200 Myls SoloLangstrecken­regatta bringt Holland auf die harte Tour näher

YACHT-Redaktion

 · 07.12.2025

Die Regatta hatte es in diesem Jahr in sich. Zeitweise kräftiger Wind verlangte von den Teilnehmern volle Konzentration.
Foto: Frank Winklmeier
Das 200 Myls Solo ist eine im Nachbarland populäre Langstreckenregatta für Einhandskipper. Frank Winklmeier war mit zwei Segelfreunden – jeder auf seinem eigenen Schiff – dabei.

Text von Frank Winklmeier

​”Vergiss Wärmflasche und die Tabletten nicht“, sagt meine Frau mitleidig und legt mir ein Notpaket für Rücken- und Nackenschmerzen in die eh schon proppenvolle Segeltasche. Sie weiß, was ein Mann meines Alters braucht, der sich mal wieder ins große Abenteuer stürzen will. In diesem Fall ins 200 Myls Solo. Das zieht sich über rund dreieinhalb Tage und ist verbunden mit wenig Schlaf, mit kühlem und in der Vergangenheit bisweilen auch nassem Herbstwetter sowie mit vielen unangenehmen Kreuzschlägen.

Immerhin bin ich nicht allein. Knapp hundert weitere Segler haben in diesem Jahr zu der berüchtigten Einhandregatta in den Niederlanden gemeldet. Da­run­ter auch zwei gute Segelfreunde von mir: Enrico geht mit seiner Dehler 35 SV „Abraxas“ an den Start, Johannes mit seiner Dehler 33 CR „Himmelblau“. Ich selbst segele auf unserer „Sevelina“, einer First 35.


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Mittwochs geht es los. Am Tag zuvor hat sich der Bataviahaven in Lelystad mit in Bauart, Größe und Alter höchst unterschiedlichen Yachten gefüllt. Von der betagten Bavaria mit Geräteträger bis zur schnittigen J-99 zeigt sich ein Querschnitt des Yachtbaus der vergangenen Jahrzehnte bis heute.

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Die 200 Myls Solo ist kaum vergleichbar mit herkömmlichen Regatten. Sie hat ihre eigenen Regeln. Bis zu 140 Einhandskipper dürfen mitmachen. Die müssen während des Rennens drei Pausen à sieben Stunden einlegen, von denen eine vor Anker verbracht werden muss. Die Ruhezeiten dienen der Sicher­heit. Sie werden aber auch taktisch genutzt, etwa bei ungünstiger Wind­rich­tung, Flaute oder Tide. Schleusenzeiten sowie die Passage des Nordzeekanaals zwischen Amsterdam und IJmuiden gelten ebenfalls als Pause. Genaue Planung vor dem Start ist also notwendig.

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Wie das deutsche Trio entscheiden sich die meisten Skipper für Routenoption Nummer fünf. Die führt von Lely­stad aus rund um IJsselmeer und Markermeer.Foto: Frank WinklmeierWie das deutsche Trio entscheiden sich die meisten Skipper für Routenoption Nummer fünf. Die führt von Lely­stad aus rund um IJsselmeer und Markermeer.

Eine weitere Besonderheit: Die Teilnehmer müssen zu Beginn eine aus fünf verschiedenen vorgegebenen Routen wählen, die sie absegeln wollen. Die Kurse führen über IJsselmeer und Markermeer, zwei beinhalten zudem Abschnitte auf der Nordsee und der Waddenzee. Vorgeschrieben ist ferner bestimmte Ausrüstung, unter anderem sind Rettungsweste, Signalraketen, eine zweite Pütz und eine Dreifarbenlaterne Pflicht. Das zu den Fakten. Entsprechend der vorhergesagten Hauptwindrichtung Ost bis Nordost entscheiden sich fast alle Skipper für Bahn fünf: zweimal ums IJsselmeer mit Start- und Endphase im Markermeer.

