Der Hafenmeister auf Texel begrüßt den gerade eingelaufenen Skipper mit Namen: „Ach, Herr Müller, auch wieder mal auf den Inseln?” Ja, wieder mal; wie jedes Jahr! Dabei schlummert der Wunsch, fernere Reviere zu erkunden, schon lange in Herrn Müller. England wäre super. Die Kanalinseln. Oder gar die Ostsee. Doch wie hinkommen auf eigenem Kiel?
Das fragen sich auch viele andere Segler, die ihr Heimatrevier längst in- und auswendig kennen. Gleich, ob sie ihren Liegeplatz in Holland, an der Nord- oder Ostseeküste oder irgendwo im Mittelmeerraum haben. Das Schiff ist in den meisten Fällen sogar bestens für längere Törns gerüstet. Was fehlt, ist die Zeit. Mehr als drei Wochen am Stück sind im Sommer für die meisten einfach nicht drin. In drei Wochen aber lässt sich nicht sonderlich viel ausrichten. So zumindest die verbreitete Meinung.
Dabei sind auch im normalen Urlaub viele scheinbar unerreichbare Ziele durchaus nicht utopisch fern – wenn nur gut geplant wird. Mit einigen Tricks lässt sich der übliche Törnradius deutlich ausdehnen.
Bevor der Spaß am Hobby also infolge akuter Revier-Langeweile verlorengeht, lohnt der Griff zu Zirkel und Übersegler, ein wenig Rechnerei sowie logistischer Aufwand. Welche Törnziele aber sind in der Praxis realistisch? Um das herauszufinden, müssen einige Annahmen getroffen werden. In den Beispielen auf den nachfolgenden Seiten ist eine herkömmliche 30-Fuß-Fahrtenyacht zugrundegelegt. Die gesegelten Distanzen sind sehr zurückhaltend mit durchschnittlich 20 Meilen am Tag veranschlagt. Darin sind allerdings auch Hafentage bereits enthalten. Und dem Wunsch vieler Familiencrews nach kurzen, entspannten Schlägen ist ebenfalls Rechnung getragen. Für einen dreiwöchigen Urlaub (20 Tage) ergibt sich somit eine maximale Gesamtstrecke von 400 Seemeilen.
Gesegelt wird nach der Ein-Drittel-/Zwei-Drittel-Regelung. Das bedeutet: Nach etwa einem Drittel des Törns dreht die Crew um. Nur auf diese Weise erhält man genug Puffer, um auf dem Rückweg nicht wegen Flaute, Sturm oder anhaltendem Gegenwind in Zeitnot – und damit in Stress – zu geraten. Der tatsächliche Aktionsradius beläuft sich also auf 150 Seemeilen (ein gutes Drittel von 400 Seemeilen) rund um den Heimathafen.
Dieser Radius lässt sich auf bis zu 400 Seemeilen ausweiten. Wie es geht, stellen wir jeweils bezogen auf typische Reviere deutscher Yachteigner vor: die Ostsee, das IJsselmeer und die Adria. Dabei gilt, dass das Boot am Ende des Törns wieder im Ausgangshafen liegt, also kein längerfristiger Revierwechsel beabsichtigt ist. Eine Ausnahme davon ist das Überwintern in einem fernen Hafen, um von dort im darauffolgenden Frühjahr den Törn fortzusetzen.
Jede Crew wird bei der Törnplanung natürlich von anderen Annahmen ausgehen. Ob größere oder kleinere Etmale oder kürzere beziehungsweise längere Urlaubszeiten zugrundegelegt werden, ist für die allgemeinen Überlegungen jedoch unerheblich; sie gelten auch mit anderen Abständen. Es ändern sich lediglich die erreichbaren Ziele.
Unsere Musteryacht legt binnen 24 Stunden etwa 100 Seemeilen zurück. Das entspricht beispielsweise der Strecke von der Roompotschleuse ausgangs der Oosterschelde nach Ramsgate südlich der Themsemündung. Ein idealer Ausgangspunkt, wenn das Ferienziel London heißt. Von Kiel aus wäre in einem Etmal Samsø zu schaffen. Ist die Insel für sich genommen schon lohnenswert, kann man von dort auch aufbrechen zu einer gemütlichen Umrundung Seelands mit einem Besuch Kopenhagens als Höhepunkt. In der Adria hat die Yacht von Izola kommend nach einer durchsegelten Nacht schon den Kvarner hinter sich gelassen. Die Kornaten stehen dann als Urlaubsrevier offen.
