OstseerundeNach Haparanda und zurück entlang der schwedischen und finnischen Küste

Kristina Müller

 · 03.02.2024

So viel erleben und genießen wie möglich steht auf dem Törnplan – hier in einer der vielen Ankerbuchten in den ostschwedischen Schären
Foto: Kristina Müller
Dänemark, Schweden, Finnland - ein Törn ans Ende der Ostsee verspricht unendlich viele Highlights. Zu einigen der schönsten Zielen des Mare Baltikum ist Redakteurin Kristina Müller gesegelt.

Dunkle Wolken jagen über den Himmel. Donner grummelt über der Bottenwiek – kein besonders einladendes Wetter für den nächsten Schlag, aber an unserem Liegeplatz auf einer winzigen finnischen Insel, die in Privatbesitz ist, sind wir nicht länger erwünscht. Außerdem trennen uns nur noch 60 Seemeilen vom Sehnsuchtsziel und Wendepunkt dieses Törns: Haparandahamn, dem nördlichsten schwedischen Hafen unserer Reise.

Einige Wochen vorher. Im Heimathafen an der Nordseeküste, löst sich das Abreisechaos an Bord allmählich auf. Ausrüstung und Proviant für die Reise verschwinden in den Schapps. Wir wollen los: Es geht in die Ostsee, von der alle so schwärmen. Wir, eine Zweier-Crew, träumen von den ostschwedischen Schären – und ganz vielleicht auch vom Revier weiter oben im Norden.

yacht/image_0e3f6e2b0e12b8f3e74ca53aee544bb5Foto: YACHT

Nord-Ostsee-Kanal und Göta-Kanal als Hintertür

Die ursprüngliche Idee, von der Nordsee über den Limfjord in die Ostsee zu segeln, fällt dem Wetter zum Opfer. Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine willkommene Abkürzung.

„Wir haben sechs Monate Zeit!“, freut sich der Skipper einer französischen Stahlyacht, die in der Schleuse Brunsbüttel vor uns festmacht. Seine Familie mit drei Kindern will in einer Segelauszeit über Skagen bis Island und von dort zurück in die Bretagne segeln. Das wäre doch auch was!

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Tatsächlich folgen wir zunächst unbewusst den Franzosen. Schuld ist der Wind. Es stürmt aus Ost – die Richtung, in die wir wollen. Auch in der Langfristprognose: Ostwind ohne Ende. Als das tagelange Geballer etwas nachlässt, rauschen wir aus der Kieler Förde Richtung Dänemark. Dort fällt die Entscheidung: Wir warten nicht auf bessere Bedingungen, sondern schleichen uns durch die Hintertür, den Göta-Kanal, an Ostschweden heran.

Eigentlich war die Binnenroute von der west- an die ostschwedische Küste allenfalls eine Option für den Rückweg. Nun ist sie eine verlockende Alternative und die Aussicht auf 58 Schleusen – und damit 116 Schleusenmanöver – wirkt nur halb so herausfordernd. Zumal alle, die dort waren, von der Kanalfahrt schwärmen.

Vor Göteborg warten die Schären

Euphorisch angesichts der neuen Perspektive, folgen wir also den Franzosen ins Kattegat. Bei strammem Ost schießt das voll beladene Boot über den Großen Belt. Auf Sejerø herrscht noch Winterschlaf, und selbst auf Anholt ist kaum was los. Obwohl die Insel verzaubert, das Wasser am Sandstrand türkis schimmert und abends Livemusik am Hafen gespielt wird, widerstehen wir der Lust zu bleiben und segeln Kurs Göteborg, das Tor zum Hinterland.

Bei der Ansteuerung der Göteborger Schären tauchen wir in eine andere Welt ein. Als Nordseesegler sind wir Sandbänke und Gezeiten gewohnt, nicht aber dieses Gewimmel aus Abertausenden Inselchen. Augen und Verstand müssen sich erst an das neue Bild in der Seekarte und vor dem Bug gewöhnen. So viele Felsen, die umfahren werden wollen. So viele Verstecke, in denen der Anker fallen könnte!

Auch kurz vor Göteborg prasseln die Eindrücke auf uns ein: voraus die gewaltige Brücke Älvsborgsbron, an Backbord die Maersk-Tanker, dazu Fähren ohne Ende – und mittendrin unser kleiner Dampfer. Auch wenn der Vergleich hinkt: So ähnlich müssen sich Segler fühlen, die den Atlantik überquert haben und die Freiheitsstatue passieren.

