Kristina Müller
· 11.11.2022
Wenn es auf der Nordsee kachelt, kann man zwischen Amrum, Föhr und Sylt noch gut im Schutz der Inseln segeln. Tolle Häfen, weite Strände und verträumte Orte wollen entdeckt werden. Ein Törnbericht
So ein elendes Geschaukel! Und es wird immer schlimmer, je näher wir dem Hafen kommen. Dabei war es bisher ein berauschender Ritt von Bremerhaven raus nach Helgoland, mit Halbwind und Sonne, acht Knoten auf der Logge und breitem Grinsen auf den Gesichtern. Doch für den Segelspaß müssen wir nun wohl zahlen: Der Wind verabschiedet sich wenige Meilen vor der Hafeneinfahrt und hinterlässt nur ungemütliche Wellen aus Nordwest.
Endlich drin, spenden die Molen des Hafens sofort Schutz. Wir packen die Segel, und wenige Minuten später ist unsere Reinke Bestandteil eines Siebener-Päckchens. Willkommen auf Helgoland im Sommer!
Eigentlich stünde nun Inselprogramm an: Sonnenuntergang an der Langen Anna gucken, Kreischkonzert der Lummen hören, versacken in der „Bunten Kuh“. Tatsächlich passiert: Koje um acht und komatöser Urlaubsauftaktschlaf. Bis spät in die Nacht zuvor hatten wir das Boot gepackt, nachdem sich der Refit des vergangenen Winters irgendwie bis in den Sommer gezogen hatte. Entsprechend heiß sind wir aufs Segeln, wollen lange Schläge auf der Nordsee machen, am liebsten bis zum Limfjord. Doch der Blick in die Wettervorhersage erfordert einen Plan B. Der ist schnell gemacht und kann sich sehen lassen: Inselhopping in Nordfriesland scheint bei tagelangem Gekachel aus Nordwest die bessere Wahl zu sein, als an der ungeschützten dänischen Westküste auf Teufel komm raus nach Norden zu wollen.
Am nächsten Morgen ist die Welle weg, und die 37 Seemeilen von Helgoland nach Amrum machen Lust auf immer mehr Meer. Viel zu schnell sind sie vorbei. Nordfriesland durch das Rütergat zu erreichen fühlt sich an, wie durch ein Tor in eine andere Welt zu segeln: An Steuerbord tauchen schemenhaft die Warften von Hallig Hooge auf, unter denen die Insel kaum auszumachen ist. An Backbord der lange weiße Kniepsand von Amrum.
Egal wen man fragt, jeder schwärmt von der Insel. So schön! So grün! Da müsst ihr hin! Also bergen wir die Segel kurz vorm Fähranleger und motoren die letzte Meile an Pricken entlang zum Hafen. Entgegen allen Erwartungen ist fast nichts los, und das Anfang Juli. Die Saison scheint noch nicht richtig in Fahrt zu sein – es mag am Wetter liegen. Immer wieder werden wir in den folgenden Tagen zu Fleecejacke und Wärmflasche greifen statt zu Flipflops und Badeshorts.
Alles, aber auch alles auf Amrum ist bestens ausgeschildert, wirkt picobello, einladend und touristisch. Tiefer ins Inselleben tauchen wir aber – wie könnte es beim Segeln anders sein – wegen eines Problems ein: Das Tretlager eines unserer Klappräder quittiert gleich am ersten Tag den Dienst. Da sich neun Fahrradläden auf die fünf Inselorte verteilen, sind wir guter Dinge und beginnen die Ersatzteiljagd. Bei Versuch Nummer fünf in Norddorf werden wir fündig. Der nette Blondschopf, der den Laden führt, schafft es nicht nur, das offenbar seltene Lager zu tauschen, sondern versorgt uns darüber hinaus mit allerlei Geschichten und Infos über seine Heimat.
Da der angesagte Nordwest längst eingesetzt hat, bleiben wir ein paar Tage, um das wirklich hübsche Amrum kennenzulernen.