Ein Gewaltschlag zu Beginn des Törns ist vor allem auch für Reviere sinnvoll, die sich an Küsten entlang erstrecken. Beispiele sind die Côte d’Azur, die türkische Ägäisküste oder auch die mecklenburgische und polnische Ostseeküste. Wer mit einem langen Schlag am Anfang gleich bis zum Wendepunkt der Reise segelt, kann auf dem Weg zurück völlig entspannt von Bucht zu Bucht und Hafen zu Hafen tingeln.
Gleiches gilt für Inseldestinationen. Rügen lässt sich von der schleswig-holsteinischen Küste prima nonstop erreichen. Von Wismar ausgehend könnte das Ziel Bornholm heißen. Von Cuxhaven aus sind die Westfriesischen Inseln binnen 24 Stunden machbar, von der Côte d’Azur aus Korsika.
Was aber, wenn die Familie einen langen Schlag zu Beginn nicht mitmachen will?
An einem Freitagnachmittag trifft sich eine Crew in Makkum am IJsselmeer. Zügig wird das Boot klariert, und los geht’s. Das Ziel: über die Nordsee nach Cuxhaven. Der Eigner samt Familie will dann eine Woche später weiter, ab Kugelbake bis Brunsbüttel und dann durch den Nord-Ostsee-Kanal, um die Segelferien gemütlich in der Dänischen Südsee zu verbringen.
Damit nichts von der eigentlichen Urlaubszeit verlorengeht und weil Gattin und Kleinkinder den Schlag über die Nordsee nicht mitmachen wollen oder sollen, hat sich der Eigner ein Wochenende vor Ferienbeginn eine Überführungsmannschaft gesucht. Auf dem Rückweg soll das Ganze dann genauso vonstatten gehen.
Wäre man von Holland aus gen Westen gesegelt, läge das Schiff Sonntagabend etwa in Hull an der Mündung des Humber. Von dort aus ließe sich drei Wochen lang wunderbar die englische Westküste erkunden. Von Kiel aus ist binnen zwei Tagen etwa Sölverborg in der Hanöbucht zu erreichen, gen Norden gesegelt stünde bereits Göteborg auf der Quittung des Hafenmeisters. Im Urlaub könnte man dann den Kalmarsund befahren und sogar Gotland oder auch die Westschwedischen Schären abklappern. Denn auch die Heimreise des Schiffs steht ja erst nach dem Urlaub an.
Von Slowenien aus ist Split nach 200 Meilen erreicht. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass für kroatische Gewässer ein Permit erforderlich ist. Zudem müssen zu Beginn der Saison sämtliche Personen genannt werden, die im Laufe des Jahres an Bord sein werden, also auch eine Überführungscrew. Das macht die Planung eines solchen Vorhabens in der Adria ein wenig aufwendiger als anderswo.
Überhaupt will ein Langstreckenwochenende gut geplant sein: Die Crew muss wissen, worauf sie sich einlässt – Wachrhythmus, Nachtsegeln, gegebenenfalls auch lange Stunden unter Motor –, das Boot muss der Aufgabe gewachsen sein. Und am Zielhafen angekommen, sollte die Überführungscrew unkompliziert ihren Heimweg antreten können. In den beispielhaft genannten Orten ist das durchweg der Fall. Leihwagenstation, Bahnhof, Fähr- oder Flughafen sind dort jeweils in der Nähe.
Nicht zuletzt spielt auch das Wetter eine entscheidende Rolle: Weht es am geplanten Überführungswochenende aus der falschen Richtung, kann es schwer werden, tatsächlich 200 Meilen gutzumachen. Das gilt für Hin- und Rückweg!
Eine Herausforderung für den Logistiker: Ein Plan B muss her, etwa in Form möglicher Ersatzziele oder Zwischenhäfen, von denen ebenfalls eine Heimreise aus möglich ist. Wird der eigentlich anvisierte Hafen dann tatsächlich nicht erreicht, beginnt der Urlaub eben woanders.
Wem die Unwägbarkeiten oder der Aufwand zweier solcher Überführungswochenenden zu groß erscheinen, dem steht eine weitere Möglichkeit offen, seinen „Erfahrungs“-Horizont zu erweitern.
Zwei Drittel der Teilnehmer einer Umfrage von YACHT online wären bereit, ihr Schiff ohne zu zögern beziehungsweise nach genauer Einweisung in die Hände einer anderen Crew zu geben. Sinn der Sache: weit entfernte Ziele zu erreichen, schließlich addieren sich auf diese Weise die Törnradien von zwei Urlauben.
Startet die Reise in den Niederlanden, kann zum Beispiel Schottland das Ziel sein, seefeste Besatzung und Yacht vorausgesetzt. In der Ostsee locken die Metropolen Stockholm und Oslo die wechselwilligen Crews.