Man soll ja schließlich aktiv bleiben

Warum ich mir das immer wieder antue? Mit 64 Jahren graut mir zwar jedes Mal vor den Strapazen einer Solo- oder Zweihandregatta. Aber wir Boomer sollen ja schließlich aktiv bleiben, uns bewegen, die Muskeln fit halten, den Gleichgewichtssinn trainieren – sagt zumindest mein Orthopäde. Was gibt es daher Besseres, als mit vielen Gleichgesinnten das Schiff auszuräumen und sich morgens um sieben Uhr an einem Tag im September in eine Flotte von fast 90 Yachten einzureihen, die nach und nach den Bataviahaven verlassen! Ich schiebe also die Sorge beiseite, von der 3,50 Meter hohen Kante abzurutschen, bei Lage unter Deck das Gleichgewicht zu verlieren oder nachts gegen eine unbeleuchtete Tonne zu donnern, und lege ab.

Schnell kommt Freude auf. Die Bedingungen sind perfekt. Unter Vollzeug rausche ich den beiden Freunden bei 15 bis 20 Knoten Wind hinterher. Eile vorm Start ist überflüssig. Der Tracker, den alle Teilnehmer vom Veranstalter bekommen, loggt sich erst beim Passieren der Starttonne ein. So entsteht kein Gerangel um ideale Startpositionen, stattdessen zieht sich das Feld rasch auseinander.

Die kurze, steile Welle in diesen Flachwasserbadewannen, die das Marker- und das IJsselmeer nun einmal sind, verlangt volle Konzentration beim Steuern. Meine „Sevelina“ kommt gut in Fahrt, läuft zwischen sieben und zehn Knoten. Die Navigation immerhin ist nicht schwierig: einfach der Meute hinterher. Allerdings muss an jeder Streckentonne die exakte Zeit notiert werden. Enrico murmelt sie ins Handy. Ich notiere sie auf einen Block, auf dem Tonnen, Distanzen und nachfolgende Kurse vermerkt sind.

Doppelrunde auf dem IJsselmeer

Nach einem taktisch klugen Amwindkurs, der mir ein paar Plätze in der Führungsgruppe einbringt, geht es raumschots hinüber ans Westufer des Markermeers und zur letzten Tonne kurz vor der Schleuse ins nördlichere IJsselmeer. Die Krabbersgat-Schleuse ist vollgestopft mit Booten, an deren Achterstagen Unaone-Flaggen wehen. Jeder hilft jedem. Der kräftige Seitenwind vertreibt meine „Sevelina“ in Richtung einer Yacht auf der Gegenseite, bevor ich im letzten Augenblick mit Vollgas in die Achterleine eindampfen kann. Kein anderer als der bekannte niederländische Bootskonstrukteur Dick Koopmans persönlich fixiert grinsend meine Bugleine, bevor er zu seiner selbst gebauten „Jager“ zurückschlendert. Dick ist eine Institution bei fast allen Solo- und Zweihandregatten in den Niederlanden. Oft genug habe ich nur sein Heck gesehen.

Die Schleusentore öffnen sich und die Karawane bewegt sich zur ersten Tonne für die Doppelrunde auf dem IJsselmeer. Ich steuere einen großen Bogen, bereite Groß und Genua so vor, dass ich später nicht mehr trimmen muss, wenn der Tracker sich automatisch einloggt. Die konstanten 15 bis 20 Knoten aus Ost ermöglichen einen Amwindkurs ohne Kreuz Richtung Urk. Ich habe aufs Reff verzichtet, knalle das Achterstag maximal an und versuche den verspannten Nacken zu ignorieren.

Enrico segelt wenige Hundert Meter hinter mir. Sein Binnenrigg macht ihm zu schaffen – er schießt immer wieder in den Wind. Bei Regatten nehmen Freundschaften keinen großen Stellenwert ein – ich grinse innerlich und freue mich, ihn auf Distanz zu wissen.

Läuft doch prächtig

Urk, dieses sonderbar verschlafene einstige Eiland mit gefühlt mehr Kirchen als Einwohnern, taucht voraus auf. Nach Passieren der Tonne UK10 folgt ein kurzer Vormwindkurs, der endlich Ruhe ins Schiff bringt. Zeit für ein vorher geschmiertes Brot und einen Schluck der hellblauen Sportlertinktur. Auf eine Tablette gegen die Schmerzen, die mittlerweile den unteren Rücken erreicht haben, verzichte ich. Ich bin schließlich ein Boomer!