Wir wandern um die Nord- und Südspitze, radeln durch Kiefernwald und Felder, die wie auf keiner zweiten Nordseeinsel sanft zum Wattenmeer hin abfallen, backen Brot und Pizza an Bord – und machen dann einen Anfängerfehler: Picknick auf der Insel-Luvseite heißt Mittagssnack mit Sandpanade. Trotzdem herrlich!
Der Wind nimmt nicht ab und treibt uns in kurzer, schneller Rauschefahrt knapp zehn Seemeilen weiter nach Föhr. Das Fahrwasser dorthin ist breit, tief und viel befahren von den Fähren, die zwischen Föhr und Amrum pendeln. Wieder einmal denken wir, was für ein Privileg es ist, als Segler spontan entscheiden zu können, nach welcher Insel uns als Nächstes der Sinn steht, und gleich mehrere auf einer Reise entdecken zu können. Ohne festen Fahrplan und teure Tickets.
Auch auf Föhr, der größten deutschen Insel ohne feste Verbindung zum Land, gibt es nur einen Yachthafen. Geschützt liegt er vor Wyk, der „Stadt“ der Insel, und führt fast immer ausreichend Wasser selbst für tiefergehende Boote. Auch hier sind mehr Boxen frei als erwartet. Viele Crews sind offenbar entweder in der Ostsee oder wegen des schlechten Wetters am Festland.
Als „friesische Karibik“ bewerben seine Touristiker das Eiland und tatsächlich: Im Windschatten auf den Terrassen der Cafés an der Strandpromenade, mit Blick auf glitzerndes Wasser und Pudersand, hinkt der Vergleich nur noch ein wenig. Plan B zu zücken und mit viel Zeit Nordfriesland zu entdecken fühlt sich gerade einfach nur perfekt an. Das verleitet offenbar zu Übermut: Gut 40 Kilometer legt man auf einer Radtour um die Insel zurück. Ein Leichtes für alle, die sich mit E-Bikes gegen den Nordwester stemmen. Auf 14-Zoll-Bordrädern kommt dagegen kurz der Gedanke an den nächsten Bus auf.
Was für ein Privileg, als Segler spontan entscheiden zu können, nach welcher Insel einem als Nächstes der Sinn steht!”
Am nächsten Tag klopft es an der Bordwand. Der Freund eines Freundes steht am Steg und will wissen, ob wir alles haben, was wir brauchen. Herzlich sind hier alle, ohne Frage. Schnell sind wir beim Schnack über das Revier und die Ziele, die es noch zu entdecken gibt. Ob wir Oland schon kennen, die kleine Hallig, die nur durch einen Damm mit Langeneß verbunden ist und wo außer einer Personenfähre kaum ein Boot hinfährt? Leider nein! Aber für so ein einsames Hallig-Abenteuer würden wir unsere Pläne auch ändern.
Doch wir verschieben Oland auf ein anderes Mal und bleiben bei der Idee, von Föhr weiter nach Sylt zu segeln. Beim kontinuierlich angesagten Westwind säße man auf der Hallig wie in der Mausefalle.
Gleich drei Routen bieten sich für den Schlag nach Hörnum an: über das Wattfahrwasser nordöstlich an Föhr vorbei oder das Wattfahrwasser zwischen Amrum und Föhr entlang. Oder „außenrum“: Das hieße durchs Rütergat raus auf die Nordsee und durchs Vortrapptief wieder rein.
Da Wind und Tide dafür am besten harmonieren, fällt die Wahl auf Option Nummer zwei. Wir segeln schließlich einen wattentauglichen Kimmkieler mit nur 1,10 Meter Tiefgang, und vom Amrumer Strand aus sah der Prickenweg verlockend schön aus. Die Kreuz mit dem Ebbstrom bis Wittdün erfordert Aufmerksamkeit zwischen all den Fähren, Fischern und einigen Yachten. Dann fällt der Anker im Schutz von Amrum, um später bei auflaufendem Wasser weiter übers Watt zu segeln.