„Come to the bridge, it will open for you!“ Die Info auf UKW-Kanal 9 kommt schnell und ist klar: Einfach vor die Hubbrücke fahren, dann wird sie für uns angehoben. Die Hisingsbron ist Göteborgs Verkehrshauptschlagader. Über sie schieben sich Autos, Busse und Straßenbahnen von einem Ufer ans andere. Alle halten jetzt nur an, weil wir als einziges Boot weit und breit da durchwollen. Unfassbar.

Von Göteborg aus tuckern wir zwei Tage lang 82 Kilometer über den Fluss Göta älv und den Trollhätte-Kanal Richtung Göta-Kanal. Trotz Gegenstrom ist die Fahrt entspannt – bis zu Kilometer 65. Dort beginnt die imposante Schleusentreppe von Trollhättan. In vier Kammern werden Yachten, Ausflugsschiffe und Frachter jeweils gute acht Meter auf- beziehungsweise abwärts befördert. Stoff für Schleusenkino!

Vier Tage Anker-Abenteuer auf dem Vänern

Danach folgt eine Brücke, eine Schleuse, ein Proviantstopp in Vänersborg, dann segeln wir plötzlich auf einem der größten Seen Europas, dem Vänern. Vier Tage Zeit nehmen wir uns für die Überquerung, entdecken tolle Ankerplätze, laufen nicht einen Hafen an. Früh klingelt der Wecker, um die morgendliche Brise nutzen zu können. Statt Dusche gibt es ein Bad im See, der dafür noch viel zu kalt ist. Außerdem melden wir uns bei der Verwaltung des Göta-Kanals an. In der Vorsaison können Boote ihn nur im Konvoi und nach Fahrplan passieren. Auf geht’s!

Wir erleben fünf sportliche Tage: In 21 Schleusen arbeiten wir uns 91 Höhenmeter nach oben, danach in 37 weiteren Kammern wieder nach unten. Wir überqueren fünf Seen, auf denen wir immerhin 36 Meilen segeln, und passieren 48 Brücken. Mit den anderen Crews wachsen wir zu einer kleinen Schicksalsgemeinschaft zusammen und sind am Ende froh, als es geschafft ist.

Die Kanalfahrt katapultiert uns ans Traumziel: Ostschweden ist erreicht! Bis hierher hat sich alles wie eine Überführung angefühlt. Nun liegt die Enge der Kanäle hinter uns, es beginnt etwas Neues. Südwind treibt uns schnell gen Stockholm. Dort machen wir im Hafen eines verschlafenen Vororts fest, Bus und Bahn bringen uns für einen Tag in die Großstadt. Ein Ticket lösen geht so: Kreditkarte vor den Scanner im Bus halten, irgendwas wird abgebucht, dann darf man 75 Minuten fahren. Für Fremde ein wenig intransparent, aber einfach und günstig.

Traumhafte Schärenwelt vor Stockholm

Nach einem Tag im Stadtgewimmel füllen wir noch einmal alle Schapps mit Proviant und tauchen ein in die faszinierende Schärenwelt, die sich vor der Großstadt ausbreitet. Eine Bucht ist schöner als die andere. Viele landen im Nullkommanichts ganz oben auf unserer Favoritenliste.

Als wir hinaus zu den äußeren Schären segeln, wird klar, dass es hier auch anders zugehen kann. Seegang schaukelt uns durch, der Wind lässt das Boot durch die Inselwelt schießen. Ballerbü statt Bullerbü! Wir waren schon ein bisschen eingelullt vom Gleiten durch die Innenschären.

Unterdessen stellen wir uns die Frage, wie es weitergehen soll. Als wir die ersten 400 Seemeilen im Kielwasser hatten, langsam in der Reise ankamen, schon etwas Welle und Wind weggesteckt hatten und merkten, dass wir und das Boot als Einheit funktionieren, wagten wir beim Tuckern auf Schwedens Kanälen erstmals, an eine ganze Runde um den Bottnischen Meerbusen zu denken. Also nicht nur die schwedische, sondern auch die finnische Küste abzusegeln. Aber in welcher Richtung – im oder gegen den Uhrzeigersinn? Es gibt Argumente für beides.

Wir verschieben die Entscheidung und segeln zu den Ålandinseln. Zum Shoppen. Seit dem Göta-Kanal versuchen wir, finnische Seekarten zu kaufen. Doch sogar beim Bootsausrüster in Stockholm gab es die nicht. „Unsere Schären sind doch schön genug!“, erklärte der Verkäufer schmunzelnd. Nach einem Anruf beim Buchhändler in Mariehamn auf Åland ist aber klar, dass dort die Karten liegen, die wir brauchen. Ein Fahrradhändler vor Ort soll zudem passende 14-Zoll-Reifen für unser plattes Bordrad haben. Auch die haben wir in Schweden vergebens gesucht; es gab in den Geschäften nur 12 oder 16 Zoll.

