RevierporträtDie Wismarbucht – ein Kleinod vor der Haustür

Michael Rinck

 · 23.09.2023

Timmendorf auf der Insel Poel. Nicht zu verwechseln mit Timmendorfer Strand
Foto: YACHT/J. Kubica
Die Wismarbucht ist ein abwechslungsreiches Mikrorevier. Kleine und größere Häfen sowie tolle Ankerplätze können beim Kurztörn oder während einer gemütlichen Segelwoche entdeckt werden. Wo es am schönsten ist

Wer zum ersten Mal in der Wismarbucht segelt, wird vermutlich des Öfteren erschrocken aufs Echolot schauen; der Meeresboden scheint an vielen Stellen im Wortsinn zum Greifen nah. Doch das ist für gewöhnlich dem klaren Wasser sowie dem hellen Sandgrund geschuldet, der das Licht perfekt reflektiert – insbesondere, wenn die Sonne hoch steht und die Ostsee bei wenig Wind kaum bewegt ist. In Wirklichkeit sind aber meist noch drei bis vier Meter Wasser unterm Kiel, bevor es zu den Ufern hin wirklich flach wird.

Als wir von Lübeck aus Kurs auf das Mikrorevier vor den Toren Wismars nehmen, bekommen wir leider nicht das Vergnügen, wie durch ein Schauglas den Boden der Bucht erkunden zu können – die Sonne steht an diesem Septemberabend bereits nur noch knapp überm Horizont. Doch auch das hat seinen Reiz. Das Gegenlicht lässt die Wasseroberfläche der Wismarbucht beinahe magisch glitzern, und das Steilufer der Insel Poel leuchtet wie von einem gigantischen Scheinwerfer angestrahlt in warmen Gelbtönen auf. Genau dort liegt das erste Ziel auf unserem Törn durch die Wismarbucht.

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Timmendorf – erstes Ziel in der Wismarbucht

Erst beim Näherkommen, kurz vor Sonnenuntergang, erkennen wir die Zufahrt zum kleinen Fischerei- und Lotsenhafen von Timmendorf und laufen ein. Etwa 30 Gastliegeplätze befinden sich entlang der nördlichen Mole. Da für die Nacht auffrischender Südwest angesagt ist, könnte es dort jedoch infolge von Schwell ungemütlich werden. Also halten wir auf der südlichen Seite des Hafens Ausschau nach einem Liegeplatz. Die Boxen hier sind während der Saison von Dauerliegern belegt. Im Frühherbst sind jedoch bereits die ersten Boote aus dem Wasser und folglich einige der Plätze frei.

Kaum sind die Leinen fest, versinkt die Sonne direkt vorm Hafen spektakulär in der Ostsee über der Wismarbucht. Sowohl von den Molen als auch vom nördlich angrenzenden Strand ist dieses fantastische Schauspiel der Natur zu beobachten. Lange verweilen wir allerdings an diesem Tag nicht bei dem tollen Anblick; der rund sechsstündige Schlag von Lübeck hierher hat uns hungrig gemacht. Da das Restaurant „Zur Poeler Kogge“ und auch „Krönings Fischbude“ zwar noch geöffnet, ihre Köche aber schon Feierabend haben, müssen wir auf regionale Küche verzichten. Stattdessen kehren wir ein kleines Stück den Lotsenstieg entlang gen Norden beim ansässigen Italiener im „Portofino“ ein. Tatsächlich schmeckt die Pizza lecker, und die Preise sind fair.

Am nächsten Morgen spazieren wir entlang des Steilufers und zum langgezogenen Strand. Ein paar hundert Meter vom Hafen entfernt erreichen wir eine Segelschule, die hier im Sommer Strandkats verleiht. Auf dem Rückweg schlendern wir durch den Ort und entdecken neben einem Bäcker die „Seekiste“, einen Laden mit Souvenirs, der auch einige Lebensmittel hat. Am Hafen gibt es ferner einen Kutter, von dem Räucherfisch und Fischbrötchen verkauft werden. Für Selbstversorger findet sich nahebei ein öffentlicher Grillplatz mit Meerblick.

Boltenhagen im Westen der Wismarbucht

Zurück auf dem Wasser richten wir den Bug auf die gegenüberliegende Seite der Bucht. Dort liegt Boltenhagen. Achteraus wird der Timmendorfer Leuchtturm derweil immer kleiner. Er weist der Schifffahrt seit 150 Jahren den Weg nach Wismar. Vorher stand dort eine Holzbake, die den Lotsen auch als Ausguck nach Schiffen diente.