Der Kurs zur südöstlich von Urk gelegenen Ketel-Brücke gerät zur ersten Kreuz. Rechts eine Batterie Windkraftwerke, links ein stark befahrenes Fahrwasser mit Binnenschiffen. Ich entscheide mich für die Seite mit den Wind­rädern und nehme Enrico wieder ein paar Meter ab – er hat die andere Seite gewählt. Läuft doch prächtig!

Nach der Luvtonne bleibt der Gennaker in der Tüte. Der Wind passt für einen entspannten, kurzen Raumschotskurs, bis es Richtung Stavoren geht. Wir drei einigen uns per WhatsApp, dort die Buiten-Marina als Nachtlager anzulaufen. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit logge ich mich an der Tonne VF-B für die erste Pflichtpause aus, schalte meine rote „Bordellbeleuchtung“ unter Deck ein sowie die LED-Strahler an den Salingen, um die Segel zu bergen. Enrico folgt mir dicht­auf. Der Halbwindkurs hat seiner übertakelten Dehler Vortrieb verschafft und meinen Vorsprung zunichtegemacht. Ich beschließe, ihm dafür am Abend ein warmes Bier zu servieren.

Resümee bei Chili con Carne

Kurz vor der Hafeneinfahrt – beleuchtet wie eine Dorfkirmes – setze ich sanft im schlammigen Flach auf. Die Rufe von Enrico und das Vibrieren meines Handys hatte mein altes Gehör schlicht überhört. Ich weiß schon, warum ich normalerweise Nachtfahrten meide. Ein kurzer Schub nach hinten genügt zum Glück und es geht wieder in Richtung Marina.

Um 22 Uhr kommt auch Johannes mit seiner „Himmelblau“ an unseren Kopfsteg. Gemeinsam wird ein arg klumpiges Chili con Carne aus der ­Dose verdrückt, ein alkoholfreies Bier hilft beim Runterspülen. Wir fachsimpeln, schauen uns Fotos an, die ich tagsüber gemacht habe, und legen eine Strategie für den nächsten Tag fest. Dann geht es ab in die Koje.

Tag 2 bringt herausfordernde Windverhältnisse

Start tags darauf am späteren Morgen. Der Wind weht bereits mit 17 Knoten. Ich habe ein zweites Reff schon im Hafen eingebunden. Die Kreuz läuft gut, ich führe unser Dreierfeld an. Die folgenden raumen Kurse bis Enkhuizen bescheren meiner „Sevelina“ satte elf Knoten in der Spitze und mir einen Puls um die 120. Das alles bei strahlendem Sonnenschein und einem kühlen, kräftigen Nordost. Die Anstrengungen des gestrigen Tages verblassen.

Meine gute Laune lässt allerdings nach, als es erneut gen Urk geht. Vorher noch eine kurze Kreuz zur Ansteuerungstonne für den ungeliebten Kurs. Ein „Pan-Pan-Pan!“ dröhnt plötzlich aus dem Außenlautsprecher: Mastbruch direkt vor meiner Nase. Ein Rettungsflieger ist rasch zur Stelle und ein Rettungsboot folgt. Ich muss von meinem geplanten Kurs abweichen, um mich von dem Geschehen frei zu halten. Enrico zeigt mir an der Tonne die lange Nase. Ich wünsche seiner „Abra­xas“ im Stillen einen noch längeren Mast mit noch mehr Segelfläche für den nun anstehenden Horrorkurs nach Urk.

Der Wind legt auf über 30 Knoten zu. Die IJsselmeerwelle kotzt sich über meinem Bug aus und hält die Teakleiste am Süllrand feucht. „Sevelina“ stampft sich immer wieder fest. Ein Überläufer auf der Winsch kostet weitere wertvolle Minuten. Einige Mitstreiter segeln zurück nach Enkhuizen – vielleicht die bessere Entscheidung? Als der Krampf vorbei und Urk erreicht ist, beschließen Enrico und ich, die Bahn zu verlassen und Lelystad für die zweite Pause anzulaufen. Die vermutlich erneut brutale Kreuz in Richtung Ketel-Brücke verschieben wir auf den sanfteren Morgen.

