist rund 200 Kilometer nördlich von uns über Costa Rica gefegt und hat die Karibik mächtig aufgewühlt. Wir lagen mit “Gegenwind” zu der Zeit im Bocas del Toro-Archipel. Dort fanden wir zum Glück unser Hurricane Hole mit schlammigem Boden, aus dem man den Anker kaum wieder rausbekommt, und mit sehr viel Platz um uns herum.
Reich: Auf Fidschi haben wir dann noch einen Zyklon miterlebt. Anfangs dachten wir noch, wir würden verschont bleiben. Aber in der Torres-Straße war es dann so weit: Ein Zyklon machte sich auf den Weg direkt zu uns. Später erfuhren wir von den Fidschianern, dass ein Zyklon pro Jahr völlig normal sei. Darüber wundert man sich dort schon gar nicht mehr.
Aßmann: Naja, bevor es so weit war, haben wir versucht, eine Reihe von Fragen zu beantworten. Zum Beispiel: Wo sind Hurricane Holes? Wie sind die Versorgungsmöglichkeiten vor Ort? Wie ist es um das soziale Netzwerk bestellt? Und ganz wichtig: Ist genug Platz vorhanden? Sind zu viele Schiffe an einem Platz, geht das schief. Irgendwann stoßen sie gegeneinander und versenken sich gegenseitig.
Reich: Und man behält die Wettervorhersage genau im Blick.
Aßmann: Wir haben all das zurate gezogen, was wir kriegen konnten – von Wetter-Apps bis hin zu Infos von lokalen Anbietern. Im Laufe der Zeit haben wir gelernt, die Meteo-Daten so zu interpretieren, dass wir für uns einen Nutzen daraus ziehen konnten.
Aßmann: Das beginnt schon mit der Abfahrt. Wir haben unser Heim aufgegeben, die Wohnung und den Job gekündigt und unser Hab und Gut verstaut. Kurz, man muss loslassen können. Und man lernt, anderweitig Verantwortung zu übernehmen: für sich und das Schiff. Es geht nicht mehr darum, Termine einzuhalten. Es geht darum, heil am nächsten Ziel anzukommen.
Reich: Genau. Es ist ja nicht so, als setze man sich in den Flieger und ist dann mal weg. Man muss alles immer neu organisieren. Wir hatten etwa viel Kontakt mit den Behörden. In der Karibik war das noch unkompliziert. In Samoa mussten wir hingegen schon 15 Seiten Formulare im Vorfeld unserer Ankunft einreichen. In Fidschi waren es 20 Seiten. In Australien mussten wir sogar die Namen unserer Großeltern und deren Berufe nennen. Kurz vor unserer Ankunft ist die Küstenwache dort dann mit einem Flugzeug über uns hinweggeflogen und hat die Daten noch einmal per Funk abgefragt.
Aßmann: Das war definitiv zermürbend. Ständig mussten wir uns mit unterschiedlichsten Ein- und Ausreisebestimmungen auseinandersetzen. Es gab plötzlich unzählige Vorschriften, die wir befolgen mussten, wenn wir ein nächstes Ziel anlaufen wollten.
Aßmann: Also, Jahr für Jahr rund um die Uhr zusammen zu sein – viele sagen, das könnten sie nicht mit ihrem Partner. Wir aber haben genau das jetzt zehn Jahre lang gemacht. Ich finde, das kann man durchaus als Prüfung bezeichnen. Eine, die vermutlich die wenigsten Paare bestehen würden.
Reich: Ja, das stimmt! Schließlich kann man keine Tür knallen, wenn man verärgert ist. Der einzige Raum an Bord, den man hinter sich verschließen kann, ist das Klo. Und dort muss der andere auch irgendwann mal wieder rein.
Aßmann: Ich weiß nicht, ob es wirklich unsere alten Leben sind. Nicht nur wir, auch Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren zu einem gewissen Grad verändert.
Reich: In jedem Land, das wir unterwegs angelaufen haben, mussten wir uns ja auch erst mal neu sortieren. Das findet zurück in der Heimat nun auch wieder statt.
Reich: Wirklich Angst davor haben wir nicht. Wir blicken vielmehr voller Spannung auf das, was kommt – auf die vielen bekannten Gesichter und wie sie sich verändert haben.