Der westsüdwestliche Kurs führt uns dicht vorbei an der Lieps, einer Sandbank, die häufig trockenfällt und der höchste Teil des Flachs ist, das sich von der Tarnewitzer Huk östlich in die Wismarbucht erstreckt. Dieses Flach zwingt Segler, die von Westen die Bucht ansteuern, zu einem Umweg. Sie müssen erst bis zur Ansteuerung Offentief, bevor sie den Kurs in die Bucht ändern können. Auch wenn der schmale Sandstreifen der Lieps zum Erkunden einlädt, er darf nicht betreten werden. Markiert wird er vom Oberfeuer, das daneben aus dem Wasser ragt und Richtfeuerlinie für Schiffe ist, die aus der Bucht heraus auf See wollen.

Von Timmendorf auf Poel sind es knappe fünf Seemeilen hinüber nach Boltenhagen in die Marina Weiße Wiek. Die ist mit 350 Liegeplätzen recht groß und dank einer Steinmole bei allen Windrichtungen gut geschützt. Umgeben ist sie von Apartmenthäusern und einem Hotel. Der unmittelbar angrenzende Strand ist eher klein, der Boltenhagener Strand mit der Seebrücke befindet sich auf der anderen Seite der Tarnewitzer Huk etwa eineinhalb Kilometer vom Hafen entfernt. Auf dem Weg dorthin kommt man an einem Supermarkt vorbei.

Die Marina kann nicht mit dem Charme eines Fischereihafens aufwarten, doch findet sich hier leichter ein Liegeplatz, zumal im Sommer. Und es gibt eine Tankstelle sowie einen Yachtservicebetrieb. Die Toiletten und Duschen im Waschhaus sind neuer, und sogar eine Waschmaschine ist dort verfügbar. So viel Service hat seinen Preis: Für ein Zehn-Meter-Boot werden 27 Euro fällig – Rekord in der Bucht.

Alternative: Ankern in der Wohlenberger Wiek

Seglern, denen das zu viel ist oder die es ruhiger mögen, sollten trotzdem in der Weißen Wiek dem Fischereihof Kamerun einen Besuch abstatten. Der Fischverkauf findet in einem Kutter statt, der allerdings kopfüber als Dach des Verkaufsraums dient. Dort decken wir uns mit geräuchertem Aal und Makrele ein und verlassen dann den Hafen in südliche Richtung dem Ufer der Wismarbucht folgend. In der Wohlenberger Wiek auf Höhe des Campingplatzes fällt der Anker. Bei westlichen Winden liegt man dort sehr geschützt. Das eingangs erwähnte klare Wasser offenbart dabei seinen Vorteil für Segler: Problemlos lässt sich eine sandige Stelle ausmachen, auf der der Anker Halt findet.

Über Hohen Wieschendorf nach Kirchdorf

Wir lassen uns den Räucherfisch schmecken, gehen wieder ankerauf und nehmen Kurs um die Huk Hohen Wieschendorf herum in den gleichnamigen Hafen. Dessen Schwimmstege liegen im Schutz einer großen Betonpier. In der Nähe vorm Badestrand ankern einige Segelyachten. Der Hafen ist ruhig gelegen, bietet aber neben Strand und einem italienischen Restaurant auf der Pier nicht viel. Für uns wird es nur ein kurzer Zwischenstopp, schnell setzen wir wieder Segel und halten erneut auf Poel zu, diesmal jedoch auf das südliche Ende der Insel. Dahinter biegen wir ein ins nördlich führende Fahrwasser nach Kirchdorf.

Es ist ratsam, sich an dessen Betonnung zu halten, außerhalb des Fahrwassers wird es flach. Die sogenannte Kirchsee erstreckt sich zwei Seemeilen ins Inselinnere. In Kirchdorf angekommen, haben wir die Wahl: Gastliegeplätze sind sowohl am Steg des Kommunalhafens als auch im ansässigen Segel-Club vorhanden. Dort machen wir fest. Das Vereinshaus wartet mit neuen Sanitäranlagen auf, und die Liegeplätze sind direkt vor dem Fischrestaurant am Hafen. Dort kann man draußen zu Abend essen mit Blick aufs eigene Boot.