Doch woher rekrutiert man eine geeignete Ablösung? Am ehesten kommen Verwandte – etwa die Familien der eigenen, schon erwachsenen Kinder – sowie gute Segelfreunde in Betracht. Aber auch die Nachfrage bei Vereinskameraden oder Liegeplatznachbarn kann lohnen.
Auf jeden Fall sollten beide Crews mit dem Schiff schon einmal gesegelt sein, um es nicht erst im Urlaub kennenlernen zu müssen. Schließlich weisen Eignerschiffe im Gegensatz zu einer recht standardisierten Charteryacht oft Eigenheiten auf. Eine genaue Einweisung ist Voraussetzung für einen gelungenen Törn beider Crews.
Die Mannschaft, die sich weniger zutraut, sollte die einfachere Hälfte des Törns absolvieren, etwa die Etappen mit dem größeren Raumschotsanteil oder den in navigatorischer Hinsicht weniger anspruchsvollen Passagen. So ist eher gewährleistet, dass das Schiff auch bei widrigen Bedingungen wieder sicher heimkommt.
Vorteil des Crewwechsels ist, dass etwa bei einem Küstenrevier, in dem hin und her gereist werden muss, pro Richtung nur eine Crew an Bord ist. Niemand sieht das Revier zweimal.
Probleme bereitet in Kroatien einmal mehr die Gesetzeslage: Dort muss der Eigner stets an Bord sein, wenn das Schiff bewegt wird, sonst gilt das Ganze als Charter. Und die unterliegt strengen Richtlinien. Ausnahmen werden nur mit hohem bürokratischem Aufwand erteilt.
Die Übergabe ist recht einfach zu bewerkstelligen. Bei einer Anreise mit dem Auto fährt einfach die erste Crew damit zurück. Ansonsten auf einen Wechselhafen mit guter Bahn-, Fähr- oder Flughafenanbindung achten.
Endet der Ferientörn später in der Saison, kann am Urlaubsziel ein Ort zum Überwintern gesucht werden. Manche Winterlagerbetreiber etwa in Schweden sind bereits auf ausländische Yachten spezialisiert und bieten einen Komplettservice an. Größere Reparaturen sollten dann aber möglichst nicht anstehen. Im Frühjahr wird der Törn einfach fortgesetzt.
Kombiniert man diese Überwinterungsstrategie zusätzlich mit einem Crewwechsel im ersten und zweiten Jahr, entspricht der Törnradius plötzlich dem von vier dreiwöchigen Urlauben. Warum also nicht mal ernsthaft über St. Petersburg, die Shetlands oder Haparanda als Ferienziel nachdenken?
Ab Kiel sind viele Traumziele erreichbar: Stockholm etwa oder Oslo, die Kurische Nehrung oder der Götakanal. Sie alle sind mit einiger Planung auch im Rahmen normaler Urlaubsintervalle zu schaffen. Geschicktes Kombinieren der gezeigten Möglichkeiten, den Törnradius zu erweitern, bietet Extra-Spielraum; dann ist selbst Finnland möglich.
Ab Amsterdam ist die Auswahl groß. Allerdings bieten sich weniger Zwischenstopps an als etwa in der Ostsee. Wer gen Southampton oder Hull startet, kann zumeist erst dort wieder einen Crewwechsel vornehmen. Auf dem Weg in die Ostsee lassen sich je nach Wetter die Watteninseln nicht immer als Ausweichhafen anlaufen. Auch um im Urlaub bis nach Schottland zu kommen, sind anfangs lange Schläge erforderlich.
Ab Izola in Slowenien kommend, stehen mit einem langen Schlag zu Beginn des Törns die Kornaten für einen Besuch offen. Wird vor und nach dem Urlaub überführt, liegt sogar die apulische Küste in Reichweite – eine von Seglern unentdeckte Perle Italiens
Wer in einem bestimmten Revier eine Yacht chartert, kann ebenfalls seinen Aktionsradius vergrößern. Etwa an der Côte d’Azur. Ein 80-Meilen-Schlag von Bormes Les Mimosas nach San Remo erlaubt gemütliches Buchtentingeln auf dem Rückweg. Das ist allemal angenehmer, als am Ende eine große Etappe absolvieren zu müssen. Eine weitere Alternative sind Oneway-Törns. Gegen einen Aufpreis ist dann der Zielhafen nicht identisch mit dem Ausgangsort. Das Angebot ist vielfältig. Besonders oft gibt es Oneways in Regionen mit vorherrschender Windrichtung oder Revieren, die entlang von Küstenlinien verlaufen.
Beliebt ist zum Beispiel die kroatische Küste, die Routen Athen–Kos/Athen–Syros in Griechenland oder auch der Törn von Marmaris nach Göcek in der Türkei. Sogar in der Karibik werden Arrangements mit nur einer Reiserichtung angeboten.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 13/2011 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.