Aßmann: Genau, wir freuen uns auf das Abenteuer, das jetzt beginnt.
Reich: Das ist jetzt eigentlich kein Thema für uns. Wir müssen uns erst einmal einen Plan machen, wie es weitergeht. Wir machen es einfach wie in den letzten Jahren: Wir fahren los und organisieren den Rest Schritt für Schritt.
Aßmann: Ja, stimmt. Das wird ein merkwürdiges Gefühl sein, künftig wieder in festen vier Wänden unterzukommen.
Reich: Das glaube ich auch. Die Geräusche beispielsweise werden völlig andere sein.
Aßmann: Wir werden noch bis Ende Oktober – wenn alles funktioniert – an Bord der “Gegenwind” bleiben. Dann schauen wir, dass wir irgendwo ein Apartment oder ein Zimmer bekommen, in dem wir den anstehenden Winter verbringen können. Und dann folgen neue Herausforderungen. Außerdem bereiten wir uns auf Vorträge vor, die wir über unsere Reise halten möchten. Zudem sind wir gerade dabei, ein Buch zu schreiben. Bis Weihnachten soll das bereits fertig sein.
Aßmann: Zunächst wollen wir das Schiff aufarbeiten. Einiges muss neu lackiert werden. In zehn Jahren leidet ein Boot schon sehr. Dann schauen wir, wohin es uns in kommenden Urlauben zieht. Vielleicht nach Norwegen, ins Baltikum oder rund um England. Grönland wäre auch schön.
Der Start der Reise ist in Kiel. Deutschland verlassen sie am 10. Juli mit ablaufendem Wasser von Cuxhaven aus.
Mit Zwischenstopps in den Niederlanden und England führt die Reise über die Biscaya. Zwischen Cascais und Porto Santo erleben sie ihren ersten Sturm. Auf Gran Canaria werden Vorbereitungen für die Ozeanpassage getroffen.
In 24 Tagen überqueren sie den Atlantik. Nach 3.109 Seemeilen erreichen sie Martinique. Die Hurrikan-Saison verbringen sie auf Grenada.
Über Martinique und Jamaika geht die Reise nach Kuba. Danach verlassen sie die Karibischen Inseln und setzen Kurs auf den Kanal.
Im Bocas del Toro-Archipel, Panama, verbringen sie die Blitzsaison und wettern Hurrikan „Otto“ ab. Über die Shelter Bay beginnt danach die Passage durch den Panamakanal.
Am 3. März öffnet sich das Tor zum Pazifik. Bevor sie gen Südsee segeln, unternehmen sie einen Abstecher nach Kolumbien und Ecuador.
Nach 51 Tagen erreichen sie die Marquesas. In den Tuamotus genießen sie die Gastfreundschaft der Einheimischen. Auf der Insel Huahine nehmen sie Abschied von Französisch-Polynesien.
Über Samoa geht es im November 2018 nach Fidschi, wo sie in den Zyklon „Mona“ geraten. Danach steuern sie Neukaledonien und Australien an. Am Great Barrier Reef vorbei geht
es durch die Torres-Straße gen Westen.
Vor der Küste von Osttimor hat die Corona-Pandemie auch die „Gegenwind“ fest im Griff. 20 Monate verbringen sie unter schwierigen Bedingungen vor Anker.
Auf nach Phuket: Binnen 30 Tagen auf See passieren sie Indonesien und Malaysia. Das Gebiet ist lückenhaft kartografiert. Ein Riff wird ihnen beinahe zum Verhängnis. Wochenlange Reparaturen sind erforderlich.
Die Sturmsaison in Südostasien beginnt früher als sonst. Was tun? Monatelang auf besseres Wetter warten oder per Frachter in die Türkei? Sie wählen die zweite Option. Danach geht es quer durchs Mittelmeer nach Gibraltar.
Von Spanien aus segeln sie zu den Kanaren, um den Orcas auszuweichen. Vor Gran Canaria kreuzen sie ihre Kurslinie von 2014.
Am 27. Juni heiratet das Paar auf Madeira. Im Juli segeln sie zu den Azoren und anschließend weiter nach Frankreich. Auf dem Weg nach Europa treffen sie auf gleich drei Stürme.
Nach einem Jahrzehnt kehren Asha Reich und Helge Aßmann mit ihrer „Gegenwind“ in ihren Heimathafen in Kiel zurück.