Im Archipel und auch an der Küste Finnlands markieren schwarz-gelbe oder schwarz-weiße Kardinaltonnen die Fahrwasser. Rot-gelbe Tafeln an Land sind Peilmarken, die Fahrwasser und Hafenansteuerungen markieren.Foto: K. MüllerIm Archipel und auch an der Küste Finnlands markieren schwarz-gelbe oder schwarz-weiße Kardinaltonnen die Fahrwasser. Rot-gelbe Tafeln an Land sind Peilmarken, die Fahrwasser und Hafenansteuerungen markieren.

Leichter Nordwind, kaum Welle, Sonne satt – die 42 Seemeilen nach Mariehamn zählen zu den schönsten der bisherigen Reise. Die Hauptstadt der Ålands fühlt sich wie die ganze Inselgruppe speziell an: weit weg von allem und wunderschön. Der Archipel ist eine autonome Region Finnlands, doch die Menschen sprechen Schwedisch und fühlen sich auch eher so. Wir ergattern Seekarten und Fahrradreifen, bummeln durch die gemütliche Stadt zur Viermastbark „Pommern“, dann geht es weiter.

Leider sind die Infos aus unserem Törnführer veraltet. Einige Bootsanleger in der Inselgruppe werden nicht mehr betrieben. Also üben wir kreative Anlegemanöver an verlassenen oder halb abgebauten Stegen – ein Vorgeschmack auf die finnische Einsamkeit. Am letzten von fünf Tagen in den Ålands segeln wir 40 Meilen durch die Schärenwelt in einem Rutsch von Süd nach Nord, Kurs: Finnland. Die Navigation erfordert viel Konzentration, aber das ausgeklügelte Leitsystem führt uns sicher durchs Insellabyrinth.

Nachtfahrt rund um Mittsommer

Die Mitternachtssonne und die hellen Sommernächte waren Teil der Idee, Skandinavien als Revier für diesen Törn zu wählen. Von hier an, dem südlichen Ende des Bottnischen Meerbusens, wird es rund um Mittsommer nicht mehr richtig dunkel. Es ist das perfekte Revier für lange Tage auf dem Wasser und Nachtfahrten ohne Dunkelheit.

Als guter Wind angesagt ist – 5 Beaufort aus Südwest –, nutzen wir den Lift nach Norden. 150 Seemeilen segeln wir nonstop Richtung Vaasa. Das Boot schießt durch die Nacht, die Wellen werden höher. Kein Spielplatz, diese Bottensee.

Kurz vor Mitternacht geht die Sonne backbord voraus unter, dreieinhalb Stunden später kommt sie steuerbord vor dem Bug wieder hervor. In der Zwischenzeit halten wir auf den orangerosa Schimmer am Horizont zu, immer auf dem 21. Längengrad. Schiffsverkehr herrscht hier oben kaum – ungewohnt, aber perfekt für diese Rauschefahrt. Nach 32 Stunden machen wir in einem kleinen Hafen fest.

Finnlands Küste ist Terra incognita für Segler

Willkommen im finnischen Outback! Wir sind in einem der kleinen, flachen Fischerhäfen gelandet, wie sie hier zu Dutzenden an der Küste liegen. Ohne Infrastruktur wie Dusche oder Geschäfte, aber auch ohne Liegegeld. Sie unterteilen die oft großen Distanzen zwischen den wenigen Yachthäfen in kleine Happen. Immer wieder landen wir in den folgenden Tagen bei den netten Fischern.

Die finnische Küste in den Revieren Kvarken und Bottenwiek wirkt einsamer als die schwedische. Ein wenig wie Terra incognita für Segler. Wenige andere Crews sind hier unterwegs – schon gar nicht in den Fischerhäfen. Begeistert funken wir daher eine deutsche Yacht an, der wir auf Gegenkurs begegnen. Endlich ein wenig Austausch!

„Im Juli ist in Finnland Saison“, habe ich gelesen, und: „Ab Mittsommer geht es hier los!“ Gespannt warten wir auf Boote und Menschen, die ja nun endlich alle mal kommen müssten – doch es bleibt leer. Ein wunderschönes Revier ohne Trubel. Man muss das aber mögen. Vielleicht sind wir doch nur zu früh?

Nebel und Regen tauchen den längsten Tag des Jahres in dichtes Grau. Nebel auch am nächsten Tag auf See, dazu alte Welle und wenig Wind.