Kirchdorf ist der größte Ort der Insel und konnte sich früher sogar einer Festung rühmen. Die befand sich neben der Kirche, was heute noch anhand einiger Erdwälle zu erkennen ist. Fertiggestellt worden war sie zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges und hatte zeitweilig dem dänischen König Gustav Adolf als Hauptquartier gedient, als dessen Armee auf dem Rückzug war. Der ursprüngliche Zweck des Bollwerks bestand hingegen im Schutz des Fahrwassers nach Wismar. Über die Jahrhunderte hinweg wechselte das einst imposante Gemäuer häufiger die Besitzer, bis es im 19. Jahrhundert völlig verfallen nur noch als Steinbruch für neue Wohnhäuser im Ort genutzt wurde.

Einem Hinweisschild ist zu entnehmen, dass der Festungserbauer Adolf Friedrich Herzog von Mecklenburg angeblich Ambitionen hegte, sein Land zur Seemacht zu machen. Hier in Kirchdorf zu Füßen seiner Festung sollte die mecklenburgische Flotte stationiert werden. Das lässt einen 400 Jahre später angesichts des kleinen Hafens und des flachen Wassers dann doch schmunzeln.

Die Kirche neben den alten Wallanlagen ist sehr viel älter als die Festung und diente schon hanseatischen Kaufleuten als Landmarke bei der Ansteuerung Wismars. Im Ort können Fahrräder für eine Inseltour gemietet werden. Es gibt einen Bäcker, eine Eisdiele, einen Supermarkt und diverse Möglichkeiten, essen zu gehen.

Über Nacht dreht der Wind südlich und nimmt zu. Trotz seiner geschützten Lage schafft es Schwell bis in den Hafen und lässt die Boote merklich schaukeln. Einerlei, anderntags wollen wir eh weiter. Auf dem Törnplan steht die Metropole des Reviers: Wismar. Unterwegs passieren wir die Insel Walfisch. Auch dort stand einst eine Verteidigungsanlage, um den Zugang zur Stadt über See zu sichern. Heute steht die Insel unter Naturschutz, sie darf nicht betreten werden.

Große Schutzzonen in der Wismarbucht

Die Schutzzone erstreckt sich auch auf das vor der Insel befindliche Flach. Außerhalb davon spricht aber nichts dagegen, den Anker fallen zu lassen – dachten wir zumindest. Der Walfisch entpuppt sich jedoch als derart flach, dass er beim vorherrschenden Südwestwind nicht die erhoffte Abdeckung bietet. Außerdem ist der Grund stark verkrautet, sodass der Anker nirgends Halt findet. Also weiter.

Wismar – die Metropole in der Wismarbucht

Kurz vorm Zentrum passieren wir erst den Yachtclub Wismar, dessen Stege beschaulich und mit angrenzendem Strand direkt neben dem Fahrwasser liegen. Hier findet sich meistens ein Gastplatz, und mit dem Bus sind es nur vier Kilometer in die Stadt. Danach folgt etwas weiter der Wismarer Segler-Verein, der nahe der riesigen Wismarer Werfthalle beheimatet ist. In der Stadt selbst haben Besucher die Wahl zwischen drei weiteren Häfen. Im Alten Hafen liegt man in prominenter Gesellschaft – dort ist die Poeler Kogge vertäut, ein Nachbau eines alten Frachtseglers. Zweite Alternative ist mit der Westhafen Marina der größte Sportboothafen der Stadt. Er ist allerdings häufig sehr voll. Die dritte Möglichkeit ist der Überseehafen. In dessen Becken geht es zunächst vorbei an großen Baggern, die Kies von Frachtschiffen in Eisenbahnwaggons verladen, bevor in der hinteren Ecke drei Schwimmstege auftauchen. An denen ist meistens eine Box frei.

Aus allen drei Häfen ist der Weg in die Stadt nicht weit. Nahe am Alten Hafen befindet sich das Wassertor, durch das man in die dahinter beginnende Altstadt gelangt. Wismar war im 13. Jahrhundert neben Lübeck, Rostock, Stralsund und Hamburg eine der wohlhabendsten Hansestädte. Der ehemalige Reichtum ist noch heute an den wunderschönen historischen Giebelhäusern, Befestigungsanlagen und Kirchen zu erkennen. Die Stadt ist sehr belebt mit ihren vielen Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und Bars. Im Sommer ist sie Ziel vieler Kreuzfahrtschiffe, dann wird es nicht selten richtig voll. Davon bleiben wir am Ende der Saison verschont.

