Drei persönliche Lehren lassen sich aus den ersten 24 Stunden des extremen Hochwassers ziehen: Square-Festmacher knarzen deutlich mehr als konventionelle, Kunststoff-Pfähle lassen Leinen leichter nach oben abrutschen, und eigentlich braucht man eine Wathose an Bord. Hier in Sønderborg ist das Wasser beständig gestiegen, seit Donnerstagabend sind es etwa 40 Zentimeter über den Stegen, die Ostsee-Sturmflut ist da.
Ich habe eine zweite Vorleine von der Lee-Klampe nach Luv zum Steg und dort auf einen weiteren Punkt gelegt, dazu eine Spring von der Mittelklampe. Eine zweite Achterleine zum bereits benutzten Pfahl konnte ich per Leinenwurf ausbringen. Der Pfahl ist neu, aber aus Kunststoff, und er wackelt bedenklich. Den vorbeifahrenden Hafenmeister hab ich daher gebeten, eine weitere Achterleine am nächsten Luvpfahl zu befestigen. Eine gute Idee, wir sich später herausstellen sollte. Somit liegt unser Boot insgesamt an einer doppelten und zwei einfachen Vorleinen auf zwei Klampen, einer Spring und vier Achterleinen auf zwei Klampen und zwei Pfählen. Sollte ausreichen. Der Ostwind trifft seitlich von Backbord auf das Boot, es ruckt, knarzt, wackelt und krängt. Im Hafen steht etwas Welle. Die Ostsee-Sturmflut ist da, aber der große Wind ist bislang hier in der Abdeckung ausgeblieben. Der Windmesser auf der Mole spricht von knapp 8 Beaufort in Böen.
Den Strom am Steg hat der Hafenmeister abgeschaltet. Das Wasser ist weiter gestiegen, jetzt komme ich nicht mehr gut an Land. Ist wie Ankern bei schlechten Bedingungen. Die Nacht war okay, alle Leinen, Klampen und Pfähle haben gehalten. Noch vor dem ersten Licht passiert es: Die doppelten Achterleinen rutschen vom Kunststoffpfahl. Ölzeug, Rettungsweste, Sicherheitsleine, Messer, Handschuhe. Motor an, Vorleinen fieren, Spring etwas lösen, Heckklappe auf, etwas Gas und ran an den Pfahl. Versuchen in der Welle bei der Annäherung die Leinen mit laufendem Palstek wieder auf dem Pfahl zu befestigen, mit dem Bootshaken runterzuschieben, Zug beizubehalten. Das klappt denn auch irgendwann.
Ich lass mehr Zug auf den rutschgefährdeten Leinen und weniger auf dem Holzpfahl, dort halten die Leinen auch so. Nachher muss ich mal die Batterien per Motor nachladen. Essen ist noch etwas an Bord. Das abgelaufene Reishuhn, ein Überbleibsel aus einem YACHT-Test von gefriergetrockneter Tüten-Nahrung war nicht so der Hammer. Nachher kommt der Nachbar Frank mit einem Schlauchboot vorbei. Dann hab ich wenigstens einen Lift, wenn’s ganz übel ausgeht. Es soll zur Ostsee-Sturmflut noch mehr Wind kommen – und weitere 40 Zentimeter Wasser.
Fridtjof Gunkel
So hoch, wie der Wasserstand durch die Ostsee-Sturmflut noch steigen soll, habe ich ihn bei uns im Vereinshafen noch nie gesehen. Etwas besorgt frage ich mich, ob die Festmacher richtig sitzen. Zur Ostsee-Sturmflut sollen ja auch noch Sturmböen kommen. Deswegen entscheide ich mich frühmorgens am Donnerstag kurzerhand, meinen Arbeitsplatz an Bord aufzuschlagen. Schnell das Nötigste, Seestiefel, Laptop und Ölzeug ins Auto und los.
Am Boot angekommen, steht das Wasser schon dicht unterm Steg. Der Bug ragt bereits sehr hoch über die Stegbretter, nicht leicht, an Bord zu klettern. Die Leinen kontrollieren, sicherheitshalber zwei zusätzliche Festmacher ausbringen und dann eine Runde über die Stege, nach den anderen Booten und deren Festmachern schauen. Alles gut. Der Arbeitsplatz wird etwas beengt am Kartentisch eingerichtet. Da ich den durchgesteckten Mast schon gelegt habe und dafür der Salontisch weichen musste, ist das Boot nicht mehr ganz so wohnlich wie noch vor einer Woche.
Kaffee ist aber noch da, leider aber keine Milch. Verpflegung habe ich in der Eile nicht mitgenommen. Es wird schon noch etwas an Bord sein, so hoffte ich. Tatsächlich finden sich 5-Minuten-Terrinen, eine Tüte Chips und Schokokekse. Der Kaffee schmeckt auch schwarz.