Die „Himmelblau“ kommt kurz nach uns in den Hafen. Die schmale Dehler 33 von Johannes ist ein Segelwunder und lässt uns in der Live-Rangliste kaum Luft nach berechneter Zeit.

Endspurt hält alles bereit

Die Flevo-Marina dient als komfortables Ruhekissen für den Endspurt. Auch das macht diese Regatta aus: abends zusammensitzen mit Mitstreitern und Freunden, Klönschnack und Luft holen, das Messer für einen Moment aus den Zähnen nehmen und Energie tanken.

Der dritte Tag gerät für mich zum Desaster. Erst ist mir ein Frachter an der Ketel-Brücke im Weg, sodass mein Vorsprung schwindet. Später kostet mich ein großes, altes Plattbodenboot kurz vor Hindeloopen wertvolle Sekunden. Die Entscheidung, auf den danach folgenden Vormwindkursen beim Code Zero zu bleiben und prompt in ein Flautenloch vor Den Oever zu geraten, schlägt mit über einer Stunde in meinem Zeitkonto zu Buche. Ich muss sogar entnervt für 30 Minuten den Anker werfen, um nicht abzutreiben.

Zwar schiebt mich eine Wolkenwalze schließlich doch noch Richtung Enkhuizen, aber eine erneute Windstille bereitet mir eine endlos langsame letzte Kreuz – während meine Freunde schon die ersten Bierdosen in der dritten Pause im Enkhuizer Compagniehaven zerknüllen.

Nervöse Nachtfahrt

Kurz nach Mitternacht stehe ich vor der Entscheidung: Quetsche ich mich zwischen nörgelnden Eignern und gestressten Regattaseglern in das enge Vorbecken zum Ankern, oder nutze ich die acht Knoten Wind zur Weiterfahrt Richtung Ostküste des Markermeers? Ich entscheide mich trotz meiner Nachtängste für die zweite Möglichkeit und gelange nach einem längeren Vorm­wind­kurs mit Schleichfahrt in die Mitte des Markermeers.

Um zwei Uhr ruft mich plötzlich meine Frau an. Das hell aufleuchtende Display blendet mich. „Da kommt eine kleine Regenfront, die bringt dir den Turbo für die letzten Meter!“ Ich drücke sie virtuell. Ein kleiner Schub mehr, und ich erreiche schneller als erwartet die vorletzte Tonne vor Almere. Kurz nach drei Uhr wuchte ich den Anker samt Bleileine aus dem Kasten und falle in den ersehnten Schlaf.

Am Morgen ein ungeduldiger Blick auf die Uhr: Wann sind die sieben Stunden endlich rum? Der Wind hat etwas aufgedreht, Enrico rauscht schon in Richtung Ziel. Als ich endlich wieder einlogge, habe ich Johannes direkt hinter mir. Was für ein letztes Rennen! Der Wind wird immer schwächer. Mein Code Zero spielt zum ersten Mal seine Stärken aus. Johannes versucht verzweifelt, mit seinem Spi mitzuhalten. Keine Chance. Er tut mir trotz aller Regatta­strenge leid: Er ist bis dahin ein großartiges Rennen gesegelt und hätte den Sieg vor „Abraxas“ und „Sevelina“ mehr als verdient. Doch mein Killer­instinkt lässt alle väterlichen Gefühle rasch wieder verfliegen. Ich zupfe an der Schot.

Sportlich gleite ich ins Ziel. Die Bilanz: zweieinhalb Kilo weniger auf den Rippen, 15 Liter Wasser mehr in der Bilge, zwei Basecaps über Bord, aber bis auf eine noch alle Schmerz­ta­blet­ten in der Schachtel. Ach ja, und Platz 65 über alles, weit hinter der „Abra­xas“ (Platz 53) und der „Himmel­blau“ (Platz 55).

Herausfordernde Tage liegen hinter uns. Noch auf der letzten Kreuz gen Urk hatte ich mir geschworen, nie wieder teilzunehmen. Passé – wann ist doch gleich der Anmeldetermin fürs nächste 200 Myls Solo?

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