Die Trennung von Finnland fällt schwer

Die Ferieninsel Hailuoto hätte das perfekte Ende dieser Reise entlang der finnischen Küste sein können. Von hier sind es nur noch gute 60 Seemeilen – also ein Tag auf See – quer über die Bottenwiek nach Haparandahamn, unserem nördlichsten Ziel. Doch irgendwie können wir uns von Finnland noch nicht trennen.

Wir manövrieren das Boot in einem winzigen Inselhafen an den Steg, an dem nur ein Fischerkahn liegt. Ein gelbes Schild mit roter Schrift und Ausrufezeichen verrät auf Finnisch: „Anlegen nur mit Genehmigung des Eigentümers!“ Der kommt bald aus dem einzigen Häuschen auf der Insel und gestattet, dass wir eine Nacht bleiben dürfen. Am nächsten Morgen dann: Gewitter um uns herum.

Am Mittag ist das Gröbste durch. Der Himmel klart auf, der Wind dreht auf die richtige Richtung. Wir schießen Richtung See und kreuzen vor dem Wind, der leider viel zu schnell einschläft. Mit nur drei bis vier Knoten geht es Richtung Sandskär, einer Insel im Schärengarten vor Haparandahamn.

Gemeinsam schwitzen, gern mit Blick aufs Wasser, ist Bestandteil finnischer Kultur. In vielen Häfen oder an den Ufern von Buchten und Inseln finden sich kleine Sauna-Häuschen. Die kann man meist gegen Gebühr reservieren.Foto: Kristina MüllerGemeinsam schwitzen, gern mit Blick aufs Wasser, ist Bestandteil finnischer Kultur. In vielen Häfen oder an den Ufern von Buchten und Inseln finden sich kleine Sauna-Häuschen. Die kann man meist gegen Gebühr reservieren.

Die Böen kommen urplötzlich. „Genua rein!“, rufe ich, und keine Minute später rauschen wir nur noch unter Groß und gereffter Fock, nun aber wieder mit sieben Knoten nach Norden. In der Wolke, die sich von achtern angeschlichen hatte, steckt offenbar ein weiteres Gewitter. Wir schalten das Radar an und beobachten die Front, die an Backbord vorbeizieht.

Die berechnete Ankunftszeit ist nach vorn geschnellt. Nicht mehr weit bis zum Ziel, wir sehen Sandskär schon am Horizont. Doch der Schiebewind bringt auflandige See, die sich weiter aufbaut. Bei diesen Bedingungen erscheint die Ansteuerung des exponierten kleinen Hafens unverantwortlich. Also doch in den Schutz der Schären verkrümeln und gleich durch bis Haparandahamn segeln. Auch wenn das eine Kreuz durchs Felsengewirr mitten in der Nacht bedeutet. Es wird ja nicht richtig dunkel.

Eine Front zieht nun vor uns lang, eine neben uns. Doch außer etwas Regen und einer Wasserhose weit voraus bleibt es friedlich. Wir sitzen trocken unterm Bimini, die Windsteueranlage hält Kurs. Zwei Q-Wenden bringen uns in den Schutz der Schären – geschafft, zurück in Schweden!

Zickzackkurs durch die Inselwelt vor Haparandahamn

Es ist kurz vor Mitternacht. Die Sonne geht unter und keine eineinhalb Stunden später wieder auf. Die Schären umgeben uns als dunkle Schatten. Wir müssen immer höher an den Wind, reffen das Groß. Ich steuere auf die Tonnen zu, die durch die Felsen führen. Ein prickelndes Gefühl, mitten in der Nacht auf das Ziel dieser Reise zuzuhalten – im Zickzackkurs durch eine Inselwelt, die wir bei echter Dunkelheit nie befahren würden.

Um kurz vor drei Uhr nachts sind wir da. Völlig groggy, vollkommen glücklich.

Haparandahamn ist ein hübscher Flecken Erde. Im gelben Holzhaus des lokalen Bootsklubs werden Gäste herzlich empfangen. Viel mehr gibt es hier auch gar nicht : eine holzbefeuerte Sauna, ein Sanitärhäuschen und sehr viel Wald. Dazu ein kleiner Vereinshafen mit vielen Motorbooten und einem Gästesteg, an den nicht viele Yachten passen, was aber auch nie ein Problem zu sein scheint.

Abends schwitzen wir mit Blick auf den Hafen in der Sauna und schmieden Pläne für den Rückweg. So schön es ist, den nördlichsten Punk unserer Reise auf der Ostsee erreicht zu haben, es waren weite 1.400 Seemeilen hierher. Genau die liegen jetzt noch einmal vor uns.

Fortsetzung folgt.


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