Ab 14 Uhr steigt das Wasser dann über den Steg. Ab jetzt kommen die Seestiefel zum Einsatz, die in dieser Saison nur einmal getragen wurden und da auch nur gegen die Kälte. Jetzt merke ich, dass der rechte Stiefel nicht mehr dicht ist. Zum Glück habe ich noch trockene Socken und Schuhe im Auto. Der Wasserstand steigt jetzt nur langsam, alle Boote sind gut festgemacht. Fotos und das beruhigende Resümee des Rundganges werden in die Vereins-WhatsApp-Gruppe geschickt.
Ab späten Nachmittag kommen auch andere Eigner und schauen nach den Booten. Einige wollen über Nacht bleiben. Abends soll das Wasser weiter steigen, dann kommt man ohne Beiboot oder Wathose nicht mehr zum Schiff. Zudem wird der Aufstieg über den Bug irgendwann zu steil. Mein Beiboot liegt schon zu Hause. Deswegen entscheide ich mich, wieder nach Hause zu fahren. Ab jetzt schaue ich trotz der Vergewisserung, dass alle Leinen sitzen, etwas besorgt nach neuen Nachrichten in der Gruppe. Am Freitag nach der Arbeit fahre ich bestimmt noch mal hin. Diesmal mit Beiboot im Kofferraum.
Michael Rinck
In Strande an der Kieler Außenförde liegen noch viele Yachten im Wasser, als es am Mittwochabend daran geht, sich auf das angekündigte Wettergeschehen der Ostsee-Sturmflut vorzubereiten. Die örtlichen Yacht-Clubs haben zwar schon einen Großteil ihrer Flotten auf dem angrenzenden Winterlagergelände untergebracht, aber eben nicht alle. Die Stimmung der Eigner, die vor Ort damit beginnen, ihre Yachten an die geschützteren Liegeplätze zu verholen, wird anfangs noch von dem Gefühl beherrscht, etwas Spannendes zu erleben. Sturm im Hafen? Damit kann man umgehen. Gutes Handwerk ist gefragt, das wird aber schließlich beherrscht. In Grüppchen wird sich ausgetauscht, man versichert sich Hilfe und ein waches Auge, falls etwas passiert.
Dann beginnt der Wasserspiegel langsam zu steigen. Sehr langsam, anfangs, doch schon am Donnerstag sind die ersten Stege unter Wasser. In der Nacht hatte sich der Wind an die Vorhersage gehalten. Strande bei Ostwind ist so eine Sache. Schon, wenn er einfach nur stark weht. Jetzt bringt er die noch stehenden Masten dazu, brüllende Geräusche von sich zu geben. Vor allem unter Deck, wo ich mich aufhalte, um da zu sein, wenn etwas passiert.
Wie am Nachbarsteg, wo sich am Donnerstagabend die ersten Belegpoller aus dem Betonsteg herausgerissen haben. Ich bekomme die Bilder auf das Handy geschickt, ohne Not bewege ich mich gar nicht mehr vom Schiff. Das liegt zwar an einem Schwimmsteg, aber der Weg vom Ufer zu diesem steht schon so weit unter Wasser, dass es an den oberen Rand meiner Seestiefel reicht.
Als es dunkel ist, sorgen die blau fackelnden Lichter der freiwilligen Feuerwehr für eine gediegene Atmosphäre, keiner kann sagen, was die vorhat, aber es wirkt gespenstisch. Die Gesichter der wenigen Menschen auf den Stegen wirken angespannt, von Abenteuerlust ist nichts mehr zu spüren. Einige Unverdrossene verholen jetzt noch ihre Schiffe, in der Nacht soll der Sturm noch eine Schippe drauflegen, die Ostsee-Sturmflut auch.
Das tut er. Am Freitagmorgen wird das Schiff in den Böen so stark geschüttelt, dass an Schlaf nicht mehr zu denken ist. Zudem ist es kalt geworden, die Hafenmeister haben aus Vorsicht den Strom komplett abgestellt. Das Wasser reicht jetzt fast bis an die Promenade, um trocken an Land zu kommen, wäre eine Wathose vonnöten. Die habe ich nicht, und so betrachte ich das Spektakel abermals von meiner Insel aus, die so gar nicht mehr an das gemütliche Zuhause aus dem Segelsommer erinnert.
Ich schaue hinüber zu Steg 1, wo ein vereinzelter Mast im 45-Grad-Winkel liegt. Dauerhaft. Die Mole ist nicht mehr zu erkennen, die See spült einfach darüber hinweg. Auch dauerhaft. Seegraswiesen bilden malerische grüne Flecken im weißen Schaum des Hafenwassers. Mehrere Festmacher, inklusive Ruckdämpfer, habe ich nach Luv ausgebracht, meine Poller halten noch. Es reicht trotzdem, mir jedenfalls. Die Messwerte am Kieler Leuchtturm liegen jetzt seit 12 Stunden bei 45 Knoten im Mittel. Das ist der Wind, der nach der Beaufort-Skala Gartenmöbel zum Nachbarn fliegen lässt. Hoffentlich landen keine bei mir an Deck. In der kommenden Nacht soll es nämlich noch ein wenig zulegen.
Lasse Johannsen