Lohnenswert ist eine Besichtigung des Kirchturms von St. Marien. Der ragt am höchsten über die Dächer der Stadt und ist auch schon von See kommend ab der Ansteuerungstonne zu sehen. Von dort oben schweift der Blick über die gesamte Wismarbucht, alle Ziele der zurückliegenden Tage sind in der Ferne auszumachen.

Die Wismarbucht bietet viel Abwechslung

Auf unserem Zickzackkurs durch die Bucht haben wir Häfen und Buchten angesteuert, die unterschiedlicher nicht sein könnten: vom kleinen Fischereihafen in idyllischer Lage über geschützte Ankerplätze und touristisch ausgebaute Marinas bis hin zur quirligen Stadt, jedes Ziel auf seine Art ein Highlight. Einige Orte, wie etwa Timmendorf auf Poel, sind schon für sich genommen die Reise wert. Das wissen allerdings auch viele Segler aus der Lübecker Bucht und Kühlungsborn; deswegen kann es dort im Sommer schon mal eng werden. Dann liegen die Yachten in Päckchen zwischen Fischkuttern oder außen an den Pfählen der Boxen.

Aber auch die Ankerplätze südlich von Timmendorf vor dem Steilufer sowie gegenüber in der Wohlenberger Wiek oder vor Hohen Wieschendorf sind lohnende Ziele für einen Kurztrip am Wochenende. Um bis nach Wismar vorzudringen, sollte man hingegen ein, zwei Tage mehr Zeit einplanen. Denn gleich, von wo man auf eigenem Kiel anreist, ob von Travemünde, Großenbrode oder Kühlungsborn, es sind stets um die 20 Seemeilen bis Timmendorf. Hinzu kommen rund acht Seemeilen bis in die Hansestadt.

Überhaupt ließe sich mit Leichtigkeit eine ganze Woche in diesem Mikrorevier verbringen. Seglerisch ist es nicht anspruchsvoll, sodass auch Familien-, Einsteiger- und Kleinkreuzer-Crews auf ihre Kosten kommen. Beim Blick auf die Seekarte sind zwar viele Flachs zu erkennen. Doch die meisten sind nur für tiefgehende Yachten ein Hindernis. Und außerdem: Man sieht sie ja, dem klaren Wasser sei Dank.

Befahrensregeln in der Wismarbucht

Elf ansässige Wassersportvereine haben sich im Projekt „Naturschutz Wismarbucht“ zusammengeschlossen und spezielle Befahrensregeln für die besonders sensiblen Bereiche des Reviers erarbeitet – auf diese Weise wollen sie amtlichen Verbotszonen zuvorkommen. In einigen Häfen findet sich eine Seekarte mit den betroffenen Zonen und entsprechenden Hinweisen. Auch auf der Webseite www.naturschutz-wismarbucht.de wird erklärt, wie man sich verhalten soll. Die Maßnahmen sollen Seevögel schützen; für Segler bringen sie kaum Einschränkungen mit sich. So ist beispielsweise die Geschwindigkeit auf acht Knoten limitiert, um Wellenschlag zu vermeiden.

Die geschützten Zonen erstrecken sich über große Teile der Wohlenberger Wiek, die Sandbank Lieps und einige Flachs sowie die Untiefe Hannibal eingangs der Bucht. Hinzu kommen einige Uferzonen um Hohen Wieschendorf und in der Kirchsee.

Dieser Artikel erschien zuerst in YACHT 4/2021.


Revierinfos für die Wismarbucht

Anreise & Charter

Wer mit eigenem Boot anreist, hat egal von wo kommend mindestens 20 Seemeilen vor dem Bug, bis er die Bucht erreicht. Charterflotten gibt es in Wismar nicht. Die nächsten befinden sich auf Fehmarn oder in Heiligenhafen.

Wind & Wetter

Die Wismarbucht ist sehr geschützt. Das merken von See kommende Segler rasch, sobald sie die Flachs eingangs der Bucht passiert haben. Überwiegend weht der Wind aus westlicher Richtung. Bei starkem südwest- und südlichem Wind kann es in Timmendorf und Kirchdorf auf Poel unruhig werden. Dann bieten sich Häfen oder Ankerplätze am Ostufer der Bucht an, wo man geschützter liegt. Die Navigation ist durchgehend einfach.

Literatur


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