Auch dort wird offensichtlich, wie ruhig es im Revier ist. Nicht eine andere Segelcrew ist zwischen Föhr und Amrum unterwegs. Das Wattenmeer scheint uns zu gehören – und einem Arbeitsschiff, das unverhofft für Adrenalinschübe sorgt: Auf halber Strecke enden die Pricken, dafür hängt von der Schute ein dickes, langes Rohr für Spülarbeiten ins Wasser, das man queren muss. Spät entdecken wir die wenigen Ersatztonnen und segeln langsamer weiter, dicht am Arbeitsschiff vorbei. Entspannt lehnt dessen Crew an der Reling, grüßt und hat von unserer Aufregung rein gar nichts mitbekommen.
Mit einem nicht zu überhörenden „Hierher!“ durchs Megafon werden wir in Hörnum vom Hafenmeister empfangen und an einen Liegeplatz gelotst. Unweit der modernen Anlage üben am Strand Surfschüler, auf ihren Brettern zu bleiben, Jollensegler jagen um Bojen, und wir halten fröstelnd die Zehen ins Wasser. Eindeutig zu kalt fürs Baden! Dann doch lieber ab aufs Rad, die Marathon-Distanz von Föhr ist längst vergessen.
Noch ist eigentlich Zeit, doch da der Rückweg wieder über die Deutsche Bucht führt, hören wir allmählich aufmerksam auf die Trends im Wetterbericht. Nach wie vor: West-Nordwest und eher mehr davon als wenig. Das bedeutet ungemütliche Seegatten und viel Welle draußen – also bleiben wir lieber im Schutz der Inseln. Uns reizt noch das nördliche Wattfahrwasser nach Föhr über die sogenannte Föhrer Schulter. Mit dem Flutstrom und Wind von achtern verspricht der erneute Schlag nach Wyk flott zu werden – und würde die Runde um Föhr unter Segeln komplett machen.
Wir machen einen Anfängerfehler: Picknick am Strand heißt Mittagssnack mit Sandpanade. Trotzdem herrlich!”
Erst folgen wir der Perlenschnur an grünen Tonnen. Wie auf Schienen läuft unser sechseinhalb Tonnen schwerer Dampfer über graue See. Tatsächlich erinnert mich das Segeln hier, je näher wir dem Festland kommen, an Törns auf den holländischen Seen: flaches Wasser, kurze Welle, das Ufer nie allzu weit weg. Nur dass der Stöpsel dort nicht alle zwölf Stunden gezogen wird. Nach vier Stunden mit Hakenschlagen entlang von Prielen auf dem Watt schließt sich unsere Runde vor dem Hafen von Wyk. Kaum drin, dreht der Wind wieder auf.
Ein Motor tuckert, es ist kurz vor vier Uhr morgens. Das Geräusch wird lauter, kommt immer näher. Ich springe aus der Koje. Da läuft tatsächlich einer ein in dieser ungemütlichen Nacht und will neben uns festmachen. Mehrere Anläufe braucht der Skipper. Kein Wunder bei dem Wind und dem, was er und sein Mitsegler gerade offenbar erlebt haben. Die Leinen sind noch nicht ganz fest, da sprudelt es aus ihnen heraus, dass sie im Rütergat eine der Fahrwassertonnen in voller Fahrt gerammt haben und Glück hatten, dass ihre Bavaria noch schwimmt. Und tatsächlich, am nächsten Morgen fallen der verbogene Bugspriet und weitere Kollisionsschäden ins Auge. Sie haben Glück im Unglück gehabt – und sind für uns eine Erinnerung daran, wie wichtig es ist, in diesem anspruchsvollen Revier mit starkem Gezeitenstrom und Untiefen nie leichtsinnig zu werden.
Längst haben wir die Wetter-App in „Schlechte-Laune-App“ umbenannt. Klar, dass der Wind nun, da wir zurücksegeln müssen, abflauen und auch noch auf Süd drehen soll. Es passt einfach nie. Kurz erwägen wir Alternativen. Statt über Helgoland via Neuwerk zurück? Oder in einem Rutsch durch? Alles nicht besser.
Schließlich kreuzen wir nach Amrum, warten dort aufs nächste Hochwasser. Dann schieben Ebbstrom und Motor uns im ersten Morgenlicht raus auf die Nordsee. Diesmal bleibt Amrum an Steuerbord und Hooge an Backbord achteraus. Auch da wollen wir unbedingt noch einmal hin und dann statt weitläufiger Inseln winzige Halligen entdecken. Fast klingt das wie ein perfekter nächster Plan B.
Aufgrund seiner Lage ist Wittdün für viele Crews, die aus Süden kommen, der erste Stopp beim Nordfriesland-Törn. Gastlieger machen am nördlichen der beiden Stege längsseits fest. Wenn es voll wird, auch im Päckchen. Hier ist der Hafen am tiefsten, die Plätze am südlichen Steg fallen trocken.
Die Liegeplatzpreise lagen 2022 bei 1,80 Euro pro Meter Bootslänge zzgl. Kurtaxe (2,60 Euro pro Person und Tag) und Strom (3 Euro/Tag). Sanitäranlagen finden sich im Vereinsheim neben dem Restaurant. www.a-y-c.de
Besonders schön ist eine Wanderung um die Nordspitze. Dort blickt man auf Föhr und Sylt. Auf dem Weg liegen Dünen, Strand und Watt
Das Friesendorf Nebel wirkt wie aus einem Bilderbuch. Reetdachhäuser, Bauerngärten und Gaststuben reihen sich dort aneinander
In Wittdün gibt es alles: Supermärkte, Geschäfte, Leihräder, Bäcker. Der Fußmarsch vom Hafen am Wasser entlang dauert 15 Minuten
Als Besucher hat man die Wahl: Entweder biegt man hinter der Hafeneinfahrt nach Steuerbord ab und macht am hintersten Steg oder in einer freien Box an einem der Schwimmstege fest. Der Hafen fällt nicht trocken, die Sanitäranlagen des Sportbootclubs Föhr sind neu und fast schon luxuriös. Das Liegegeld beträgt zwei Euro pro Meter Bootslänge. Alternativ fährt man nach Backbord in den Alten Hafen. Hier liegen Boote direkt am Marktplatz im Trubel, bei Niedrigwasser aber auch weit unten vor hohen Kaimauern und dicht an der Straße. Mehrere Fähren legen ständig vor der Hafeneinfahrt an und ab, auf sie muss man achtgeben. www.wyk.de/hafen
Ein Bohlenpfad mit Bänken führt am Strand auf Höhe Nieblum entlang: toller Ort zum Lesen und Träumen
Im Museum der Westküste in Alkersum gibt es internationale moderne Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts zum Thema „Meer und Küste“
Wyk auf Föhr ist Ausgangspunkt für alle Inseltouren und für Segler ideal zum Verproviantieren und Ausgehen
Der größte und beste Yachthafen ist Hörnum, auch wenn eher Arbeitsstimmung herrscht wegen der Fähren und Muschelfischer, die Tag und Nacht ein- und auslaufen. Wenn er vor Ort ist, ruft der Hafenmeister ankommenden Crews die Nummer eines freien Liegeplatzes zu und hilft mitunter beim Anlegen. Sehr gute Sanitäranlagen im Gebäude des Sylter Yachtclubs. Hier zahlt man auch das Liegegeld; zuletzt 23 Euro für Boote bis elf Meter inkl. Strom. www.sylter-yachtclub.de
Egal wo, auf Sylt ist der Strand nie weit weg. Besonders schön ist auch eine Wanderung am „Ellenbogen“ im Norden der Insel
Wer groß einkaufen und ausgehen will, fährt mit dem Bus ins Zentrum nach Westerland. In Hörnum gibt es einen kleinen Supermarkt
Auf den Nord- und Ostfriesischen Inseln erobert die See bei Stürmen das Land. Nach Sturmfluten fehlen oft weite Teile des Strandes, die nur mühsam aufgespült werden können. Auf Sylt ist vor allem Hörnum-Odde betroffen (Foto)